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Allgemeine Zeitung, Nr. 88, 31. März 1900.

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Samstag, Zweites Morgenblatt Nr. 88 der Allgemeinen Zeitung. 31. März 1900.


[Spaltenumbruch]
Der Krieg in Südafrika.

Sun Lord Roberts meldet nach London, er müsse seinen
Truppen noch einen längeren Aufenthalt in Bloemfontein
gewähren, da sie erst für den Winter auszurüsten
seien. Der Winter Südafrikas währt etwa vom April bis
September. In der Gegend, wo das Gros der englischen
Truppen gegenwärtig steht, ist der Winter gewöhnlich trocken
Es scheint jedoch, als ob die trockene Zeit in diesem Jahre
noch nicht so bald eintreten sollte, denn die Depeschen aus
Kapstadt melden aus ganz Südafrika außergewöhnlich starke
Regengüsse. Westlich der Bahn Kimberley-Mafeking begiunt
die sog. Karroo, das dürre Hochfeld, auf welchem der jähr-
liche Regenfall nur etwa 260 mm beträgt. Aber auch aus
dem aufständischen Orte Prieska, der bereits ganz im regen-
armen Lande liegt, wird heftiger Regen gemeldet, so daß alle
"Spruits" (Spruit = Bach) gleich Gießbächen durch die
Schluchten tosen. Selbst östlich von Bloemfontein, das um
diese Zeit das schönste Wetter haben sollte, stürzt der Regen
den Berichten zufolge geradezu in Wolkenbrüchen herab, und
es gelingt den Buren um so leichter, sich dort in Positionen
zu bringen, die ihren Gegnern die größten Schwierigkeiten
bieten, da diesen die Furten und die Gefährlichkeit der Wirbel
unbekannt sind Setzt der Winter schließlich ein, so sinkt die
Temperatur ganz beträchtlich. Während man z. B. in Kim-
berley den Sommer über im Durchschnitt 25° C. zählt,
ist die mittlere Temperatur im Winter unter 12° C.
und fällt in den Rächten häufig unter Null Eisige
Winde fegen, vom Südpolar-Eise kommend, eyklonartig
über das etwa 4000 Fuß hoch gelegene Land und durchkälten
den, der die Nacht im Freien aushalten muß, bis ins Gebein
Angenehmen Tagen geht somit "Tommy Atkins" auf der
Hochfläche des Oranje-Staates nicht entgegen, und auch mancher
Offizier wird zähneklappernd daran denken, daß den Kame-
raden und ihm der Prinz von Wales, als sie mit Roberts
von Waterloo-Station abfuhren, zugerufen hat: A nice jour-
ney to Pretoria
-- hübsche Reise nach Pretoria. "Hübsch ist
anders" mag auch Roberts denken, wenn er die Lage über-
blickt. In der That daß es dem Burenkommandanten Oli-
vier
gelungen ist, den Angriff des Generals French bei
Ladybrand abzuschlagen, ist ein entschiedener Erfolg, der ihm
gestattet, seine Kolonne aus einer schier verloreuen Position
in Sicherheit zu bringen. Die heftigen Regengüsse, welche
über das Land herniedergehen, werden ihm seinen Plan, die
mit ihm ziehenden 6000 Mann sicher nach Norden zu führen,
noch erleichtern. Wenn dabei immerhin der aufgeweichte
Lehmboden seinen Vormarsch einigermaßen behindert, so trifft
der Feind, der zudem die Gegend nicht kennt, auf ganz das
gleiche Hinderniß.

Inzwischen ist man im Londoner Kriegsministerium, wo
die schon läugst erwartete Nachricht vom Entsatz der Stadt
Mafeking noch immer nicht eingetroffen ist, auf einen neuen
Plan verfallen. Es sollen Truppen von Rhodesia aus Nord-
Transvaal angreifen; erst sollen sie Mafeking Hülfe bringen und
dann in die Buren-Republik eindringen. Zu diesem Behuf
sollen mehrere Regimenter nach dem portugiesischen Hafen
Beira geschickt und von dort auf der Bahn Beira-
Umtali-Salisbury
nach dieser befestigten Stadt Rhodesia's
geschafft werden. Von dort führt eine 300 km lange Straße
nach Buluwayo, dem Endpunkt der Bahn, die von Mafe-
ung kommt. Auf dieser Strecke sollen die britischen Truppen
nach dem bedrohten Ort gebracht werden. Ungefähr auf der
Hälfte der Bahnlinie, bei Schoschong, nähert sich die Bahn
der Westgrenze Trausvaals, die dort vom Limpopo-Fluß ge-
bildet wird. An jener Stelle sollen englische Truppen in das
Buren-Land einfallen, während gleichzeitig die bei Mafeking
nach dessen Entsatz frei werdenden Mannschaften auf Pretoria
marschiren, andere Truppen vom Greuzfort Tuli her, von
Norden eindringen und sich der Stadt Pietersburg
bemächtigen sollen, des Endpunktes der Eisenbahn nach
Pretoria. Man hofft, daß in Verfolg dieses Plans in
sechs Wochen etwa 10,000 Mann in Rhodesia bereit stehen
würden, um auf Pretoria in drei Linien vom Norden her
anzurücken, während gleichzeitig Lord Roberts mit dem Gros
seiner Truppen gegen die Hauptstadt von Transvaal
operiren würde.

Portugal hat mit der Chartered Company, bezw. mit
Rhodes ein Abkommen, wonach es der Company gestattet
sein soll, über Beira "zu Polizeidiensten" englische
Truppen nach Rhodesia zu verbringen. Ob Portugal aber
gestatten wird, englischen Truppen zu zweifellos militäri-
schen
Zwecken für den Angriff auf Transvaal einen
Freipaß zu gewähren, ist fraglich, denn sonst hätte es dem
"alten Verbündeten" ja alsbald die Delagoa-Bahn zur Ver-
fügung stellen können, deren Benutzung England so sehnlich
erstrebt. Der Befehlshaber für die britische Nordarmee in
Rhodesia soll Sir Frederick Carrington sein; es wird
aber, wie gesagt, von Portugal abhängen, ob es ihm mög-
lich sein wird, sein Kommando zu übernehmen.



* Frau Olive Schreiner, die Schwester des derzeitigen
Premierministers der Kapkolonie, die bekannte Schriftstellerin,
die Südafrika's Land und Volk in fesselnden Erzählungen ge-
schildert hat, äußerte sich zu dem Vertreter des "Sydney
Morning Herald" wie folgt:

"Ich kann es nicht verstehen,
wie ihr Australier, Neu-Seeländer und Canadier leichten
Herzeus hieher kommen könnt, um andere Kolonisten, von
denen ihr gar nichts wißt, über den Haufen zu schießen. Es
ist schrecklich, wenn ich denke, daß alle diese schmucken Leute
hiehergekommen sind, um zu tödten, oder sich tödten zu lassen
und dies alles, um den Kapitalisten einen Gefallen zu
thun. Ihr behauptet, daß England sich im Krieg befinde und
ihr der Welt zeigen wollt, daß die Kolonien bereit sind, an
der Seite von England zu kämpfen. Ja, aber ihr hättet
fragen und euch erkundigen sollen, bevor ihr die Ausfahrt
antratet. Ihr versteht dies nicht. Das ist ein Kapita-
listenkrieg.
Diese wollen sich in Besitz vom Rand und der
Minen setzen. Ihr habt in Australien nichts derartiges". Der
Berichterstatter hat an Frau Schreiner alsdann die Frage
gestellt, warum sich die Buren geweigert hätten, Stimmrechte
an Ausländer zu verleihen. "Stimmrechte! Stimmrechte,
aber von denen war ja gar keine Rede. Ich war wenige
Monate vor dem Ausbruch des Krieges in Johannes-
burg und Hunderte von Leuten haben damals dort
ganz offen erklärt, sie würden niemals ihre eng-
lische Staatsangehörigkeit
aufgeben, um dafür
als Buren abstimmen zu können. Alle sind sie nur
Nomaden, Wanderer, die Geld machen wollen, und selbst wenn
Ohm Paul sie auf den Knieen gebeten hätte, sich naturalisiren
zu lassen, würden sie es ihm abgeschlagen haben, denn keiner
[Spaltenumbruch] wollte sein Engländerthum aufgeden. Die Wahrheit ist, daß
die Kapitalisten die Minen haben wollen, und diese haben
das Wohl und Wehe der weißen Bevölkerung so in der Hand,
daß alle Welt gezwungen ist, gemeinschaftliche Sache mit ihnen
zu machen, und somit soll jetzt das Stimmrecht herhalten, um
den Buren die Minen zu entreißen. Seit Jahren ist dieser
Krieg vorbereitet und das Haarsträubenste über die Buren, ihre
Unwissenheit und ihre Grausamkeiten gedruckt worden. Alles
ist erlogen. Ich habe selbst als Gouvernante jahrelang unter
ihnen gelebt und es gibt keine gutmüthigeren Leute. Der
gegenwärtige Krieg wird ein Ausrottungskrieg sein, ein
Krieg ohne Ende. Die Buren kämpfen auf Tod und
Leben- und denken nicht daran, sich zu unterwerfen. Die
Engländer, falls sie überhaupt mit ihrer Armee nach
Pretoria gelangen, werden sich in einer noch viel
schlimmeren Lage als heute befinden. Sie werden als-
dann hunderte von Meilen Eisenbahngeleise zu ver-
theidigen haben, während die Buren ungeschwächten Muthes
weiterkämpfen werden. Selbst die Frauen sind jetzt mit Herz
und Seele für den Krieg. Nach Elandslaagte kehrte ein Bur
nach Hause zurück. Was ist los, fragte ihn seine Frau, bist
du verwundet? Nein. Ist der Feind in die Flucht geschlagen?
Nein Na, dann schnell zurück und ins Gefecht mit den Andern.
Ein Greis von über 75 Jahren griff auf die Nachricht von
den ersten Niederlagen zum Gewehr. Großvater, riefen ihm
die Enkel zu, du kannst ja nicht mehr sehen. Auf 1000 m
allerdings nicht mehr, antwortete der alte Mann, aber dafür
immer noch auf 100 m und da er nicht mehr reiten konnte,
ließ er sich im Ochsenkarrren nach der Front schaffen. Nein,
selbst eine Anzahl Niederlagen wird niemals den Muth der
Buren zu brechen vermögen und für England wird das
Schlimmste erst recht kommen, wenn es den Engländern ge-
lingt, bis nach Pretoria zu gelangen."

Der Berichterstatter,
der zwar meint, Olive Schreiner thäte besser, ein neues Buch
zu schreiben, als ihre Zeit und ihre Thatkraft zugunsten der
Buren zu "vergenden", muß übrigens selbst zugeben, daß die
Mehrzahl der Bewohner der Kapkolonie durchaus gegen den
Krieg ist, der ihrer Ausicht nach unschwer hätte vermieden
werden können.



Tel. Nachmittags fand die
Leichenfeier für Jonbert statt. An ihr nahmen alle Klassen
der Bevölkerung theil, sowie die fremden Militärattaches,
Letztere in Uniform. Die als Gefangene hier befindlichen
englischen Offiziere hatten Blumenkränze an der Bahre nieder-
legen lassen.

Tel Die Königin Vietoria
soll den Feldmarschall Roberts beauftragt haben, der Frau
des Generals Joubert ihr Beileid auszudrücken und ihr
zu sagen, das britische Volk ehre ihren Gatten als einen
tapferen Soldaten und ehrenhaften Feind. Sir Evelyn
Wood, ein alter Gegner Jonberts in dem früheren Trans-
vaal-Krieg, bat Lord Roberts ebenfalls, der Gemahlin Jonberts
seine Sympathien auszudrücken.

Tel. Nach einem Telegramm
des Bloemfonteiner Kriegsberichterstatters der "Morning Post"
ist es wahrscheinlich, daß eine größere Burenstreitmacht von
Kroonstad nach dem Süden vorstößt. Bei Brandfort wird
ein Treffen erwartet



Italien.
Die Obstruktion in der Kammer.

Tel. Die hentige Sitzung der
Deputirtenkammer wurde um 10 Uhr eröffnet. Zehn
Minuten vor Eröffnung der Sitzung nehmen die Mitglieder
der äußersten Linken ihre Sitze ein. Beim Eintritt des Prä-
sidenten, der Minister und der Anhänger der Regierung in
den Sitzungssaal rufen die Mitglieder der äußersten Linken
dem Präsidenten zu: "Hinaus! hinaus!" und bewerfen ihn
mit Papierkugeln. Die Quästoren fordern die Deputirten
der äußersten Linken auf, sich zu beruhigen. Da dieselben
fortfahren, zu schreien und zu lärmen, bedeckt sich der Prä-
sident und hebt unter dem Beifall der Majorität die Sitzung
auf. Die Deputirten verlassen ohne Zwischenfall den Saal.

Rußland.
Rußland und Bulgarten.

* Ein Zeichen der allmählichen Aenderung des gegen-
seitigen Verhältnisses zwischen Rußland und Oesterreich-
Ungarn
hinsichtlich der Balkaupolitik liegt auch darin,
daß die russischen Blätter wieder beginnen, die Balkanstaaten
untereinander und gegen Oesterreich zu verhetzen. In den
letzten Jahren, seit dem 1897 er Abkommen, ruhte diese Agi-
tation im allgemeinen, nur bei besonderen Anlässen machte sie
sich bemerkbar. Jetzt macht offenbar das Beispiel der russi-
schen Regierung, die, ohne sich um Oesterreich zu kümmern,
ihre Netze über Bulgarien auswirft, den Newa-Blättern Muth,
von neuem in dem Hexenkessel des Balkan zu rühren, und so
wendet sich die "Rossija" an Bulgarien mit der Aufforde-
rung, seine "loyalen" Ansprüche auf mindestens vier Fünftel
von Makedonien geltend zu machen. Natürlich wünscht das
russische Blatt diese Vergrößerung Bulgariens nicht lediglich
in dessen eigenem Interesse, sondern vornehmlich auch in dem-
jenigen Rußlands. Bulgarien sei der natürliche Verbündete
Rußlands, das ganze Volk sei russisch gefinnt, das Fürsten-
thum sei verhältnißmäßig wohlgeordnet und verfüge über
eine ausgezeichnete Armee russischer Schulung, kurz, Bulgarien
sei ein trefflicher Vorposten Rußlands auf dem Wege nach --
Konstantinopel. Damit ist gewiß nichts neues gesagt, aber
daß es eben im gegenwärtigen Augenblick wiederholt wird,
erfordert Beachtung. Die "Rossija" sagt auch ganz ungenirt,
daß sie Makedonien deßhalb nur Bulgarien und nicht
Serbien gönnt, weil Serbien jetzt unter österreichischem
Einflusse steht und Oesterreich es als Durchgangshof
auf dem Wege nach Salonichi zu benutzen droht. Also
in allem wieder das alte Spiel mit dem Fener, wie
es früher tagtäglich betrieben wurde. Niemand wird den
Artikel der "Rossia" mit größerem Vergnügen lesen, als
Fürst Ferdinand von Bulgarien, der jetzt wieder so eifrig
mit Rußland kokettirt und Unterstützung für seine ehrgeizigen
Pläne sucht. Freilich sind dieselben bis heute noch in Dunkel
gehüllt, das trägt aber nur dazu bei, die Situation noch un-
behaglicher zu machen. Fragt man, seit wann die neuerliche
Spannung in der Balkanpolitik datirt, so gibt es darauf nur
eine Antwort -- seit dem Belgrader Hochverrathsprozeß.
Offenbar hat nach russischer Auffassung die österreichisch-
ungarische Diplomatie damals ihre Aufgaben nicht in voll-
kommenem Maß erfüllt und deßhalb glaubt man in St. Peters-
[Spaltenumbruch] burg, die Rücksichinahme auf Oesterreich-Ungarn nach und
nach fallen lassen zu können.

Türkisches Reich.
Deutschfeindliche Inteiguen in Vorderasten.

Vor kurzem wurden
hier Gerüchte über Erschwerungen der Bildung landwirth-
schaftlicher Vereinigungen und der Erwerbung von Grundbesitz
durch fremde Unterthanen laut, die für die Provinzen Syrien
und Palästina angeblich geplant sein sollen. Diese Aus-
strenungen sind wohl zum großen Theil darauf zurückzuführen,
daß die nichtdeutsche ausländische Bevölkerung
mit Neid und Besorgniß die Ausdehnungsbestre-
bungen der Templerkolonien
in Nord-Palästina,
namentlich im Bezirk Beirut, betrachtet. Unter den franzö-
sischen und russischen Ansiedlern Palästina's ist die Ausicht
verbreitet, Deutschland gehe mit einem um fassenden
Kolonisationsplan um,
der sich nicht nur auf Palästina
beschränken, sondern sich womöglich auch auf die von der zu
erbanenden Bagdad-Bahn berührten Gegenden erstrecken
soll. Diese Behauptung scheint besonders von französischer und
russischer Seite den türkischen Lokalregierungen gegenüber aus-
gespielt zu werden. Sie wird auch oft tendenziös mit dem Schreck-
gespenst des zionistischen Judenstaats in Zusammenhang
gebracht und dabei die Ansicht ausgesprochen daß der deutsche
Kaiser über die Juden Palästina's das Protektorat zu über-
nehmen geneigt sei. Aus derartiger legendarischen Aus-
strenungen stammt auch eine Reihe von Zeitungsartikeln in
der arabischen und griechischen Presse der Levante, die mit-
unter auch in deutschen Blättern Wiederhall finden. Eine
Probe davon aus "Nea Himera" sei nachstehend mitgetheilt:

"Der russische Einfluß scheint in Konstantinopel wieder im
Steigen begriffen zu sein, während der deutsche sinkt. Der
Konstantinopeler Korrespondent der "Siniäa" (vielleicht
"Standard"?) telegraphirte jüngst folgendes: Die hiesige
deutsche Botschaft ist beunrnhigt wegen des vom Sultan dem
Deutschen Kaiser gemachten Geschenks eines großen ausge-
dehnten Landbesitzes in Palästina, dessen Titel noch nicht an
Seine Majestät ausgehändigt worden sind. Die Gonverneure
von Jerusalem und Syrien haben Anweisung erhalten, die
Ansiedelung eines jeden deutschen Einwanderers, die Bildung
landwirthschaftlicher Genossenschaften und den Erwerb von
unbeweglichem Vermögen seitens eines jeden fremden Känfers
ausdrücklichst zu verbieten. Es besteht die Vermuthung, daß
der russische Einfluß, welcher hier wieder im Wachsen ist,
diese Maßnahmen herbeigeführt hat."
Montenegro.
Die Zustände an der türkischen Grenze. -- Montenegrinisches
Konsulat in Prizrend.

* Aus Cetinje wird berichtet, daß man sich dort be-
züglich der Zustände an der moutenegrinisch-türkischen
Grenze
noch lange nicht beruhigt fühlt, da nicht nur auch
jetzt noch Ueberschreitungen dieser Grenze vom türkischen
Gebiet her mit Gewaltthätigkeiten vorkommen, sondern über-
haupt die Besorgniß nicht schwinden kann, daß die fort-
währenden Reibungen zwischen Mohammedauern und Christen,
deren Schauplatz die dem Fürstenthum benachbarten Vilajets
sind, in letzteres täglich hinübergreifen können. Ausführlichere
Mittheilungen, die man jüngst in Cetinje über die Vorgänge
in Bielo-Polje, Berana, Ipek, Rosai, Plava und anderen
Orten erhielt, lassen ersehen, daß in den letzten Wochen fast
jeder Tag neue Ereignisse zur blutigen Chronik des so-
genannten Alt-Serbien gebracht hat. Die Blutfehden nehmen
kein Ende und zwingen manche Familien über die Grenze
nach Montenegro zu flüchten. Manchmal werden auch ohne
Anlaß zu Akten der Blutrache von türkischen Banden Raub-
züge ins montenegrinische Gebiet unternommen. Daß in der
allerletzten Zeit keine derartigen Vorkommnisse zu verzeichnen
waren, biete selbstverständlich noch keine Gewähr für die
Zukunft -- Der montenegrinische Gesandte bei der Pforte,
Hr. Bakitsch, unternahm Schritte im Yildiz-Kiosk, um die
Einwilligung zur Errichtung eines montenegrinischen Kon-
sulats
in Prizrend zu erlangen. Bisher soll der Sultan
nicht geneigt sein. dem Ansuchen zu entsprechen.

Ostasien.
Aus Korea und Japan

bringt die "Now. Wremja" folgende Nachrichten:

"Bis jetzt
siedelten sich die Japaner in Korea nur in den Hafen-
städten an welche den Ausländern geöffnet sind, jetzt aber
haben die Gründer der Söul-Fusaner Eisenbahngesellschaft
eine "Koreanische Industriegesellschaft" ins Leben
gerufen, deren Aufgabe es ist, "die Entwicklung der land-
wirthschaftlichen Industrie in Korea zu fördern", d. h. einfach
Korea durch Japaner zu kolonisiren. Der Ort der ersten
japanischen Ausiedelung ist bereits gewählt. Hoffentlich wird
dem Eindringen der japanischen Kolonisten in die koreanischen
Dörfer von den Regierungen Widerstand geleistet werden, die
es nicht wünschen, daß Korea in eine japanische Kolonie ver-
wandelt werde. -- Im September 1898 erhielt das englische
Syndikat Pritchard Morgan and Comp. von der korea-
nischen Regierung eine Konzession zur Ausbeutung der
Erzreichthümer Nordkorea's
auf einem Territorium
von 260 Quadratmeilen. Vor allem wollten die Englander
die Lager von Ymsan ausbeuten, um die sich vor Morgan
ein russischer Unternehmer beworben hat. Auf den Protest
des russischen Geschäftsträgers hin verweigerte das koreanische
Ministerium dem Morgan die Ausbeutung der Lager von
Ymsan. Trotzdem hat Morgan 50 Japaner nach Ymsan ge-
schickt und die Exploitation eigenmächtig begonnen. Die
Zeitung "Tokio Asaki" theilt nun mit, daß die koreanische
Regierung eine Truppenabtheilung nach Imsan dirigiren
wolle, um dem englisch-japanischen Unternehmen
ein Ende zu machen.
Nach Japan meldet man, daß der
englische Generalkonsul in Söul, Jordane, abberufen werde.
-- Nach den eben veröffentlichen Daten der Volkszählung
hatte Japan am 31. Dez. 1898 ohne die nördlichen Inseln
und Formosa 45 Millionen Einwohner. Tokio hatte
1,425,000 Einwohner."


Heer und Flotte.
Oesterreichische Kaisermanöver 1900.

* An den diesjährigen, im großartigsten Stil als
"Armee-Manöver" geplanten österreichischen Kaiser-
manövern, welche im Raume Jaslo-Krasno stattfinden,
nimmt eine bei bisherigen Manövern in Oesterreich kaum
noch erreichte Truppenmacht theil: alle im Bereiche des I.,

Samſtag, Zweites Morgenblatt Nr. 88 der Allgemeinen Zeitung. 31. März 1900.


[Spaltenumbruch]
Der Krieg in Südafrika.

☉ Lord Roberts meldet nach London, er müſſe ſeinen
Truppen noch einen längeren Aufenthalt in Bloemfontein
gewähren, da ſie erſt für den Winter auszurüſten
ſeien. Der Winter Südafrikas währt etwa vom April bis
September. In der Gegend, wo das Gros der engliſchen
Truppen gegenwärtig ſteht, iſt der Winter gewöhnlich trocken
Es ſcheint jedoch, als ob die trockene Zeit in dieſem Jahre
noch nicht ſo bald eintreten ſollte, denn die Depeſchen aus
Kapſtadt melden aus ganz Südafrika außergewöhnlich ſtarke
Regengüſſe. Weſtlich der Bahn Kimberley-Mafeking begiunt
die ſog. Karroo, das dürre Hochfeld, auf welchem der jähr-
liche Regenfall nur etwa 260 mm beträgt. Aber auch aus
dem aufſtändiſchen Orte Prieska, der bereits ganz im regen-
armen Lande liegt, wird heftiger Regen gemeldet, ſo daß alle
„Spruits“ (Spruit = Bach) gleich Gießbächen durch die
Schluchten toſen. Selbſt öſtlich von Bloemfontein, das um
dieſe Zeit das ſchönſte Wetter haben ſollte, ſtürzt der Regen
den Berichten zufolge geradezu in Wolkenbrüchen herab, und
es gelingt den Buren um ſo leichter, ſich dort in Poſitionen
zu bringen, die ihren Gegnern die größten Schwierigkeiten
bieten, da dieſen die Furten und die Gefährlichkeit der Wirbel
unbekannt ſind Setzt der Winter ſchließlich ein, ſo ſinkt die
Temperatur ganz beträchtlich. Während man z. B. in Kim-
berley den Sommer über im Durchſchnitt 25° C. zählt,
iſt die mittlere Temperatur im Winter unter 12° C.
und fällt in den Rächten häufig unter Null Eiſige
Winde fegen, vom Südpolar-Eiſe kommend, eyklonartig
über das etwa 4000 Fuß hoch gelegene Land und durchkälten
den, der die Nacht im Freien aushalten muß, bis ins Gebein
Angenehmen Tagen geht ſomit „Tommy Atkins“ auf der
Hochfläche des Oranje-Staates nicht entgegen, und auch mancher
Offizier wird zähneklappernd daran denken, daß den Kame-
raden und ihm der Prinz von Wales, als ſie mit Roberts
von Waterloo-Station abfuhren, zugerufen hat: A nice jour-
ney to Pretoria
— hübſche Reiſe nach Pretoria. „Hübſch iſt
anders“ mag auch Roberts denken, wenn er die Lage über-
blickt. In der That daß es dem Burenkommandanten Oli-
vier
gelungen iſt, den Angriff des Generals French bei
Ladybrand abzuſchlagen, iſt ein entſchiedener Erfolg, der ihm
geſtattet, ſeine Kolonne aus einer ſchier verloreuen Poſition
in Sicherheit zu bringen. Die heftigen Regengüſſe, welche
über das Land herniedergehen, werden ihm ſeinen Plan, die
mit ihm ziehenden 6000 Mann ſicher nach Norden zu führen,
noch erleichtern. Wenn dabei immerhin der aufgeweichte
Lehmboden ſeinen Vormarſch einigermaßen behindert, ſo trifft
der Feind, der zudem die Gegend nicht kennt, auf ganz das
gleiche Hinderniß.

Inzwiſchen iſt man im Londoner Kriegsminiſterium, wo
die ſchon läugſt erwartete Nachricht vom Entſatz der Stadt
Mafeking noch immer nicht eingetroffen iſt, auf einen neuen
Plan verfallen. Es ſollen Truppen von Rhodeſia aus Nord-
Transvaal angreifen; erſt ſollen ſie Mafeking Hülfe bringen und
dann in die Buren-Republik eindringen. Zu dieſem Behuf
ſollen mehrere Regimenter nach dem portugieſiſchen Hafen
Beira geſchickt und von dort auf der Bahn Beira-
Umtali-Salisbury
nach dieſer befeſtigten Stadt Rhodeſia’s
geſchafft werden. Von dort führt eine 300 km lange Straße
nach Buluwayo, dem Endpunkt der Bahn, die von Mafe-
ung kommt. Auf dieſer Strecke ſollen die britiſchen Truppen
nach dem bedrohten Ort gebracht werden. Ungefähr auf der
Hälfte der Bahnlinie, bei Schoſchong, nähert ſich die Bahn
der Weſtgrenze Trausvaals, die dort vom Limpopo-Fluß ge-
bildet wird. An jener Stelle ſollen engliſche Truppen in das
Buren-Land einfallen, während gleichzeitig die bei Mafeking
nach deſſen Entſatz frei werdenden Mannſchaften auf Pretoria
marſchiren, andere Truppen vom Greuzfort Tuli her, von
Norden eindringen und ſich der Stadt Pietersburg
bemächtigen ſollen, des Endpunktes der Eiſenbahn nach
Pretoria. Man hofft, daß in Verfolg dieſes Plans in
ſechs Wochen etwa 10,000 Mann in Rhodeſia bereit ſtehen
würden, um auf Pretoria in drei Linien vom Norden her
anzurücken, während gleichzeitig Lord Roberts mit dem Gros
ſeiner Truppen gegen die Hauptſtadt von Transvaal
operiren würde.

Portugal hat mit der Chartered Company, bezw. mit
Rhodes ein Abkommen, wonach es der Company geſtattet
ſein ſoll, über Beira „zu Polizeidienſten“ engliſche
Truppen nach Rhodeſia zu verbringen. Ob Portugal aber
geſtatten wird, engliſchen Truppen zu zweifellos militäri-
ſchen
Zwecken für den Angriff auf Transvaal einen
Freipaß zu gewähren, iſt fraglich, denn ſonſt hätte es dem
„alten Verbündeten“ ja alsbald die Delagoa-Bahn zur Ver-
fügung ſtellen können, deren Benutzung England ſo ſehnlich
erſtrebt. Der Befehlshaber für die britiſche Nordarmee in
Rhodeſia ſoll Sir Frederick Carrington ſein; es wird
aber, wie geſagt, von Portugal abhängen, ob es ihm mög-
lich ſein wird, ſein Kommando zu übernehmen.



* Frau Olive Schreiner, die Schweſter des derzeitigen
Premierminiſters der Kapkolonie, die bekannte Schriftſtellerin,
die Südafrika’s Land und Volk in feſſelnden Erzählungen ge-
ſchildert hat, äußerte ſich zu dem Vertreter des „Sydney
Morning Herald“ wie folgt:

„Ich kann es nicht verſtehen,
wie ihr Auſtralier, Neu-Seeländer und Canadier leichten
Herzeus hieher kommen könnt, um andere Koloniſten, von
denen ihr gar nichts wißt, über den Haufen zu ſchießen. Es
iſt ſchrecklich, wenn ich denke, daß alle dieſe ſchmucken Leute
hiehergekommen ſind, um zu tödten, oder ſich tödten zu laſſen
und dies alles, um den Kapitaliſten einen Gefallen zu
thun. Ihr behauptet, daß England ſich im Krieg befinde und
ihr der Welt zeigen wollt, daß die Kolonien bereit ſind, an
der Seite von England zu kämpfen. Ja, aber ihr hättet
fragen und euch erkundigen ſollen, bevor ihr die Ausfahrt
antratet. Ihr verſteht dies nicht. Das iſt ein Kapita-
liſtenkrieg.
Dieſe wollen ſich in Beſitz vom Rand und der
Minen ſetzen. Ihr habt in Auſtralien nichts derartiges“. Der
Berichterſtatter hat an Frau Schreiner alsdann die Frage
geſtellt, warum ſich die Buren geweigert hätten, Stimmrechte
an Ausländer zu verleihen. „Stimmrechte! Stimmrechte,
aber von denen war ja gar keine Rede. Ich war wenige
Monate vor dem Ausbruch des Krieges in Johannes-
burg und Hunderte von Leuten haben damals dort
ganz offen erklärt, ſie würden niemals ihre eng-
liſche Staatsangehörigkeit
aufgeben, um dafür
als Buren abſtimmen zu können. Alle ſind ſie nur
Nomaden, Wanderer, die Geld machen wollen, und ſelbſt wenn
Ohm Paul ſie auf den Knieen gebeten hätte, ſich naturaliſiren
zu laſſen, würden ſie es ihm abgeſchlagen haben, denn keiner
[Spaltenumbruch] wollte ſein Engländerthum aufgeden. Die Wahrheit iſt, daß
die Kapitaliſten die Minen haben wollen, und dieſe haben
das Wohl und Wehe der weißen Bevölkerung ſo in der Hand,
daß alle Welt gezwungen iſt, gemeinſchaftliche Sache mit ihnen
zu machen, und ſomit ſoll jetzt das Stimmrecht herhalten, um
den Buren die Minen zu entreißen. Seit Jahren iſt dieſer
Krieg vorbereitet und das Haarſträubenſte über die Buren, ihre
Unwiſſenheit und ihre Grauſamkeiten gedruckt worden. Alles
iſt erlogen. Ich habe ſelbſt als Gouvernante jahrelang unter
ihnen gelebt und es gibt keine gutmüthigeren Leute. Der
gegenwärtige Krieg wird ein Ausrottungskrieg ſein, ein
Krieg ohne Ende. Die Buren kämpfen auf Tod und
Leben- und denken nicht daran, ſich zu unterwerfen. Die
Engländer, falls ſie überhaupt mit ihrer Armee nach
Pretoria gelangen, werden ſich in einer noch viel
ſchlimmeren Lage als heute befinden. Sie werden als-
dann hunderte von Meilen Eiſenbahngeleiſe zu ver-
theidigen haben, während die Buren ungeſchwächten Muthes
weiterkämpfen werden. Selbſt die Frauen ſind jetzt mit Herz
und Seele für den Krieg. Nach Elandslaagte kehrte ein Bur
nach Hauſe zurück. Was iſt los, fragte ihn ſeine Frau, biſt
du verwundet? Nein. Iſt der Feind in die Flucht geſchlagen?
Nein Na, dann ſchnell zurück und ins Gefecht mit den Andern.
Ein Greis von über 75 Jahren griff auf die Nachricht von
den erſten Niederlagen zum Gewehr. Großvater, riefen ihm
die Enkel zu, du kannſt ja nicht mehr ſehen. Auf 1000 m
allerdings nicht mehr, antwortete der alte Mann, aber dafür
immer noch auf 100 m und da er nicht mehr reiten konnte,
ließ er ſich im Ochſenkarrren nach der Front ſchaffen. Nein,
ſelbſt eine Anzahl Niederlagen wird niemals den Muth der
Buren zu brechen vermögen und für England wird das
Schlimmſte erſt recht kommen, wenn es den Engländern ge-
lingt, bis nach Pretoria zu gelangen.“

Der Berichterſtatter,
der zwar meint, Olive Schreiner thäte beſſer, ein neues Buch
zu ſchreiben, als ihre Zeit und ihre Thatkraft zugunſten der
Buren zu „vergenden“, muß übrigens ſelbſt zugeben, daß die
Mehrzahl der Bewohner der Kapkolonie durchaus gegen den
Krieg iſt, der ihrer Auſicht nach unſchwer hätte vermieden
werden können.



Tel. Nachmittags fand die
Leichenfeier für Jonbert ſtatt. An ihr nahmen alle Klaſſen
der Bevölkerung theil, ſowie die fremden Militärattachés,
Letztere in Uniform. Die als Gefangene hier befindlichen
engliſchen Offiziere hatten Blumenkränze an der Bahre nieder-
legen laſſen.

Tel Die Königin Vietoria
ſoll den Feldmarſchall Roberts beauftragt haben, der Frau
des Generals Joubert ihr Beileid auszudrücken und ihr
zu ſagen, das britiſche Volk ehre ihren Gatten als einen
tapferen Soldaten und ehrenhaften Feind. Sir Evelyn
Wood, ein alter Gegner Jonberts in dem früheren Trans-
vaal-Krieg, bat Lord Roberts ebenfalls, der Gemahlin Jonberts
ſeine Sympathien auszudrücken.

Tel. Nach einem Telegramm
des Bloemfonteiner Kriegsberichterſtatters der „Morning Poſt“
iſt es wahrſcheinlich, daß eine größere Burenſtreitmacht von
Kroonſtad nach dem Süden vorſtößt. Bei Brandfort wird
ein Treffen erwartet



Italien.
Die Obſtruktion in der Kammer.

Tel. Die hentige Sitzung der
Deputirtenkammer wurde um 10 Uhr eröffnet. Zehn
Minuten vor Eröffnung der Sitzung nehmen die Mitglieder
der äußerſten Linken ihre Sitze ein. Beim Eintritt des Prä-
ſidenten, der Miniſter und der Anhänger der Regierung in
den Sitzungsſaal rufen die Mitglieder der äußerſten Linken
dem Präſidenten zu: „Hinaus! hinaus!“ und bewerfen ihn
mit Papierkugeln. Die Quäſtoren fordern die Deputirten
der äußerſten Linken auf, ſich zu beruhigen. Da dieſelben
fortfahren, zu ſchreien und zu lärmen, bedeckt ſich der Prä-
ſident und hebt unter dem Beifall der Majorität die Sitzung
auf. Die Deputirten verlaſſen ohne Zwiſchenfall den Saal.

Rußland.
Rußland und Bulgarten.

* Ein Zeichen der allmählichen Aenderung des gegen-
ſeitigen Verhältniſſes zwiſchen Rußland und Oeſterreich-
Ungarn
hinſichtlich der Balkaupolitik liegt auch darin,
daß die ruſſiſchen Blätter wieder beginnen, die Balkanſtaaten
untereinander und gegen Oeſterreich zu verhetzen. In den
letzten Jahren, ſeit dem 1897 er Abkommen, ruhte dieſe Agi-
tation im allgemeinen, nur bei beſonderen Anläſſen machte ſie
ſich bemerkbar. Jetzt macht offenbar das Beiſpiel der ruſſi-
ſchen Regierung, die, ohne ſich um Oeſterreich zu kümmern,
ihre Netze über Bulgarien auswirft, den Newa-Blättern Muth,
von neuem in dem Hexenkeſſel des Balkan zu rühren, und ſo
wendet ſich die „Roſſija“ an Bulgarien mit der Aufforde-
rung, ſeine „loyalen“ Anſprüche auf mindeſtens vier Fünftel
von Makedonien geltend zu machen. Natürlich wünſcht das
ruſſiſche Blatt dieſe Vergrößerung Bulgariens nicht lediglich
in deſſen eigenem Intereſſe, ſondern vornehmlich auch in dem-
jenigen Rußlands. Bulgarien ſei der natürliche Verbündete
Rußlands, das ganze Volk ſei ruſſiſch gefinnt, das Fürſten-
thum ſei verhältnißmäßig wohlgeordnet und verfüge über
eine ausgezeichnete Armee ruſſiſcher Schulung, kurz, Bulgarien
ſei ein trefflicher Vorpoſten Rußlands auf dem Wege nach —
Konſtantinopel. Damit iſt gewiß nichts neues geſagt, aber
daß es eben im gegenwärtigen Augenblick wiederholt wird,
erfordert Beachtung. Die „Roſſija“ ſagt auch ganz ungenirt,
daß ſie Makedonien deßhalb nur Bulgarien und nicht
Serbien gönnt, weil Serbien jetzt unter öſterreichiſchem
Einfluſſe ſteht und Oeſterreich es als Durchgangshof
auf dem Wege nach Salonichi zu benutzen droht. Alſo
in allem wieder das alte Spiel mit dem Fener, wie
es früher tagtäglich betrieben wurde. Niemand wird den
Artikel der „Roſſia“ mit größerem Vergnügen leſen, als
Fürſt Ferdinand von Bulgarien, der jetzt wieder ſo eifrig
mit Rußland kokettirt und Unterſtützung für ſeine ehrgeizigen
Pläne ſucht. Freilich ſind dieſelben bis heute noch in Dunkel
gehüllt, das trägt aber nur dazu bei, die Situation noch un-
behaglicher zu machen. Fragt man, ſeit wann die neuerliche
Spannung in der Balkanpolitik datirt, ſo gibt es darauf nur
eine Antwort — ſeit dem Belgrader Hochverrathsprozeß.
Offenbar hat nach ruſſiſcher Auffaſſung die öſterreichiſch-
ungariſche Diplomatie damals ihre Aufgaben nicht in voll-
kommenem Maß erfüllt und deßhalb glaubt man in St. Peters-
[Spaltenumbruch] burg, die Rückſichinahme auf Oeſterreich-Ungarn nach und
nach fallen laſſen zu können.

Türkiſches Reich.
Deutſchfeindliche Inteiguen in Vorderaſten.

Vor kurzem wurden
hier Gerüchte über Erſchwerungen der Bildung landwirth-
ſchaftlicher Vereinigungen und der Erwerbung von Grundbeſitz
durch fremde Unterthanen laut, die für die Provinzen Syrien
und Paläſtina angeblich geplant ſein ſollen. Dieſe Aus-
ſtrenungen ſind wohl zum großen Theil darauf zurückzuführen,
daß die nichtdeutſche ausländiſche Bevölkerung
mit Neid und Beſorgniß die Ausdehnungsbeſtre-
bungen der Templerkolonien
in Nord-Paläſtina,
namentlich im Bezirk Beirut, betrachtet. Unter den franzö-
ſiſchen und ruſſiſchen Anſiedlern Paläſtina’s iſt die Auſicht
verbreitet, Deutſchland gehe mit einem um faſſenden
Koloniſationsplan um,
der ſich nicht nur auf Paläſtina
beſchränken, ſondern ſich womöglich auch auf die von der zu
erbanenden Bagdad-Bahn berührten Gegenden erſtrecken
ſoll. Dieſe Behauptung ſcheint beſonders von franzöſiſcher und
ruſſiſcher Seite den türkiſchen Lokalregierungen gegenüber aus-
geſpielt zu werden. Sie wird auch oft tendenziös mit dem Schreck-
geſpenſt des zioniſtiſchen Judenſtaats in Zuſammenhang
gebracht und dabei die Anſicht ausgeſprochen daß der deutſche
Kaiſer über die Juden Paläſtina’s das Protektorat zu über-
nehmen geneigt ſei. Aus derartiger legendariſchen Aus-
ſtrenungen ſtammt auch eine Reihe von Zeitungsartikeln in
der arabiſchen und griechiſchen Preſſe der Levante, die mit-
unter auch in deutſchen Blättern Wiederhall finden. Eine
Probe davon aus „Nea Himera“ ſei nachſtehend mitgetheilt:

„Der ruſſiſche Einfluß ſcheint in Konſtantinopel wieder im
Steigen begriffen zu ſein, während der deutſche ſinkt. Der
Konſtantinopeler Korreſpondent der „Siniäa“ (vielleicht
„Standard“?) telegraphirte jüngſt folgendes: Die hieſige
deutſche Botſchaft iſt beunrnhigt wegen des vom Sultan dem
Deutſchen Kaiſer gemachten Geſchenks eines großen ausge-
dehnten Landbeſitzes in Paläſtina, deſſen Titel noch nicht an
Seine Majeſtät ausgehändigt worden ſind. Die Gonverneure
von Jeruſalem und Syrien haben Anweiſung erhalten, die
Anſiedelung eines jeden deutſchen Einwanderers, die Bildung
landwirthſchaftlicher Genoſſenſchaften und den Erwerb von
unbeweglichem Vermögen ſeitens eines jeden fremden Känfers
ausdrücklichſt zu verbieten. Es beſteht die Vermuthung, daß
der ruſſiſche Einfluß, welcher hier wieder im Wachſen iſt,
dieſe Maßnahmen herbeigeführt hat.“
Montenegro.
Die Zuſtände an der türkiſchen Grenze. — Montenegriniſches
Konſulat in Prizrend.

* Aus Cetinje wird berichtet, daß man ſich dort be-
züglich der Zuſtände an der moutenegriniſch-türkiſchen
Grenze
noch lange nicht beruhigt fühlt, da nicht nur auch
jetzt noch Ueberſchreitungen dieſer Grenze vom türkiſchen
Gebiet her mit Gewaltthätigkeiten vorkommen, ſondern über-
haupt die Beſorgniß nicht ſchwinden kann, daß die fort-
währenden Reibungen zwiſchen Mohammedauern und Chriſten,
deren Schauplatz die dem Fürſtenthum benachbarten Vilajets
ſind, in letzteres täglich hinübergreifen können. Ausführlichere
Mittheilungen, die man jüngſt in Cetinje über die Vorgänge
in Bielo-Polje, Berana, Ipek, Roſai, Plava und anderen
Orten erhielt, laſſen erſehen, daß in den letzten Wochen faſt
jeder Tag neue Ereigniſſe zur blutigen Chronik des ſo-
genannten Alt-Serbien gebracht hat. Die Blutfehden nehmen
kein Ende und zwingen manche Familien über die Grenze
nach Montenegro zu flüchten. Manchmal werden auch ohne
Anlaß zu Akten der Blutrache von türkiſchen Banden Raub-
züge ins montenegriniſche Gebiet unternommen. Daß in der
allerletzten Zeit keine derartigen Vorkommniſſe zu verzeichnen
waren, biete ſelbſtverſtändlich noch keine Gewähr für die
Zukunft — Der montenegriniſche Geſandte bei der Pforte,
Hr. Bakitſch, unternahm Schritte im Yildiz-Kiosk, um die
Einwilligung zur Errichtung eines montenegriniſchen Kon-
ſulats
in Prizrend zu erlangen. Bisher ſoll der Sultan
nicht geneigt ſein. dem Anſuchen zu entſprechen.

Oſtaſien.
Aus Korea und Japan

bringt die „Now. Wremja“ folgende Nachrichten:

„Bis jetzt
ſiedelten ſich die Japaner in Korea nur in den Hafen-
ſtädten an welche den Ausländern geöffnet ſind, jetzt aber
haben die Gründer der Söul-Fuſaner Eiſenbahngeſellſchaft
eine „Koreaniſche Induſtriegeſellſchaft“ ins Leben
gerufen, deren Aufgabe es iſt, „die Entwicklung der land-
wirthſchaftlichen Induſtrie in Korea zu fördern“, d. h. einfach
Korea durch Japaner zu koloniſiren. Der Ort der erſten
japaniſchen Auſiedelung iſt bereits gewählt. Hoffentlich wird
dem Eindringen der japaniſchen Koloniſten in die koreaniſchen
Dörfer von den Regierungen Widerſtand geleiſtet werden, die
es nicht wünſchen, daß Korea in eine japaniſche Kolonie ver-
wandelt werde. — Im September 1898 erhielt das engliſche
Syndikat Pritchard Morgan and Comp. von der korea-
niſchen Regierung eine Konzeſſion zur Ausbeutung der
Erzreichthümer Nordkorea’s
auf einem Territorium
von 260 Quadratmeilen. Vor allem wollten die Englander
die Lager von Ymſan ausbeuten, um die ſich vor Morgan
ein ruſſiſcher Unternehmer beworben hat. Auf den Proteſt
des ruſſiſchen Geſchäftsträgers hin verweigerte das koreaniſche
Miniſterium dem Morgan die Ausbeutung der Lager von
Ymſan. Trotzdem hat Morgan 50 Japaner nach Ymſan ge-
ſchickt und die Exploitation eigenmächtig begonnen. Die
Zeitung „Tokio Aſaki“ theilt nun mit, daß die koreaniſche
Regierung eine Truppenabtheilung nach Imſan dirigiren
wolle, um dem engliſch-japaniſchen Unternehmen
ein Ende zu machen.
Nach Japan meldet man, daß der
engliſche Generalkonſul in Söul, Jordane, abberufen werde.
— Nach den eben veröffentlichen Daten der Volkszählung
hatte Japan am 31. Dez. 1898 ohne die nördlichen Inſeln
und Formoſa 45 Millionen Einwohner. Tokio hatte
1,425,000 Einwohner.“


Heer und Flotte.
Oeſterreichiſche Kaiſermanöver 1900.

* An den diesjährigen, im großartigſten Stil als
„Armee-Manöver“ geplanten öſterreichiſchen Kaiſer-
manövern, welche im Raume Jaslo-Krasno ſtattfinden,
nimmt eine bei bisherigen Manövern in Oeſterreich kaum
noch erreichte Truppenmacht theil: alle im Bereiche des I.,

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[0005] Samſtag, Zweites Morgenblatt Nr. 88 der Allgemeinen Zeitung. 31. März 1900. Der Krieg in Südafrika. ☉ Lord Roberts meldet nach London, er müſſe ſeinen Truppen noch einen längeren Aufenthalt in Bloemfontein gewähren, da ſie erſt für den Winter auszurüſten ſeien. Der Winter Südafrikas währt etwa vom April bis September. In der Gegend, wo das Gros der engliſchen Truppen gegenwärtig ſteht, iſt der Winter gewöhnlich trocken Es ſcheint jedoch, als ob die trockene Zeit in dieſem Jahre noch nicht ſo bald eintreten ſollte, denn die Depeſchen aus Kapſtadt melden aus ganz Südafrika außergewöhnlich ſtarke Regengüſſe. Weſtlich der Bahn Kimberley-Mafeking begiunt die ſog. Karroo, das dürre Hochfeld, auf welchem der jähr- liche Regenfall nur etwa 260 mm beträgt. Aber auch aus dem aufſtändiſchen Orte Prieska, der bereits ganz im regen- armen Lande liegt, wird heftiger Regen gemeldet, ſo daß alle „Spruits“ (Spruit = Bach) gleich Gießbächen durch die Schluchten toſen. Selbſt öſtlich von Bloemfontein, das um dieſe Zeit das ſchönſte Wetter haben ſollte, ſtürzt der Regen den Berichten zufolge geradezu in Wolkenbrüchen herab, und es gelingt den Buren um ſo leichter, ſich dort in Poſitionen zu bringen, die ihren Gegnern die größten Schwierigkeiten bieten, da dieſen die Furten und die Gefährlichkeit der Wirbel unbekannt ſind Setzt der Winter ſchließlich ein, ſo ſinkt die Temperatur ganz beträchtlich. Während man z. B. in Kim- berley den Sommer über im Durchſchnitt 25° C. zählt, iſt die mittlere Temperatur im Winter unter 12° C. und fällt in den Rächten häufig unter Null Eiſige Winde fegen, vom Südpolar-Eiſe kommend, eyklonartig über das etwa 4000 Fuß hoch gelegene Land und durchkälten den, der die Nacht im Freien aushalten muß, bis ins Gebein Angenehmen Tagen geht ſomit „Tommy Atkins“ auf der Hochfläche des Oranje-Staates nicht entgegen, und auch mancher Offizier wird zähneklappernd daran denken, daß den Kame- raden und ihm der Prinz von Wales, als ſie mit Roberts von Waterloo-Station abfuhren, zugerufen hat: A nice jour- ney to Pretoria — hübſche Reiſe nach Pretoria. „Hübſch iſt anders“ mag auch Roberts denken, wenn er die Lage über- blickt. In der That daß es dem Burenkommandanten Oli- vier gelungen iſt, den Angriff des Generals French bei Ladybrand abzuſchlagen, iſt ein entſchiedener Erfolg, der ihm geſtattet, ſeine Kolonne aus einer ſchier verloreuen Poſition in Sicherheit zu bringen. Die heftigen Regengüſſe, welche über das Land herniedergehen, werden ihm ſeinen Plan, die mit ihm ziehenden 6000 Mann ſicher nach Norden zu führen, noch erleichtern. Wenn dabei immerhin der aufgeweichte Lehmboden ſeinen Vormarſch einigermaßen behindert, ſo trifft der Feind, der zudem die Gegend nicht kennt, auf ganz das gleiche Hinderniß. Inzwiſchen iſt man im Londoner Kriegsminiſterium, wo die ſchon läugſt erwartete Nachricht vom Entſatz der Stadt Mafeking noch immer nicht eingetroffen iſt, auf einen neuen Plan verfallen. Es ſollen Truppen von Rhodeſia aus Nord- Transvaal angreifen; erſt ſollen ſie Mafeking Hülfe bringen und dann in die Buren-Republik eindringen. Zu dieſem Behuf ſollen mehrere Regimenter nach dem portugieſiſchen Hafen Beira geſchickt und von dort auf der Bahn Beira- Umtali-Salisbury nach dieſer befeſtigten Stadt Rhodeſia’s geſchafft werden. Von dort führt eine 300 km lange Straße nach Buluwayo, dem Endpunkt der Bahn, die von Mafe- ung kommt. Auf dieſer Strecke ſollen die britiſchen Truppen nach dem bedrohten Ort gebracht werden. Ungefähr auf der Hälfte der Bahnlinie, bei Schoſchong, nähert ſich die Bahn der Weſtgrenze Trausvaals, die dort vom Limpopo-Fluß ge- bildet wird. An jener Stelle ſollen engliſche Truppen in das Buren-Land einfallen, während gleichzeitig die bei Mafeking nach deſſen Entſatz frei werdenden Mannſchaften auf Pretoria marſchiren, andere Truppen vom Greuzfort Tuli her, von Norden eindringen und ſich der Stadt Pietersburg bemächtigen ſollen, des Endpunktes der Eiſenbahn nach Pretoria. Man hofft, daß in Verfolg dieſes Plans in ſechs Wochen etwa 10,000 Mann in Rhodeſia bereit ſtehen würden, um auf Pretoria in drei Linien vom Norden her anzurücken, während gleichzeitig Lord Roberts mit dem Gros ſeiner Truppen gegen die Hauptſtadt von Transvaal operiren würde. Portugal hat mit der Chartered Company, bezw. mit Rhodes ein Abkommen, wonach es der Company geſtattet ſein ſoll, über Beira „zu Polizeidienſten“ engliſche Truppen nach Rhodeſia zu verbringen. Ob Portugal aber geſtatten wird, engliſchen Truppen zu zweifellos militäri- ſchen Zwecken für den Angriff auf Transvaal einen Freipaß zu gewähren, iſt fraglich, denn ſonſt hätte es dem „alten Verbündeten“ ja alsbald die Delagoa-Bahn zur Ver- fügung ſtellen können, deren Benutzung England ſo ſehnlich erſtrebt. Der Befehlshaber für die britiſche Nordarmee in Rhodeſia ſoll Sir Frederick Carrington ſein; es wird aber, wie geſagt, von Portugal abhängen, ob es ihm mög- lich ſein wird, ſein Kommando zu übernehmen. * Frau Olive Schreiner, die Schweſter des derzeitigen Premierminiſters der Kapkolonie, die bekannte Schriftſtellerin, die Südafrika’s Land und Volk in feſſelnden Erzählungen ge- ſchildert hat, äußerte ſich zu dem Vertreter des „Sydney Morning Herald“ wie folgt: „Ich kann es nicht verſtehen, wie ihr Auſtralier, Neu-Seeländer und Canadier leichten Herzeus hieher kommen könnt, um andere Koloniſten, von denen ihr gar nichts wißt, über den Haufen zu ſchießen. Es iſt ſchrecklich, wenn ich denke, daß alle dieſe ſchmucken Leute hiehergekommen ſind, um zu tödten, oder ſich tödten zu laſſen und dies alles, um den Kapitaliſten einen Gefallen zu thun. Ihr behauptet, daß England ſich im Krieg befinde und ihr der Welt zeigen wollt, daß die Kolonien bereit ſind, an der Seite von England zu kämpfen. Ja, aber ihr hättet fragen und euch erkundigen ſollen, bevor ihr die Ausfahrt antratet. Ihr verſteht dies nicht. Das iſt ein Kapita- liſtenkrieg. Dieſe wollen ſich in Beſitz vom Rand und der Minen ſetzen. Ihr habt in Auſtralien nichts derartiges“. Der Berichterſtatter hat an Frau Schreiner alsdann die Frage geſtellt, warum ſich die Buren geweigert hätten, Stimmrechte an Ausländer zu verleihen. „Stimmrechte! Stimmrechte, aber von denen war ja gar keine Rede. Ich war wenige Monate vor dem Ausbruch des Krieges in Johannes- burg und Hunderte von Leuten haben damals dort ganz offen erklärt, ſie würden niemals ihre eng- liſche Staatsangehörigkeit aufgeben, um dafür als Buren abſtimmen zu können. Alle ſind ſie nur Nomaden, Wanderer, die Geld machen wollen, und ſelbſt wenn Ohm Paul ſie auf den Knieen gebeten hätte, ſich naturaliſiren zu laſſen, würden ſie es ihm abgeſchlagen haben, denn keiner wollte ſein Engländerthum aufgeden. Die Wahrheit iſt, daß die Kapitaliſten die Minen haben wollen, und dieſe haben das Wohl und Wehe der weißen Bevölkerung ſo in der Hand, daß alle Welt gezwungen iſt, gemeinſchaftliche Sache mit ihnen zu machen, und ſomit ſoll jetzt das Stimmrecht herhalten, um den Buren die Minen zu entreißen. Seit Jahren iſt dieſer Krieg vorbereitet und das Haarſträubenſte über die Buren, ihre Unwiſſenheit und ihre Grauſamkeiten gedruckt worden. Alles iſt erlogen. Ich habe ſelbſt als Gouvernante jahrelang unter ihnen gelebt und es gibt keine gutmüthigeren Leute. Der gegenwärtige Krieg wird ein Ausrottungskrieg ſein, ein Krieg ohne Ende. Die Buren kämpfen auf Tod und Leben- und denken nicht daran, ſich zu unterwerfen. Die Engländer, falls ſie überhaupt mit ihrer Armee nach Pretoria gelangen, werden ſich in einer noch viel ſchlimmeren Lage als heute befinden. Sie werden als- dann hunderte von Meilen Eiſenbahngeleiſe zu ver- theidigen haben, während die Buren ungeſchwächten Muthes weiterkämpfen werden. Selbſt die Frauen ſind jetzt mit Herz und Seele für den Krieg. Nach Elandslaagte kehrte ein Bur nach Hauſe zurück. Was iſt los, fragte ihn ſeine Frau, biſt du verwundet? Nein. Iſt der Feind in die Flucht geſchlagen? Nein Na, dann ſchnell zurück und ins Gefecht mit den Andern. Ein Greis von über 75 Jahren griff auf die Nachricht von den erſten Niederlagen zum Gewehr. Großvater, riefen ihm die Enkel zu, du kannſt ja nicht mehr ſehen. Auf 1000 m allerdings nicht mehr, antwortete der alte Mann, aber dafür immer noch auf 100 m und da er nicht mehr reiten konnte, ließ er ſich im Ochſenkarrren nach der Front ſchaffen. Nein, ſelbſt eine Anzahl Niederlagen wird niemals den Muth der Buren zu brechen vermögen und für England wird das Schlimmſte erſt recht kommen, wenn es den Engländern ge- lingt, bis nach Pretoria zu gelangen.“Der Berichterſtatter, der zwar meint, Olive Schreiner thäte beſſer, ein neues Buch zu ſchreiben, als ihre Zeit und ihre Thatkraft zugunſten der Buren zu „vergenden“, muß übrigens ſelbſt zugeben, daß die Mehrzahl der Bewohner der Kapkolonie durchaus gegen den Krieg iſt, der ihrer Auſicht nach unſchwer hätte vermieden werden können. * Pretoria, 29. März.Tel. Nachmittags fand die Leichenfeier für Jonbert ſtatt. An ihr nahmen alle Klaſſen der Bevölkerung theil, ſowie die fremden Militärattachés, Letztere in Uniform. Die als Gefangene hier befindlichen engliſchen Offiziere hatten Blumenkränze an der Bahre nieder- legen laſſen. d. London, 30. März.Tel Die Königin Vietoria ſoll den Feldmarſchall Roberts beauftragt haben, der Frau des Generals Joubert ihr Beileid auszudrücken und ihr zu ſagen, das britiſche Volk ehre ihren Gatten als einen tapferen Soldaten und ehrenhaften Feind. Sir Evelyn Wood, ein alter Gegner Jonberts in dem früheren Trans- vaal-Krieg, bat Lord Roberts ebenfalls, der Gemahlin Jonberts ſeine Sympathien auszudrücken. d. London, 30. März.Tel. Nach einem Telegramm des Bloemfonteiner Kriegsberichterſtatters der „Morning Poſt“ iſt es wahrſcheinlich, daß eine größere Burenſtreitmacht von Kroonſtad nach dem Süden vorſtößt. Bei Brandfort wird ein Treffen erwartet Italien. Die Obſtruktion in der Kammer. * Rom, 30. März.Tel. Die hentige Sitzung der Deputirtenkammer wurde um 10 Uhr eröffnet. Zehn Minuten vor Eröffnung der Sitzung nehmen die Mitglieder der äußerſten Linken ihre Sitze ein. Beim Eintritt des Prä- ſidenten, der Miniſter und der Anhänger der Regierung in den Sitzungsſaal rufen die Mitglieder der äußerſten Linken dem Präſidenten zu: „Hinaus! hinaus!“ und bewerfen ihn mit Papierkugeln. Die Quäſtoren fordern die Deputirten der äußerſten Linken auf, ſich zu beruhigen. Da dieſelben fortfahren, zu ſchreien und zu lärmen, bedeckt ſich der Prä- ſident und hebt unter dem Beifall der Majorität die Sitzung auf. Die Deputirten verlaſſen ohne Zwiſchenfall den Saal. Rußland. Rußland und Bulgarten. * Ein Zeichen der allmählichen Aenderung des gegen- ſeitigen Verhältniſſes zwiſchen Rußland und Oeſterreich- Ungarn hinſichtlich der Balkaupolitik liegt auch darin, daß die ruſſiſchen Blätter wieder beginnen, die Balkanſtaaten untereinander und gegen Oeſterreich zu verhetzen. In den letzten Jahren, ſeit dem 1897 er Abkommen, ruhte dieſe Agi- tation im allgemeinen, nur bei beſonderen Anläſſen machte ſie ſich bemerkbar. Jetzt macht offenbar das Beiſpiel der ruſſi- ſchen Regierung, die, ohne ſich um Oeſterreich zu kümmern, ihre Netze über Bulgarien auswirft, den Newa-Blättern Muth, von neuem in dem Hexenkeſſel des Balkan zu rühren, und ſo wendet ſich die „Roſſija“ an Bulgarien mit der Aufforde- rung, ſeine „loyalen“ Anſprüche auf mindeſtens vier Fünftel von Makedonien geltend zu machen. Natürlich wünſcht das ruſſiſche Blatt dieſe Vergrößerung Bulgariens nicht lediglich in deſſen eigenem Intereſſe, ſondern vornehmlich auch in dem- jenigen Rußlands. Bulgarien ſei der natürliche Verbündete Rußlands, das ganze Volk ſei ruſſiſch gefinnt, das Fürſten- thum ſei verhältnißmäßig wohlgeordnet und verfüge über eine ausgezeichnete Armee ruſſiſcher Schulung, kurz, Bulgarien ſei ein trefflicher Vorpoſten Rußlands auf dem Wege nach — Konſtantinopel. Damit iſt gewiß nichts neues geſagt, aber daß es eben im gegenwärtigen Augenblick wiederholt wird, erfordert Beachtung. Die „Roſſija“ ſagt auch ganz ungenirt, daß ſie Makedonien deßhalb nur Bulgarien und nicht Serbien gönnt, weil Serbien jetzt unter öſterreichiſchem Einfluſſe ſteht und Oeſterreich es als Durchgangshof auf dem Wege nach Salonichi zu benutzen droht. Alſo in allem wieder das alte Spiel mit dem Fener, wie es früher tagtäglich betrieben wurde. Niemand wird den Artikel der „Roſſia“ mit größerem Vergnügen leſen, als Fürſt Ferdinand von Bulgarien, der jetzt wieder ſo eifrig mit Rußland kokettirt und Unterſtützung für ſeine ehrgeizigen Pläne ſucht. Freilich ſind dieſelben bis heute noch in Dunkel gehüllt, das trägt aber nur dazu bei, die Situation noch un- behaglicher zu machen. Fragt man, ſeit wann die neuerliche Spannung in der Balkanpolitik datirt, ſo gibt es darauf nur eine Antwort — ſeit dem Belgrader Hochverrathsprozeß. Offenbar hat nach ruſſiſcher Auffaſſung die öſterreichiſch- ungariſche Diplomatie damals ihre Aufgaben nicht in voll- kommenem Maß erfüllt und deßhalb glaubt man in St. Peters- burg, die Rückſichinahme auf Oeſterreich-Ungarn nach und nach fallen laſſen zu können. Türkiſches Reich. Deutſchfeindliche Inteiguen in Vorderaſten. W. K. Jeruſalem, 10. März.Vor kurzem wurden hier Gerüchte über Erſchwerungen der Bildung landwirth- ſchaftlicher Vereinigungen und der Erwerbung von Grundbeſitz durch fremde Unterthanen laut, die für die Provinzen Syrien und Paläſtina angeblich geplant ſein ſollen. Dieſe Aus- ſtrenungen ſind wohl zum großen Theil darauf zurückzuführen, daß die nichtdeutſche ausländiſche Bevölkerung mit Neid und Beſorgniß die Ausdehnungsbeſtre- bungen der Templerkolonien in Nord-Paläſtina, namentlich im Bezirk Beirut, betrachtet. Unter den franzö- ſiſchen und ruſſiſchen Anſiedlern Paläſtina’s iſt die Auſicht verbreitet, Deutſchland gehe mit einem um faſſenden Koloniſationsplan um, der ſich nicht nur auf Paläſtina beſchränken, ſondern ſich womöglich auch auf die von der zu erbanenden Bagdad-Bahn berührten Gegenden erſtrecken ſoll. Dieſe Behauptung ſcheint beſonders von franzöſiſcher und ruſſiſcher Seite den türkiſchen Lokalregierungen gegenüber aus- geſpielt zu werden. Sie wird auch oft tendenziös mit dem Schreck- geſpenſt des zioniſtiſchen Judenſtaats in Zuſammenhang gebracht und dabei die Anſicht ausgeſprochen daß der deutſche Kaiſer über die Juden Paläſtina’s das Protektorat zu über- nehmen geneigt ſei. Aus derartiger legendariſchen Aus- ſtrenungen ſtammt auch eine Reihe von Zeitungsartikeln in der arabiſchen und griechiſchen Preſſe der Levante, die mit- unter auch in deutſchen Blättern Wiederhall finden. Eine Probe davon aus „Nea Himera“ ſei nachſtehend mitgetheilt: „Der ruſſiſche Einfluß ſcheint in Konſtantinopel wieder im Steigen begriffen zu ſein, während der deutſche ſinkt. Der Konſtantinopeler Korreſpondent der „Siniäa“ (vielleicht „Standard“?) telegraphirte jüngſt folgendes: Die hieſige deutſche Botſchaft iſt beunrnhigt wegen des vom Sultan dem Deutſchen Kaiſer gemachten Geſchenks eines großen ausge- dehnten Landbeſitzes in Paläſtina, deſſen Titel noch nicht an Seine Majeſtät ausgehändigt worden ſind. Die Gonverneure von Jeruſalem und Syrien haben Anweiſung erhalten, die Anſiedelung eines jeden deutſchen Einwanderers, die Bildung landwirthſchaftlicher Genoſſenſchaften und den Erwerb von unbeweglichem Vermögen ſeitens eines jeden fremden Känfers ausdrücklichſt zu verbieten. Es beſteht die Vermuthung, daß der ruſſiſche Einfluß, welcher hier wieder im Wachſen iſt, dieſe Maßnahmen herbeigeführt hat.“ Montenegro. Die Zuſtände an der türkiſchen Grenze. — Montenegriniſches Konſulat in Prizrend. * Aus Cetinje wird berichtet, daß man ſich dort be- züglich der Zuſtände an der moutenegriniſch-türkiſchen Grenze noch lange nicht beruhigt fühlt, da nicht nur auch jetzt noch Ueberſchreitungen dieſer Grenze vom türkiſchen Gebiet her mit Gewaltthätigkeiten vorkommen, ſondern über- haupt die Beſorgniß nicht ſchwinden kann, daß die fort- währenden Reibungen zwiſchen Mohammedauern und Chriſten, deren Schauplatz die dem Fürſtenthum benachbarten Vilajets ſind, in letzteres täglich hinübergreifen können. Ausführlichere Mittheilungen, die man jüngſt in Cetinje über die Vorgänge in Bielo-Polje, Berana, Ipek, Roſai, Plava und anderen Orten erhielt, laſſen erſehen, daß in den letzten Wochen faſt jeder Tag neue Ereigniſſe zur blutigen Chronik des ſo- genannten Alt-Serbien gebracht hat. Die Blutfehden nehmen kein Ende und zwingen manche Familien über die Grenze nach Montenegro zu flüchten. Manchmal werden auch ohne Anlaß zu Akten der Blutrache von türkiſchen Banden Raub- züge ins montenegriniſche Gebiet unternommen. Daß in der allerletzten Zeit keine derartigen Vorkommniſſe zu verzeichnen waren, biete ſelbſtverſtändlich noch keine Gewähr für die Zukunft — Der montenegriniſche Geſandte bei der Pforte, Hr. Bakitſch, unternahm Schritte im Yildiz-Kiosk, um die Einwilligung zur Errichtung eines montenegriniſchen Kon- ſulats in Prizrend zu erlangen. Bisher ſoll der Sultan nicht geneigt ſein. dem Anſuchen zu entſprechen. Oſtaſien. Aus Korea und Japan bringt die „Now. Wremja“ folgende Nachrichten: „Bis jetzt ſiedelten ſich die Japaner in Korea nur in den Hafen- ſtädten an welche den Ausländern geöffnet ſind, jetzt aber haben die Gründer der Söul-Fuſaner Eiſenbahngeſellſchaft eine „Koreaniſche Induſtriegeſellſchaft“ ins Leben gerufen, deren Aufgabe es iſt, „die Entwicklung der land- wirthſchaftlichen Induſtrie in Korea zu fördern“, d. h. einfach Korea durch Japaner zu koloniſiren. Der Ort der erſten japaniſchen Auſiedelung iſt bereits gewählt. Hoffentlich wird dem Eindringen der japaniſchen Koloniſten in die koreaniſchen Dörfer von den Regierungen Widerſtand geleiſtet werden, die es nicht wünſchen, daß Korea in eine japaniſche Kolonie ver- wandelt werde. — Im September 1898 erhielt das engliſche Syndikat Pritchard Morgan and Comp. von der korea- niſchen Regierung eine Konzeſſion zur Ausbeutung der Erzreichthümer Nordkorea’s auf einem Territorium von 260 Quadratmeilen. Vor allem wollten die Englander die Lager von Ymſan ausbeuten, um die ſich vor Morgan ein ruſſiſcher Unternehmer beworben hat. Auf den Proteſt des ruſſiſchen Geſchäftsträgers hin verweigerte das koreaniſche Miniſterium dem Morgan die Ausbeutung der Lager von Ymſan. Trotzdem hat Morgan 50 Japaner nach Ymſan ge- ſchickt und die Exploitation eigenmächtig begonnen. Die Zeitung „Tokio Aſaki“ theilt nun mit, daß die koreaniſche Regierung eine Truppenabtheilung nach Imſan dirigiren wolle, um dem engliſch-japaniſchen Unternehmen ein Ende zu machen. Nach Japan meldet man, daß der engliſche Generalkonſul in Söul, Jordane, abberufen werde. — Nach den eben veröffentlichen Daten der Volkszählung hatte Japan am 31. Dez. 1898 ohne die nördlichen Inſeln und Formoſa 45 Millionen Einwohner. Tokio hatte 1,425,000 Einwohner.“ Heer und Flotte. Oeſterreichiſche Kaiſermanöver 1900. * An den diesjährigen, im großartigſten Stil als „Armee-Manöver“ geplanten öſterreichiſchen Kaiſer- manövern, welche im Raume Jaslo-Krasno ſtattfinden, nimmt eine bei bisherigen Manövern in Oeſterreich kaum noch erreichte Truppenmacht theil: alle im Bereiche des I.,

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 88, 31. März 1900, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine88_1900/5>, abgerufen am 21.11.2024.