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Allgemeine Zeitung, Nr. 37, 12. September 1914.

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12. September 1914. Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch]

Bekanntlich ist der Kommandant von Lüttich gefangen genom-
men und auf die Festung Magdeburg gebracht worden. Die Magde-
burgsche Zeitung gibt nun sehr interessante Aeußerungen des
Generals Leman über Deutschlands Soldaten
wieder. Sie schreibt:

"Der gefangene Kommandant von Lüttich, General Leman,
unternahm von der Zitadelle aus seinen ersten Gang durch Magde-
burg. Ein hoher Offizier in Zivil geleitete ihn und leistete ihm
Führerdienste. Man schreitet auf die Zollbrücke zu: Militär kommt
herangezogen. Mit festem Schritt von der Uebung heimwärts. Und
ein Lied in den Kehlen, als gebe es keine Müdigkeit und kein Nach-
lassen selbst nach anstrengendstem Dienst; eine Kompagnie kriegs-
freiwilliger Infanterie. Die Frachtschiffe der Elbe liegen still im
Hafen -- ein Bild vollkommener Ruhe und des Friedens; nach rück-
wärts zu fängt die Stadt an sich zu zeigen mit ihren Häuserfluchten,
ihren Türmen. Flutender großstädtischer Betrieb. Autos, Wagen-
lasten, die schwer auf die Räder drücken. Passanten, Rasseln von
Droschken. Klingeln von Elektrischen ... Lange Brücke. Wieder
gleicher Schritt und Tritt: ein kriegsstarkes Bataillon von Pionie-
ren in vorzüglichster Verfassung. Weiter: Kasernenhof der neuen
Feldartilleriekaserne. Kriegerisches Leben. Dampfende Pferde wer-
den ausgeschirrt. Auf den braunen Kanonenläufen liegt matt das
Sonnenlicht. In den Kasernenstuben Hin und Her von Drillich-
jacken und manch fröhlicher Ruf. "Die Wacht am Rhein", "Die Vög-
lein im Walde" ... Die Züge des gefangenen Fremden werden
immer düsterer. Es geht auf den Anger zu. Hier vollständig
"Krieg im Frieden", Felddienstübungen, Schießen von den Militär-
schießständen her. Alles in echt preußischer Erfüllung der Sol-
datenpflicht. Gang über die Königsbrücke: Was ist das? Die
Stadt, deren Silhouette vom Dom an bis zur Jakobikirche so friedlich
in den blauen Himmel hineinsteht, speit Soldaten aus. Das sind
Teile von großen Heeren, deren Zahl sich die Phantasie gar nicht
vorstellen kann. Das sind Ausstrahlungen von Kräften, die nicht
zu berechnen sind, deren Wirkung nicht annähernd geschätzt wer-
den kann. Das sind ... Doch weiter geht es über den Kaiser-
Wilhelm-Platz hinweg; den Breitenweg entlang. Und Soldaten
auf den Bürgersteigen, Soldaten vor den Haustüren. Soldaten in
den Wagen der Elektrischen, Soldaten auf den Straßen, wahrschein-
lich auch unter den Straßen, Soldaten jeden Alters! Soldaten aller
Waffengattungen! Und von der Strombrücke her ein Einziehen
von Soldaten, Soldaten ... "Vieles Unwahrscheinliche erlebte ich
während der letzten Tage", sagte der Gefangene, "nie für mög-
lich Gehaltenes. Aber diese Soldaten!
-- Deutsch-
land kämpft doch gegen drei Fronten; seine Soldaten müssen doch
im Felde stehen; hier Soldaten, nur Soldaten ... Das ist ganz
undenkbar, unfaßbar
..."



Hier ist auch der Platz, auf die Waffentat des Prinzen Hein-
rich von Bayern
und seiner Schweren Reiter zurückzukommen:

Einem Bericht eines Mitbeteiligten über die bekannte Vernich-
tung einer französischen Dragonerabteilung durch die Schweren
Reiter, der dem "Bayer. Kurier" zur Verfügung gestellt wird, ent-
nehmen wir das Folgende:

"Ihr werdet auch gehört haben von der Attacke meiner Eska-
dron. Dies ging nämlich so zu: Wir hatten am 12. und 13. August
Rasttag und waren in einem französischen Dorfe einquartiert. Am
zweiten Rasttag hieß es zwei Eskadrons satteln und nach einer
Viertelstunde ging es schon im Trabe zum Dorf hinaus einer fran-
zösischen Festung zu. Nach einem halbstündigen Ritt wurde links
im Feld in einer Entfernung von 700 Meter eine größere Abtei-
lung französischer Dragoner sichtbar und der Prinz ließ unsere Es-
kadron gleich aufmarschieren. Und nun ging die Verfolgung los.
Die Dragoner ritten gleich davon. Nach einiger Zeit holten wir
die Brüder ein und es kamen nur drei Mann davon. Die fran-
zösischen Pferde, Säbel, Helme usw. und einen französischen Dra-
goner nahmen wir mit. Die Pferde müssen jetzt bei uns in der
Eskadron mitlaufen. Von uns wurde ein Sergeant und ein Ge-
freiter verletzt und ein Unteroffizier war tot. Die zwei Verletzten
und den Dragoner, den wir mitnahmen, verband ich gleich und
dann ritten wir in unser Quartier zurück. Von den Franzosen war
keiner dabei unter 4 bis 5 Verletzungen. Dem Prinzen schlug einer
die Pistole aus der Hand und sein Säbel war derart verbogen,
daß er ihn nicht mehr aus der Scheide herausbrachte. Er wurde
gleich von unseren Unteroffizieren und Mannschaften umringt und
wer ihm in den Weg treten wollte, wurde aufgespießt."

[Spaltenumbruch]

Unter unseren Soldaten ist vielfach die Meinung verbreitet, das
französische Infanteriegeschoß wäre dadurch beson-
ders gefährlich, daß es Veranlassung zur Vergiftung auf
chemischem Wege gebe. Besonders argwöhnisch wird hierbei der
schwarze, schmale Streifen beurteilt, den die französischen Geschosse
teilweise an der Stelle tragen, wo das Geschoß in der Patronenhülse
steckt. Prof. W. Straub aus Freiburg i. Br., der verschiedene
dieser Patronen untersucht hat, widerlegt nun diese Vermutung und
äußert sich in der feldärztlichen Beilage zur "Münchener Medizini-
schen Wochenschrift" wie folgt:

Bei der Untersuchung hat sich herausgestellt, daß es sich bei den
erwähnten schwarzen Streifen um einen Lackring handelt, der völ-
lig harmlos ist;
er ist aus rein technischen Gründen zur Abdich-
tung an der Stelle angebracht, wo das Geschoß in die Patronenhülse
eingefügt ist. Der Lack sitzt außerordentlich fest und war zum Teil
noch erhalten an Geschossen, die aus Verwundeten entfernt worden
waren; er hat also die Passage durch den Gewehrlauf unversehrt
ausgehalten. Im übrigen tragen nicht alle Geschosse diesen Lack-
ring, sondern nur bestimmte, mit dem gleichen Fabrikationszeichen
versehene.

Das Geschoß selbst ist ein Massivgeschoß aus sehr gutem Mate-
rial. Die chemische Analyse ergab die Anwesenheit von Kupfer,
Zink und Nickel, und zwar in quantitativ unverbindlicher Schätzung
etwa 90 Prozent Kupfer, 6 Prozent Zink und 4 Prozent Nickel.
Arsen, Phosphor, Antimon fehlen. Das Geschoß ist mit einem
äußerst dünnen, offenbar galvanisch aufgelegten Kupfermantel über-
zogen, der aber so dünn ist, daß er, selbst wenn er absplittern sollte,
keinen Schaden anrichten kann. Eine akute Vergiftung mit
den im Geschoß enthaltenen Metallen erscheint ausgeschlossen.
Ob ein derartiges eingeheiltes Geschoß etwa eine chronische Vergif-
tung noch nachträglich verursachen könnte, ist zurzeit noch nicht zu
unterscheiden; bei Tierversuchen über das Verhalten solcher einge-
heilter Geschosse waren bis jetzt keinerlei Reaktionserscheinungen zu
beobachten; die Beobachtungen der Aerzte über den Heilungsverlauf
Verwundeter mit nicht entfernten Geschossen stimmen damit über-
ein. Ueber die Resorption von Kupfer aus metallischem Depot und
dadurch entstehende chronische Kupfervergiftung ist so gut wie nichts
bekannt; es erscheint aber äußerst unwahrscheinlich, daß auf diesem
Wege eine chronische Vergiftung entstehen könnte.


Toxikologisch besteht nach Prof. Straub keine Veranlassung zur
schleunigen Entfernung des Geschosses aus dem Verwundeten, wenn
nicht andere Gründe dazu zwingen. Das französische Geschoß muß,
soweit in solchem Fall der Ausdruck überhaupt gerechtfertigt er-
scheint, als human bezeichnet werden.


Ein Erkundungsflug bei Sedan.

Die nachstehende Schilderung eines Erkundungsfluges zweier
Fliegeroffiziere, der leider mit dem Tode des einen Offiziers endete,
wird von einem Leser dem "Lübecker Generalanzeiger" zur Ver-
fügung gestellt. Der tapfere Offizier schreibt u. a.:

Lieber Vater!
Ich liege hier in einem schönen belgischen Schlosse, das von
seinem Besitzer verlassen ist, und wo die Fasanen zu Hunderten
herumlaufen. Als ich Dir den letzten Brief schrieb, ahnte ich noch
nicht, daß ich in den letzten Tagen so viel erleben sollte und nur
durch ein Wunder mit dem Leben davongekommen bin. Ich flog
am 22. morgens bei nebligem Wetter mit Leutnant J., einem vor-
trefflichen Flieger, nach Sedan und stellte den Vormarsch feindlicher
Truppen nach Norden fest. In der Gegend Bertrix kamen wir in
schwere Regenwolken und mußten auf 1000 Meter heruntergehen.
In diesem Augenblick hörten wir auch schon das Aufschlagen feind-
licher Artilleriegeschosse gegen die Maschine und schien unter uns
eine ganze französische Divsion in Bereitstellung. J. erhielt eine
Kugel in den Leib. Der Motor blieb stehen, und die Maschine sank
steil herunter, mitten auf die feindlichen Truppen zu, die ein rasen-
des Feuer auf uns abgaben. In 800 Meter bäumte sich die
Maschine auf, ich drehte mich um und sah J. mit einem Schuß mitten
durch die Stirn tot daliegen. Nun ergriff ich über die Lehne des
Sitzes das Steuer, und es gelang mir, so den braven Doppeldecker
[irrelevantes Material]
12. September 1914. Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch]

Bekanntlich iſt der Kommandant von Lüttich gefangen genom-
men und auf die Feſtung Magdeburg gebracht worden. Die Magde-
burgſche Zeitung gibt nun ſehr intereſſante Aeußerungen des
Generals Léman über Deutſchlands Soldaten
wieder. Sie ſchreibt:

„Der gefangene Kommandant von Lüttich, General Léman,
unternahm von der Zitadelle aus ſeinen erſten Gang durch Magde-
burg. Ein hoher Offizier in Zivil geleitete ihn und leiſtete ihm
Führerdienſte. Man ſchreitet auf die Zollbrücke zu: Militär kommt
herangezogen. Mit feſtem Schritt von der Uebung heimwärts. Und
ein Lied in den Kehlen, als gebe es keine Müdigkeit und kein Nach-
laſſen ſelbſt nach anſtrengendſtem Dienſt; eine Kompagnie kriegs-
freiwilliger Infanterie. Die Frachtſchiffe der Elbe liegen ſtill im
Hafen — ein Bild vollkommener Ruhe und des Friedens; nach rück-
wärts zu fängt die Stadt an ſich zu zeigen mit ihren Häuſerfluchten,
ihren Türmen. Flutender großſtädtiſcher Betrieb. Autos, Wagen-
laſten, die ſchwer auf die Räder drücken. Paſſanten, Raſſeln von
Droſchken. Klingeln von Elektriſchen ... Lange Brücke. Wieder
gleicher Schritt und Tritt: ein kriegsſtarkes Bataillon von Pionie-
ren in vorzüglichſter Verfaſſung. Weiter: Kaſernenhof der neuen
Feldartilleriekaſerne. Kriegeriſches Leben. Dampfende Pferde wer-
den ausgeſchirrt. Auf den braunen Kanonenläufen liegt matt das
Sonnenlicht. In den Kaſernenſtuben Hin und Her von Drillich-
jacken und manch fröhlicher Ruf. „Die Wacht am Rhein“, „Die Vög-
lein im Walde“ ... Die Züge des gefangenen Fremden werden
immer düſterer. Es geht auf den Anger zu. Hier vollſtändig
„Krieg im Frieden“, Felddienſtübungen, Schießen von den Militär-
ſchießſtänden her. Alles in echt preußiſcher Erfüllung der Sol-
datenpflicht. Gang über die Königsbrücke: Was iſt das? Die
Stadt, deren Silhouette vom Dom an bis zur Jakobikirche ſo friedlich
in den blauen Himmel hineinſteht, ſpeit Soldaten aus. Das ſind
Teile von großen Heeren, deren Zahl ſich die Phantaſie gar nicht
vorſtellen kann. Das ſind Ausſtrahlungen von Kräften, die nicht
zu berechnen ſind, deren Wirkung nicht annähernd geſchätzt wer-
den kann. Das ſind ... Doch weiter geht es über den Kaiſer-
Wilhelm-Platz hinweg; den Breitenweg entlang. Und Soldaten
auf den Bürgerſteigen, Soldaten vor den Haustüren. Soldaten in
den Wagen der Elektriſchen, Soldaten auf den Straßen, wahrſchein-
lich auch unter den Straßen, Soldaten jeden Alters! Soldaten aller
Waffengattungen! Und von der Strombrücke her ein Einziehen
von Soldaten, Soldaten ... „Vieles Unwahrſcheinliche erlebte ich
während der letzten Tage“, ſagte der Gefangene, „nie für mög-
lich Gehaltenes. Aber dieſe Soldaten!
— Deutſch-
land kämpft doch gegen drei Fronten; ſeine Soldaten müſſen doch
im Felde ſtehen; hier Soldaten, nur Soldaten ... Das iſt ganz
undenkbar, unfaßbar
...“



Hier iſt auch der Platz, auf die Waffentat des Prinzen Hein-
rich von Bayern
und ſeiner Schweren Reiter zurückzukommen:

Einem Bericht eines Mitbeteiligten über die bekannte Vernich-
tung einer franzöſiſchen Dragonerabteilung durch die Schweren
Reiter, der dem „Bayer. Kurier“ zur Verfügung geſtellt wird, ent-
nehmen wir das Folgende:

„Ihr werdet auch gehört haben von der Attacke meiner Eska-
dron. Dies ging nämlich ſo zu: Wir hatten am 12. und 13. Auguſt
Raſttag und waren in einem franzöſiſchen Dorfe einquartiert. Am
zweiten Raſttag hieß es zwei Eskadrons ſatteln und nach einer
Viertelſtunde ging es ſchon im Trabe zum Dorf hinaus einer fran-
zöſiſchen Feſtung zu. Nach einem halbſtündigen Ritt wurde links
im Feld in einer Entfernung von 700 Meter eine größere Abtei-
lung franzöſiſcher Dragoner ſichtbar und der Prinz ließ unſere Es-
kadron gleich aufmarſchieren. Und nun ging die Verfolgung los.
Die Dragoner ritten gleich davon. Nach einiger Zeit holten wir
die Brüder ein und es kamen nur drei Mann davon. Die fran-
zöſiſchen Pferde, Säbel, Helme uſw. und einen franzöſiſchen Dra-
goner nahmen wir mit. Die Pferde müſſen jetzt bei uns in der
Eskadron mitlaufen. Von uns wurde ein Sergeant und ein Ge-
freiter verletzt und ein Unteroffizier war tot. Die zwei Verletzten
und den Dragoner, den wir mitnahmen, verband ich gleich und
dann ritten wir in unſer Quartier zurück. Von den Franzoſen war
keiner dabei unter 4 bis 5 Verletzungen. Dem Prinzen ſchlug einer
die Piſtole aus der Hand und ſein Säbel war derart verbogen,
daß er ihn nicht mehr aus der Scheide herausbrachte. Er wurde
gleich von unſeren Unteroffizieren und Mannſchaften umringt und
wer ihm in den Weg treten wollte, wurde aufgeſpießt.“

[Spaltenumbruch]

Unter unſeren Soldaten iſt vielfach die Meinung verbreitet, das
franzöſiſche Infanteriegeſchoß wäre dadurch beſon-
ders gefährlich, daß es Veranlaſſung zur Vergiftung auf
chemiſchem Wege gebe. Beſonders argwöhniſch wird hierbei der
ſchwarze, ſchmale Streifen beurteilt, den die franzöſiſchen Geſchoſſe
teilweiſe an der Stelle tragen, wo das Geſchoß in der Patronenhülſe
ſteckt. Prof. W. Straub aus Freiburg i. Br., der verſchiedene
dieſer Patronen unterſucht hat, widerlegt nun dieſe Vermutung und
äußert ſich in der feldärztlichen Beilage zur „Münchener Medizini-
ſchen Wochenſchrift“ wie folgt:

Bei der Unterſuchung hat ſich herausgeſtellt, daß es ſich bei den
erwähnten ſchwarzen Streifen um einen Lackring handelt, der völ-
lig harmlos iſt;
er iſt aus rein techniſchen Gründen zur Abdich-
tung an der Stelle angebracht, wo das Geſchoß in die Patronenhülſe
eingefügt iſt. Der Lack ſitzt außerordentlich feſt und war zum Teil
noch erhalten an Geſchoſſen, die aus Verwundeten entfernt worden
waren; er hat alſo die Paſſage durch den Gewehrlauf unverſehrt
ausgehalten. Im übrigen tragen nicht alle Geſchoſſe dieſen Lack-
ring, ſondern nur beſtimmte, mit dem gleichen Fabrikationszeichen
verſehene.

Das Geſchoß ſelbſt iſt ein Maſſivgeſchoß aus ſehr gutem Mate-
rial. Die chemiſche Analyſe ergab die Anweſenheit von Kupfer,
Zink und Nickel, und zwar in quantitativ unverbindlicher Schätzung
etwa 90 Prozent Kupfer, 6 Prozent Zink und 4 Prozent Nickel.
Arſen, Phosphor, Antimon fehlen. Das Geſchoß iſt mit einem
äußerſt dünnen, offenbar galvaniſch aufgelegten Kupfermantel über-
zogen, der aber ſo dünn iſt, daß er, ſelbſt wenn er abſplittern ſollte,
keinen Schaden anrichten kann. Eine akute Vergiftung mit
den im Geſchoß enthaltenen Metallen erſcheint ausgeſchloſſen.
Ob ein derartiges eingeheiltes Geſchoß etwa eine chroniſche Vergif-
tung noch nachträglich verurſachen könnte, iſt zurzeit noch nicht zu
unterſcheiden; bei Tierverſuchen über das Verhalten ſolcher einge-
heilter Geſchoſſe waren bis jetzt keinerlei Reaktionserſcheinungen zu
beobachten; die Beobachtungen der Aerzte über den Heilungsverlauf
Verwundeter mit nicht entfernten Geſchoſſen ſtimmen damit über-
ein. Ueber die Reſorption von Kupfer aus metalliſchem Depot und
dadurch entſtehende chroniſche Kupfervergiftung iſt ſo gut wie nichts
bekannt; es erſcheint aber äußerſt unwahrſcheinlich, daß auf dieſem
Wege eine chroniſche Vergiftung entſtehen könnte.


Toxikologiſch beſteht nach Prof. Straub keine Veranlaſſung zur
ſchleunigen Entfernung des Geſchoſſes aus dem Verwundeten, wenn
nicht andere Gründe dazu zwingen. Das franzöſiſche Geſchoß muß,
ſoweit in ſolchem Fall der Ausdruck überhaupt gerechtfertigt er-
ſcheint, als human bezeichnet werden.


Ein Erkundungsflug bei Sedan.

Die nachſtehende Schilderung eines Erkundungsfluges zweier
Fliegeroffiziere, der leider mit dem Tode des einen Offiziers endete,
wird von einem Leſer dem „Lübecker Generalanzeiger“ zur Ver-
fügung geſtellt. Der tapfere Offizier ſchreibt u. a.:

Lieber Vater!
Ich liege hier in einem ſchönen belgiſchen Schloſſe, das von
ſeinem Beſitzer verlaſſen iſt, und wo die Faſanen zu Hunderten
herumlaufen. Als ich Dir den letzten Brief ſchrieb, ahnte ich noch
nicht, daß ich in den letzten Tagen ſo viel erleben ſollte und nur
durch ein Wunder mit dem Leben davongekommen bin. Ich flog
am 22. morgens bei nebligem Wetter mit Leutnant J., einem vor-
trefflichen Flieger, nach Sedan und ſtellte den Vormarſch feindlicher
Truppen nach Norden feſt. In der Gegend Bertrix kamen wir in
ſchwere Regenwolken und mußten auf 1000 Meter heruntergehen.
In dieſem Augenblick hörten wir auch ſchon das Aufſchlagen feind-
licher Artilleriegeſchoſſe gegen die Maſchine und ſchien unter uns
eine ganze franzöſiſche Divſion in Bereitſtellung. J. erhielt eine
Kugel in den Leib. Der Motor blieb ſtehen, und die Maſchine ſank
ſteil herunter, mitten auf die feindlichen Truppen zu, die ein raſen-
des Feuer auf uns abgaben. In 800 Meter bäumte ſich die
Maſchine auf, ich drehte mich um und ſah J. mit einem Schuß mitten
durch die Stirn tot daliegen. Nun ergriff ich über die Lehne des
Sitzes das Steuer, und es gelang mir, ſo den braven Doppeldecker
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[553/0003] 12. September 1914. Allgemeine Zeitung Bekanntlich iſt der Kommandant von Lüttich gefangen genom- men und auf die Feſtung Magdeburg gebracht worden. Die Magde- burgſche Zeitung gibt nun ſehr intereſſante Aeußerungen des Generals Léman über Deutſchlands Soldaten wieder. Sie ſchreibt: „Der gefangene Kommandant von Lüttich, General Léman, unternahm von der Zitadelle aus ſeinen erſten Gang durch Magde- burg. Ein hoher Offizier in Zivil geleitete ihn und leiſtete ihm Führerdienſte. Man ſchreitet auf die Zollbrücke zu: Militär kommt herangezogen. Mit feſtem Schritt von der Uebung heimwärts. Und ein Lied in den Kehlen, als gebe es keine Müdigkeit und kein Nach- laſſen ſelbſt nach anſtrengendſtem Dienſt; eine Kompagnie kriegs- freiwilliger Infanterie. Die Frachtſchiffe der Elbe liegen ſtill im Hafen — ein Bild vollkommener Ruhe und des Friedens; nach rück- wärts zu fängt die Stadt an ſich zu zeigen mit ihren Häuſerfluchten, ihren Türmen. Flutender großſtädtiſcher Betrieb. 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Das ſind Teile von großen Heeren, deren Zahl ſich die Phantaſie gar nicht vorſtellen kann. Das ſind Ausſtrahlungen von Kräften, die nicht zu berechnen ſind, deren Wirkung nicht annähernd geſchätzt wer- den kann. Das ſind ... Doch weiter geht es über den Kaiſer- Wilhelm-Platz hinweg; den Breitenweg entlang. Und Soldaten auf den Bürgerſteigen, Soldaten vor den Haustüren. Soldaten in den Wagen der Elektriſchen, Soldaten auf den Straßen, wahrſchein- lich auch unter den Straßen, Soldaten jeden Alters! Soldaten aller Waffengattungen! Und von der Strombrücke her ein Einziehen von Soldaten, Soldaten ... „Vieles Unwahrſcheinliche erlebte ich während der letzten Tage“, ſagte der Gefangene, „nie für mög- lich Gehaltenes. Aber dieſe Soldaten! — Deutſch- land kämpft doch gegen drei Fronten; ſeine Soldaten müſſen doch im Felde ſtehen; hier Soldaten, nur Soldaten ... Das iſt ganz undenkbar, unfaßbar ...“ Hier iſt auch der Platz, auf die Waffentat des Prinzen Hein- rich von Bayern und ſeiner Schweren Reiter zurückzukommen: Einem Bericht eines Mitbeteiligten über die bekannte Vernich- tung einer franzöſiſchen Dragonerabteilung durch die Schweren Reiter, der dem „Bayer. Kurier“ zur Verfügung geſtellt wird, ent- nehmen wir das Folgende: „Ihr werdet auch gehört haben von der Attacke meiner Eska- dron. Dies ging nämlich ſo zu: Wir hatten am 12. und 13. Auguſt Raſttag und waren in einem franzöſiſchen Dorfe einquartiert. Am zweiten Raſttag hieß es zwei Eskadrons ſatteln und nach einer Viertelſtunde ging es ſchon im Trabe zum Dorf hinaus einer fran- zöſiſchen Feſtung zu. Nach einem halbſtündigen Ritt wurde links im Feld in einer Entfernung von 700 Meter eine größere Abtei- lung franzöſiſcher Dragoner ſichtbar und der Prinz ließ unſere Es- kadron gleich aufmarſchieren. Und nun ging die Verfolgung los. Die Dragoner ritten gleich davon. Nach einiger Zeit holten wir die Brüder ein und es kamen nur drei Mann davon. Die fran- zöſiſchen Pferde, Säbel, Helme uſw. und einen franzöſiſchen Dra- goner nahmen wir mit. Die Pferde müſſen jetzt bei uns in der Eskadron mitlaufen. Von uns wurde ein Sergeant und ein Ge- freiter verletzt und ein Unteroffizier war tot. Die zwei Verletzten und den Dragoner, den wir mitnahmen, verband ich gleich und dann ritten wir in unſer Quartier zurück. Von den Franzoſen war keiner dabei unter 4 bis 5 Verletzungen. Dem Prinzen ſchlug einer die Piſtole aus der Hand und ſein Säbel war derart verbogen, daß er ihn nicht mehr aus der Scheide herausbrachte. Er wurde gleich von unſeren Unteroffizieren und Mannſchaften umringt und wer ihm in den Weg treten wollte, wurde aufgeſpießt.“ Unter unſeren Soldaten iſt vielfach die Meinung verbreitet, das franzöſiſche Infanteriegeſchoß wäre dadurch beſon- ders gefährlich, daß es Veranlaſſung zur Vergiftung auf chemiſchem Wege gebe. Beſonders argwöhniſch wird hierbei der ſchwarze, ſchmale Streifen beurteilt, den die franzöſiſchen Geſchoſſe teilweiſe an der Stelle tragen, wo das Geſchoß in der Patronenhülſe ſteckt. Prof. W. Straub aus Freiburg i. Br., der verſchiedene dieſer Patronen unterſucht hat, widerlegt nun dieſe Vermutung und äußert ſich in der feldärztlichen Beilage zur „Münchener Medizini- ſchen Wochenſchrift“ wie folgt: Bei der Unterſuchung hat ſich herausgeſtellt, daß es ſich bei den erwähnten ſchwarzen Streifen um einen Lackring handelt, der völ- lig harmlos iſt; er iſt aus rein techniſchen Gründen zur Abdich- tung an der Stelle angebracht, wo das Geſchoß in die Patronenhülſe eingefügt iſt. Der Lack ſitzt außerordentlich feſt und war zum Teil noch erhalten an Geſchoſſen, die aus Verwundeten entfernt worden waren; er hat alſo die Paſſage durch den Gewehrlauf unverſehrt ausgehalten. Im übrigen tragen nicht alle Geſchoſſe dieſen Lack- ring, ſondern nur beſtimmte, mit dem gleichen Fabrikationszeichen verſehene. Das Geſchoß ſelbſt iſt ein Maſſivgeſchoß aus ſehr gutem Mate- rial. Die chemiſche Analyſe ergab die Anweſenheit von Kupfer, Zink und Nickel, und zwar in quantitativ unverbindlicher Schätzung etwa 90 Prozent Kupfer, 6 Prozent Zink und 4 Prozent Nickel. Arſen, Phosphor, Antimon fehlen. Das Geſchoß iſt mit einem äußerſt dünnen, offenbar galvaniſch aufgelegten Kupfermantel über- zogen, der aber ſo dünn iſt, daß er, ſelbſt wenn er abſplittern ſollte, keinen Schaden anrichten kann. Eine akute Vergiftung mit den im Geſchoß enthaltenen Metallen erſcheint ausgeſchloſſen. Ob ein derartiges eingeheiltes Geſchoß etwa eine chroniſche Vergif- tung noch nachträglich verurſachen könnte, iſt zurzeit noch nicht zu unterſcheiden; bei Tierverſuchen über das Verhalten ſolcher einge- heilter Geſchoſſe waren bis jetzt keinerlei Reaktionserſcheinungen zu beobachten; die Beobachtungen der Aerzte über den Heilungsverlauf Verwundeter mit nicht entfernten Geſchoſſen ſtimmen damit über- ein. Ueber die Reſorption von Kupfer aus metalliſchem Depot und dadurch entſtehende chroniſche Kupfervergiftung iſt ſo gut wie nichts bekannt; es erſcheint aber äußerſt unwahrſcheinlich, daß auf dieſem Wege eine chroniſche Vergiftung entſtehen könnte. Toxikologiſch beſteht nach Prof. Straub keine Veranlaſſung zur ſchleunigen Entfernung des Geſchoſſes aus dem Verwundeten, wenn nicht andere Gründe dazu zwingen. Das franzöſiſche Geſchoß muß, ſoweit in ſolchem Fall der Ausdruck überhaupt gerechtfertigt er- ſcheint, als human bezeichnet werden. Ein Erkundungsflug bei Sedan. Die nachſtehende Schilderung eines Erkundungsfluges zweier Fliegeroffiziere, der leider mit dem Tode des einen Offiziers endete, wird von einem Leſer dem „Lübecker Generalanzeiger“ zur Ver- fügung geſtellt. Der tapfere Offizier ſchreibt u. a.: Lieber Vater! Ich liege hier in einem ſchönen belgiſchen Schloſſe, das von ſeinem Beſitzer verlaſſen iſt, und wo die Faſanen zu Hunderten herumlaufen. Als ich Dir den letzten Brief ſchrieb, ahnte ich noch nicht, daß ich in den letzten Tagen ſo viel erleben ſollte und nur durch ein Wunder mit dem Leben davongekommen bin. Ich flog am 22. morgens bei nebligem Wetter mit Leutnant J., einem vor- trefflichen Flieger, nach Sedan und ſtellte den Vormarſch feindlicher Truppen nach Norden feſt. In der Gegend Bertrix kamen wir in ſchwere Regenwolken und mußten auf 1000 Meter heruntergehen. In dieſem Augenblick hörten wir auch ſchon das Aufſchlagen feind- licher Artilleriegeſchoſſe gegen die Maſchine und ſchien unter uns eine ganze franzöſiſche Divſion in Bereitſtellung. J. erhielt eine Kugel in den Leib. Der Motor blieb ſtehen, und die Maſchine ſank ſteil herunter, mitten auf die feindlichen Truppen zu, die ein raſen- des Feuer auf uns abgaben. In 800 Meter bäumte ſich die Maſchine auf, ich drehte mich um und ſah J. mit einem Schuß mitten durch die Stirn tot daliegen. Nun ergriff ich über die Lehne des Sitzes das Steuer, und es gelang mir, ſo den braven Doppeldecker _

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 37, 12. September 1914, S. 553. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine37_1914/3>, abgerufen am 21.11.2024.