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Allgemeine Zeitung, Nr. 88, 31. März 1900.

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München, Samstag Allgemeine Zeitung 31. März 1900. Nr. 88.
[Spaltenumbruch]
Deutsches Reich.

Presse über die auswärtige Politik des Reichs an-
läßlich der jüngsten Flottendebatte in der Budgetkommission
des Reichstags aburtheilt. So versichert der "Vorwärts"
im Tone des berufenen Richters über die Todten und die
Lebenden, über die Leiter der auswärtigen Geschäfte
von Bismarck bis Bülow, sie seien allesammt jämmerliche
Pfuscher gewesen: "Alle Welt ist nun glücklich unser Feind.
Das sind die Erfolge der genialen Politik unsrer leitenden
Staatsmänner."

Den also Getadelten darf es im Grunde herzlich
gleichgültig sein, ob ihr Wirken und Amten von den
Staatsmännern des "Vorwärts" zum Gegenstand einer
Kritik gemacht wird, die ja im Grunde etwas ganz an-
deres bezweckt, als eine Förderung der Wohlfahrt des
Reiches. Insofern könnte man über diese Dinge ruhig
hinwegsehen. Indessen ist es gerade im Hinblick auf die
bevorstehende Entscheidung über die Flottenvorlage durch-
aus nothwendig, daß der weiteren Verbreitung gewisser
weniger harmloser "Irrthümer", wie sie das genannte
sozialdemokratische Blatt in seine Betrachtungen hinein
verwebt, rechtzeitig energisch vorgebeugt wird. Der "Vor-
wärts" behauptet nämlich nichts mehr und nichts weniger,
als daß die Regierung und die ihr nahestehende Presse
die Massen gegen England zu verstimmen suchten, während
gerade das Umgekehrte der Fall ist. Die Regierung hat,
wofür die November-Reise des Kaisers nach England ein
schlagender Beweis ist, das freundschaftliche Verhältniß
zu England aufrecht zu erhalten sich bemüht, und die
mit dem Auswärtigen Amt rege Fühlung haltende "Köln.
Ztg." ist in demselben Bemühen sogar weit über das
Ziel hinausgeschossen. Umgekehrt haben die breiten Volks-
massen, und zwar bis tief in die Gefolgschaft Bebels und
des "Vorwärts" hinein, eine wachsende Erbitterung
gegen England
empfunden, einerseits um der Un-
gerechtigkeit des Buren-Krieges willen, andrerseits um all
der Beschimpfungen willen, die die Engländer uns
Deutschen seit Jahren angethan haben. Wenn bei den
nächsten Wahlen all die Arbeiter, die in diesen Monaten
gedacht oder gesagt haben: "Wenn wir doch den Eng-
ländern eins auf die Jacke geben könnten!" nicht mehr
für die Sozialdemokratie stimmen wollten, so würde diese
vielleicht nicht ein Viertel der Stimmenzahl von 1898 er-
halten. Denn glücklicherweise laboriren die Wähler der
sozialdemokratischen Friedensengel noch nicht alle an dem
nationalen Defekt, an dem die Mehrzahl ihrer Führer
krankt, und glücklicherweise besitzen sie bis jetzt auch noch
genug gesundes Empfinden, um durch die Ereignisse der
letzten Jahre von jener Auffassung frei geworden zu sein,
der die sozialistischen Theoretiker noch immer huldigen:
daß nämlich England das Ideal eines Staatswesens vor-
stelle. Der "Vorwärts" aber gehört zu den "Unentwegten".
Für ihn ist die Nothwendigkeit, mit England Freundschaft
zu halten, "eine Forderung des europäischen Kultur-
fortschritts" -- mit England, das auf der Haager Friedens-
konferenz jeder Milderung der Schrecken und Nöthe des
Seekriegs entschieden widersprochen hat, das unter nichtigem
Vorwand ein kleines Volk mit Gewalt zu unterjochen
sucht, das zwischen Plutokratie und Proletariat schärfere
Gegensätze aufweist als irgend ein anderes europäisches
Land, das, obwohl bei ihm der Konstitutionalismus
viel älter ist als bei uns, den breiten Massen die politische
Gleichberechtigung viel später gegeben hat, als wir es
gethan!

Der "Vorwärts" mag sich seinerseits mit diesen
Widersprüchen abfinden, wie er will. Aber es ist, wie
gesagt, nothwendig, der dreisten Fälschung entgegenzu-
treten, als ob die tiefe Verstimmung über Englands Ver-
halten nicht aus dem innersten Empfinden des deutschen
Volks heraus sich entwickelt habe, sondern nur infolge der
Ungewandtheit unsrer Diplomatie. Diese Feststellung ist
noch ganz besonders nothwendig, um zu verhüten, daß
das deutsche Volk, namentlich aber die deutsche Arbeiter-
schaft im Ausland nach den Auslassungen des "Vorwärts"
und seiner Inspiratoren beurtheilt wird.

Die Geltung des neuen bürgerlichen Rechts in den Schutzgebieten.

* In einem Artikel "Die Geltung des neuen bürger-
lichen Rechts in den Schutzgebieten"
behandelt Dr.
Rudolf A. Hermann, München, in Nr. 12 und 13 der
"Deutsch. Kolonialzeitung", des Organs der Deutschen Kolonial-
[Spaltenumbruch] gesellschaft, die wichtige Frage, ob, von welchem Zeitpunkte an
und in welchem Umfange das Bürgerliche Gesetzbuch und die
übrigen, das Zivilrecht regelnden Reichsgesetze, welche mit ihm
gleichzeitig am 1. Januar d. J. in Kraft getreten sind, in den
deutschen Schutzgebieten gelten. Weder das Bürgerliche Gesetzbuch
noch das dazu erlassene Einführungsgesetz noch die anderen mit
ihm in Kraft getretenen privatrechtlichen Gesetze enthalten eine Be-
stimmung über ihr Geltungsgebiet. In den Kolonien, welche im
Verhältniß zum Geltungsbereich der Reichsgesetze als Ausland zu
betrachten sind, finden Reichsgesetze nur dann Auwendung, wenn
eine besondere gesetzliche Vorschrift dies ausfpricht. Nach § 2 des
Gesetzes vom 15. März 1888 betreffend die Rechtsverhältnisse der
deutschen Schutzgebiete sind für das bürgerliche Recht in den Schutz-
gebieten die Vorschriften des Gesetzes über die Konsulargerichtsbar-
keit vom 10. Juli 1879 maßgebend. Nach § 3 des letzteren gelten
in Betreff des bürgerlichen Rechts in den Konsulargerichts-
bezirken die Reichsgesetze, das preußische allgemeine Landrecht
und die das bürgerliche Recht betreffenden allgemeinen Gesetze
derjenigen preußischen Landestheile, in welchen das allgemeine
Landrecht Gesetzeskraft hat. Der Verfasser des Aufsatzes in
der "Deutschen Kolonialzeitung" weist die Annahme, daß
hier die in den Schutzgebieten anzuwendenden Vorschriften
des bürgerlichen Rechts abgeschlossen und unveränderlich nach
Maßgabe des Zeitpunkts des Inkrafttretens des Gesetzes vom
10. Juli 1879 niedergelegt seien, als unhaltbar zurück und
gelangt im Anschluß an v. Stengel zu der Auffassung, daß
der erwähnte § 3 eine ihrem Inhalt nach je nach dem Stand
der Reichsgesetzgebung veränderliche Regelung getroffen hat.
Da das Bürgerliche Gesetzbuch dem Wesen nach keine andere
Stellung einnimmt, als die bis zu dem Inkrafttreten des
Gesetzes über die Konsulargerichtsbarkeit erlassenen bürgerlich-
rechtlichen Reichsgesetze, so hat es auch für die Schutz-
gebiete Geltung.
Das im Gebiet des preußischen allge-
meinen Landrechts geltende bürgerliche Recht behält seine
Kraft nur noch insoweit, als ein Gegenstand im Bürger-
lichen Gesetzbuch nicht geregelt ist.

Die Frage nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens
der neuen bürgerlich-rechtlichen Vorschriften in den Schutz-
gebieten erscheint ebenfalls zweifelhaft. Nach § 47 des Kon-
sulargerichtsbarkeits-Gesetzes erlangen in den Schutzgebieten
neue Gesetze, soweit nicht reichsgesetzlich etwas anderes be-
stimmt wird, nach Ablauf von vier Monaten von dem Tage
an gerechnet, an welchem das betreffende Stück des Reichs-
Gesetzblattes in Berlin ausgegeben worden ist, verbindliche
Kraft. Aus dem Umstande, daß das Bürgerliche Gesetzbuch
eine räumlich auf das Reichsgebiet einschränkende Bestimmung
über sein Geltungsbereich nicht enthält, folgert Dr. Hermann,
daß der in Artikel I des Einführungsgesetzes als Termin be-
stimmte 1. Januar 1900 auch für die Schutzgebiete maß-
gebend sei.

Die Anwendung des bürgerlichen Reichsrechts in den
Kolonien wird durch zwei besondere Bestimmungen des
Konsulargerichtsbarkeitsgesetzes theils verändert, theils be-
schränkt. Durch die Bestimmung des § 3 Absatz 2 des letzt-
erwähnten Gesetzes erleidet der auch im neuen Handels-
gesetzbuch vom
10. Mai 1897 ausgesprochene Satz, daß
gegenüber den Sätzen des Handelsgesetzbuchs das Handels-
gewohnheitsrecht nur eine ergänzende, subsidiäre Kraft hat,
in den Schutzgebieten eine Umkehr dahin, daß in Handels-
sachen zunächst das Handelsgewohnheitsrecht zur
Anwendung kommt.
Eine wesentliche Beschränkung der
Anwendbarkeit des neuen bürgerlichen Rechts enthält der
§ 3 Ziffer 2 des Gesetzes betreffend die Rechtsverhältnisse der
deutschen Schutzgebiete, wonach durch kaiserliche Verordnung
eine von den nach § 2 des Gesetzes maßgebenden Vor-
schriften abweichende Regelung der Rechtsverhältnisse an un-
beweglichen Sachen einschließlich des Bergwerkseigenthums er-
folgen kann. Solche kaiserlichen Verordnungen sind bisher für
sämmtliche Schutzgebiete einschließlich Kian-tschon bis auf die
neuerworbenen Karolinen, Palan, Marianen und Samoa erfolgt.
Danach haben alle Bestimmungen des Bürger-
lichen Gesetzbuches, welche das Grundeigenthum
und die auf seine Benutzung bezüglichen Verhält-
nisse betreffen, insbesondere im dritten Buche
desselben, sowie die Grundbuchordnung vom

24. März 1897 in den Schutzgebieten keine Geltung.
Für den Eigenthumserwerb und die dingliche Belastung von
Grundstücken sind vielfach die im Geltungsbereich des preußi-
schen Allgemeinen Landrechts geltenden Bestimmungen, haupt-
sächlich das Gesetz vom 5. Mai 1872 über den Eigenthums-
[Spaltenumbruch] erwerb und die dingliche Belastung von Grundstücken maß-
gebend. Die betreffenden, überall mit größeren oder ge-
ringeren Modifikationen durch kaiserliche Anordnung einge-
führten Bestimmungen werden durch das Inkrafttreten des
Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht berührt.

Für das Infelgebiet der Karolinen, Palau und
Marianen
ist durch § 1 der Verordnung vom 18. Juli
1899 betreffend die Rechtsverhältnisse dieser Inseln dahin Be-
stimmung getroffen, daß auf ihnen das Konsulargerichtsbar-
keitsgesetz und damit also auch das Bürgerliche Gesetz-
buch vom 1. Januar
1901 ab Gektung besitzen soll. Einen
einschränkenden Vorbehalt bezüglich der dinglich-rechtlichen
Bestimmungen enthält diese Verordnung nicht. Für Samoa
sind einschlägige Vorschriften zur Zeit noch nicht erlassen
worden.

Der Seuchengesetzentwurf.

* Der Gesetzentwurf über die Bekämpfung gemeingefähr-
licher Krankheiten,
der auf der Tagesordnung der nächsten
Sitzung des Reichstags nach den Ferien steht, ist als Drucksache
im Reichstag ausgegeben worden. Derselbe behandelt den Stoff
in fieben Abschnitten, nämlich: 1. Anzeigepflicht, 2. Ermittlung
der Krankheit, 3. Schutzmaßregeln, 4. Entschädigungen, 5. Allge-
meine Vorschriften, 6. Strafbestimmungen, 7. Schlußbestimmungen.
Im Entwurf sind nur die für eine erfolgreiche Bekämpfung der
Seuchen überhaupt in Betracht kommenden Maßnahmen aufge-
führt und in Anlehnung an sie den Behörden die nöthigen Voll-
machten und Zwangsbefugnisse beigelegt. Die Art, wie die
grundsätzlichen Maßnahmen unter den verschiedenen Lebens- und
Verkehrsverhältnissen zur Anwendung gelangen sollen, ist dagegen
in der Hauptsache der Beschlußfassung des Bundesraths vor-
behalten, unter gewissen Voraussetzungen auch, soweit es zweck-
mäßig erschien, dem Ermessen der Landesregierungen überlassen.
Der Entwurf soll nur die äußersten Grenzen bezeichnen, bis zu
denen überhaupt amtlicherseits gegen Ausbruch und Verbreitung
der Seuchen vorgegangen werden darf.

Konferenz für Auswanderungswirthschaft.

* Der Verein für deutsche Auswanderer-Wohl-
fahrt
veranstaltet jährlich eine Konferenz über auswande-
rungswirthschaftliche Fragen und hat damit in den Kreisen
der Kolonialfreunde und überhaupt der Freunde kräftiger
Entwicklung und Wahrung unsrer Uebersee-Interessen rasch
wachsenden Anklang gefunden. Die diesjährige Konferenz
findet am 12. und 13. Mai zu Hannover statt; nach der jetzt
veröffentlichten Tagesordnung stehen folgende Fragen zur Be-
sprechung: Erfahrungen mit dem neuen Auswanderungsgesetz;
Aussichten für deutsche Auswanderer in unsern Kolonien; Er-
haltung des Deutschthums in fremden Kolonien und
Staaten; organisirte Auswanderung im Dienste der Waisen-
und Armenfürforge; das Auskunftswesen für Auswanderer.
Den Schwerpunkt der Besprechungen wird letztgenannte Frage
bilden. Der Verein tritt seit Jahren für Organisation eines
fachmännischen (also nicht bureankratischen) staatlichen Aus-
kunftsdienstes im Auswärtigen Amte ein und erblickt in solcher
Organisation die Grundlage der nationalen Auswanderungs-
politik. Dementsprechend hat der Verein eine dahin zielende
Eingabe an die Regierung gerichtet, die jedoch eine Antwort
noch nicht gefunden hat. Diese Frage ist um so dringender,
als ihre fachmännische Erledigung zugleich mit der Frage
einer Linderung der landwirthschaftlichen Leutenoth eng zu-
sammenhängt. Eine Reihe auswärtiger Vereine verwandter
Bestrebung wird auf der hannoverischen Konferenz diesmal
durch Delegirte vertreten sein.

Kleine Nachrichten.

* Die erste Sitzung des Deutschen Forstwirth-
schaftsraths
wurde am 27. d. M. vormittags im Reichs-
tagsgebände zu Berlin durch den Vorsitzenden des Deutschen
Forstvereins, Landforstmeister Dr. Danckelmann, Ebers-
walde, eröffnet. Die Berathungen werden voraussichtlich drei
Tage in Anspruch nehmen. Der Vorsitzende gab einen Ueber-
blick über die Entwicklung des Deutschen Forstvereins seit
seiner Gründung am 22. August 1899. Der Verein zählt
gegenwärtig 1465 Mitglieder, die eine Waldfläche von mehr
als fünf Millionen Hektar vertreten, so daß schon mehr als
ein Drittel der Waldfläche des Deutschen Reichs im Verein
vertreten ist. Unter den Mitgliedern befinden sich die meisten
deutschen Staats-Forstverwaltungen. -- Dem Vernehmen
nach haben die Militärverwaltungen die Verträge, die
sie mit der Versuchsanstalt für Leder in dustrie zu
Freiberg
i. S. zur Ausbildung der Offiziere der Be-
kleidungsämter für eine bessere Kenntniß des Leders, sowie



[Spaltenumbruch]

pretirt. Auch von der Königlichen Kapelle wurden die
bedeutenden technischen Schwierigkeiten der "Phantasti-
schen Symphonie", deren erster Satz weitaus der be-
deutendste ist, mit spielender Leichtigkeit überwunden.

Das neunte Philharmonische Konzert brachte die
wenig gehörte Hamlet-Ouvertüre Tschaikowsky's, deren
Wahl sich nur dadurch erklärt, daß sie zu der heute so
beliebten Programm-Musik gehört. Der russische Meister
besitzt aber so viel Einbildungs- und Gestaltungskraft,
daß er zu diesem Auskunftsmittel nur mit tonmalerischer
Begabung ausgestatteter Talente gar nicht zu greifen
braucht. Zwar pinselt er sein Seelengemälde nicht in
dem Maße aus wie es der Zeitgeschmack verlangt, aber
doch zu viel, um eine so intensive Wirkung ausüben zu
können wie mit seinen musikalischen Kompositionen.
Andrerseits erweckt nur der Titel die Vorstellung des
grüblerischen Dänenprinzen, und zwar aus dem sehr ein-
fachen Grunde, weil die Musik, abgesehen von einigen
nachahmbaren Naturerscheinungen, wie der Donner, über-
haupt nur Emotionen versinnlichen kann. Sie ist allen-
falls grüblerisch, aber wie soll sie es dem Hörer verständ-
lich machen, daß sie einen Grübler malt und gar, wer
der Grübler ist, der dem Komponisten vorschwebt?

Zu ähnlichen Betrachtungen gab mir auch ein Kon-
zert in der Philharmonie Anlaß, das unter Mitwirkung
des Philharmonischen Orchesters, des verstärkten Chors
des Stern'schen Konservatoriums und einigen Solisten,
zwischen "Tod und Verklärung" und "Ein Heldenleben"
von Richard Strauß den ersten Akt von Hans Pfitzners
"Rose vom Liebesgarten", Dichtung von James Grun,
zu Gehör brachte.

"Mit den Vögeln möchten wir fahren und reiten,
Mit deinem Liede nun zieh'n und gleiten"

spricht der Sangsmeister zur Sternen-Jungfrau mit
dem Sonnenkinde. So unsinnig dieser Vers, so unsinnig
die Dichtung, deren unverständliche, offenbar durch den
"Parsifal" beeinflußte Symbolik mich an die böse Zeit ge-
mahnt, wo die Symbolisten in Paris die Bewunderung
des Snobs erregten und man Octave Mirbeau's Ent-
deckung des helgischen "Shakespeare" Maeterlinck ernst
[Spaltenumbruch] nahm. Das Gebackene vom Leichenschmaus des französisch-
belgischen Symbolismus gibt nun kalte Hochzeitsschüsseln
für Deutschlands dichtende und komponirende Jugend.
Der noch sehr jugendliche und auch sehr begabte Herr
Pfitzner möchte offenbar auch ein Shakespeare -- der Musik
werden und wenn es so weiter geht, wird Krupp bald
seine schwersten Instrumente hergeben müssen, um das
Orchester zu verstärken. Die Orchesterfarben sind so
reklamehaft grell, die Suche nach absonderlichen Wen-
dungen -- ähnlich der berüchtigten Suche der französischen
Symbolisten nach "seltenen und köstlichen Beiwörtern" --
ist so auffällig, daß das Ganze nur verblüffend, manchmal
sogar lächerlich wirkt. Nichts, was vom Herzen kommt
und zum Herzen spricht. Das gilt leider, von Ausnahmen
abgesehen, überhaupt für unsre moderne Produktion.
Alles Verstandesarbeit, in deren Dienst oft ein bedeutendes
technisches Können, eine vollkommene Herrschaft über die
polyphone Form und das die Singstimme immer mehr
erdrückende Orchester treten. Bei aller Hochachtung für
die Begabung eines Strauß muß man sich doch immer
wieder fragen: wozu die Wagner'sche Thematik, welche
ihrem Schöpfer zur einheitlichen Ausgestaltung des die
Verschmelzung zweier Künste bedeutenden Musikdramas
nöthig erschien, auch für reine Orchesterwerke verwenden?
Die Leitmotive waren selbst dem Meister von Bayreuth
anfangs vielleicht nur ein nothwendiges Uebel. Aber
für das Orchester, das sozusagen von Natur ein einheit-
liches Ganzes bildet, liegt nicht die geringste Noth-
wendigkeit vor, die geschlossene Melodie Beethovens,
welche Emotionen am deutlichsten wiedergibt, sym-
bolischen Motiven zu opfern, bei denen sich ein
Jeder denken kann was er will, weil die Musik,
wie gesagt, Begriffe nicht auszudrücken vermag. Wie oft
habe ich beispielsweise an "Höllenmusik" denken müssen,
wo der Komponist ganz andere Vorstellungen erwecken
wollte. Die Musik verdeutlicht kein Wort, keinen Bühnen-
vorgang, sondern sie verstärkt dessen Wirkung nur durch
die Erhöhung unsrer Emotion. Sobald man das Wort,
sobald man den Bühnenvorgang beseitigt, ist die Musik
ganz außer stande, uns selbständig eine Vorstellung davon
zu geben. Das so ist wahr, daß Strauß beispielsweise zum
[Spaltenumbruch] Verständniß seines an Einzelschönheiten reichen "Helden-
lebens" uns erst einen gedruckten Kommentar geben muß,
gewissermaßen als Aequivalent für die lebendige Hand-
lung auf der Scene. Wenn diese nun schon mächtiger
wirkt als das Lesen eines Dramas, um wie viel mächtiger
erst als eine trockene Analyse!

Ein erneutes Hören von "Tod und Verklärung" hat
bei mir den ersten Eindruck verstärkt, daß es sich hier bei
aller Vollendung der tonmalerischen Kunst um etwas
krankhaftes handelt, das an Beaudelaire und Maurice
Rollinat erinnert, auf den der Anblick des Todes und
der Verwesung eine große Anziehungskraft ausübte und
der eines seiner an Vorstellungen des Grauens über-
reichen Gedichte "Der langsame Todeskampf" betitelte.
Dies schwelgende Ausmalen des Todeskampfes hat etwas
abstoßendes und erinnert mich beispielsweise an ein in
der "Entartung" Nordau's übersetztes Gedicht Rollinats,
das "L'amante macabre" betitelt ist und so lautet: "Meine
gespenftische Geliebte, vom Tode erreicht, spielte vor
mir, bläulich und viokett ..., knochige Nacktheit, keusch in
ihrer Magerkeit. Schönheit der ebenso traurigen wie
heiß verliebten Schwindsüchtigen! ... Neben ihr öffnete
ein Sarg gierig seinen langen Rachen und schien sie zu
rufen.... Eines Abends erhängte sie sich bei mir am
Feusterkarnies. Gräßlich."



G. Eine neue Shakespeare-Ausgabe.

Die Künstler
der "Vale Preß" sind der Ansicht, daß gegenwärtig noch keine
mustergültige Ausgabe der Shakespeare-Dramen existire. Dem-
gemäß wird, nach einem Bericht der "Academy", die "Vale
Preß" ihre eigene Shakespeare-Ausgabe aufertigen, gedruckt
mit einem neuen "Avon-Guß" von Small Pica-Typen. Jedes
Drama wird in einem Halboktavband erscheinen; für jede
Tragödie, Komödie und jedes geschichtliche Drama sind ver-
schiedenartige Entwürfe internationaler Buchornamentation
gefertigt worden. Demnach wird die Welt bald eine tadellos
gedruckte, dauerhafte Shakespeare-Ausgabe besitzen. Aber
leider werden im ganzen nur 310 Exemplare von jedem
Drama gedruckt werden, von denen 100 für den Verkauf in
den Vereinigten Staaten und 187 für den in Großbritannien
bestimmt sind.

München, Samſtag Allgemeine Zeitung 31. März 1900. Nr. 88.
[Spaltenumbruch]
Deutſches Reich.

Preſſe über die auswärtige Politik des Reichs an-
läßlich der jüngſten Flottendebatte in der Budgetkommiſſion
des Reichstags aburtheilt. So verſichert der „Vorwärts“
im Tone des berufenen Richters über die Todten und die
Lebenden, über die Leiter der auswärtigen Geſchäfte
von Bismarck bis Bülow, ſie ſeien alleſammt jämmerliche
Pfuſcher geweſen: „Alle Welt iſt nun glücklich unſer Feind.
Das ſind die Erfolge der genialen Politik unſrer leitenden
Staatsmänner.“

Den alſo Getadelten darf es im Grunde herzlich
gleichgültig ſein, ob ihr Wirken und Amten von den
Staatsmännern des „Vorwärts“ zum Gegenſtand einer
Kritik gemacht wird, die ja im Grunde etwas ganz an-
deres bezweckt, als eine Förderung der Wohlfahrt des
Reiches. Inſofern könnte man über dieſe Dinge ruhig
hinwegſehen. Indeſſen iſt es gerade im Hinblick auf die
bevorſtehende Entſcheidung über die Flottenvorlage durch-
aus nothwendig, daß der weiteren Verbreitung gewiſſer
weniger harmloſer „Irrthümer“, wie ſie das genannte
ſozialdemokratiſche Blatt in ſeine Betrachtungen hinein
verwebt, rechtzeitig energiſch vorgebeugt wird. Der „Vor-
wärts“ behauptet nämlich nichts mehr und nichts weniger,
als daß die Regierung und die ihr naheſtehende Preſſe
die Maſſen gegen England zu verſtimmen ſuchten, während
gerade das Umgekehrte der Fall iſt. Die Regierung hat,
wofür die November-Reiſe des Kaiſers nach England ein
ſchlagender Beweis iſt, das freundſchaftliche Verhältniß
zu England aufrecht zu erhalten ſich bemüht, und die
mit dem Auswärtigen Amt rege Fühlung haltende „Köln.
Ztg.“ iſt in demſelben Bemühen ſogar weit über das
Ziel hinausgeſchoſſen. Umgekehrt haben die breiten Volks-
maſſen, und zwar bis tief in die Gefolgſchaft Bebels und
des „Vorwärts“ hinein, eine wachſende Erbitterung
gegen England
empfunden, einerſeits um der Un-
gerechtigkeit des Buren-Krieges willen, andrerſeits um all
der Beſchimpfungen willen, die die Engländer uns
Deutſchen ſeit Jahren angethan haben. Wenn bei den
nächſten Wahlen all die Arbeiter, die in dieſen Monaten
gedacht oder geſagt haben: „Wenn wir doch den Eng-
ländern eins auf die Jacke geben könnten!“ nicht mehr
für die Sozialdemokratie ſtimmen wollten, ſo würde dieſe
vielleicht nicht ein Viertel der Stimmenzahl von 1898 er-
halten. Denn glücklicherweiſe laboriren die Wähler der
ſozialdemokratiſchen Friedensengel noch nicht alle an dem
nationalen Defekt, an dem die Mehrzahl ihrer Führer
krankt, und glücklicherweiſe beſitzen ſie bis jetzt auch noch
genug geſundes Empfinden, um durch die Ereigniſſe der
letzten Jahre von jener Auffaſſung frei geworden zu ſein,
der die ſozialiſtiſchen Theoretiker noch immer huldigen:
daß nämlich England das Ideal eines Staatsweſens vor-
ſtelle. Der „Vorwärts“ aber gehört zu den „Unentwegten“.
Für ihn iſt die Nothwendigkeit, mit England Freundſchaft
zu halten, „eine Forderung des europäiſchen Kultur-
fortſchritts“ — mit England, das auf der Haager Friedens-
konferenz jeder Milderung der Schrecken und Nöthe des
Seekriegs entſchieden widerſprochen hat, das unter nichtigem
Vorwand ein kleines Volk mit Gewalt zu unterjochen
ſucht, das zwiſchen Plutokratie und Proletariat ſchärfere
Gegenſätze aufweist als irgend ein anderes europäiſches
Land, das, obwohl bei ihm der Konſtitutionalismus
viel älter iſt als bei uns, den breiten Maſſen die politiſche
Gleichberechtigung viel ſpäter gegeben hat, als wir es
gethan!

Der „Vorwärts“ mag ſich ſeinerſeits mit dieſen
Widerſprüchen abfinden, wie er will. Aber es iſt, wie
geſagt, nothwendig, der dreiſten Fälſchung entgegenzu-
treten, als ob die tiefe Verſtimmung über Englands Ver-
halten nicht aus dem innerſten Empfinden des deutſchen
Volks heraus ſich entwickelt habe, ſondern nur infolge der
Ungewandtheit unſrer Diplomatie. Dieſe Feſtſtellung iſt
noch ganz beſonders nothwendig, um zu verhüten, daß
das deutſche Volk, namentlich aber die deutſche Arbeiter-
ſchaft im Ausland nach den Auslaſſungen des „Vorwärts“
und ſeiner Inſpiratoren beurtheilt wird.

Die Geltung des neuen bürgerlichen Rechts in den Schutzgebieten.

* In einem Artikel „Die Geltung des neuen bürger-
lichen Rechts in den Schutzgebieten“
behandelt Dr.
Rudolf A. Hermann, München, in Nr. 12 und 13 der
„Deutſch. Kolonialzeitung“, des Organs der Deutſchen Kolonial-
[Spaltenumbruch] geſellſchaft, die wichtige Frage, ob, von welchem Zeitpunkte an
und in welchem Umfange das Bürgerliche Geſetzbuch und die
übrigen, das Zivilrecht regelnden Reichsgeſetze, welche mit ihm
gleichzeitig am 1. Januar d. J. in Kraft getreten ſind, in den
deutſchen Schutzgebieten gelten. Weder das Bürgerliche Geſetzbuch
noch das dazu erlaſſene Einführungsgeſetz noch die anderen mit
ihm in Kraft getretenen privatrechtlichen Geſetze enthalten eine Be-
ſtimmung über ihr Geltungsgebiet. In den Kolonien, welche im
Verhältniß zum Geltungsbereich der Reichsgeſetze als Ausland zu
betrachten ſind, finden Reichsgeſetze nur dann Auwendung, wenn
eine beſondere geſetzliche Vorſchrift dies ausfpricht. Nach § 2 des
Geſetzes vom 15. März 1888 betreffend die Rechtsverhältniſſe der
deutſchen Schutzgebiete ſind für das bürgerliche Recht in den Schutz-
gebieten die Vorſchriften des Geſetzes über die Konſulargerichtsbar-
keit vom 10. Juli 1879 maßgebend. Nach § 3 des letzteren gelten
in Betreff des bürgerlichen Rechts in den Konſulargerichts-
bezirken die Reichsgeſetze, das preußiſche allgemeine Landrecht
und die das bürgerliche Recht betreffenden allgemeinen Geſetze
derjenigen preußiſchen Landestheile, in welchen das allgemeine
Landrecht Geſetzeskraft hat. Der Verfaſſer des Aufſatzes in
der „Deutſchen Kolonialzeitung“ weist die Annahme, daß
hier die in den Schutzgebieten anzuwendenden Vorſchriften
des bürgerlichen Rechts abgeſchloſſen und unveränderlich nach
Maßgabe des Zeitpunkts des Inkrafttretens des Geſetzes vom
10. Juli 1879 niedergelegt ſeien, als unhaltbar zurück und
gelangt im Anſchluß an v. Stengel zu der Auffaſſung, daß
der erwähnte § 3 eine ihrem Inhalt nach je nach dem Stand
der Reichsgeſetzgebung veränderliche Regelung getroffen hat.
Da das Bürgerliche Geſetzbuch dem Weſen nach keine andere
Stellung einnimmt, als die bis zu dem Inkrafttreten des
Geſetzes über die Konſulargerichtsbarkeit erlaſſenen bürgerlich-
rechtlichen Reichsgeſetze, ſo hat es auch für die Schutz-
gebiete Geltung.
Das im Gebiet des preußiſchen allge-
meinen Landrechts geltende bürgerliche Recht behält ſeine
Kraft nur noch inſoweit, als ein Gegenſtand im Bürger-
lichen Geſetzbuch nicht geregelt iſt.

Die Frage nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens
der neuen bürgerlich-rechtlichen Vorſchriften in den Schutz-
gebieten erſcheint ebenfalls zweifelhaft. Nach § 47 des Kon-
ſulargerichtsbarkeits-Geſetzes erlangen in den Schutzgebieten
neue Geſetze, ſoweit nicht reichsgeſetzlich etwas anderes be-
ſtimmt wird, nach Ablauf von vier Monaten von dem Tage
an gerechnet, an welchem das betreffende Stück des Reichs-
Geſetzblattes in Berlin ausgegeben worden iſt, verbindliche
Kraft. Aus dem Umſtande, daß das Bürgerliche Geſetzbuch
eine räumlich auf das Reichsgebiet einſchränkende Beſtimmung
über ſein Geltungsbereich nicht enthält, folgert Dr. Hermann,
daß der in Artikel I des Einführungsgeſetzes als Termin be-
ſtimmte 1. Januar 1900 auch für die Schutzgebiete maß-
gebend ſei.

Die Anwendung des bürgerlichen Reichsrechts in den
Kolonien wird durch zwei beſondere Beſtimmungen des
Konſulargerichtsbarkeitsgeſetzes theils verändert, theils be-
ſchränkt. Durch die Beſtimmung des § 3 Abſatz 2 des letzt-
erwähnten Geſetzes erleidet der auch im neuen Handels-
geſetzbuch vom
10. Mai 1897 ausgeſprochene Satz, daß
gegenüber den Sätzen des Handelsgeſetzbuchs das Handels-
gewohnheitsrecht nur eine ergänzende, ſubſidiäre Kraft hat,
in den Schutzgebieten eine Umkehr dahin, daß in Handels-
ſachen zunächſt das Handelsgewohnheitsrecht zur
Anwendung kommt.
Eine weſentliche Beſchränkung der
Anwendbarkeit des neuen bürgerlichen Rechts enthält der
§ 3 Ziffer 2 des Geſetzes betreffend die Rechtsverhältniſſe der
deutſchen Schutzgebiete, wonach durch kaiſerliche Verordnung
eine von den nach § 2 des Geſetzes maßgebenden Vor-
ſchriften abweichende Regelung der Rechtsverhältniſſe an un-
beweglichen Sachen einſchließlich des Bergwerkseigenthums er-
folgen kann. Solche kaiſerlichen Verordnungen ſind bisher für
ſämmtliche Schutzgebiete einſchließlich Kian-tſchon bis auf die
neuerworbenen Karolinen, Palan, Marianen und Samoa erfolgt.
Danach haben alle Beſtimmungen des Bürger-
lichen Geſetzbuches, welche das Grundeigenthum
und die auf ſeine Benutzung bezüglichen Verhält-
niſſe betreffen, insbeſondere im dritten Buche
desſelben, ſowie die Grundbuchordnung vom

24. März 1897 in den Schutzgebieten keine Geltung.
Für den Eigenthumserwerb und die dingliche Belaſtung von
Grundſtücken ſind vielfach die im Geltungsbereich des preußi-
ſchen Allgemeinen Landrechts geltenden Beſtimmungen, haupt-
ſächlich das Geſetz vom 5. Mai 1872 über den Eigenthums-
[Spaltenumbruch] erwerb und die dingliche Belaſtung von Grundſtücken maß-
gebend. Die betreffenden, überall mit größeren oder ge-
ringeren Modifikationen durch kaiſerliche Anordnung einge-
führten Beſtimmungen werden durch das Inkrafttreten des
Bürgerlichen Geſetzbuchs nicht berührt.

Für das Infelgebiet der Karolinen, Palau und
Marianen
iſt durch § 1 der Verordnung vom 18. Juli
1899 betreffend die Rechtsverhältniſſe dieſer Inſeln dahin Be-
ſtimmung getroffen, daß auf ihnen das Konſulargerichtsbar-
keitsgeſetz und damit alſo auch das Bürgerliche Geſetz-
buch vom 1. Januar
1901 ab Gektung beſitzen ſoll. Einen
einſchränkenden Vorbehalt bezüglich der dinglich-rechtlichen
Beſtimmungen enthält dieſe Verordnung nicht. Für Samoa
ſind einſchlägige Vorſchriften zur Zeit noch nicht erlaſſen
worden.

Der Seuchengeſetzentwurf.

* Der Geſetzentwurf über die Bekämpfung gemeingefähr-
licher Krankheiten,
der auf der Tagesordnung der nächſten
Sitzung des Reichstags nach den Ferien ſteht, iſt als Druckſache
im Reichstag ausgegeben worden. Derſelbe behandelt den Stoff
in fieben Abſchnitten, nämlich: 1. Anzeigepflicht, 2. Ermittlung
der Krankheit, 3. Schutzmaßregeln, 4. Entſchädigungen, 5. Allge-
meine Vorſchriften, 6. Strafbeſtimmungen, 7. Schlußbeſtimmungen.
Im Entwurf ſind nur die für eine erfolgreiche Bekämpfung der
Seuchen überhaupt in Betracht kommenden Maßnahmen aufge-
führt und in Anlehnung an ſie den Behörden die nöthigen Voll-
machten und Zwangsbefugniſſe beigelegt. Die Art, wie die
grundſätzlichen Maßnahmen unter den verſchiedenen Lebens- und
Verkehrsverhältniſſen zur Anwendung gelangen ſollen, iſt dagegen
in der Hauptſache der Beſchlußfaſſung des Bundesraths vor-
behalten, unter gewiſſen Vorausſetzungen auch, ſoweit es zweck-
mäßig erſchien, dem Ermeſſen der Landesregierungen überlaſſen.
Der Entwurf ſoll nur die äußerſten Grenzen bezeichnen, bis zu
denen überhaupt amtlicherſeits gegen Ausbruch und Verbreitung
der Seuchen vorgegangen werden darf.

Konferenz für Auswanderungswirthſchaft.

* Der Verein für deutſche Auswanderer-Wohl-
fahrt
veranſtaltet jährlich eine Konferenz über auswande-
rungswirthſchaftliche Fragen und hat damit in den Kreiſen
der Kolonialfreunde und überhaupt der Freunde kräftiger
Entwicklung und Wahrung unſrer Ueberſee-Intereſſen raſch
wachſenden Anklang gefunden. Die diesjährige Konferenz
findet am 12. und 13. Mai zu Hannover ſtatt; nach der jetzt
veröffentlichten Tagesordnung ſtehen folgende Fragen zur Be-
ſprechung: Erfahrungen mit dem neuen Auswanderungsgeſetz;
Ausſichten für deutſche Auswanderer in unſern Kolonien; Er-
haltung des Deutſchthums in fremden Kolonien und
Staaten; organiſirte Auswanderung im Dienſte der Waiſen-
und Armenfürforge; das Auskunftsweſen für Auswanderer.
Den Schwerpunkt der Beſprechungen wird letztgenannte Frage
bilden. Der Verein tritt ſeit Jahren für Organiſation eines
fachmänniſchen (alſo nicht bureankratiſchen) ſtaatlichen Aus-
kunftsdienſtes im Auswärtigen Amte ein und erblickt in ſolcher
Organiſation die Grundlage der nationalen Auswanderungs-
politik. Dementſprechend hat der Verein eine dahin zielende
Eingabe an die Regierung gerichtet, die jedoch eine Antwort
noch nicht gefunden hat. Dieſe Frage iſt um ſo dringender,
als ihre fachmänniſche Erledigung zugleich mit der Frage
einer Linderung der landwirthſchaftlichen Leutenoth eng zu-
ſammenhängt. Eine Reihe auswärtiger Vereine verwandter
Beſtrebung wird auf der hannoveriſchen Konferenz diesmal
durch Delegirte vertreten ſein.

Kleine Nachrichten.

* Die erſte Sitzung des Deutſchen Forſtwirth-
ſchaftsraths
wurde am 27. d. M. vormittags im Reichs-
tagsgebände zu Berlin durch den Vorſitzenden des Deutſchen
Forſtvereins, Landforſtmeiſter Dr. Danckelmann, Ebers-
walde, eröffnet. Die Berathungen werden vorausſichtlich drei
Tage in Anſpruch nehmen. Der Vorſitzende gab einen Ueber-
blick über die Entwicklung des Deutſchen Forſtvereins ſeit
ſeiner Gründung am 22. Auguſt 1899. Der Verein zählt
gegenwärtig 1465 Mitglieder, die eine Waldfläche von mehr
als fünf Millionen Hektar vertreten, ſo daß ſchon mehr als
ein Drittel der Waldfläche des Deutſchen Reichs im Verein
vertreten iſt. Unter den Mitgliedern befinden ſich die meiſten
deutſchen Staats-Forſtverwaltungen. — Dem Vernehmen
nach haben die Militärverwaltungen die Verträge, die
ſie mit der Verſuchsanſtalt für Leder in duſtrie zu
Freiberg
i. S. zur Ausbildung der Offiziere der Be-
kleidungsämter für eine beſſere Kenntniß des Leders, ſowie



[Spaltenumbruch]

pretirt. Auch von der Königlichen Kapelle wurden die
bedeutenden techniſchen Schwierigkeiten der „Phantaſti-
ſchen Symphonie“, deren erſter Satz weitaus der be-
deutendſte iſt, mit ſpielender Leichtigkeit überwunden.

Das neunte Philharmoniſche Konzert brachte die
wenig gehörte Hamlet-Ouvertüre Tſchaikowsky’s, deren
Wahl ſich nur dadurch erklärt, daß ſie zu der heute ſo
beliebten Programm-Muſik gehört. Der ruſſiſche Meiſter
beſitzt aber ſo viel Einbildungs- und Geſtaltungskraft,
daß er zu dieſem Auskunftsmittel nur mit tonmaleriſcher
Begabung ausgeſtatteter Talente gar nicht zu greifen
braucht. Zwar pinſelt er ſein Seelengemälde nicht in
dem Maße aus wie es der Zeitgeſchmack verlangt, aber
doch zu viel, um eine ſo intenſive Wirkung ausüben zu
können wie mit ſeinen muſikaliſchen Kompoſitionen.
Andrerſeits erweckt nur der Titel die Vorſtellung des
grübleriſchen Dänenprinzen, und zwar aus dem ſehr ein-
fachen Grunde, weil die Muſik, abgeſehen von einigen
nachahmbaren Naturerſcheinungen, wie der Donner, über-
haupt nur Emotionen verſinnlichen kann. Sie iſt allen-
falls grübleriſch, aber wie ſoll ſie es dem Hörer verſtänd-
lich machen, daß ſie einen Grübler malt und gar, wer
der Grübler iſt, der dem Komponiſten vorſchwebt?

Zu ähnlichen Betrachtungen gab mir auch ein Kon-
zert in der Philharmonie Anlaß, das unter Mitwirkung
des Philharmoniſchen Orcheſters, des verſtärkten Chors
des Stern’ſchen Konſervatoriums und einigen Soliſten,
zwiſchen „Tod und Verklärung“ und „Ein Heldenleben“
von Richard Strauß den erſten Akt von Hans Pfitzners
„Roſe vom Liebesgarten“, Dichtung von James Grun,
zu Gehör brachte.

„Mit den Vögeln möchten wir fahren und reiten,
Mit deinem Liede nun zieh’n und gleiten“

ſpricht der Sangsmeiſter zur Sternen-Jungfrau mit
dem Sonnenkinde. So unſinnig dieſer Vers, ſo unſinnig
die Dichtung, deren unverſtändliche, offenbar durch den
„Parſifal“ beeinflußte Symbolik mich an die böſe Zeit ge-
mahnt, wo die Symboliſten in Paris die Bewunderung
des Snobs erregten und man Octave Mirbeau’s Ent-
deckung des helgiſchen „Shakeſpeare“ Maeterlinck ernſt
[Spaltenumbruch] nahm. Das Gebackene vom Leichenſchmaus des franzöſiſch-
belgiſchen Symbolismus gibt nun kalte Hochzeitsſchüſſeln
für Deutſchlands dichtende und komponirende Jugend.
Der noch ſehr jugendliche und auch ſehr begabte Herr
Pfitzner möchte offenbar auch ein Shakeſpeare — der Muſik
werden und wenn es ſo weiter geht, wird Krupp bald
ſeine ſchwerſten Inſtrumente hergeben müſſen, um das
Orcheſter zu verſtärken. Die Orcheſterfarben ſind ſo
reklamehaft grell, die Suche nach abſonderlichen Wen-
dungen — ähnlich der berüchtigten Suche der franzöſiſchen
Symboliſten nach „ſeltenen und köſtlichen Beiwörtern“ —
iſt ſo auffällig, daß das Ganze nur verblüffend, manchmal
ſogar lächerlich wirkt. Nichts, was vom Herzen kommt
und zum Herzen ſpricht. Das gilt leider, von Ausnahmen
abgeſehen, überhaupt für unſre moderne Produktion.
Alles Verſtandesarbeit, in deren Dienſt oft ein bedeutendes
techniſches Können, eine vollkommene Herrſchaft über die
polyphone Form und das die Singſtimme immer mehr
erdrückende Orcheſter treten. Bei aller Hochachtung für
die Begabung eines Strauß muß man ſich doch immer
wieder fragen: wozu die Wagner’ſche Thematik, welche
ihrem Schöpfer zur einheitlichen Ausgeſtaltung des die
Verſchmelzung zweier Künſte bedeutenden Muſikdramas
nöthig erſchien, auch für reine Orcheſterwerke verwenden?
Die Leitmotive waren ſelbſt dem Meiſter von Bayreuth
anfangs vielleicht nur ein nothwendiges Uebel. Aber
für das Orcheſter, das ſozuſagen von Natur ein einheit-
liches Ganzes bildet, liegt nicht die geringſte Noth-
wendigkeit vor, die geſchloſſene Melodie Beethovens,
welche Emotionen am deutlichſten wiedergibt, ſym-
boliſchen Motiven zu opfern, bei denen ſich ein
Jeder denken kann was er will, weil die Muſik,
wie geſagt, Begriffe nicht auszudrücken vermag. Wie oft
habe ich beiſpielsweiſe an „Höllenmuſik“ denken müſſen,
wo der Komponiſt ganz andere Vorſtellungen erwecken
wollte. Die Muſik verdeutlicht kein Wort, keinen Bühnen-
vorgang, ſondern ſie verſtärkt deſſen Wirkung nur durch
die Erhöhung unſrer Emotion. Sobald man das Wort,
ſobald man den Bühnenvorgang beſeitigt, iſt die Muſik
ganz außer ſtande, uns ſelbſtändig eine Vorſtellung davon
zu geben. Das ſo iſt wahr, daß Strauß beiſpielsweiſe zum
[Spaltenumbruch] Verſtändniß ſeines an Einzelſchönheiten reichen „Helden-
lebens“ uns erſt einen gedruckten Kommentar geben muß,
gewiſſermaßen als Aequivalent für die lebendige Hand-
lung auf der Scene. Wenn dieſe nun ſchon mächtiger
wirkt als das Leſen eines Dramas, um wie viel mächtiger
erſt als eine trockene Analyſe!

Ein erneutes Hören von „Tod und Verklärung“ hat
bei mir den erſten Eindruck verſtärkt, daß es ſich hier bei
aller Vollendung der tonmaleriſchen Kunſt um etwas
krankhaftes handelt, das an Beaudelaire und Maurice
Rollinat erinnert, auf den der Anblick des Todes und
der Verweſung eine große Anziehungskraft ausübte und
der eines ſeiner an Vorſtellungen des Grauens über-
reichen Gedichte „Der langſame Todeskampf“ betitelte.
Dies ſchwelgende Ausmalen des Todeskampfes hat etwas
abſtoßendes und erinnert mich beiſpielsweiſe an ein in
der „Entartung“ Nordau’s überſetztes Gedicht Rollinats,
das „L’amante macabre“ betitelt iſt und ſo lautet: „Meine
geſpenftiſche Geliebte, vom Tode erreicht, ſpielte vor
mir, bläulich und viokett …, knochige Nacktheit, keuſch in
ihrer Magerkeit. Schönheit der ebenſo traurigen wie
heiß verliebten Schwindſüchtigen! … Neben ihr öffnete
ein Sarg gierig ſeinen langen Rachen und ſchien ſie zu
rufen.... Eines Abends erhängte ſie ſich bei mir am
Feuſterkarnies. Gräßlich.“



G. Eine neue Shakeſpeare-Ausgabe.

Die Künſtler
der „Vale Preß“ ſind der Anſicht, daß gegenwärtig noch keine
muſtergültige Ausgabe der Shakeſpeare-Dramen exiſtire. Dem-
gemäß wird, nach einem Bericht der „Academy“, die „Vale
Preß“ ihre eigene Shakeſpeare-Ausgabe aufertigen, gedruckt
mit einem neuen „Avon-Guß“ von Small Pica-Typen. Jedes
Drama wird in einem Halboktavband erſcheinen; für jede
Tragödie, Komödie und jedes geſchichtliche Drama ſind ver-
ſchiedenartige Entwürfe internationaler Buchornamentation
gefertigt worden. Demnach wird die Welt bald eine tadellos
gedruckte, dauerhafte Shakeſpeare-Ausgabe beſitzen. Aber
leider werden im ganzen nur 310 Exemplare von jedem
Drama gedruckt werden, von denen 100 für den Verkauf in
den Vereinigten Staaten und 187 für den in Großbritannien
beſtimmt ſind.

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&#x017F;ammenhängt. Eine Reihe auswärtiger Vereine verwandter<lb/>
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[Seite 2.[2]/0002] München, Samſtag Allgemeine Zeitung 31. März 1900. Nr. 88. Deutſches Reich.Preſſe über die auswärtige Politik des Reichs an- läßlich der jüngſten Flottendebatte in der Budgetkommiſſion des Reichstags aburtheilt. So verſichert der „Vorwärts“ im Tone des berufenen Richters über die Todten und die Lebenden, über die Leiter der auswärtigen Geſchäfte von Bismarck bis Bülow, ſie ſeien alleſammt jämmerliche Pfuſcher geweſen: „Alle Welt iſt nun glücklich unſer Feind. Das ſind die Erfolge der genialen Politik unſrer leitenden Staatsmänner.“ Den alſo Getadelten darf es im Grunde herzlich gleichgültig ſein, ob ihr Wirken und Amten von den Staatsmännern des „Vorwärts“ zum Gegenſtand einer Kritik gemacht wird, die ja im Grunde etwas ganz an- deres bezweckt, als eine Förderung der Wohlfahrt des Reiches. Inſofern könnte man über dieſe Dinge ruhig hinwegſehen. Indeſſen iſt es gerade im Hinblick auf die bevorſtehende Entſcheidung über die Flottenvorlage durch- aus nothwendig, daß der weiteren Verbreitung gewiſſer weniger harmloſer „Irrthümer“, wie ſie das genannte ſozialdemokratiſche Blatt in ſeine Betrachtungen hinein verwebt, rechtzeitig energiſch vorgebeugt wird. Der „Vor- wärts“ behauptet nämlich nichts mehr und nichts weniger, als daß die Regierung und die ihr naheſtehende Preſſe die Maſſen gegen England zu verſtimmen ſuchten, während gerade das Umgekehrte der Fall iſt. Die Regierung hat, wofür die November-Reiſe des Kaiſers nach England ein ſchlagender Beweis iſt, das freundſchaftliche Verhältniß zu England aufrecht zu erhalten ſich bemüht, und die mit dem Auswärtigen Amt rege Fühlung haltende „Köln. Ztg.“ iſt in demſelben Bemühen ſogar weit über das Ziel hinausgeſchoſſen. Umgekehrt haben die breiten Volks- maſſen, und zwar bis tief in die Gefolgſchaft Bebels und des „Vorwärts“ hinein, eine wachſende Erbitterung gegen England empfunden, einerſeits um der Un- gerechtigkeit des Buren-Krieges willen, andrerſeits um all der Beſchimpfungen willen, die die Engländer uns Deutſchen ſeit Jahren angethan haben. Wenn bei den nächſten Wahlen all die Arbeiter, die in dieſen Monaten gedacht oder geſagt haben: „Wenn wir doch den Eng- ländern eins auf die Jacke geben könnten!“ nicht mehr für die Sozialdemokratie ſtimmen wollten, ſo würde dieſe vielleicht nicht ein Viertel der Stimmenzahl von 1898 er- halten. Denn glücklicherweiſe laboriren die Wähler der ſozialdemokratiſchen Friedensengel noch nicht alle an dem nationalen Defekt, an dem die Mehrzahl ihrer Führer krankt, und glücklicherweiſe beſitzen ſie bis jetzt auch noch genug geſundes Empfinden, um durch die Ereigniſſe der letzten Jahre von jener Auffaſſung frei geworden zu ſein, der die ſozialiſtiſchen Theoretiker noch immer huldigen: daß nämlich England das Ideal eines Staatsweſens vor- ſtelle. Der „Vorwärts“ aber gehört zu den „Unentwegten“. Für ihn iſt die Nothwendigkeit, mit England Freundſchaft zu halten, „eine Forderung des europäiſchen Kultur- fortſchritts“ — mit England, das auf der Haager Friedens- konferenz jeder Milderung der Schrecken und Nöthe des Seekriegs entſchieden widerſprochen hat, das unter nichtigem Vorwand ein kleines Volk mit Gewalt zu unterjochen ſucht, das zwiſchen Plutokratie und Proletariat ſchärfere Gegenſätze aufweist als irgend ein anderes europäiſches Land, das, obwohl bei ihm der Konſtitutionalismus viel älter iſt als bei uns, den breiten Maſſen die politiſche Gleichberechtigung viel ſpäter gegeben hat, als wir es gethan! Der „Vorwärts“ mag ſich ſeinerſeits mit dieſen Widerſprüchen abfinden, wie er will. Aber es iſt, wie geſagt, nothwendig, der dreiſten Fälſchung entgegenzu- treten, als ob die tiefe Verſtimmung über Englands Ver- halten nicht aus dem innerſten Empfinden des deutſchen Volks heraus ſich entwickelt habe, ſondern nur infolge der Ungewandtheit unſrer Diplomatie. Dieſe Feſtſtellung iſt noch ganz beſonders nothwendig, um zu verhüten, daß das deutſche Volk, namentlich aber die deutſche Arbeiter- ſchaft im Ausland nach den Auslaſſungen des „Vorwärts“ und ſeiner Inſpiratoren beurtheilt wird. Die Geltung des neuen bürgerlichen Rechts in den Schutzgebieten. * In einem Artikel „Die Geltung des neuen bürger- lichen Rechts in den Schutzgebieten“ behandelt Dr. Rudolf A. Hermann, München, in Nr. 12 und 13 der „Deutſch. Kolonialzeitung“, des Organs der Deutſchen Kolonial- geſellſchaft, die wichtige Frage, ob, von welchem Zeitpunkte an und in welchem Umfange das Bürgerliche Geſetzbuch und die übrigen, das Zivilrecht regelnden Reichsgeſetze, welche mit ihm gleichzeitig am 1. Januar d. J. in Kraft getreten ſind, in den deutſchen Schutzgebieten gelten. Weder das Bürgerliche Geſetzbuch noch das dazu erlaſſene Einführungsgeſetz noch die anderen mit ihm in Kraft getretenen privatrechtlichen Geſetze enthalten eine Be- ſtimmung über ihr Geltungsgebiet. In den Kolonien, welche im Verhältniß zum Geltungsbereich der Reichsgeſetze als Ausland zu betrachten ſind, finden Reichsgeſetze nur dann Auwendung, wenn eine beſondere geſetzliche Vorſchrift dies ausfpricht. Nach § 2 des Geſetzes vom 15. März 1888 betreffend die Rechtsverhältniſſe der deutſchen Schutzgebiete ſind für das bürgerliche Recht in den Schutz- gebieten die Vorſchriften des Geſetzes über die Konſulargerichtsbar- keit vom 10. Juli 1879 maßgebend. Nach § 3 des letzteren gelten in Betreff des bürgerlichen Rechts in den Konſulargerichts- bezirken die Reichsgeſetze, das preußiſche allgemeine Landrecht und die das bürgerliche Recht betreffenden allgemeinen Geſetze derjenigen preußiſchen Landestheile, in welchen das allgemeine Landrecht Geſetzeskraft hat. Der Verfaſſer des Aufſatzes in der „Deutſchen Kolonialzeitung“ weist die Annahme, daß hier die in den Schutzgebieten anzuwendenden Vorſchriften des bürgerlichen Rechts abgeſchloſſen und unveränderlich nach Maßgabe des Zeitpunkts des Inkrafttretens des Geſetzes vom 10. Juli 1879 niedergelegt ſeien, als unhaltbar zurück und gelangt im Anſchluß an v. Stengel zu der Auffaſſung, daß der erwähnte § 3 eine ihrem Inhalt nach je nach dem Stand der Reichsgeſetzgebung veränderliche Regelung getroffen hat. Da das Bürgerliche Geſetzbuch dem Weſen nach keine andere Stellung einnimmt, als die bis zu dem Inkrafttreten des Geſetzes über die Konſulargerichtsbarkeit erlaſſenen bürgerlich- rechtlichen Reichsgeſetze, ſo hat es auch für die Schutz- gebiete Geltung. Das im Gebiet des preußiſchen allge- meinen Landrechts geltende bürgerliche Recht behält ſeine Kraft nur noch inſoweit, als ein Gegenſtand im Bürger- lichen Geſetzbuch nicht geregelt iſt. Die Frage nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen bürgerlich-rechtlichen Vorſchriften in den Schutz- gebieten erſcheint ebenfalls zweifelhaft. Nach § 47 des Kon- ſulargerichtsbarkeits-Geſetzes erlangen in den Schutzgebieten neue Geſetze, ſoweit nicht reichsgeſetzlich etwas anderes be- ſtimmt wird, nach Ablauf von vier Monaten von dem Tage an gerechnet, an welchem das betreffende Stück des Reichs- Geſetzblattes in Berlin ausgegeben worden iſt, verbindliche Kraft. Aus dem Umſtande, daß das Bürgerliche Geſetzbuch eine räumlich auf das Reichsgebiet einſchränkende Beſtimmung über ſein Geltungsbereich nicht enthält, folgert Dr. Hermann, daß der in Artikel I des Einführungsgeſetzes als Termin be- ſtimmte 1. Januar 1900 auch für die Schutzgebiete maß- gebend ſei. Die Anwendung des bürgerlichen Reichsrechts in den Kolonien wird durch zwei beſondere Beſtimmungen des Konſulargerichtsbarkeitsgeſetzes theils verändert, theils be- ſchränkt. Durch die Beſtimmung des § 3 Abſatz 2 des letzt- erwähnten Geſetzes erleidet der auch im neuen Handels- geſetzbuch vom 10. Mai 1897 ausgeſprochene Satz, daß gegenüber den Sätzen des Handelsgeſetzbuchs das Handels- gewohnheitsrecht nur eine ergänzende, ſubſidiäre Kraft hat, in den Schutzgebieten eine Umkehr dahin, daß in Handels- ſachen zunächſt das Handelsgewohnheitsrecht zur Anwendung kommt. Eine weſentliche Beſchränkung der Anwendbarkeit des neuen bürgerlichen Rechts enthält der § 3 Ziffer 2 des Geſetzes betreffend die Rechtsverhältniſſe der deutſchen Schutzgebiete, wonach durch kaiſerliche Verordnung eine von den nach § 2 des Geſetzes maßgebenden Vor- ſchriften abweichende Regelung der Rechtsverhältniſſe an un- beweglichen Sachen einſchließlich des Bergwerkseigenthums er- folgen kann. Solche kaiſerlichen Verordnungen ſind bisher für ſämmtliche Schutzgebiete einſchließlich Kian-tſchon bis auf die neuerworbenen Karolinen, Palan, Marianen und Samoa erfolgt. Danach haben alle Beſtimmungen des Bürger- lichen Geſetzbuches, welche das Grundeigenthum und die auf ſeine Benutzung bezüglichen Verhält- niſſe betreffen, insbeſondere im dritten Buche desſelben, ſowie die Grundbuchordnung vom 24. März 1897 in den Schutzgebieten keine Geltung. Für den Eigenthumserwerb und die dingliche Belaſtung von Grundſtücken ſind vielfach die im Geltungsbereich des preußi- ſchen Allgemeinen Landrechts geltenden Beſtimmungen, haupt- ſächlich das Geſetz vom 5. Mai 1872 über den Eigenthums- erwerb und die dingliche Belaſtung von Grundſtücken maß- gebend. Die betreffenden, überall mit größeren oder ge- ringeren Modifikationen durch kaiſerliche Anordnung einge- führten Beſtimmungen werden durch das Inkrafttreten des Bürgerlichen Geſetzbuchs nicht berührt. Für das Infelgebiet der Karolinen, Palau und Marianen iſt durch § 1 der Verordnung vom 18. Juli 1899 betreffend die Rechtsverhältniſſe dieſer Inſeln dahin Be- ſtimmung getroffen, daß auf ihnen das Konſulargerichtsbar- keitsgeſetz und damit alſo auch das Bürgerliche Geſetz- buch vom 1. Januar 1901 ab Gektung beſitzen ſoll. Einen einſchränkenden Vorbehalt bezüglich der dinglich-rechtlichen Beſtimmungen enthält dieſe Verordnung nicht. Für Samoa ſind einſchlägige Vorſchriften zur Zeit noch nicht erlaſſen worden. Der Seuchengeſetzentwurf. * Der Geſetzentwurf über die Bekämpfung gemeingefähr- licher Krankheiten, der auf der Tagesordnung der nächſten Sitzung des Reichstags nach den Ferien ſteht, iſt als Druckſache im Reichstag ausgegeben worden. Derſelbe behandelt den Stoff in fieben Abſchnitten, nämlich: 1. Anzeigepflicht, 2. Ermittlung der Krankheit, 3. Schutzmaßregeln, 4. Entſchädigungen, 5. Allge- meine Vorſchriften, 6. Strafbeſtimmungen, 7. Schlußbeſtimmungen. Im Entwurf ſind nur die für eine erfolgreiche Bekämpfung der Seuchen überhaupt in Betracht kommenden Maßnahmen aufge- führt und in Anlehnung an ſie den Behörden die nöthigen Voll- machten und Zwangsbefugniſſe beigelegt. Die Art, wie die grundſätzlichen Maßnahmen unter den verſchiedenen Lebens- und Verkehrsverhältniſſen zur Anwendung gelangen ſollen, iſt dagegen in der Hauptſache der Beſchlußfaſſung des Bundesraths vor- behalten, unter gewiſſen Vorausſetzungen auch, ſoweit es zweck- mäßig erſchien, dem Ermeſſen der Landesregierungen überlaſſen. Der Entwurf ſoll nur die äußerſten Grenzen bezeichnen, bis zu denen überhaupt amtlicherſeits gegen Ausbruch und Verbreitung der Seuchen vorgegangen werden darf. Konferenz für Auswanderungswirthſchaft. * Der Verein für deutſche Auswanderer-Wohl- fahrt veranſtaltet jährlich eine Konferenz über auswande- rungswirthſchaftliche Fragen und hat damit in den Kreiſen der Kolonialfreunde und überhaupt der Freunde kräftiger Entwicklung und Wahrung unſrer Ueberſee-Intereſſen raſch wachſenden Anklang gefunden. Die diesjährige Konferenz findet am 12. und 13. Mai zu Hannover ſtatt; nach der jetzt veröffentlichten Tagesordnung ſtehen folgende Fragen zur Be- ſprechung: Erfahrungen mit dem neuen Auswanderungsgeſetz; Ausſichten für deutſche Auswanderer in unſern Kolonien; Er- haltung des Deutſchthums in fremden Kolonien und Staaten; organiſirte Auswanderung im Dienſte der Waiſen- und Armenfürforge; das Auskunftsweſen für Auswanderer. Den Schwerpunkt der Beſprechungen wird letztgenannte Frage bilden. Der Verein tritt ſeit Jahren für Organiſation eines fachmänniſchen (alſo nicht bureankratiſchen) ſtaatlichen Aus- kunftsdienſtes im Auswärtigen Amte ein und erblickt in ſolcher Organiſation die Grundlage der nationalen Auswanderungs- politik. Dementſprechend hat der Verein eine dahin zielende Eingabe an die Regierung gerichtet, die jedoch eine Antwort noch nicht gefunden hat. Dieſe Frage iſt um ſo dringender, als ihre fachmänniſche Erledigung zugleich mit der Frage einer Linderung der landwirthſchaftlichen Leutenoth eng zu- ſammenhängt. Eine Reihe auswärtiger Vereine verwandter Beſtrebung wird auf der hannoveriſchen Konferenz diesmal durch Delegirte vertreten ſein. Kleine Nachrichten. * Die erſte Sitzung des Deutſchen Forſtwirth- ſchaftsraths wurde am 27. d. M. vormittags im Reichs- tagsgebände zu Berlin durch den Vorſitzenden des Deutſchen Forſtvereins, Landforſtmeiſter Dr. Danckelmann, Ebers- walde, eröffnet. Die Berathungen werden vorausſichtlich drei Tage in Anſpruch nehmen. Der Vorſitzende gab einen Ueber- blick über die Entwicklung des Deutſchen Forſtvereins ſeit ſeiner Gründung am 22. Auguſt 1899. Der Verein zählt gegenwärtig 1465 Mitglieder, die eine Waldfläche von mehr als fünf Millionen Hektar vertreten, ſo daß ſchon mehr als ein Drittel der Waldfläche des Deutſchen Reichs im Verein vertreten iſt. Unter den Mitgliedern befinden ſich die meiſten deutſchen Staats-Forſtverwaltungen. — Dem Vernehmen nach haben die Militärverwaltungen die Verträge, die ſie mit der Verſuchsanſtalt für Leder in duſtrie zu Freiberg i. S. zur Ausbildung der Offiziere der Be- kleidungsämter für eine beſſere Kenntniß des Leders, ſowie pretirt. Auch von der Königlichen Kapelle wurden die bedeutenden techniſchen Schwierigkeiten der „Phantaſti- ſchen Symphonie“, deren erſter Satz weitaus der be- deutendſte iſt, mit ſpielender Leichtigkeit überwunden. Das neunte Philharmoniſche Konzert brachte die wenig gehörte Hamlet-Ouvertüre Tſchaikowsky’s, deren Wahl ſich nur dadurch erklärt, daß ſie zu der heute ſo beliebten Programm-Muſik gehört. Der ruſſiſche Meiſter beſitzt aber ſo viel Einbildungs- und Geſtaltungskraft, daß er zu dieſem Auskunftsmittel nur mit tonmaleriſcher Begabung ausgeſtatteter Talente gar nicht zu greifen braucht. Zwar pinſelt er ſein Seelengemälde nicht in dem Maße aus wie es der Zeitgeſchmack verlangt, aber doch zu viel, um eine ſo intenſive Wirkung ausüben zu können wie mit ſeinen muſikaliſchen Kompoſitionen. Andrerſeits erweckt nur der Titel die Vorſtellung des grübleriſchen Dänenprinzen, und zwar aus dem ſehr ein- fachen Grunde, weil die Muſik, abgeſehen von einigen nachahmbaren Naturerſcheinungen, wie der Donner, über- haupt nur Emotionen verſinnlichen kann. Sie iſt allen- falls grübleriſch, aber wie ſoll ſie es dem Hörer verſtänd- lich machen, daß ſie einen Grübler malt und gar, wer der Grübler iſt, der dem Komponiſten vorſchwebt? Zu ähnlichen Betrachtungen gab mir auch ein Kon- zert in der Philharmonie Anlaß, das unter Mitwirkung des Philharmoniſchen Orcheſters, des verſtärkten Chors des Stern’ſchen Konſervatoriums und einigen Soliſten, zwiſchen „Tod und Verklärung“ und „Ein Heldenleben“ von Richard Strauß den erſten Akt von Hans Pfitzners „Roſe vom Liebesgarten“, Dichtung von James Grun, zu Gehör brachte. „Mit den Vögeln möchten wir fahren und reiten, Mit deinem Liede nun zieh’n und gleiten“ ſpricht der Sangsmeiſter zur Sternen-Jungfrau mit dem Sonnenkinde. So unſinnig dieſer Vers, ſo unſinnig die Dichtung, deren unverſtändliche, offenbar durch den „Parſifal“ beeinflußte Symbolik mich an die böſe Zeit ge- mahnt, wo die Symboliſten in Paris die Bewunderung des Snobs erregten und man Octave Mirbeau’s Ent- deckung des helgiſchen „Shakeſpeare“ Maeterlinck ernſt nahm. Das Gebackene vom Leichenſchmaus des franzöſiſch- belgiſchen Symbolismus gibt nun kalte Hochzeitsſchüſſeln für Deutſchlands dichtende und komponirende Jugend. Der noch ſehr jugendliche und auch ſehr begabte Herr Pfitzner möchte offenbar auch ein Shakeſpeare — der Muſik werden und wenn es ſo weiter geht, wird Krupp bald ſeine ſchwerſten Inſtrumente hergeben müſſen, um das Orcheſter zu verſtärken. Die Orcheſterfarben ſind ſo reklamehaft grell, die Suche nach abſonderlichen Wen- dungen — ähnlich der berüchtigten Suche der franzöſiſchen Symboliſten nach „ſeltenen und köſtlichen Beiwörtern“ — iſt ſo auffällig, daß das Ganze nur verblüffend, manchmal ſogar lächerlich wirkt. Nichts, was vom Herzen kommt und zum Herzen ſpricht. Das gilt leider, von Ausnahmen abgeſehen, überhaupt für unſre moderne Produktion. Alles Verſtandesarbeit, in deren Dienſt oft ein bedeutendes techniſches Können, eine vollkommene Herrſchaft über die polyphone Form und das die Singſtimme immer mehr erdrückende Orcheſter treten. Bei aller Hochachtung für die Begabung eines Strauß muß man ſich doch immer wieder fragen: wozu die Wagner’ſche Thematik, welche ihrem Schöpfer zur einheitlichen Ausgeſtaltung des die Verſchmelzung zweier Künſte bedeutenden Muſikdramas nöthig erſchien, auch für reine Orcheſterwerke verwenden? Die Leitmotive waren ſelbſt dem Meiſter von Bayreuth anfangs vielleicht nur ein nothwendiges Uebel. Aber für das Orcheſter, das ſozuſagen von Natur ein einheit- liches Ganzes bildet, liegt nicht die geringſte Noth- wendigkeit vor, die geſchloſſene Melodie Beethovens, welche Emotionen am deutlichſten wiedergibt, ſym- boliſchen Motiven zu opfern, bei denen ſich ein Jeder denken kann was er will, weil die Muſik, wie geſagt, Begriffe nicht auszudrücken vermag. Wie oft habe ich beiſpielsweiſe an „Höllenmuſik“ denken müſſen, wo der Komponiſt ganz andere Vorſtellungen erwecken wollte. Die Muſik verdeutlicht kein Wort, keinen Bühnen- vorgang, ſondern ſie verſtärkt deſſen Wirkung nur durch die Erhöhung unſrer Emotion. Sobald man das Wort, ſobald man den Bühnenvorgang beſeitigt, iſt die Muſik ganz außer ſtande, uns ſelbſtändig eine Vorſtellung davon zu geben. Das ſo iſt wahr, daß Strauß beiſpielsweiſe zum Verſtändniß ſeines an Einzelſchönheiten reichen „Helden- lebens“ uns erſt einen gedruckten Kommentar geben muß, gewiſſermaßen als Aequivalent für die lebendige Hand- lung auf der Scene. Wenn dieſe nun ſchon mächtiger wirkt als das Leſen eines Dramas, um wie viel mächtiger erſt als eine trockene Analyſe! Ein erneutes Hören von „Tod und Verklärung“ hat bei mir den erſten Eindruck verſtärkt, daß es ſich hier bei aller Vollendung der tonmaleriſchen Kunſt um etwas krankhaftes handelt, das an Beaudelaire und Maurice Rollinat erinnert, auf den der Anblick des Todes und der Verweſung eine große Anziehungskraft ausübte und der eines ſeiner an Vorſtellungen des Grauens über- reichen Gedichte „Der langſame Todeskampf“ betitelte. Dies ſchwelgende Ausmalen des Todeskampfes hat etwas abſtoßendes und erinnert mich beiſpielsweiſe an ein in der „Entartung“ Nordau’s überſetztes Gedicht Rollinats, das „L’amante macabre“ betitelt iſt und ſo lautet: „Meine geſpenftiſche Geliebte, vom Tode erreicht, ſpielte vor mir, bläulich und viokett …, knochige Nacktheit, keuſch in ihrer Magerkeit. Schönheit der ebenſo traurigen wie heiß verliebten Schwindſüchtigen! … Neben ihr öffnete ein Sarg gierig ſeinen langen Rachen und ſchien ſie zu rufen.... Eines Abends erhängte ſie ſich bei mir am Feuſterkarnies. Gräßlich.“ G. Eine neue Shakeſpeare-Ausgabe.Die Künſtler der „Vale Preß“ ſind der Anſicht, daß gegenwärtig noch keine muſtergültige Ausgabe der Shakeſpeare-Dramen exiſtire. Dem- gemäß wird, nach einem Bericht der „Academy“, die „Vale Preß“ ihre eigene Shakeſpeare-Ausgabe aufertigen, gedruckt mit einem neuen „Avon-Guß“ von Small Pica-Typen. Jedes Drama wird in einem Halboktavband erſcheinen; für jede Tragödie, Komödie und jedes geſchichtliche Drama ſind ver- ſchiedenartige Entwürfe internationaler Buchornamentation gefertigt worden. Demnach wird die Welt bald eine tadellos gedruckte, dauerhafte Shakeſpeare-Ausgabe beſitzen. Aber leider werden im ganzen nur 310 Exemplare von jedem Drama gedruckt werden, von denen 100 für den Verkauf in den Vereinigten Staaten und 187 für den in Großbritannien beſtimmt ſind.

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 88, 31. März 1900, S. Seite 2.[2]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine88_1900/2>, abgerufen am 21.11.2024.