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Allgemeine Zeitung, Nr. 39, 26. September 1914.

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[Spaltenumbruch] verstärkt wurde. Dazu kommen die vielberedeten Maßregeln des
Zweckes, die ägyptische Feste mit einem Kranz weitvorgeschobener
Außenwerke, die zugleich die Verbindung mit Indien sichern sollen,
zu umgürten; die Anhäufung von britischem Kriegsmaterial in
Taaba, Perim, Aden, die systematische Ausweitung der englischen
Macht in der Sphäre des Persischen Golfs durch das Paktieren mit
den arabischen Kleinfürsten. Aber ob all diese Verteidigungsmittel
England viel nützen werden, wenn einmal die Stunde der Entschei-
dung, die sichtlich näher und näher rückt, da ist?

Durch den Ausbau des anatolisch-syrischen Eisenbahnnetzes und
die Fertigstellung der Hedschasbahn ist die Türkei heute in der Lage,
starke Truppenmassen, denen England nichts Ebenbürtiges entgegen-
zusetzen hat, mit verhältnismäßig großer Schnelligkeit nach der
ägyptischen Sinai-Landbrücke hinzubewegen, und der Wüstenwall
des e'Tih, der sich hier erhebt, mag für europäische Truppen ein
unmögliches Operationsgebiet sein: für akklimatisierte osmanisch-
arabische Verbände ist er sicherlich kein unüberwindliches Hindernis.
Im Nilreich selbst mag England von der jungägyptischen Opposition,
bei der stets sehr vielmehr jugendliches Maulheldentum als gereifte
Männlichkeit und ernste Arbeit maßgeblich gewesen ist, nicht allzu-
viel zu fürchten haben. Einen um so gefährlicheren Gegner aber
stellen die mohammedanischen Orden dar, die Kadrija, Rachidija,
Aissaua, Mandanija, Rachmanija, Salamija, Rasaja und wie sie
alle heißen, deren Organisationsmittelpunkt Kairo ist, deren Winken
die Volksmassen unbedingt folgen und deren Einfluß sich über ganz
Nordafrika bis nach Marokko und in Asien bis nach Indien hin aus-
dehnt. Kaum ein Zweifel kann darüber bestehen, daß, wenn ein-
mal die Fahne des Propheten entrollt und der heilige Teppich aus
der Kaaba geholt würde, ein neuer Mahdistensturm sich in Aegypten
entfachte, an dessen Gewalt die britische Herrschaft trotz aller moder-
nen Befestigung scheitern müßte. Die prahlerischen Berichte Lon-
dons über gewaltige Hülfslegionen, welche aus allen Kolonien und
Schutzgebieten, selbst Aegypten und Indien, dem Mutterland zur
Hilfe eilen, um auf den europäischen Schlachtfeldern Englands Sieg
zu entscheiden, sind denn auch sichtlich zum guten Teil nichts anderes
als verdeckte Zugeständnisse der Angst, mit denen die britische Regie-
rung der Entwicklung der Dinge im Orient entgegensieht. Man
schickt Hindutruppen nach Heliolopolis als Ersatz für ägyptische Ver-
bände, denen man offenbar nicht traut und die man in Frankreich
landen will. Man prunkt mit Erklärungen der indischen Maharad-
schas, die ihre meist nicht einmal im Gebrauch eines Gewehrs ge-
übten Palastwachen und Soldatesken angeblich der britischen Krone
zur Verfügung gestellt haben; aber man hört nichts von den moham-
medanisch-indischen Regimentern, der Kerntruppe, mit deren Treue
oder Untreue Englands Herrschaft in seinem Kaiserreich steht und
fällt. Und was würde die Folge sein, wenn die britische Regierung
in ihrer Verblendung und Desperadopolitik tatsächlich solche indische
Massen als Kanonenfutter gegen unsere Truppen aufmarschieren
ließ und die Kunde von ihrer Vernichtung und den englischen Nieder-
lagen überhaupt nach Delhi, Lahore, Benares, Peschawar dränge? ..
Einstweilen sind es nur Sturmvorzeichen, die am östlichen Himmel
aufsteigen und darauf hindeuten, daß das von England mutwillig
entfachte europäische Kriegsgewitter aller Wahrscheinlichkeit nach
auch den gesamten Orient in den Wirkungsbereich seiner Entladun-
gen ziehen wird: daß diese Ausdehnung der Weltkriegskatastrophe
derjenigen Weltmacht, welche die eigentliche und letzte Verantwor-
tung trägt für all das Unheil, das über Europa heraufheschworen
wurde, zum Segen gereichen wird, dürfte heute in London selbst
niemand mehr hoffen; daß sie zu einem Bersten des ganzen imperia-
listischen Gebäudes Größerbritanniens führen kann, ist jedenfalls
keine Unmöglichkeit.

Theater und Musik
Vaterländische Abende und andere.

Hoftheater. -- Theater am Gärtnerplatz. -- Konzerte.

Während die anderen Theater sich sast vergeblich ab-
mühen, mit patriotischen und solchen Stücken, die freilich
mit Patriotismus gar nichts gemein haben, die Häuser
einigermaßen zu füllen, finden die in unserem Hoftheater
veranstalteten Vaterländischen Abende ein so zahlreiches
Publikum, daß das Haus fast jedesmal ausverkauft ist. Frei-
[Spaltenumbruch] lich bei so niedrigen Preisen, daß ein ordentlicher Theater-
betrieb mit Komparserie und vielen technischen Kräften sich
absolut nicht dabei halten lassen könnte. Es ist nun sehr
schön, daß jeder dieser Abende zu einem anderen wohl-
tätigen Zweck stattfindet. Der erste von uns schon geschilderte
kam dem Roten Kreuz zugute, ein zweiter dem Städtischen
Wohlfahrtsausschusse, ein dritter der Kriegshilfskasse des
Deutschen Bühnenvereins usw. Während der erste nur den
einen großen Namen Beethoven führte und eine einheitliche
voterländische Note festhielt, brachten die späteren ein ge-
mischtes Konzertprogramm, und der dritte Abend, der auch
Rezitationen brachte, näherte sich mehr den Programmen
jener Matineen im Residenztheater, die lange vor Schluß
der vorigen Spielzeit, plötzlich aber nicht unerwartet, ein-
geschlafen sind.

Der zweite Abend war noch ein vollständiges Konzert
der K. Hofmusik. Den größten Teil nahm die große C-dur-
Symphonie von Franz Schubert ein, die man auch, schon
ihrer Ausdehnung wegen, selten im Konzertsaal zu hören
bekommt. So wie hier, an den Anfang des Programms
gestellt, kann die göttliche Länge dieses etwas ungleichartigen
Meisterwerkes noch am ehesten genossen werden. Hierauf
sang unser prächtiger Bassist Herr Bender die Arie "Herr
Gott Abrahams" aus Mendelssohn Elias und die herrliche
"Allmacht" Schuberts, die den Ruhm seiner großen siebenten
Symphonie sicher lang überleben wird, gehört sie ja zu den
prachtvollsten Liedergaben dieses Meisters. Bender trug sie
natürlich unter begeistertem Beifalle vor, und wir kennen
nur zwei Persönlichkeiten, die ihn in dem Vortrage dieses
erhebenden Gesanges gleichkommen und teilweise über-
treffen: Felix Kraus und Ernestine Schumann-Heink. Den
Schluß jenes zweiten Abends, der vom Hoskapellmeister Otto
Heß dirigiert wurde, brachte die Tannhäuser-Ouvertüre.

Der dritte der Vaterländischen Abende stand an Wir-
kung trotz seinem bunten Programm hinter den ersten beiden
wesentlich zurück. Es fehlte ihm die Einheitlichkeit und --
die Hofmusik. Ein einzelnes Klavier als Begleitungs-
instrument macht sich in dem großen Raume des Hoftheaters
erfahrungsgemäß nie recht gut. Das Beste des Abends war
der Anfang: unter der Direktion Röhrs sangen die Damen
Kuhn-Brunner und Willer und die Herren Gillmann,
Brodersen und Kuhn mit dem Opernchor das schöne Gebet
aus Richard Wagners Jugendchor "Die Feen". Dieser
a-capella-Chor, rein gesungen, war von vortrefflicher
Wirkung, obwohl er ja keinerlei patriotische Beziehung hat.
Diese Beziehung des Abends zu unserer Gegenwart brachte
am kräftigsten zum Ausdruck Herr Lützenkirchen mit seinem
wahrhaft zündenden Vortrag der gut gewählten Dichtungen
"Bundeslied vor der Schlacht" von Körner, "Frühlingsgruß
an das Vaterland" von Schenkendorf, Reiterlied von Ger-
hart Hauptmann, "An alle" von Dehmel und "An England"
von Gierke. Obwohl kein Freund der neuesten Hauptmann-
schen Zeitgedichte, muß ich doch zugeben, daß sein von
Lützenkirchen überaus schneidig vorgetragenes Reiterlied
von den fünf Vorträgen den stürmischsten Beifall fand. An
demselben Abend sangen noch die Kammersänger Wolf und
Feinhals Lieder von Mendelssohn, Schumann, Schubert,
Loewe und Hugo Wolf sehr verdienstlich. Hugo Wolf,
Brahms und Weber bnachte auch der Liebling der Mün-
chener, Fräulein Morena, zum Gehör. Wie man weiß, ist
Fräulein Morena, wie die meisten ihrer Kolleginnen, keine
Konzertsängerin. Ihr Bestes kann sie nur auf der Bühne
bieten, wo sie ihre ganze Persönlichkeit einsetzen kann. Eine
unglückliche, wenn auch noch so patriotische Wahl hatte Herr
Steinrück getroffen, der Kleist's Prosastücke: "Aus dem
Katechismus eines Deutschen", "Germania an ihre Kinder",
"Was gilt es in diesem Kriege", vortrug. Prosa, zumal in
diesem großen Hause und zwischen Poesie und Gesang vor-
getragen, macht sich selten gut und muß ernüchternd wirken.
Ganz besonders war aber dies bei den Stücken "Aus dem
Katechismus eines Deutschen" der Fall, die in ihrer Aus-
führlichkeit genodezu ermüdend wirkten und sich überhaupt
nicht zum Vortrag, sondern nur zum Selbstlesen eignen. --
Der vierte Abend, den ich nicht mehr selbst hörte, war ganz
und gar von unserer Oper häufig genug vorgeführten

Allgemeine Zeitung 26. September 1914.
[Spaltenumbruch] verſtärkt wurde. Dazu kommen die vielberedeten Maßregeln des
Zweckes, die ägyptiſche Feſte mit einem Kranz weitvorgeſchobener
Außenwerke, die zugleich die Verbindung mit Indien ſichern ſollen,
zu umgürten; die Anhäufung von britiſchem Kriegsmaterial in
Taaba, Perim, Aden, die ſyſtematiſche Ausweitung der engliſchen
Macht in der Sphäre des Perſiſchen Golfs durch das Paktieren mit
den arabiſchen Kleinfürſten. Aber ob all dieſe Verteidigungsmittel
England viel nützen werden, wenn einmal die Stunde der Entſchei-
dung, die ſichtlich näher und näher rückt, da iſt?

Durch den Ausbau des anatoliſch-ſyriſchen Eiſenbahnnetzes und
die Fertigſtellung der Hedſchasbahn iſt die Türkei heute in der Lage,
ſtarke Truppenmaſſen, denen England nichts Ebenbürtiges entgegen-
zuſetzen hat, mit verhältnismäßig großer Schnelligkeit nach der
ägyptiſchen Sinai-Landbrücke hinzubewegen, und der Wüſtenwall
des e’Tih, der ſich hier erhebt, mag für europäiſche Truppen ein
unmögliches Operationsgebiet ſein: für akklimatiſierte osmaniſch-
arabiſche Verbände iſt er ſicherlich kein unüberwindliches Hindernis.
Im Nilreich ſelbſt mag England von der jungägyptiſchen Oppoſition,
bei der ſtets ſehr vielmehr jugendliches Maulheldentum als gereifte
Männlichkeit und ernſte Arbeit maßgeblich geweſen iſt, nicht allzu-
viel zu fürchten haben. Einen um ſo gefährlicheren Gegner aber
ſtellen die mohammedaniſchen Orden dar, die Kadrija, Rachidija,
Aïſſaua, Mandanija, Rachmanija, Salamija, Raſaja und wie ſie
alle heißen, deren Organiſationsmittelpunkt Kairo iſt, deren Winken
die Volksmaſſen unbedingt folgen und deren Einfluß ſich über ganz
Nordafrika bis nach Marokko und in Aſien bis nach Indien hin aus-
dehnt. Kaum ein Zweifel kann darüber beſtehen, daß, wenn ein-
mal die Fahne des Propheten entrollt und der heilige Teppich aus
der Kaaba geholt würde, ein neuer Mahdiſtenſturm ſich in Aegypten
entfachte, an deſſen Gewalt die britiſche Herrſchaft trotz aller moder-
nen Befeſtigung ſcheitern müßte. Die prahleriſchen Berichte Lon-
dons über gewaltige Hülfslegionen, welche aus allen Kolonien und
Schutzgebieten, ſelbſt Aegypten und Indien, dem Mutterland zur
Hilfe eilen, um auf den europäiſchen Schlachtfeldern Englands Sieg
zu entſcheiden, ſind denn auch ſichtlich zum guten Teil nichts anderes
als verdeckte Zugeſtändniſſe der Angſt, mit denen die britiſche Regie-
rung der Entwicklung der Dinge im Orient entgegenſieht. Man
ſchickt Hindutruppen nach Heliolopolis als Erſatz für ägyptiſche Ver-
bände, denen man offenbar nicht traut und die man in Frankreich
landen will. Man prunkt mit Erklärungen der indiſchen Maharad-
ſchas, die ihre meiſt nicht einmal im Gebrauch eines Gewehrs ge-
übten Palaſtwachen und Soldatesken angeblich der britiſchen Krone
zur Verfügung geſtellt haben; aber man hört nichts von den moham-
medaniſch-indiſchen Regimentern, der Kerntruppe, mit deren Treue
oder Untreue Englands Herrſchaft in ſeinem Kaiſerreich ſteht und
fällt. Und was würde die Folge ſein, wenn die britiſche Regierung
in ihrer Verblendung und Deſperadopolitik tatſächlich ſolche indiſche
Maſſen als Kanonenfutter gegen unſere Truppen aufmarſchieren
ließ und die Kunde von ihrer Vernichtung und den engliſchen Nieder-
lagen überhaupt nach Delhi, Lahore, Benares, Peſchawar dränge? ..
Einſtweilen ſind es nur Sturmvorzeichen, die am öſtlichen Himmel
aufſteigen und darauf hindeuten, daß das von England mutwillig
entfachte europäiſche Kriegsgewitter aller Wahrſcheinlichkeit nach
auch den geſamten Orient in den Wirkungsbereich ſeiner Entladun-
gen ziehen wird: daß dieſe Ausdehnung der Weltkriegskataſtrophe
derjenigen Weltmacht, welche die eigentliche und letzte Verantwor-
tung trägt für all das Unheil, das über Europa heraufheſchworen
wurde, zum Segen gereichen wird, dürfte heute in London ſelbſt
niemand mehr hoffen; daß ſie zu einem Berſten des ganzen imperia-
liſtiſchen Gebäudes Größerbritanniens führen kann, iſt jedenfalls
keine Unmöglichkeit.

Theater und Muſik
Vaterländiſche Abende und andere.

Hoftheater. — Theater am Gärtnerplatz. — Konzerte.

Während die anderen Theater ſich ſaſt vergeblich ab-
mühen, mit patriotiſchen und ſolchen Stücken, die freilich
mit Patriotismus gar nichts gemein haben, die Häuſer
einigermaßen zu füllen, finden die in unſerem Hoftheater
veranſtalteten Vaterländiſchen Abende ein ſo zahlreiches
Publikum, daß das Haus faſt jedesmal ausverkauft iſt. Frei-
[Spaltenumbruch] lich bei ſo niedrigen Preiſen, daß ein ordentlicher Theater-
betrieb mit Komparſerie und vielen techniſchen Kräften ſich
abſolut nicht dabei halten laſſen könnte. Es iſt nun ſehr
ſchön, daß jeder dieſer Abende zu einem anderen wohl-
tätigen Zweck ſtattfindet. Der erſte von uns ſchon geſchilderte
kam dem Roten Kreuz zugute, ein zweiter dem Städtiſchen
Wohlfahrtsausſchuſſe, ein dritter der Kriegshilfskaſſe des
Deutſchen Bühnenvereins uſw. Während der erſte nur den
einen großen Namen Beethoven führte und eine einheitliche
voterländiſche Note feſthielt, brachten die ſpäteren ein ge-
miſchtes Konzertprogramm, und der dritte Abend, der auch
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jener Matineen im Reſidenztheater, die lange vor Schluß
der vorigen Spielzeit, plötzlich aber nicht unerwartet, ein-
geſchlafen ſind.

Der zweite Abend war noch ein vollſtändiges Konzert
der K. Hofmuſik. Den größten Teil nahm die große C-dur-
Symphonie von Franz Schubert ein, die man auch, ſchon
ihrer Ausdehnung wegen, ſelten im Konzertſaal zu hören
bekommt. So wie hier, an den Anfang des Programms
geſtellt, kann die göttliche Länge dieſes etwas ungleichartigen
Meiſterwerkes noch am eheſten genoſſen werden. Hierauf
ſang unſer prächtiger Baſſiſt Herr Bender die Arie „Herr
Gott Abrahams“ aus Mendelsſohn Elias und die herrliche
„Allmacht“ Schuberts, die den Ruhm ſeiner großen ſiebenten
Symphonie ſicher lang überleben wird, gehört ſie ja zu den
prachtvollſten Liedergaben dieſes Meiſters. Bender trug ſie
natürlich unter begeiſtertem Beifalle vor, und wir kennen
nur zwei Perſönlichkeiten, die ihn in dem Vortrage dieſes
erhebenden Geſanges gleichkommen und teilweiſe über-
treffen: Felix Kraus und Erneſtine Schumann-Heink. Den
Schluß jenes zweiten Abends, der vom Hoſkapellmeiſter Otto
Heß dirigiert wurde, brachte die Tannhäuſer-Ouvertüre.

Der dritte der Vaterländiſchen Abende ſtand an Wir-
kung trotz ſeinem bunten Programm hinter den erſten beiden
weſentlich zurück. Es fehlte ihm die Einheitlichkeit und —
die Hofmuſik. Ein einzelnes Klavier als Begleitungs-
inſtrument macht ſich in dem großen Raume des Hoftheaters
erfahrungsgemäß nie recht gut. Das Beſte des Abends war
der Anfang: unter der Direktion Röhrs ſangen die Damen
Kuhn-Brunner und Willer und die Herren Gillmann,
Broderſen und Kuhn mit dem Opernchor das ſchöne Gebet
aus Richard Wagners Jugendchor „Die Feen“. Dieſer
a-capella-Chor, rein geſungen, war von vortrefflicher
Wirkung, obwohl er ja keinerlei patriotiſche Beziehung hat.
Dieſe Beziehung des Abends zu unſerer Gegenwart brachte
am kräftigſten zum Ausdruck Herr Lützenkirchen mit ſeinem
wahrhaft zündenden Vortrag der gut gewählten Dichtungen
„Bundeslied vor der Schlacht“ von Körner, „Frühlingsgruß
an das Vaterland“ von Schenkendorf, Reiterlied von Ger-
hart Hauptmann, „An alle“ von Dehmel und „An England“
von Gierke. Obwohl kein Freund der neueſten Hauptmann-
ſchen Zeitgedichte, muß ich doch zugeben, daß ſein von
Lützenkirchen überaus ſchneidig vorgetragenes Reiterlied
von den fünf Vorträgen den ſtürmiſchſten Beifall fand. An
demſelben Abend ſangen noch die Kammerſänger Wolf und
Feinhals Lieder von Mendelsſohn, Schumann, Schubert,
Loewe und Hugo Wolf ſehr verdienſtlich. Hugo Wolf,
Brahms und Weber bnachte auch der Liebling der Mün-
chener, Fräulein Morena, zum Gehör. Wie man weiß, iſt
Fräulein Morena, wie die meiſten ihrer Kolleginnen, keine
Konzertſängerin. Ihr Beſtes kann ſie nur auf der Bühne
bieten, wo ſie ihre ganze Perſönlichkeit einſetzen kann. Eine
unglückliche, wenn auch noch ſo patriotiſche Wahl hatte Herr
Steinrück getroffen, der Kleiſt’s Proſaſtücke: „Aus dem
Katechismus eines Deutſchen“, „Germania an ihre Kinder“,
„Was gilt es in dieſem Kriege“, vortrug. Proſa, zumal in
dieſem großen Hauſe und zwiſchen Poeſie und Geſang vor-
getragen, macht ſich ſelten gut und muß ernüchternd wirken.
Ganz beſonders war aber dies bei den Stücken „Aus dem
Katechismus eines Deutſchen“ der Fall, die in ihrer Aus-
führlichkeit genodezu ermüdend wirkten und ſich überhaupt
nicht zum Vortrag, ſondern nur zum Selbſtleſen eignen. —
Der vierte Abend, den ich nicht mehr ſelbſt hörte, war ganz
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[582/0008] Allgemeine Zeitung 26. September 1914. verſtärkt wurde. Dazu kommen die vielberedeten Maßregeln des Zweckes, die ägyptiſche Feſte mit einem Kranz weitvorgeſchobener Außenwerke, die zugleich die Verbindung mit Indien ſichern ſollen, zu umgürten; die Anhäufung von britiſchem Kriegsmaterial in Taaba, Perim, Aden, die ſyſtematiſche Ausweitung der engliſchen Macht in der Sphäre des Perſiſchen Golfs durch das Paktieren mit den arabiſchen Kleinfürſten. Aber ob all dieſe Verteidigungsmittel England viel nützen werden, wenn einmal die Stunde der Entſchei- dung, die ſichtlich näher und näher rückt, da iſt? Durch den Ausbau des anatoliſch-ſyriſchen Eiſenbahnnetzes und die Fertigſtellung der Hedſchasbahn iſt die Türkei heute in der Lage, ſtarke Truppenmaſſen, denen England nichts Ebenbürtiges entgegen- zuſetzen hat, mit verhältnismäßig großer Schnelligkeit nach der ägyptiſchen Sinai-Landbrücke hinzubewegen, und der Wüſtenwall des e’Tih, der ſich hier erhebt, mag für europäiſche Truppen ein unmögliches Operationsgebiet ſein: für akklimatiſierte osmaniſch- arabiſche Verbände iſt er ſicherlich kein unüberwindliches Hindernis. Im Nilreich ſelbſt mag England von der jungägyptiſchen Oppoſition, bei der ſtets ſehr vielmehr jugendliches Maulheldentum als gereifte Männlichkeit und ernſte Arbeit maßgeblich geweſen iſt, nicht allzu- viel zu fürchten haben. Einen um ſo gefährlicheren Gegner aber ſtellen die mohammedaniſchen Orden dar, die Kadrija, Rachidija, Aïſſaua, Mandanija, Rachmanija, Salamija, Raſaja und wie ſie alle heißen, deren Organiſationsmittelpunkt Kairo iſt, deren Winken die Volksmaſſen unbedingt folgen und deren Einfluß ſich über ganz Nordafrika bis nach Marokko und in Aſien bis nach Indien hin aus- dehnt. Kaum ein Zweifel kann darüber beſtehen, daß, wenn ein- mal die Fahne des Propheten entrollt und der heilige Teppich aus der Kaaba geholt würde, ein neuer Mahdiſtenſturm ſich in Aegypten entfachte, an deſſen Gewalt die britiſche Herrſchaft trotz aller moder- nen Befeſtigung ſcheitern müßte. Die prahleriſchen Berichte Lon- dons über gewaltige Hülfslegionen, welche aus allen Kolonien und Schutzgebieten, ſelbſt Aegypten und Indien, dem Mutterland zur Hilfe eilen, um auf den europäiſchen Schlachtfeldern Englands Sieg zu entſcheiden, ſind denn auch ſichtlich zum guten Teil nichts anderes als verdeckte Zugeſtändniſſe der Angſt, mit denen die britiſche Regie- rung der Entwicklung der Dinge im Orient entgegenſieht. Man ſchickt Hindutruppen nach Heliolopolis als Erſatz für ägyptiſche Ver- bände, denen man offenbar nicht traut und die man in Frankreich landen will. Man prunkt mit Erklärungen der indiſchen Maharad- ſchas, die ihre meiſt nicht einmal im Gebrauch eines Gewehrs ge- übten Palaſtwachen und Soldatesken angeblich der britiſchen Krone zur Verfügung geſtellt haben; aber man hört nichts von den moham- medaniſch-indiſchen Regimentern, der Kerntruppe, mit deren Treue oder Untreue Englands Herrſchaft in ſeinem Kaiſerreich ſteht und fällt. Und was würde die Folge ſein, wenn die britiſche Regierung in ihrer Verblendung und Deſperadopolitik tatſächlich ſolche indiſche Maſſen als Kanonenfutter gegen unſere Truppen aufmarſchieren ließ und die Kunde von ihrer Vernichtung und den engliſchen Nieder- lagen überhaupt nach Delhi, Lahore, Benares, Peſchawar dränge? .. Einſtweilen ſind es nur Sturmvorzeichen, die am öſtlichen Himmel aufſteigen und darauf hindeuten, daß das von England mutwillig entfachte europäiſche Kriegsgewitter aller Wahrſcheinlichkeit nach auch den geſamten Orient in den Wirkungsbereich ſeiner Entladun- gen ziehen wird: daß dieſe Ausdehnung der Weltkriegskataſtrophe derjenigen Weltmacht, welche die eigentliche und letzte Verantwor- tung trägt für all das Unheil, das über Europa heraufheſchworen wurde, zum Segen gereichen wird, dürfte heute in London ſelbſt niemand mehr hoffen; daß ſie zu einem Berſten des ganzen imperia- liſtiſchen Gebäudes Größerbritanniens führen kann, iſt jedenfalls keine Unmöglichkeit. Dr. Frhr. v. Mackay. Theater und Muſik Vaterländiſche Abende und andere. Hoftheater. — Theater am Gärtnerplatz. — Konzerte. Während die anderen Theater ſich ſaſt vergeblich ab- mühen, mit patriotiſchen und ſolchen Stücken, die freilich mit Patriotismus gar nichts gemein haben, die Häuſer einigermaßen zu füllen, finden die in unſerem Hoftheater veranſtalteten Vaterländiſchen Abende ein ſo zahlreiches Publikum, daß das Haus faſt jedesmal ausverkauft iſt. Frei- lich bei ſo niedrigen Preiſen, daß ein ordentlicher Theater- betrieb mit Komparſerie und vielen techniſchen Kräften ſich abſolut nicht dabei halten laſſen könnte. Es iſt nun ſehr ſchön, daß jeder dieſer Abende zu einem anderen wohl- tätigen Zweck ſtattfindet. Der erſte von uns ſchon geſchilderte kam dem Roten Kreuz zugute, ein zweiter dem Städtiſchen Wohlfahrtsausſchuſſe, ein dritter der Kriegshilfskaſſe des Deutſchen Bühnenvereins uſw. Während der erſte nur den einen großen Namen Beethoven führte und eine einheitliche voterländiſche Note feſthielt, brachten die ſpäteren ein ge- miſchtes Konzertprogramm, und der dritte Abend, der auch Rezitationen brachte, näherte ſich mehr den Programmen jener Matineen im Reſidenztheater, die lange vor Schluß der vorigen Spielzeit, plötzlich aber nicht unerwartet, ein- geſchlafen ſind. Der zweite Abend war noch ein vollſtändiges Konzert der K. Hofmuſik. Den größten Teil nahm die große C-dur- Symphonie von Franz Schubert ein, die man auch, ſchon ihrer Ausdehnung wegen, ſelten im Konzertſaal zu hören bekommt. So wie hier, an den Anfang des Programms geſtellt, kann die göttliche Länge dieſes etwas ungleichartigen Meiſterwerkes noch am eheſten genoſſen werden. Hierauf ſang unſer prächtiger Baſſiſt Herr Bender die Arie „Herr Gott Abrahams“ aus Mendelsſohn Elias und die herrliche „Allmacht“ Schuberts, die den Ruhm ſeiner großen ſiebenten Symphonie ſicher lang überleben wird, gehört ſie ja zu den prachtvollſten Liedergaben dieſes Meiſters. Bender trug ſie natürlich unter begeiſtertem Beifalle vor, und wir kennen nur zwei Perſönlichkeiten, die ihn in dem Vortrage dieſes erhebenden Geſanges gleichkommen und teilweiſe über- treffen: Felix Kraus und Erneſtine Schumann-Heink. Den Schluß jenes zweiten Abends, der vom Hoſkapellmeiſter Otto Heß dirigiert wurde, brachte die Tannhäuſer-Ouvertüre. Der dritte der Vaterländiſchen Abende ſtand an Wir- kung trotz ſeinem bunten Programm hinter den erſten beiden weſentlich zurück. Es fehlte ihm die Einheitlichkeit und — die Hofmuſik. Ein einzelnes Klavier als Begleitungs- inſtrument macht ſich in dem großen Raume des Hoftheaters erfahrungsgemäß nie recht gut. Das Beſte des Abends war der Anfang: unter der Direktion Röhrs ſangen die Damen Kuhn-Brunner und Willer und die Herren Gillmann, Broderſen und Kuhn mit dem Opernchor das ſchöne Gebet aus Richard Wagners Jugendchor „Die Feen“. Dieſer a-capella-Chor, rein geſungen, war von vortrefflicher Wirkung, obwohl er ja keinerlei patriotiſche Beziehung hat. Dieſe Beziehung des Abends zu unſerer Gegenwart brachte am kräftigſten zum Ausdruck Herr Lützenkirchen mit ſeinem wahrhaft zündenden Vortrag der gut gewählten Dichtungen „Bundeslied vor der Schlacht“ von Körner, „Frühlingsgruß an das Vaterland“ von Schenkendorf, Reiterlied von Ger- hart Hauptmann, „An alle“ von Dehmel und „An England“ von Gierke. Obwohl kein Freund der neueſten Hauptmann- ſchen Zeitgedichte, muß ich doch zugeben, daß ſein von Lützenkirchen überaus ſchneidig vorgetragenes Reiterlied von den fünf Vorträgen den ſtürmiſchſten Beifall fand. An demſelben Abend ſangen noch die Kammerſänger Wolf und Feinhals Lieder von Mendelsſohn, Schumann, Schubert, Loewe und Hugo Wolf ſehr verdienſtlich. Hugo Wolf, Brahms und Weber bnachte auch der Liebling der Mün- chener, Fräulein Morena, zum Gehör. Wie man weiß, iſt Fräulein Morena, wie die meiſten ihrer Kolleginnen, keine Konzertſängerin. Ihr Beſtes kann ſie nur auf der Bühne bieten, wo ſie ihre ganze Perſönlichkeit einſetzen kann. Eine unglückliche, wenn auch noch ſo patriotiſche Wahl hatte Herr Steinrück getroffen, der Kleiſt’s Proſaſtücke: „Aus dem Katechismus eines Deutſchen“, „Germania an ihre Kinder“, „Was gilt es in dieſem Kriege“, vortrug. Proſa, zumal in dieſem großen Hauſe und zwiſchen Poeſie und Geſang vor- getragen, macht ſich ſelten gut und muß ernüchternd wirken. Ganz beſonders war aber dies bei den Stücken „Aus dem Katechismus eines Deutſchen“ der Fall, die in ihrer Aus- führlichkeit genodezu ermüdend wirkten und ſich überhaupt nicht zum Vortrag, ſondern nur zum Selbſtleſen eignen. — Der vierte Abend, den ich nicht mehr ſelbſt hörte, war ganz und gar von unſerer Oper häufig genug vorgeführten

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 39, 26. September 1914, S. 582. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine39_1914/8>, abgerufen am 03.12.2024.