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Allgemeine Zeitung, Nr. 38, 19. September 1914.

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Allgemeine Zeitung 19. September 1914.
[Spaltenumbruch] nicht, ob Sie das Vertrauen zu mir haben würden, mir das zu
bewilligen. Ich hoffe nicht. Aber wenn Sie es täten, würde es
mir nicht genügen. Wenn wir in Deutschland einen Krieg mit der
vollen Wirkung unserer Nationalkraft führen wollen, so muß es
ein Krieg sein, mit dem alle, die ihn mitmachen, alle, die ihm
Opfer bringen, kurz und gut, mit dem die ganze Nation einver-
standen ist; es muß ein Volkskrieg sein; es muß ein Krieg sein,
der mit dem Enthusiasmus geführt wird wie der von 1870, wo wir
ruchlos angegriffen wurden. Es ist mir noch erinnerlich der
ohrengellende, freudige Zuruf am Kölner Bahnhofe, und so war
es vor Berlin bis Köln, so war es hier in Berlin. Die Wogen
der Volkszustimmung trugen uns in den Krieg hinein, wir hätten
wollen mögen oder nicht. So muß es auch sein, wenn eine Volks-
kraft wie die unsere zur vollen Geltung kommen soll. Es wird
aber sehr schwer sein, den Provinzen, den Bundesstaaten und
ihren Bevölkerungen das klar zu machen: Der Krieg ist unver-
meidlich, er muß sein. Man wird fragen: Ja, seid ihr denn dessen so
sicher? Wer weiß? Kurz, wenn wir schließlich zum Angriff kommen,
so wird das ganze Gewicht der Imponderabilien, die viel schwerer
wiegen als die materiellen Gewichte, auf der Seite unserer Gegner
sein, die wir angegriffen haben. Das "heilige Rußland" wird ent-
rüstet sein über den Angriff. Frankreich wird bis an die Pyrenäen
hin in Waffen starren. Ganz dasselbe wird überall geschehen. Ein
Krieg, zu dem wir nicht vom Volkswillen getragen werden, der wird
geführt werden, wenn schließlich die verordneten Obrigkeiten ihn
für nötig halten und erklärt haben; er wird auch mit vollem Schneid
und vielleicht siegreich geführt werden, wenn man erst einmal Feuer
bekommen und Blut gesehen hat. Aber es wird nicht von Hause
aus der Elan und das Feuer dahinter sein wie in einem Kriege,
wenn wir angegriffen werden. Dann wird das ganze Deutschland
von der Memel bis zum Bodensee wie eine Pulvermine aufbrennen
und von Gewehren starren, und es wird kein Feind wagen, mit
diesem furor teutonicus, der sich beim Angriff entwickelt, es aufzu-
nehmen. Diese Ueberlegenheit dürfen wir uns nicht entgehen lassen,
selbst wenn wir, was viele Militärs, nicht nur die unserigen, an-
nehmen, jetzt unseren künftigen Gegnern überlegen sind. Die unse-
rigen glauben das alle. Natürlich, jeder Soldat glaubt das; er
würde beinahe aufhören, ein brauchbarer Soldat zu sein, wenn er
nicht den Krieg wünschte und an seinen Sieg darin glaubte. Wenn
unsere Gegner etwa vermuten, daß es die Furcht vor dem Ausgange
ist, die uns friedfertig stimmt, dann irren sie sich ganz gewaltig.
Wir glauben ebenso fest an unseren Sieg in gerechter Sache, wie
irgend ein ausländischer Leutnant in seiner Garnison beim dritten
Glase Champagner glauben kann, und wir vielleicht mit mehr
Sicherheit. Also ist es nicht die Furcht, die uns friedfertig stimmt,
sondern gerade das Bewußtsein unserer Stärke, das Bewußtsein,
auch dann, wenn wir in einem minder günstigen Augenblicke an-
gegriffen werden, stark genug zu sein zur Abwehr und doch die
Möglichkeit zu haben, der göttlichen Vorsehung es zu überlassen, ob
sie nicht in der Zwischenzeit doch noch die Notwendigkeit eines Krie-
ges aus dem Wege räumen wird.

Ich bin also nicht für irgendwelchen Angriffskrieg, und wenn
der Krieg nur durch unseren Angriff entstehen könnte -- Feuer
muß von irgend jemanden angelegt werden, wir werden es nicht
anlegen -- nun, weder das Bewußtsein unserer Stärke, wie ich
es eben schilderte, noch das Vertrauen auf unsere Bündnisse wird
uns abhalten, unsere bisherigen Bestrebungen, den Frieden über-
haupt zu erhalten, mit dem bisherigen Eifer fortzusetzen. Wir
lassen uns da durch keine Verstimmung leiten und durch keine Ab-
neigung bestimmen. Es ist ja unzweifelhaft, daß die Drohungen
und Beschimpfungen, die Herausforderungen, die an uns gerichtet
worden sind, auch bei uns eine ganz erhebliche und berechtigte Er-
bitterung erregt haben, und das ist eben dem Deutschen recht schwer,
denn er ist dem Nationalhaß an sich unzugänglicher als irgend
eine andere Nation; wir sind aber bemüht, sie zu besänftigen, und
wir wollen nach wie vor den Frieden mit unseren Nachbarn,
namentlich aber mit Rußland suchen. Wenn ich sage: Namentlich
mit Rußland, so bin ich der Meinung, daß Frankreich uns bei diesen
Bemühungen keine Sicherheit auf Erfolg gewährt, wenngleich ich
nicht sagen will, daß es nichts hilft; wir werden nie Händel suchen,
wir werden Frankreich nie angreifen, wir haben in den vielen
kleinen Vorfällen, die die Neigung unserer Nachbarn, zu spionieren
und zu bestechen, verursacht hat, immer eine sehr gefällige und
freundliche Beilegung herbeigeführt, weil ich es für ruchlos halten
würde, um solcher Lappalien willen einen großen nationalen Krieg
zu entzünden oder auch nur wahrscheinlich zu machen. Das sind
[Spaltenumbruch] Fälle, wo es heißt: der Vernünftigere gibt nach. Ich nenne also
vorzugsweise Rußland, und da habe ich dasselbe Vertrauen auf
das Gelingen, in welchem ich vor einem Jahre gesprochen habe,
ohne ein Nachlaufen oder, wie ein deutsches Blatt sich roh ausdrückt,
"Wettkriechen" vor Rußland! -- Die Zeit ist vorbei; um Liebe
werben wir nicht mehr, weder in Frankreich noch in Rußland."



Deutschland und der Welthrieg.

Unser Mitarbeiter Dr. B. Laurence Freiherr v. Mackay
hat unter dem Titel "Deutschland und der Weltkrieg:
Der Tag der Abrechnung
" im Hans Sachs-Verlag (Mün-
chen-Leipzig 1914, Preis --.80 M) eine interessante Broschüre er-
scheinen lassen, die eine treffliche Uebersicht über die bisherige Lage
gibt. Unsere Leser kennen die lebendige, auf umfassendes Wissen
und eigener Anschauung gegründete Darstellungsweise Freiherrn
v. Mackays. Sie werden alle diese Eigenschaften auch in der vor-
liegenden Broschüre wiederfinden. Seine Broschüre gibt in knappen
Zügen eine sehr instruktive Vorgeschichte des Krieges und eine treff-
liche politische Beleuchtung der Lage. Sehr fesselnd sind auch die
Porträts einzelner maßgebender Persönlichkeiten. Wir setzen die
kleinen Schattenbildchen unserer beiden englischen Erzfeinde zum
Beweise hierher:

Sir Edward Grey. Der ehrenwerte Sir Edward ist das
Urbild des inselhaft beschränkten, alle Werte des eigenen Lebens
wie des nationalen Daseins in Pfund und Penny umrechnenden
Engländers, des krämerhaften Ritters vom Wollsack. Liest man die
Reden, die er unter dem Pulsschlag der Weltkrieg-Fieberkrise in
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ein Grauen, wie in solcher Stunde der verantwortliche Leiter der
Politik des weltumspannenden Großbritanniens sich also vor ein
Volk hinstellen und kalten Herzens, sophistischer Klügelei eine Risiko-
und Gewinnbilanz aufstellen kann, um zu dem Schluß zu kommen:
"Wenn England am Krieg teilnimmt, so wird es wenig mehr zu
leiden haben, als wenn es fernbleibt." Nichts von der schandvollen
Ursache des Kriegs, nichts von der Treulosigkeit des Zaren, der
Meineidigkeit seiner Ratgeber, nichts von der Verbrüderung mit
dem halbasiatischen Despotismus und Feind europäischer Kultur,
nichts von einem christlichen Gewissen, einem Pflicht- und Verant-
wortlichkeitsgefühl vor einer höheren sittlichen Weltordnung! Nichts
als ein paar scheinheilige Phrasen über Friedensliebe und das euro-
päische Gleichgewicht und Streben, mit Wortschwall und Wort-
drechselei das Geständnis des Betrugs Deutschlands in jesuitischer
reservatio mentalis zu umgehen. Immer wieder hat Grey mit
eiserner Stirn vor aller Welt betont, daß England keinerlei bindende
Verpflichtungen zum militärischen Eingreifen in festländisch-groß-
mächtliche Verwicklungen eingegangen sei. Aber there are more
ways of figuring political arrangements than of killing a cat.

Tatsächlich war ein gegenteiliges taktisches Spiel längst verbrieft und
versiegelt: nicht nur mit Frankreich, wie es der von Viviani der
Pariser Kammer mitgeteilte Notenwechsel zwischen Cambon und
Grey beweist, sondern sogar mit Rußland, und hier wie dort in Be-
stimmungen, denen eine bedingte Form offensichtlich nur deshalb
gegeben war, um die tatsächliche und beabsichtigte Verpflichtung vor
dem eigenen Land und aller Welt leugnen zu können.

Winston Churchill. Und doch ist der Obmann des
Foreign Office nicht einmal der Schlimmste! Die treibende Seele
der Kriegshetze bildet das Lager Winston Churchills, dem das Blut
des großen, aber wenig gewissenszarten und treulosen Ahnherrn,
des Herzogs von Marlborough, und der kreolischen Miß Jerome,
der Tochter eines amerikanischen Zeitungsfürsten, in eigentümlicher
Mischung durch die Adern rinnt, dessen Sinnen und Denken ein
maßloser Ehrgeiz und ungezügelte Leidenschaftlichkeit beherrschen,
der der vergötterte Liebling der verbissenen deutschfeindlichen Säbel-
raßler und der schändlichen Harmsworth-Hetzpresse ist -- und dem
einmal kein Geringerer als Lord Beresford, der ihn und sein ver-
derbliches Treiben durchschaute, auf den Kopf zugesagt hat: "Weiß
der sehr ehrenwerte Herr, daß er an einem Baume im Hyde Park
hängen wird, wenn England eine Seeschlacht verliert?"

Das sind die Kräfte, die das deutsch-britische Versöhnungswerk
ruchlos zerstört haben.

O Wahn, so bald empfangen!
Zur glücklichen Geburt gelangst du nie
Und bringst die Mütter um, die dich erzeugt!

Allgemeine Zeitung 19. September 1914.
[Spaltenumbruch] nicht, ob Sie das Vertrauen zu mir haben würden, mir das zu
bewilligen. Ich hoffe nicht. Aber wenn Sie es täten, würde es
mir nicht genügen. Wenn wir in Deutſchland einen Krieg mit der
vollen Wirkung unſerer Nationalkraft führen wollen, ſo muß es
ein Krieg ſein, mit dem alle, die ihn mitmachen, alle, die ihm
Opfer bringen, kurz und gut, mit dem die ganze Nation einver-
ſtanden iſt; es muß ein Volkskrieg ſein; es muß ein Krieg ſein,
der mit dem Enthuſiasmus geführt wird wie der von 1870, wo wir
ruchlos angegriffen wurden. Es iſt mir noch erinnerlich der
ohrengellende, freudige Zuruf am Kölner Bahnhofe, und ſo war
es vor Berlin bis Köln, ſo war es hier in Berlin. Die Wogen
der Volkszuſtimmung trugen uns in den Krieg hinein, wir hätten
wollen mögen oder nicht. So muß es auch ſein, wenn eine Volks-
kraft wie die unſere zur vollen Geltung kommen ſoll. Es wird
aber ſehr ſchwer ſein, den Provinzen, den Bundesſtaaten und
ihren Bevölkerungen das klar zu machen: Der Krieg iſt unver-
meidlich, er muß ſein. Man wird fragen: Ja, ſeid ihr denn deſſen ſo
ſicher? Wer weiß? Kurz, wenn wir ſchließlich zum Angriff kommen,
ſo wird das ganze Gewicht der Imponderabilien, die viel ſchwerer
wiegen als die materiellen Gewichte, auf der Seite unſerer Gegner
ſein, die wir angegriffen haben. Das „heilige Rußland“ wird ent-
rüſtet ſein über den Angriff. Frankreich wird bis an die Pyrenäen
hin in Waffen ſtarren. Ganz dasſelbe wird überall geſchehen. Ein
Krieg, zu dem wir nicht vom Volkswillen getragen werden, der wird
geführt werden, wenn ſchließlich die verordneten Obrigkeiten ihn
für nötig halten und erklärt haben; er wird auch mit vollem Schneid
und vielleicht ſiegreich geführt werden, wenn man erſt einmal Feuer
bekommen und Blut geſehen hat. Aber es wird nicht von Hauſe
aus der Elan und das Feuer dahinter ſein wie in einem Kriege,
wenn wir angegriffen werden. Dann wird das ganze Deutſchland
von der Memel bis zum Bodenſee wie eine Pulvermine aufbrennen
und von Gewehren ſtarren, und es wird kein Feind wagen, mit
dieſem furor teutonicus, der ſich beim Angriff entwickelt, es aufzu-
nehmen. Dieſe Ueberlegenheit dürfen wir uns nicht entgehen laſſen,
ſelbſt wenn wir, was viele Militärs, nicht nur die unſerigen, an-
nehmen, jetzt unſeren künftigen Gegnern überlegen ſind. Die unſe-
rigen glauben das alle. Natürlich, jeder Soldat glaubt das; er
würde beinahe aufhören, ein brauchbarer Soldat zu ſein, wenn er
nicht den Krieg wünſchte und an ſeinen Sieg darin glaubte. Wenn
unſere Gegner etwa vermuten, daß es die Furcht vor dem Ausgange
iſt, die uns friedfertig ſtimmt, dann irren ſie ſich ganz gewaltig.
Wir glauben ebenſo feſt an unſeren Sieg in gerechter Sache, wie
irgend ein ausländiſcher Leutnant in ſeiner Garniſon beim dritten
Glaſe Champagner glauben kann, und wir vielleicht mit mehr
Sicherheit. Alſo iſt es nicht die Furcht, die uns friedfertig ſtimmt,
ſondern gerade das Bewußtſein unſerer Stärke, das Bewußtſein,
auch dann, wenn wir in einem minder günſtigen Augenblicke an-
gegriffen werden, ſtark genug zu ſein zur Abwehr und doch die
Möglichkeit zu haben, der göttlichen Vorſehung es zu überlaſſen, ob
ſie nicht in der Zwiſchenzeit doch noch die Notwendigkeit eines Krie-
ges aus dem Wege räumen wird.

Ich bin alſo nicht für irgendwelchen Angriffskrieg, und wenn
der Krieg nur durch unſeren Angriff entſtehen könnte — Feuer
muß von irgend jemanden angelegt werden, wir werden es nicht
anlegen — nun, weder das Bewußtſein unſerer Stärke, wie ich
es eben ſchilderte, noch das Vertrauen auf unſere Bündniſſe wird
uns abhalten, unſere bisherigen Beſtrebungen, den Frieden über-
haupt zu erhalten, mit dem bisherigen Eifer fortzuſetzen. Wir
laſſen uns da durch keine Verſtimmung leiten und durch keine Ab-
neigung beſtimmen. Es iſt ja unzweifelhaft, daß die Drohungen
und Beſchimpfungen, die Herausforderungen, die an uns gerichtet
worden ſind, auch bei uns eine ganz erhebliche und berechtigte Er-
bitterung erregt haben, und das iſt eben dem Deutſchen recht ſchwer,
denn er iſt dem Nationalhaß an ſich unzugänglicher als irgend
eine andere Nation; wir ſind aber bemüht, ſie zu beſänftigen, und
wir wollen nach wie vor den Frieden mit unſeren Nachbarn,
namentlich aber mit Rußland ſuchen. Wenn ich ſage: Namentlich
mit Rußland, ſo bin ich der Meinung, daß Frankreich uns bei dieſen
Bemühungen keine Sicherheit auf Erfolg gewährt, wenngleich ich
nicht ſagen will, daß es nichts hilft; wir werden nie Händel ſuchen,
wir werden Frankreich nie angreifen, wir haben in den vielen
kleinen Vorfällen, die die Neigung unſerer Nachbarn, zu ſpionieren
und zu beſtechen, verurſacht hat, immer eine ſehr gefällige und
freundliche Beilegung herbeigeführt, weil ich es für ruchlos halten
würde, um ſolcher Lappalien willen einen großen nationalen Krieg
zu entzünden oder auch nur wahrſcheinlich zu machen. Das ſind
[Spaltenumbruch] Fälle, wo es heißt: der Vernünftigere gibt nach. Ich nenne alſo
vorzugsweiſe Rußland, und da habe ich dasſelbe Vertrauen auf
das Gelingen, in welchem ich vor einem Jahre geſprochen habe,
ohne ein Nachlaufen oder, wie ein deutſches Blatt ſich roh ausdrückt,
„Wettkriechen“ vor Rußland! — Die Zeit iſt vorbei; um Liebe
werben wir nicht mehr, weder in Frankreich noch in Rußland.“



Deutſchland und der Welthrieg.

Unſer Mitarbeiter Dr. B. Laurence Freiherr v. Mackay
hat unter dem Titel „Deutſchland und der Weltkrieg:
Der Tag der Abrechnung
“ im Hans Sachs-Verlag (Mün-
chen-Leipzig 1914, Preis —.80 M) eine intereſſante Broſchüre er-
ſcheinen laſſen, die eine treffliche Ueberſicht über die bisherige Lage
gibt. Unſere Leſer kennen die lebendige, auf umfaſſendes Wiſſen
und eigener Anſchauung gegründete Darſtellungsweiſe Freiherrn
v. Mackays. Sie werden alle dieſe Eigenſchaften auch in der vor-
liegenden Broſchüre wiederfinden. Seine Broſchüre gibt in knappen
Zügen eine ſehr inſtruktive Vorgeſchichte des Krieges und eine treff-
liche politiſche Beleuchtung der Lage. Sehr feſſelnd ſind auch die
Porträts einzelner maßgebender Perſönlichkeiten. Wir ſetzen die
kleinen Schattenbildchen unſerer beiden engliſchen Erzfeinde zum
Beweiſe hierher:

Sir Edward Grey. Der ehrenwerte Sir Edward iſt das
Urbild des inſelhaft beſchränkten, alle Werte des eigenen Lebens
wie des nationalen Daſeins in Pfund und Penny umrechnenden
Engländers, des krämerhaften Ritters vom Wollſack. Lieſt man die
Reden, die er unter dem Pulsſchlag der Weltkrieg-Fieberkriſe in
Weſtminſter gehalten hat, ſo erfaßt den fühlenden Menſchen geradezu
ein Grauen, wie in ſolcher Stunde der verantwortliche Leiter der
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Volk hinſtellen und kalten Herzens, ſophiſtiſcher Klügelei eine Riſiko-
und Gewinnbilanz aufſtellen kann, um zu dem Schluß zu kommen:
„Wenn England am Krieg teilnimmt, ſo wird es wenig mehr zu
leiden haben, als wenn es fernbleibt.“ Nichts von der ſchandvollen
Urſache des Kriegs, nichts von der Treuloſigkeit des Zaren, der
Meineidigkeit ſeiner Ratgeber, nichts von der Verbrüderung mit
dem halbaſiatiſchen Deſpotismus und Feind europäiſcher Kultur,
nichts von einem chriſtlichen Gewiſſen, einem Pflicht- und Verant-
wortlichkeitsgefühl vor einer höheren ſittlichen Weltordnung! Nichts
als ein paar ſcheinheilige Phraſen über Friedensliebe und das euro-
päiſche Gleichgewicht und Streben, mit Wortſchwall und Wort-
drechſelei das Geſtändnis des Betrugs Deutſchlands in jeſuitiſcher
reservatio mentalis zu umgehen. Immer wieder hat Grey mit
eiſerner Stirn vor aller Welt betont, daß England keinerlei bindende
Verpflichtungen zum militäriſchen Eingreifen in feſtländiſch-groß-
mächtliche Verwicklungen eingegangen ſei. Aber there are more
ways of figuring political arrangements than of killing a cat.

Tatſächlich war ein gegenteiliges taktiſches Spiel längſt verbrieft und
verſiegelt: nicht nur mit Frankreich, wie es der von Viviani der
Pariſer Kammer mitgeteilte Notenwechſel zwiſchen Cambon und
Grey beweiſt, ſondern ſogar mit Rußland, und hier wie dort in Be-
ſtimmungen, denen eine bedingte Form offenſichtlich nur deshalb
gegeben war, um die tatſächliche und beabſichtigte Verpflichtung vor
dem eigenen Land und aller Welt leugnen zu können.

Winſton Churchill. Und doch iſt der Obmann des
Foreign Office nicht einmal der Schlimmſte! Die treibende Seele
der Kriegshetze bildet das Lager Winſton Churchills, dem das Blut
des großen, aber wenig gewiſſenszarten und treuloſen Ahnherrn,
des Herzogs von Marlborough, und der kreoliſchen Miß Jerome,
der Tochter eines amerikaniſchen Zeitungsfürſten, in eigentümlicher
Miſchung durch die Adern rinnt, deſſen Sinnen und Denken ein
maßloſer Ehrgeiz und ungezügelte Leidenſchaftlichkeit beherrſchen,
der der vergötterte Liebling der verbiſſenen deutſchfeindlichen Säbel-
raßler und der ſchändlichen Harmsworth-Hetzpreſſe iſt — und dem
einmal kein Geringerer als Lord Beresford, der ihn und ſein ver-
derbliches Treiben durchſchaute, auf den Kopf zugeſagt hat: „Weiß
der ſehr ehrenwerte Herr, daß er an einem Baume im Hyde Park
hängen wird, wenn England eine Seeſchlacht verliert?“

Das ſind die Kräfte, die das deutſch-britiſche Verſöhnungswerk
ruchlos zerſtört haben.

O Wahn, ſo bald empfangen!
Zur glücklichen Geburt gelangſt du nie
Und bringſt die Mütter um, die dich erzeugt!

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[570/0008] Allgemeine Zeitung 19. September 1914. nicht, ob Sie das Vertrauen zu mir haben würden, mir das zu bewilligen. Ich hoffe nicht. Aber wenn Sie es täten, würde es mir nicht genügen. Wenn wir in Deutſchland einen Krieg mit der vollen Wirkung unſerer Nationalkraft führen wollen, ſo muß es ein Krieg ſein, mit dem alle, die ihn mitmachen, alle, die ihm Opfer bringen, kurz und gut, mit dem die ganze Nation einver- ſtanden iſt; es muß ein Volkskrieg ſein; es muß ein Krieg ſein, der mit dem Enthuſiasmus geführt wird wie der von 1870, wo wir ruchlos angegriffen wurden. Es iſt mir noch erinnerlich der ohrengellende, freudige Zuruf am Kölner Bahnhofe, und ſo war es vor Berlin bis Köln, ſo war es hier in Berlin. Die Wogen der Volkszuſtimmung trugen uns in den Krieg hinein, wir hätten wollen mögen oder nicht. So muß es auch ſein, wenn eine Volks- kraft wie die unſere zur vollen Geltung kommen ſoll. Es wird aber ſehr ſchwer ſein, den Provinzen, den Bundesſtaaten und ihren Bevölkerungen das klar zu machen: Der Krieg iſt unver- meidlich, er muß ſein. Man wird fragen: Ja, ſeid ihr denn deſſen ſo ſicher? Wer weiß? Kurz, wenn wir ſchließlich zum Angriff kommen, ſo wird das ganze Gewicht der Imponderabilien, die viel ſchwerer wiegen als die materiellen Gewichte, auf der Seite unſerer Gegner ſein, die wir angegriffen haben. Das „heilige Rußland“ wird ent- rüſtet ſein über den Angriff. Frankreich wird bis an die Pyrenäen hin in Waffen ſtarren. Ganz dasſelbe wird überall geſchehen. Ein Krieg, zu dem wir nicht vom Volkswillen getragen werden, der wird geführt werden, wenn ſchließlich die verordneten Obrigkeiten ihn für nötig halten und erklärt haben; er wird auch mit vollem Schneid und vielleicht ſiegreich geführt werden, wenn man erſt einmal Feuer bekommen und Blut geſehen hat. Aber es wird nicht von Hauſe aus der Elan und das Feuer dahinter ſein wie in einem Kriege, wenn wir angegriffen werden. Dann wird das ganze Deutſchland von der Memel bis zum Bodenſee wie eine Pulvermine aufbrennen und von Gewehren ſtarren, und es wird kein Feind wagen, mit dieſem furor teutonicus, der ſich beim Angriff entwickelt, es aufzu- nehmen. Dieſe Ueberlegenheit dürfen wir uns nicht entgehen laſſen, ſelbſt wenn wir, was viele Militärs, nicht nur die unſerigen, an- nehmen, jetzt unſeren künftigen Gegnern überlegen ſind. Die unſe- rigen glauben das alle. Natürlich, jeder Soldat glaubt das; er würde beinahe aufhören, ein brauchbarer Soldat zu ſein, wenn er nicht den Krieg wünſchte und an ſeinen Sieg darin glaubte. Wenn unſere Gegner etwa vermuten, daß es die Furcht vor dem Ausgange iſt, die uns friedfertig ſtimmt, dann irren ſie ſich ganz gewaltig. Wir glauben ebenſo feſt an unſeren Sieg in gerechter Sache, wie irgend ein ausländiſcher Leutnant in ſeiner Garniſon beim dritten Glaſe Champagner glauben kann, und wir vielleicht mit mehr Sicherheit. Alſo iſt es nicht die Furcht, die uns friedfertig ſtimmt, ſondern gerade das Bewußtſein unſerer Stärke, das Bewußtſein, auch dann, wenn wir in einem minder günſtigen Augenblicke an- gegriffen werden, ſtark genug zu ſein zur Abwehr und doch die Möglichkeit zu haben, der göttlichen Vorſehung es zu überlaſſen, ob ſie nicht in der Zwiſchenzeit doch noch die Notwendigkeit eines Krie- ges aus dem Wege räumen wird. Ich bin alſo nicht für irgendwelchen Angriffskrieg, und wenn der Krieg nur durch unſeren Angriff entſtehen könnte — Feuer muß von irgend jemanden angelegt werden, wir werden es nicht anlegen — nun, weder das Bewußtſein unſerer Stärke, wie ich es eben ſchilderte, noch das Vertrauen auf unſere Bündniſſe wird uns abhalten, unſere bisherigen Beſtrebungen, den Frieden über- haupt zu erhalten, mit dem bisherigen Eifer fortzuſetzen. Wir laſſen uns da durch keine Verſtimmung leiten und durch keine Ab- neigung beſtimmen. Es iſt ja unzweifelhaft, daß die Drohungen und Beſchimpfungen, die Herausforderungen, die an uns gerichtet worden ſind, auch bei uns eine ganz erhebliche und berechtigte Er- bitterung erregt haben, und das iſt eben dem Deutſchen recht ſchwer, denn er iſt dem Nationalhaß an ſich unzugänglicher als irgend eine andere Nation; wir ſind aber bemüht, ſie zu beſänftigen, und wir wollen nach wie vor den Frieden mit unſeren Nachbarn, namentlich aber mit Rußland ſuchen. Wenn ich ſage: Namentlich mit Rußland, ſo bin ich der Meinung, daß Frankreich uns bei dieſen Bemühungen keine Sicherheit auf Erfolg gewährt, wenngleich ich nicht ſagen will, daß es nichts hilft; wir werden nie Händel ſuchen, wir werden Frankreich nie angreifen, wir haben in den vielen kleinen Vorfällen, die die Neigung unſerer Nachbarn, zu ſpionieren und zu beſtechen, verurſacht hat, immer eine ſehr gefällige und freundliche Beilegung herbeigeführt, weil ich es für ruchlos halten würde, um ſolcher Lappalien willen einen großen nationalen Krieg zu entzünden oder auch nur wahrſcheinlich zu machen. Das ſind Fälle, wo es heißt: der Vernünftigere gibt nach. Ich nenne alſo vorzugsweiſe Rußland, und da habe ich dasſelbe Vertrauen auf das Gelingen, in welchem ich vor einem Jahre geſprochen habe, ohne ein Nachlaufen oder, wie ein deutſches Blatt ſich roh ausdrückt, „Wettkriechen“ vor Rußland! — Die Zeit iſt vorbei; um Liebe werben wir nicht mehr, weder in Frankreich noch in Rußland.“ Deutſchland und der Welthrieg. Unſer Mitarbeiter Dr. B. Laurence Freiherr v. Mackay hat unter dem Titel „Deutſchland und der Weltkrieg: Der Tag der Abrechnung“ im Hans Sachs-Verlag (Mün- chen-Leipzig 1914, Preis —.80 M) eine intereſſante Broſchüre er- ſcheinen laſſen, die eine treffliche Ueberſicht über die bisherige Lage gibt. Unſere Leſer kennen die lebendige, auf umfaſſendes Wiſſen und eigener Anſchauung gegründete Darſtellungsweiſe Freiherrn v. Mackays. Sie werden alle dieſe Eigenſchaften auch in der vor- liegenden Broſchüre wiederfinden. Seine Broſchüre gibt in knappen Zügen eine ſehr inſtruktive Vorgeſchichte des Krieges und eine treff- liche politiſche Beleuchtung der Lage. Sehr feſſelnd ſind auch die Porträts einzelner maßgebender Perſönlichkeiten. Wir ſetzen die kleinen Schattenbildchen unſerer beiden engliſchen Erzfeinde zum Beweiſe hierher: Sir Edward Grey. Der ehrenwerte Sir Edward iſt das Urbild des inſelhaft beſchränkten, alle Werte des eigenen Lebens wie des nationalen Daſeins in Pfund und Penny umrechnenden Engländers, des krämerhaften Ritters vom Wollſack. Lieſt man die Reden, die er unter dem Pulsſchlag der Weltkrieg-Fieberkriſe in Weſtminſter gehalten hat, ſo erfaßt den fühlenden Menſchen geradezu ein Grauen, wie in ſolcher Stunde der verantwortliche Leiter der Politik des weltumſpannenden Großbritanniens ſich alſo vor ein Volk hinſtellen und kalten Herzens, ſophiſtiſcher Klügelei eine Riſiko- und Gewinnbilanz aufſtellen kann, um zu dem Schluß zu kommen: „Wenn England am Krieg teilnimmt, ſo wird es wenig mehr zu leiden haben, als wenn es fernbleibt.“ Nichts von der ſchandvollen Urſache des Kriegs, nichts von der Treuloſigkeit des Zaren, der Meineidigkeit ſeiner Ratgeber, nichts von der Verbrüderung mit dem halbaſiatiſchen Deſpotismus und Feind europäiſcher Kultur, nichts von einem chriſtlichen Gewiſſen, einem Pflicht- und Verant- wortlichkeitsgefühl vor einer höheren ſittlichen Weltordnung! Nichts als ein paar ſcheinheilige Phraſen über Friedensliebe und das euro- päiſche Gleichgewicht und Streben, mit Wortſchwall und Wort- drechſelei das Geſtändnis des Betrugs Deutſchlands in jeſuitiſcher reservatio mentalis zu umgehen. Immer wieder hat Grey mit eiſerner Stirn vor aller Welt betont, daß England keinerlei bindende Verpflichtungen zum militäriſchen Eingreifen in feſtländiſch-groß- mächtliche Verwicklungen eingegangen ſei. Aber there are more ways of figuring political arrangements than of killing a cat. Tatſächlich war ein gegenteiliges taktiſches Spiel längſt verbrieft und verſiegelt: nicht nur mit Frankreich, wie es der von Viviani der Pariſer Kammer mitgeteilte Notenwechſel zwiſchen Cambon und Grey beweiſt, ſondern ſogar mit Rußland, und hier wie dort in Be- ſtimmungen, denen eine bedingte Form offenſichtlich nur deshalb gegeben war, um die tatſächliche und beabſichtigte Verpflichtung vor dem eigenen Land und aller Welt leugnen zu können. Winſton Churchill. Und doch iſt der Obmann des Foreign Office nicht einmal der Schlimmſte! Die treibende Seele der Kriegshetze bildet das Lager Winſton Churchills, dem das Blut des großen, aber wenig gewiſſenszarten und treuloſen Ahnherrn, des Herzogs von Marlborough, und der kreoliſchen Miß Jerome, der Tochter eines amerikaniſchen Zeitungsfürſten, in eigentümlicher Miſchung durch die Adern rinnt, deſſen Sinnen und Denken ein maßloſer Ehrgeiz und ungezügelte Leidenſchaftlichkeit beherrſchen, der der vergötterte Liebling der verbiſſenen deutſchfeindlichen Säbel- raßler und der ſchändlichen Harmsworth-Hetzpreſſe iſt — und dem einmal kein Geringerer als Lord Beresford, der ihn und ſein ver- derbliches Treiben durchſchaute, auf den Kopf zugeſagt hat: „Weiß der ſehr ehrenwerte Herr, daß er an einem Baume im Hyde Park hängen wird, wenn England eine Seeſchlacht verliert?“ Das ſind die Kräfte, die das deutſch-britiſche Verſöhnungswerk ruchlos zerſtört haben. O Wahn, ſo bald empfangen! Zur glücklichen Geburt gelangſt du nie Und bringſt die Mütter um, die dich erzeugt!

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 38, 19. September 1914, S. 570. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine38_1914/8>, abgerufen am 21.11.2024.