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Allgemeine Zeitung, Nr. 45, 7. November 1914.

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Allgemeine Zeitung 7. November 1914.
[Spaltenumbruch]

Hierzu schreibt die Frankfurter Zeitung: Die Japaner kün-
digten bereits vor längerer Zeit an, daß sie am Namenstage des
Mikado, am 31. Oktober, dem Herrscher als Ehrengeschenk die
eroberte Festung Tsingtau darbieten wollten. Dieser Wunsch war
wohl auch der leitende Gedanke bei der Herausgabe des vorliegen-
den Telegramms, das Havas zu verbreiten sich natürlich eilfertig
bemühte; doch ist es offenbar unrichtig.

Amtlich wird bekanntgegeben, daß ein indisches Truppen-
kontingent
sich mit den englischen und japanischen Streit-
kräften vor Tsingtau vereinigt hat.

Das Wolffsche Bureau läßt sich unterm 3. November aus
London melden:

Der "Daily Telegraph" meldet aus Peking vom 30. Okto-
ber: Chinesische Pressemeldungen aus Schantung berichten,
daß das deutsche Artilleriefeuer planmäßig alle vorgeschobenen
japanischen Verschanzungen vernichtet hat und damit jeden Angriff
auf unbestimmte Zeit hinausschiebt. Das gesamte Glacis hinter
Tsingtau ist mit Minen übersät, die elektrisch geleitet werden.

Leider hat auch unsere Marine wieder einen Verlust zu be-
klagen. Das Wolffsche Bureau verbreitet unter dem 4. November
nachstehende lakonische Meldung des stellvertretenden Chefs des
Generalstabs Behncke:

S. M. großer Kreuzer "York" ist am 4. November vormittags
in der Jade auf eine Hafen-Minensperre geraten und gesunken.
Nach bisherigen Angaben sind 382 Mann, d. i. mehr als die Hälfte
der Besatzung, gerettet. Die Rettungsarbeiten wurden durch den
dicken Nebel erschwert.
Die letzten Nachrichten.
Vom westlichen Kriegsschauplatz.

5. November:

Gestern unternahmen Belgier, unterstützt von Engländern und
Franzosen, einen heftigen Ausfall über Nieuport zwischen
dem Meere und dem Ueberschwemmungsgebiet. Sie wurden
mühelos abgewiesen. -- Bei Ypern und südwestlich Lille so-
wie südlich Berry-au Bac, in den Argonnen und in den
Vogesen schritten unsere Angriffe vorwärts.

England.

5. November:

Die "Deutsche Tageszeitung" meldet aus Genf: Der neue
Admiral der englischen Flotte, Lord Fisher, erließ an seine
Untergebenen drei Befehle als Richtschnur ihres Handelns. Seine
Leitsätze sind folgende: "Aeußerste Kraftanstrengung und brutalste
Energie sind Grundbedingungen jedes Krieges. Mäßigung und
menschliche Rücksichtnahme ist unverzeihliche Dummheit und
Schwäche. Schlagt endlich los, schlagt als erste los und schlagt
auf das kräftigste überall los!"

Dieser Tagesbefehl ist sehr charakteristisch, nicht nur für den
Verfasser, sondern auch für den englischen Charakter. Selbst in
einer geschlagenen deutschen Marine wäre er einfach unmöglich.
Es muß also schon schlimm stehen um die öffentliche Meinung in
England über die bisherigen Leistungen der englischen Flotte,
wenn so rohe Mittel zur Hebung des Vertrauens nötig sind.

Ueber den Ton in der Presse

finden wir in dem angesehenen österreichischen Militärblatt
"Danzers Armeezeitung" u. a. nachstehende Betrachtung, die gewiß
der Beachtung würdig ist:

"In welchem Tone wird von der serbischen
Armee gesprochen
! Schon seit Wochen sind die Serben
demoralisiert, die serbische Artillerie meutert, Serbien hat keine
Nahrungsmittel und keine Munition, serbische Mannschaften schätzen
sich glücklich, wenn sie in unsere Gefangenschaft fallen, im Innern
herrscht Revolution. Und während unsere Blätter also phanta-
sieren, stehen soundsoviele Korps Tag und Nacht in heißem Kampf
den serbischen Linien gegenüber, ringen wir heldenmütig mit
einem Gegner, der an Schneid und unerbittlicher Energie kaum
zu überbieten ist, fließen Ströme von edelstem Blut um jeden
Fußbreit Landes. Aehnlich ist der Ton, in dem von den Belgiern
[Spaltenumbruch] gesprochen wird. Die Belgier sind überhaupt nur Freibeuter,
und weil sie ihre Neutralität nicht preisgeben wollten oder aber
weil sie sich aus politischen Gründen auf die Seite der Franzosen
und Engländer geschlagen hatten, sind sie Schurken. Man kann
aber niemand zur Liebe zwingen, und es ist das gute Recht der
Belgier gewesen, sich ebensogut nach rechts wie nach links zu
schlagen. Als Soldaten aber müssen wir anerkennen, daß sich die
Belgier trotz dem notorisch unmilitärischen Charakter des Landes
verhältnismäßig sehr gut geschlagen haben. Wir müssen sie sogar
rühmen, daß sie ihren Pflichten gegenüber Frankreich und Eng-
land noch in einem Augenblick treu blieben, da sie die eigene Sache
bereits unweigerlich als verloren erkennen mußten.

Nicht minder widerwärtig ist der Ton, den unsere Presse
gegenüber den Russen anschlägt. Die "moskowitischen Horden"
sind in Wirklichkeit Armeen braver, tüchtiger Soldaten, die der
Ueberzeugung sind, daß die Sache des Zars heilig und gerecht sei.
Wir natürlich sind der Ueberzeugung, daß die Sache des Zars
weder gerecht noch heilig ist und wir tragen heute unsere Haut
im Dienste dieser Ueberzeugung zu Markte. Wir beschimpfen des-
wegen aber nicht die uns gegenüberstehenden gewaltigen Heere,
wir gestehen sogar, daß diese Armeen gut geführt, trefflich aus-
gerüstet, vorzüglich bewaffnet sind; wir merken gar nichts von
den angeblichen Diebstählen der Generäle. Im einzelnen wurde
das Rote Kreuz mißachtet; man hört von gelegentlichen Plün-
derungen -- in der Mehrheit aber haben wir einen ehrlichen und
ritterlichen Gegner vor uns."


Der Orient in Flammen.

Bis zur Stunde, da dieses geschrieben wird, liegen zwar Kriegs-
erklärungen zwischen der Türkei und den Mächten des Ententerings
nicht vor. Aber die allseitige Räumung der Botschaften der be-
teiligten Regierungen und der Beginn der Seekämpfe sowohl im
Schwarzen Meer wie im Mittelmeer lassen es nicht zweifelhaft er-
scheinen, daß der Tag der großen Entscheidung gekommen ist: da
der "Weltkrieg", der bislang in Wirklichkeit doch nur ein Ringen
der europäischen Völker war, im eigentlichen Sinne des Wortes zu
einem Zusammenprall aller Mächte der Erde mit einziger vor-
läufiger Ausnahme der Nationen der Neuen Welt wird, da in den
blutigen Strom der Kämpfe des Westens die gewaltige Flut der
militärischen, politischen und moralischen Kräfte des Orients sich
ergießt, um eine Brandung von unabsehbarer Krisen- und Kata-
strophenstärke zu erzeugen, da all' die verwickelten Probleme des
Ostens, die seit Jahrhunderten eine drückende Sorgenlast Europas
gewesen sind und für die auch die letzte greuelvolle Balkantragödie
nur eine Scheinlösung hat finden können, vor das Weltgericht in
letzter urteilkündenden Instanz gebracht werden. Es hat nicht nur
ein neuer Abschnitt im Krieg des Dreiverbands und seiner Schild-
genossen gegen die deutschen Mächte begonnen, es bahnt sich viel-
mehr eine säkulare politische Götterdämmerung an, welche die Schick-
sale aller europäischen und asiatischen Länder und Völker zusam-
menschweißt und das Nahen einer neuen Zeit der Weltgeschichte
mit durchaus veränderten Machtgesetzen ankündet.

Die Ententepresse tischt ihren Lesern die Mär auf, die Hohe
Pforte handle, indem sie Rußland den Fehdehandschuh hingeworfen,
als Werkzeug Deutschlands und bezeuge durch diese ihren Unter-
gang besiegelnde Vermessenheit und Torheit, daß sie alle politische
Selbständigkeit dank ihrer Verbrüderung mit Berlin verloren habe.
Auch das ist nur ein neuer Aufguß auf den Trichter der vielen
Geschichtsklitterungen und -fälschungen, durch welche man in Lon-
don, Paris, Petersburg das wahre Wesen des kriegerischen Ant-
litzes der Gegenwart zu verdunkeln sucht. Wohl hat Habsburg
als deutsche Vormacht seit der Schlacht von Mohacz Jahrhunderte
lang dem Andrang des Osmanentums heldenmütigen und nach
wechselnden Erfolgen schließlich durchschlagenden Widerstand ge-
leistet, indessen nur so lange, als die Türken in ihrem damaligen
Eroberungsdrang und als Triariertruppe des Islam die christliche
Kultur in Europa gefährdeten. Dann aber, als diese Drohung
abgewendet war, verstand es Rußland, die Früchte des deutschen
Heldenkampfes für sich einzuheimsen und bediente sich dazu eines
doppelten Mittels: des verlogenen Schlagworts von der geschicht-
lichen Sendung, die das zarische Reich als Beschützer und Befreier
der südslawischen Völker auf dem Balkan zu erfüllen habe, und des
Systems, die im Schutz des Halbmonds lebenden christlichen Völker
im Namen der moskowitischen Zäsaropapie gegen Konstantinopel

Allgemeine Zeitung 7. November 1914.
[Spaltenumbruch]

Hierzu ſchreibt die Frankfurter Zeitung: Die Japaner kün-
digten bereits vor längerer Zeit an, daß ſie am Namenstage des
Mikado, am 31. Oktober, dem Herrſcher als Ehrengeſchenk die
eroberte Feſtung Tſingtau darbieten wollten. Dieſer Wunſch war
wohl auch der leitende Gedanke bei der Herausgabe des vorliegen-
den Telegramms, das Havas zu verbreiten ſich natürlich eilfertig
bemühte; doch iſt es offenbar unrichtig.

Amtlich wird bekanntgegeben, daß ein indiſches Truppen-
kontingent
ſich mit den engliſchen und japaniſchen Streit-
kräften vor Tſingtau vereinigt hat.

Das Wolffſche Bureau läßt ſich unterm 3. November aus
London melden:

Der „Daily Telegraph“ meldet aus Peking vom 30. Okto-
ber: Chineſiſche Preſſemeldungen aus Schantung berichten,
daß das deutſche Artilleriefeuer planmäßig alle vorgeſchobenen
japaniſchen Verſchanzungen vernichtet hat und damit jeden Angriff
auf unbeſtimmte Zeit hinausſchiebt. Das geſamte Glacis hinter
Tſingtau iſt mit Minen überſät, die elektriſch geleitet werden.

Leider hat auch unſere Marine wieder einen Verluſt zu be-
klagen. Das Wolffſche Bureau verbreitet unter dem 4. November
nachſtehende lakoniſche Meldung des ſtellvertretenden Chefs des
Generalſtabs Behncke:

S. M. großer Kreuzer „York“ iſt am 4. November vormittags
in der Jade auf eine Hafen-Minenſperre geraten und geſunken.
Nach bisherigen Angaben ſind 382 Mann, d. i. mehr als die Hälfte
der Beſatzung, gerettet. Die Rettungsarbeiten wurden durch den
dicken Nebel erſchwert.
Die letzten Nachrichten.
Vom weſtlichen Kriegsſchauplatz.

5. November:

Geſtern unternahmen Belgier, unterſtützt von Engländern und
Franzoſen, einen heftigen Ausfall über Nieuport zwiſchen
dem Meere und dem Ueberſchwemmungsgebiet. Sie wurden
mühelos abgewieſen. — Bei Ypern und ſüdweſtlich Lille ſo-
wie ſüdlich Berry-au Bac, in den Argonnen und in den
Vogeſen ſchritten unſere Angriffe vorwärts.

England.

5. November:

Die „Deutſche Tageszeitung“ meldet aus Genf: Der neue
Admiral der engliſchen Flotte, Lord Fiſher, erließ an ſeine
Untergebenen drei Befehle als Richtſchnur ihres Handelns. Seine
Leitſätze ſind folgende: „Aeußerſte Kraftanſtrengung und brutalſte
Energie ſind Grundbedingungen jedes Krieges. Mäßigung und
menſchliche Rückſichtnahme iſt unverzeihliche Dummheit und
Schwäche. Schlagt endlich los, ſchlagt als erſte los und ſchlagt
auf das kräftigſte überall los!“

Dieſer Tagesbefehl iſt ſehr charakteriſtiſch, nicht nur für den
Verfaſſer, ſondern auch für den engliſchen Charakter. Selbſt in
einer geſchlagenen deutſchen Marine wäre er einfach unmöglich.
Es muß alſo ſchon ſchlimm ſtehen um die öffentliche Meinung in
England über die bisherigen Leiſtungen der engliſchen Flotte,
wenn ſo rohe Mittel zur Hebung des Vertrauens nötig ſind.

Ueber den Ton in der Preſſe

finden wir in dem angeſehenen öſterreichiſchen Militärblatt
„Danzers Armeezeitung“ u. a. nachſtehende Betrachtung, die gewiß
der Beachtung würdig iſt:

In welchem Tone wird von der ſerbiſchen
Armee geſprochen
! Schon ſeit Wochen ſind die Serben
demoraliſiert, die ſerbiſche Artillerie meutert, Serbien hat keine
Nahrungsmittel und keine Munition, ſerbiſche Mannſchaften ſchätzen
ſich glücklich, wenn ſie in unſere Gefangenſchaft fallen, im Innern
herrſcht Revolution. Und während unſere Blätter alſo phanta-
ſieren, ſtehen ſoundſoviele Korps Tag und Nacht in heißem Kampf
den ſerbiſchen Linien gegenüber, ringen wir heldenmütig mit
einem Gegner, der an Schneid und unerbittlicher Energie kaum
zu überbieten iſt, fließen Ströme von edelſtem Blut um jeden
Fußbreit Landes. Aehnlich iſt der Ton, in dem von den Belgiern
[Spaltenumbruch] geſprochen wird. Die Belgier ſind überhaupt nur Freibeuter,
und weil ſie ihre Neutralität nicht preisgeben wollten oder aber
weil ſie ſich aus politiſchen Gründen auf die Seite der Franzoſen
und Engländer geſchlagen hatten, ſind ſie Schurken. Man kann
aber niemand zur Liebe zwingen, und es iſt das gute Recht der
Belgier geweſen, ſich ebenſogut nach rechts wie nach links zu
ſchlagen. Als Soldaten aber müſſen wir anerkennen, daß ſich die
Belgier trotz dem notoriſch unmilitäriſchen Charakter des Landes
verhältnismäßig ſehr gut geſchlagen haben. Wir müſſen ſie ſogar
rühmen, daß ſie ihren Pflichten gegenüber Frankreich und Eng-
land noch in einem Augenblick treu blieben, da ſie die eigene Sache
bereits unweigerlich als verloren erkennen mußten.

Nicht minder widerwärtig iſt der Ton, den unſere Preſſe
gegenüber den Ruſſen anſchlägt. Die „moskowitiſchen Horden“
ſind in Wirklichkeit Armeen braver, tüchtiger Soldaten, die der
Ueberzeugung ſind, daß die Sache des Zars heilig und gerecht ſei.
Wir natürlich ſind der Ueberzeugung, daß die Sache des Zars
weder gerecht noch heilig iſt und wir tragen heute unſere Haut
im Dienſte dieſer Ueberzeugung zu Markte. Wir beſchimpfen des-
wegen aber nicht die uns gegenüberſtehenden gewaltigen Heere,
wir geſtehen ſogar, daß dieſe Armeen gut geführt, trefflich aus-
gerüſtet, vorzüglich bewaffnet ſind; wir merken gar nichts von
den angeblichen Diebſtählen der Generäle. Im einzelnen wurde
das Rote Kreuz mißachtet; man hört von gelegentlichen Plün-
derungen — in der Mehrheit aber haben wir einen ehrlichen und
ritterlichen Gegner vor uns.“


Der Orient in Flammen.

Bis zur Stunde, da dieſes geſchrieben wird, liegen zwar Kriegs-
erklärungen zwiſchen der Türkei und den Mächten des Ententerings
nicht vor. Aber die allſeitige Räumung der Botſchaften der be-
teiligten Regierungen und der Beginn der Seekämpfe ſowohl im
Schwarzen Meer wie im Mittelmeer laſſen es nicht zweifelhaft er-
ſcheinen, daß der Tag der großen Entſcheidung gekommen iſt: da
der „Weltkrieg“, der bislang in Wirklichkeit doch nur ein Ringen
der europäiſchen Völker war, im eigentlichen Sinne des Wortes zu
einem Zuſammenprall aller Mächte der Erde mit einziger vor-
läufiger Ausnahme der Nationen der Neuen Welt wird, da in den
blutigen Strom der Kämpfe des Weſtens die gewaltige Flut der
militäriſchen, politiſchen und moraliſchen Kräfte des Orients ſich
ergießt, um eine Brandung von unabſehbarer Kriſen- und Kata-
ſtrophenſtärke zu erzeugen, da all’ die verwickelten Probleme des
Oſtens, die ſeit Jahrhunderten eine drückende Sorgenlaſt Europas
geweſen ſind und für die auch die letzte greuelvolle Balkantragödie
nur eine Scheinlöſung hat finden können, vor das Weltgericht in
letzter urteilkündenden Inſtanz gebracht werden. Es hat nicht nur
ein neuer Abſchnitt im Krieg des Dreiverbands und ſeiner Schild-
genoſſen gegen die deutſchen Mächte begonnen, es bahnt ſich viel-
mehr eine ſäkulare politiſche Götterdämmerung an, welche die Schick-
ſale aller europäiſchen und aſiatiſchen Länder und Völker zuſam-
menſchweißt und das Nahen einer neuen Zeit der Weltgeſchichte
mit durchaus veränderten Machtgeſetzen ankündet.

Die Ententepreſſe tiſcht ihren Leſern die Mär auf, die Hohe
Pforte handle, indem ſie Rußland den Fehdehandſchuh hingeworfen,
als Werkzeug Deutſchlands und bezeuge durch dieſe ihren Unter-
gang beſiegelnde Vermeſſenheit und Torheit, daß ſie alle politiſche
Selbſtändigkeit dank ihrer Verbrüderung mit Berlin verloren habe.
Auch das iſt nur ein neuer Aufguß auf den Trichter der vielen
Geſchichtsklitterungen und -fälſchungen, durch welche man in Lon-
don, Paris, Petersburg das wahre Weſen des kriegeriſchen Ant-
litzes der Gegenwart zu verdunkeln ſucht. Wohl hat Habsburg
als deutſche Vormacht ſeit der Schlacht von Mohacz Jahrhunderte
lang dem Andrang des Osmanentums heldenmütigen und nach
wechſelnden Erfolgen ſchließlich durchſchlagenden Widerſtand ge-
leiſtet, indeſſen nur ſo lange, als die Türken in ihrem damaligen
Eroberungsdrang und als Triariertruppe des Islam die chriſtliche
Kultur in Europa gefährdeten. Dann aber, als dieſe Drohung
abgewendet war, verſtand es Rußland, die Früchte des deutſchen
Heldenkampfes für ſich einzuheimſen und bediente ſich dazu eines
doppelten Mittels: des verlogenen Schlagworts von der geſchicht-
lichen Sendung, die das zariſche Reich als Beſchützer und Befreier
der ſüdſlawiſchen Völker auf dem Balkan zu erfüllen habe, und des
Syſtems, die im Schutz des Halbmonds lebenden chriſtlichen Völker
im Namen der moskowitiſchen Zäſaropapie gegen Konſtantinopel

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[650/0006] Allgemeine Zeitung 7. November 1914. Hierzu ſchreibt die Frankfurter Zeitung: Die Japaner kün- digten bereits vor längerer Zeit an, daß ſie am Namenstage des Mikado, am 31. Oktober, dem Herrſcher als Ehrengeſchenk die eroberte Feſtung Tſingtau darbieten wollten. Dieſer Wunſch war wohl auch der leitende Gedanke bei der Herausgabe des vorliegen- den Telegramms, das Havas zu verbreiten ſich natürlich eilfertig bemühte; doch iſt es offenbar unrichtig. Amtlich wird bekanntgegeben, daß ein indiſches Truppen- kontingent ſich mit den engliſchen und japaniſchen Streit- kräften vor Tſingtau vereinigt hat. Das Wolffſche Bureau läßt ſich unterm 3. November aus London melden: Der „Daily Telegraph“ meldet aus Peking vom 30. Okto- ber: Chineſiſche Preſſemeldungen aus Schantung berichten, daß das deutſche Artilleriefeuer planmäßig alle vorgeſchobenen japaniſchen Verſchanzungen vernichtet hat und damit jeden Angriff auf unbeſtimmte Zeit hinausſchiebt. Das geſamte Glacis hinter Tſingtau iſt mit Minen überſät, die elektriſch geleitet werden. Leider hat auch unſere Marine wieder einen Verluſt zu be- klagen. Das Wolffſche Bureau verbreitet unter dem 4. November nachſtehende lakoniſche Meldung des ſtellvertretenden Chefs des Generalſtabs Behncke: S. M. großer Kreuzer „York“ iſt am 4. November vormittags in der Jade auf eine Hafen-Minenſperre geraten und geſunken. Nach bisherigen Angaben ſind 382 Mann, d. i. mehr als die Hälfte der Beſatzung, gerettet. Die Rettungsarbeiten wurden durch den dicken Nebel erſchwert. Die letzten Nachrichten. Vom weſtlichen Kriegsſchauplatz. 5. November: Geſtern unternahmen Belgier, unterſtützt von Engländern und Franzoſen, einen heftigen Ausfall über Nieuport zwiſchen dem Meere und dem Ueberſchwemmungsgebiet. Sie wurden mühelos abgewieſen. — Bei Ypern und ſüdweſtlich Lille ſo- wie ſüdlich Berry-au Bac, in den Argonnen und in den Vogeſen ſchritten unſere Angriffe vorwärts. England. 5. November: Die „Deutſche Tageszeitung“ meldet aus Genf: Der neue Admiral der engliſchen Flotte, Lord Fiſher, erließ an ſeine Untergebenen drei Befehle als Richtſchnur ihres Handelns. Seine Leitſätze ſind folgende: „Aeußerſte Kraftanſtrengung und brutalſte Energie ſind Grundbedingungen jedes Krieges. Mäßigung und menſchliche Rückſichtnahme iſt unverzeihliche Dummheit und Schwäche. Schlagt endlich los, ſchlagt als erſte los und ſchlagt auf das kräftigſte überall los!“ Dieſer Tagesbefehl iſt ſehr charakteriſtiſch, nicht nur für den Verfaſſer, ſondern auch für den engliſchen Charakter. Selbſt in einer geſchlagenen deutſchen Marine wäre er einfach unmöglich. Es muß alſo ſchon ſchlimm ſtehen um die öffentliche Meinung in England über die bisherigen Leiſtungen der engliſchen Flotte, wenn ſo rohe Mittel zur Hebung des Vertrauens nötig ſind. Ueber den Ton in der Preſſe finden wir in dem angeſehenen öſterreichiſchen Militärblatt „Danzers Armeezeitung“ u. a. nachſtehende Betrachtung, die gewiß der Beachtung würdig iſt: „In welchem Tone wird von der ſerbiſchen Armee geſprochen! Schon ſeit Wochen ſind die Serben demoraliſiert, die ſerbiſche Artillerie meutert, Serbien hat keine Nahrungsmittel und keine Munition, ſerbiſche Mannſchaften ſchätzen ſich glücklich, wenn ſie in unſere Gefangenſchaft fallen, im Innern herrſcht Revolution. Und während unſere Blätter alſo phanta- ſieren, ſtehen ſoundſoviele Korps Tag und Nacht in heißem Kampf den ſerbiſchen Linien gegenüber, ringen wir heldenmütig mit einem Gegner, der an Schneid und unerbittlicher Energie kaum zu überbieten iſt, fließen Ströme von edelſtem Blut um jeden Fußbreit Landes. Aehnlich iſt der Ton, in dem von den Belgiern geſprochen wird. Die Belgier ſind überhaupt nur Freibeuter, und weil ſie ihre Neutralität nicht preisgeben wollten oder aber weil ſie ſich aus politiſchen Gründen auf die Seite der Franzoſen und Engländer geſchlagen hatten, ſind ſie Schurken. Man kann aber niemand zur Liebe zwingen, und es iſt das gute Recht der Belgier geweſen, ſich ebenſogut nach rechts wie nach links zu ſchlagen. Als Soldaten aber müſſen wir anerkennen, daß ſich die Belgier trotz dem notoriſch unmilitäriſchen Charakter des Landes verhältnismäßig ſehr gut geſchlagen haben. Wir müſſen ſie ſogar rühmen, daß ſie ihren Pflichten gegenüber Frankreich und Eng- land noch in einem Augenblick treu blieben, da ſie die eigene Sache bereits unweigerlich als verloren erkennen mußten. Nicht minder widerwärtig iſt der Ton, den unſere Preſſe gegenüber den Ruſſen anſchlägt. Die „moskowitiſchen Horden“ ſind in Wirklichkeit Armeen braver, tüchtiger Soldaten, die der Ueberzeugung ſind, daß die Sache des Zars heilig und gerecht ſei. Wir natürlich ſind der Ueberzeugung, daß die Sache des Zars weder gerecht noch heilig iſt und wir tragen heute unſere Haut im Dienſte dieſer Ueberzeugung zu Markte. Wir beſchimpfen des- wegen aber nicht die uns gegenüberſtehenden gewaltigen Heere, wir geſtehen ſogar, daß dieſe Armeen gut geführt, trefflich aus- gerüſtet, vorzüglich bewaffnet ſind; wir merken gar nichts von den angeblichen Diebſtählen der Generäle. Im einzelnen wurde das Rote Kreuz mißachtet; man hört von gelegentlichen Plün- derungen — in der Mehrheit aber haben wir einen ehrlichen und ritterlichen Gegner vor uns.“ Der Orient in Flammen. Bis zur Stunde, da dieſes geſchrieben wird, liegen zwar Kriegs- erklärungen zwiſchen der Türkei und den Mächten des Ententerings nicht vor. Aber die allſeitige Räumung der Botſchaften der be- teiligten Regierungen und der Beginn der Seekämpfe ſowohl im Schwarzen Meer wie im Mittelmeer laſſen es nicht zweifelhaft er- ſcheinen, daß der Tag der großen Entſcheidung gekommen iſt: da der „Weltkrieg“, der bislang in Wirklichkeit doch nur ein Ringen der europäiſchen Völker war, im eigentlichen Sinne des Wortes zu einem Zuſammenprall aller Mächte der Erde mit einziger vor- läufiger Ausnahme der Nationen der Neuen Welt wird, da in den blutigen Strom der Kämpfe des Weſtens die gewaltige Flut der militäriſchen, politiſchen und moraliſchen Kräfte des Orients ſich ergießt, um eine Brandung von unabſehbarer Kriſen- und Kata- ſtrophenſtärke zu erzeugen, da all’ die verwickelten Probleme des Oſtens, die ſeit Jahrhunderten eine drückende Sorgenlaſt Europas geweſen ſind und für die auch die letzte greuelvolle Balkantragödie nur eine Scheinlöſung hat finden können, vor das Weltgericht in letzter urteilkündenden Inſtanz gebracht werden. Es hat nicht nur ein neuer Abſchnitt im Krieg des Dreiverbands und ſeiner Schild- genoſſen gegen die deutſchen Mächte begonnen, es bahnt ſich viel- mehr eine ſäkulare politiſche Götterdämmerung an, welche die Schick- ſale aller europäiſchen und aſiatiſchen Länder und Völker zuſam- menſchweißt und das Nahen einer neuen Zeit der Weltgeſchichte mit durchaus veränderten Machtgeſetzen ankündet. Die Ententepreſſe tiſcht ihren Leſern die Mär auf, die Hohe Pforte handle, indem ſie Rußland den Fehdehandſchuh hingeworfen, als Werkzeug Deutſchlands und bezeuge durch dieſe ihren Unter- gang beſiegelnde Vermeſſenheit und Torheit, daß ſie alle politiſche Selbſtändigkeit dank ihrer Verbrüderung mit Berlin verloren habe. Auch das iſt nur ein neuer Aufguß auf den Trichter der vielen Geſchichtsklitterungen und -fälſchungen, durch welche man in Lon- don, Paris, Petersburg das wahre Weſen des kriegeriſchen Ant- litzes der Gegenwart zu verdunkeln ſucht. Wohl hat Habsburg als deutſche Vormacht ſeit der Schlacht von Mohacz Jahrhunderte lang dem Andrang des Osmanentums heldenmütigen und nach wechſelnden Erfolgen ſchließlich durchſchlagenden Widerſtand ge- leiſtet, indeſſen nur ſo lange, als die Türken in ihrem damaligen Eroberungsdrang und als Triariertruppe des Islam die chriſtliche Kultur in Europa gefährdeten. Dann aber, als dieſe Drohung abgewendet war, verſtand es Rußland, die Früchte des deutſchen Heldenkampfes für ſich einzuheimſen und bediente ſich dazu eines doppelten Mittels: des verlogenen Schlagworts von der geſchicht- lichen Sendung, die das zariſche Reich als Beſchützer und Befreier der ſüdſlawiſchen Völker auf dem Balkan zu erfüllen habe, und des Syſtems, die im Schutz des Halbmonds lebenden chriſtlichen Völker im Namen der moskowitiſchen Zäſaropapie gegen Konſtantinopel

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-04-27T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 45, 7. November 1914, S. 650. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine45_1914/6>, abgerufen am 21.11.2024.