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Allgemeine Zeitung, Nr. 17, 2. Mai 1920.

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2. Mai 1920 Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch] welche die Interessen der Allgemeinheit den Interessen einer be-
vorzugten Minderheit opfern.

Zum Schutze der Arbeiterklasse fordert die Sozialdemo-
kratische Partei Deutschlands zunächst:

1. Eine wirksame nationale und internationale Arbeiter-
schutzgesetzgebung auf folgender Grundlage:

a) Festsetzung eines höchstens acht Stunden betragenden Nor-
malarbeitstages;

b) Verbot der Erwerbsarbeit für Kinder unter 14 Jahren;
c) Verbot der Nachtarbeit, außer für solche Industriezweige,
die ihrer Natur nach, aus technischen Gründen oder aus
Gründen der öffentlichen Wohlfahrt Nachtarbeit erheischen;
d) eine ununterbrochene Ruhepause von mindestens 36 Stun-
den in jeder Woche für jeden Arbeiter;
e) Verbot des Trucksystems.

2. Ueberwachung aller gewerblichen Betriebe, Erforschung
und Regelung der Arbeitsverhältnisse in Stadt und Land durch
ein Reichsarbeitsamt, Bezirksarbeitsämter und Arbeitskam-
mern. Durchgreifende gewerbliche Hygiene.

3. Rechtliche Gleichstellung der landwirtschaftlichen Arbeiter
und der Dienstboten mit den gewerblichen Arbeitern; Beseitigung
der Gesindeordnungen.

4. Sicherung des Koalitionsrechts.

5. Uebernahme der gesamten Arbeiterversicherung durch das
Reich mit maßgebender Mitwirkung der Abeiter an der Ver-
waltung.

Wissenschaft, Kultur und Technik
Alpen und Geschichte.

(Schluß.)

Die Geschichte der Gebirgsländer läßt in hervorragender
Weise ihre enge und eigenartige Verbindung mit der Ge-
ländebeschaffenheit erkennen. Eigentümlich ist für alpine
Länder und Staaten eine für die dünne Bevölkerung ver-
hältnismäßig große Ausdehnung. Tirol und die Schweiz sind
treffende Beispiele für die Wahrheit dieser Behauptung.
Gebirgsländer erfreuen sich ferner in viel böherem Grade
als Gebiete des Flachlandes einer natürlichen Abgrenzung.
Für politisches und wirtschaftliches Zusammenschließen der
Bewohner sind aber Landschaften mit Naturgrenzen viel er-
sprießlicher als die solcher Abschließung entbehrenden. Das
Streben nach diesem Zusammenschluß erkennt man recht
deutlich an der Ausbildung der schweizerischen Eidgenossen-
schaft, die, von der gemeinsamen Aufgabe der Landesvertei-
digung ausgehend, immer mehr auf Vergrößerung und Ab-
rundung des Bundesgebietes durch Landerwerb bedacht war.

Die große Bedeutung der Alpen für die Geschichte ganz
Europas beruht auf ihrer Lage zwischen dem Mittelmeer
und Mitteleuropa. Der Weg, auf dem die Vorherrschaft über
unseren Erdteil vom Süden zum Norden überging und auf
dem sich das Christentum von den Mittelmeerländern aus
über das nördliche und westliche Europa ausbreitete, ist
großenteils durch die Alpen bedingt. Die Römer hatten
durch die Unterwerfung Galliens die Möglichkeit erlangt,
das ihnen so unbequeme Hochgebirge zu umgehen. Im Osten
machten sie ebenfalls von den bequemsten Wegen Gebrauch,
wenn sie nach Norden vordringen wollten. Das Umgehen der
Alpen und, wenn es sein mußte, auch der Durchzug durch
das Gebirge ging übrigens im Westen viel leichter von-
statten als im Osten. Denn dort führt die den ganzen West-
abhang des Hochgebirges begleitende prächtige Naturstraße
des Rhonetales mühelos nach Norden und manche Alpen-
fäler, besonders die der Durance und des Drac, verfolgen
die für einen Durchmarsch günstigste Richtung. Die breiten
Ostalpen dagegen stellen dem Versuch des Durchdringens
nach Norden viele Hindernisse entgegen und erleichtern auch
das Umgehen des Gebirges durchaus nicht. Wenn auch die
Römer sich durch die Metallschätze und die reichen Salzlager
Noricums in diesem Teil des Hochgebirges locken ließen,
konnte doch das östliche Alpenland ihnen zur Verbindung
der wichtigsten Reichsteile niemals dieselben guten Dienste
leisten wie das westliche. Die Lage der Schweiz, dieses
Zentralalpenstaates, der in eigenartiger Weise das Gebirge
[Spaltenumbruch] in seiner ganzen Breite umfaßt, fällt mit der unpolitischen
Scheidung der Alpen in West- und Zentralalpen zusammen.
Diese günstige Lage kam der staatlichen Entwicklung der
Eidgenossenschaft zustatten wie manche andere wirksame
Kräfte, die zum Teil schon erwähnt wurden. Die Geschichte
der Ostalpen bewegt sich in größeren Räumen, zugleich mit
geringerer Bestimmtheit als die der West- und Zentral-
alpen. Die Täler der Ostalpen sind nach Osten offen und
gewähren den Stürmen Eingang, denen der Natur und
denen der Geschichte. Durch sie nahmen u. a. die türkischen
Raubscharen ihren Weg und konnten so Krain, Steiermark
und Kärnten verwüsten. Zwischen den Etsch- und den Drau-
quellen verbindet Tirol die Mittel- und die Ostalpen: daher
war es für Oesterreich immer das wichtigste seiner Alpen-
länder und das Land des Ueberganges aus der ostalpinen
Ländergruppe in das Rheingebiet.

Von ausschlaggebender Bedeutung für die Geschichte der
Alpenländer sind ihre Täler und Tallandschaften und zwar
die Längstäler in viel höherem Grade als die Quertäler.
Man denke z. B. an das Wallis. dieses südlich warme Tal
zwischen den höchsten Bergstöcken der Alpen. Schön und
treffend sagt Fr. Raßel (Ztschr. d. D. u. Oe. Alpenver.
1896): "In den Tälern pulsiert das Leben, regt sich der
Verkehr, die Höhen schauen schön, aber starr herunter; starr
und still, und gerade darum großartig schön. Die Geschichte
der Gebirgsvölker wogt in den Tälern wie ihre Flüsse oder
liegt so still darin wie der Spiegel eines Alpensees." Die
Geschichte Tirols spielt sich in den drei Tälern des Inns.
der Etsch und der Drau ab. Große Talbecken, wie die von
Klagenfurt und von Laibach, bilden das Kernstück ganzer
Länder, jenes das von Kärnten, dieses das von Krain. Die
Römer schufen dort in ihrer Stadt Virunum, hier in Emona
den von der Natur gegebenen Mittelpunkt für ihre Sied-
lungen. Aus ähnlichen Gründen kamen im Westen Octo-
durum (Martinach = Martigny) und Curia (Chur) zu ihrer
großen Bedeutung im römischen Alpenstraßennetz. Die
großen Längstäler der Rhone und des Rheins wirkten be-
stimmend auf die völkischen und staatlichen Verhältnisse der
Schweiz ein. Jenes hatte zuerst Kelten und Romanen Ein-
laß gewährt, später eröffnete es auch dem französischen
Volkstum einen Weg; dieses bot der räteromanischen Be-
völkerung Wohnsitze und Rückhalt. Als von den äußeren
Teilen der Mittelalpen deutsche Einwanderer über den
St. Gotthard bis auf den Hauptkamm des Hochgebirges vor-
stießen, war die Dreiteilung der Mittelalpen in ein franzö-
sisches Weststück, ein rätoromanisches Oststück und ein d[eut-]
sches Mittelstück fertig. Darauf nahm die Schweiz in ihrem
gegenwärtigen Bestand von der Mitte aus ihren Anfang.
Dieselbe Stellung wie in den Westalpen das Wallis nimmt
in den Ostalpen manches Längstal ein, wo in felsumgür-
teten grünen Talweitungen die kreuz und quer das Ge-
birge durchziehenden Paßwege sich vereinigen. So ist im
Südosten das früher südsteierische. jetzt südslawische Städtchen
Pettau als Poetovio für die Römer der Ausgangspunkt
ihrer Straßen nach Noricum, nach der Adria und nach
Pannonien, eine echte Alpenpforte. Pettau sah sich durch
seine Lage gar oft harten Schicksalschlägen ausgesetzt. Un-
gemein groß ist die Bedeutung der Tälergruppen für die
innere Verbindung der Alpen. In ihren großen Längs-
tälern vollzieht sich ein beträchtlicher Teil des der Längs-
richtung des Gebirges folgenden Verkehrs. So haben gerade
diese Täler von jeher das geschichtliche Leben des Hoch-
gebirges gefördert.

Neben den Tälern kommt naturgemäß den hauptsäch-
lich durch die Pässe geschaffenen Verbindungen der Hoch-
gebirgsteile große Bedeutung für die Geschichte der Alpen-
länder zu. Beseitigen sie doch einigermaßen die Abson-
derung des Gebirgslandes. Durch die Pässe gehen die
trennenden und die verbindenden Kräfte des Gebirges eine
innige und für die geschichtliche Entwicklung ersprießliche
Mischung ein. Wiederum an der Geschichte der Schweiz läßt
sich diese Erscheinung deutlich nachweisen. Die Waldstätten.
das Wallis und manche Teile Graubündens hätten an dem
Aufblühen der Eidgenossenschaft nicht wirksam teilnehmen
können, wenn sie nicht durch Pässe eine günstige Verbindung

2. Mai 1920 Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch] welche die Intereſſen der Allgemeinheit den Intereſſen einer be-
vorzugten Minderheit opfern.

Zum Schutze der Arbeiterklaſſe fordert die Sozialdemo-
kratiſche Partei Deutſchlands zunächſt:

1. Eine wirkſame nationale und internationale Arbeiter-
ſchutzgeſetzgebung auf folgender Grundlage:

a) Feſtſetzung eines höchſtens acht Stunden betragenden Nor-
malarbeitstages;

b) Verbot der Erwerbsarbeit für Kinder unter 14 Jahren;
c) Verbot der Nachtarbeit, außer für ſolche Induſtriezweige,
die ihrer Natur nach, aus techniſchen Gründen oder aus
Gründen der öffentlichen Wohlfahrt Nachtarbeit erheiſchen;
d) eine ununterbrochene Ruhepauſe von mindeſtens 36 Stun-
den in jeder Woche für jeden Arbeiter;
e) Verbot des Truckſyſtems.

2. Ueberwachung aller gewerblichen Betriebe, Erforſchung
und Regelung der Arbeitsverhältniſſe in Stadt und Land durch
ein Reichsarbeitsamt, Bezirksarbeitsämter und Arbeitskam-
mern. Durchgreifende gewerbliche Hygiene.

3. Rechtliche Gleichſtellung der landwirtſchaftlichen Arbeiter
und der Dienſtboten mit den gewerblichen Arbeitern; Beſeitigung
der Geſindeordnungen.

4. Sicherung des Koalitionsrechts.

5. Uebernahme der geſamten Arbeiterverſicherung durch das
Reich mit maßgebender Mitwirkung der Abeiter an der Ver-
waltung.

Wiſſenſchaft, Kultur und Technik
Alpen und Geſchichte.

(Schluß.)

Die Geſchichte der Gebirgsländer läßt in hervorragender
Weiſe ihre enge und eigenartige Verbindung mit der Ge-
ländebeſchaffenheit erkennen. Eigentümlich iſt für alpine
Länder und Staaten eine für die dünne Bevölkerung ver-
hältnismäßig große Ausdehnung. Tirol und die Schweiz ſind
treffende Beiſpiele für die Wahrheit dieſer Behauptung.
Gebirgsländer erfreuen ſich ferner in viel böherem Grade
als Gebiete des Flachlandes einer natürlichen Abgrenzung.
Für politiſches und wirtſchaftliches Zuſammenſchließen der
Bewohner ſind aber Landſchaften mit Naturgrenzen viel er-
ſprießlicher als die ſolcher Abſchließung entbehrenden. Das
Streben nach dieſem Zuſammenſchluß erkennt man recht
deutlich an der Ausbildung der ſchweizeriſchen Eidgenoſſen-
ſchaft, die, von der gemeinſamen Aufgabe der Landesvertei-
digung ausgehend, immer mehr auf Vergrößerung und Ab-
rundung des Bundesgebietes durch Landerwerb bedacht war.

Die große Bedeutung der Alpen für die Geſchichte ganz
Europas beruht auf ihrer Lage zwiſchen dem Mittelmeer
und Mitteleuropa. Der Weg, auf dem die Vorherrſchaft über
unſeren Erdteil vom Süden zum Norden überging und auf
dem ſich das Chriſtentum von den Mittelmeerländern aus
über das nördliche und weſtliche Europa ausbreitete, iſt
großenteils durch die Alpen bedingt. Die Römer hatten
durch die Unterwerfung Galliens die Möglichkeit erlangt,
das ihnen ſo unbequeme Hochgebirge zu umgehen. Im Oſten
machten ſie ebenfalls von den bequemſten Wegen Gebrauch,
wenn ſie nach Norden vordringen wollten. Das Umgehen der
Alpen und, wenn es ſein mußte, auch der Durchzug durch
das Gebirge ging übrigens im Weſten viel leichter von-
ſtatten als im Oſten. Denn dort führt die den ganzen Weſt-
abhang des Hochgebirges begleitende prächtige Naturſtraße
des Rhonetales mühelos nach Norden und manche Alpen-
fäler, beſonders die der Durance und des Drac, verfolgen
die für einen Durchmarſch günſtigſte Richtung. Die breiten
Oſtalpen dagegen ſtellen dem Verſuch des Durchdringens
nach Norden viele Hinderniſſe entgegen und erleichtern auch
das Umgehen des Gebirges durchaus nicht. Wenn auch die
Römer ſich durch die Metallſchätze und die reichen Salzlager
Noricums in dieſem Teil des Hochgebirges locken ließen,
konnte doch das öſtliche Alpenland ihnen zur Verbindung
der wichtigſten Reichsteile niemals dieſelben guten Dienſte
leiſten wie das weſtliche. Die Lage der Schweiz, dieſes
Zentralalpenſtaates, der in eigenartiger Weiſe das Gebirge
[Spaltenumbruch] in ſeiner ganzen Breite umfaßt, fällt mit der unpolitiſchen
Scheidung der Alpen in Weſt- und Zentralalpen zuſammen.
Dieſe günſtige Lage kam der ſtaatlichen Entwicklung der
Eidgenoſſenſchaft zuſtatten wie manche andere wirkſame
Kräfte, die zum Teil ſchon erwähnt wurden. Die Geſchichte
der Oſtalpen bewegt ſich in größeren Räumen, zugleich mit
geringerer Beſtimmtheit als die der Weſt- und Zentral-
alpen. Die Täler der Oſtalpen ſind nach Oſten offen und
gewähren den Stürmen Eingang, denen der Natur und
denen der Geſchichte. Durch ſie nahmen u. a. die türkiſchen
Raubſcharen ihren Weg und konnten ſo Krain, Steiermark
und Kärnten verwüſten. Zwiſchen den Etſch- und den Drau-
quellen verbindet Tirol die Mittel- und die Oſtalpen: daher
war es für Oeſterreich immer das wichtigſte ſeiner Alpen-
länder und das Land des Ueberganges aus der oſtalpinen
Ländergruppe in das Rheingebiet.

Von ausſchlaggebender Bedeutung für die Geſchichte der
Alpenländer ſind ihre Täler und Tallandſchaften und zwar
die Längstäler in viel höherem Grade als die Quertäler.
Man denke z. B. an das Wallis. dieſes ſüdlich warme Tal
zwiſchen den höchſten Bergſtöcken der Alpen. Schön und
treffend ſagt Fr. Raßel (Ztſchr. d. D. u. Oe. Alpenver.
1896): „In den Tälern pulſiert das Leben, regt ſich der
Verkehr, die Höhen ſchauen ſchön, aber ſtarr herunter; ſtarr
und ſtill, und gerade darum großartig ſchön. Die Geſchichte
der Gebirgsvölker wogt in den Tälern wie ihre Flüſſe oder
liegt ſo ſtill darin wie der Spiegel eines Alpenſees.“ Die
Geſchichte Tirols ſpielt ſich in den drei Tälern des Inns.
der Etſch und der Drau ab. Große Talbecken, wie die von
Klagenfurt und von Laibach, bilden das Kernſtück ganzer
Länder, jenes das von Kärnten, dieſes das von Krain. Die
Römer ſchufen dort in ihrer Stadt Virunum, hier in Emona
den von der Natur gegebenen Mittelpunkt für ihre Sied-
lungen. Aus ähnlichen Gründen kamen im Weſten Octo-
durum (Martinach = Martigny) und Curia (Chur) zu ihrer
großen Bedeutung im römiſchen Alpenſtraßennetz. Die
großen Längstäler der Rhone und des Rheins wirkten be-
ſtimmend auf die völkiſchen und ſtaatlichen Verhältniſſe der
Schweiz ein. Jenes hatte zuerſt Kelten und Romanen Ein-
laß gewährt, ſpäter eröffnete es auch dem franzöſiſchen
Volkstum einen Weg; dieſes bot der räteromaniſchen Be-
völkerung Wohnſitze und Rückhalt. Als von den äußeren
Teilen der Mittelalpen deutſche Einwanderer über den
St. Gotthard bis auf den Hauptkamm des Hochgebirges vor-
ſtießen, war die Dreiteilung der Mittelalpen in ein franzö-
ſiſches Weſtſtück, ein rätoromaniſches Oſtſtück und ein d[eut-]
ſches Mittelſtück fertig. Darauf nahm die Schweiz in ihrem
gegenwärtigen Beſtand von der Mitte aus ihren Anfang.
Dieſelbe Stellung wie in den Weſtalpen das Wallis nimmt
in den Oſtalpen manches Längstal ein, wo in felsumgür-
teten grünen Talweitungen die kreuz und quer das Ge-
birge durchziehenden Paßwege ſich vereinigen. So iſt im
Südoſten das früher ſüdſteieriſche. jetzt ſüdſlawiſche Städtchen
Pettau als Poetovio für die Römer der Ausgangspunkt
ihrer Straßen nach Noricum, nach der Adria und nach
Pannonien, eine echte Alpenpforte. Pettau ſah ſich durch
ſeine Lage gar oft harten Schickſalſchlägen ausgeſetzt. Un-
gemein groß iſt die Bedeutung der Tälergruppen für die
innere Verbindung der Alpen. In ihren großen Längs-
tälern vollzieht ſich ein beträchtlicher Teil des der Längs-
richtung des Gebirges folgenden Verkehrs. So haben gerade
dieſe Täler von jeher das geſchichtliche Leben des Hoch-
gebirges gefördert.

Neben den Tälern kommt naturgemäß den hauptſäch-
lich durch die Päſſe geſchaffenen Verbindungen der Hoch-
gebirgsteile große Bedeutung für die Geſchichte der Alpen-
länder zu. Beſeitigen ſie doch einigermaßen die Abſon-
derung des Gebirgslandes. Durch die Päſſe gehen die
trennenden und die verbindenden Kräfte des Gebirges eine
innige und für die geſchichtliche Entwicklung erſprießliche
Miſchung ein. Wiederum an der Geſchichte der Schweiz läßt
ſich dieſe Erſcheinung deutlich nachweiſen. Die Waldſtätten.
das Wallis und manche Teile Graubündens hätten an dem
Aufblühen der Eidgenoſſenſchaft nicht wirkſam teilnehmen
können, wenn ſie nicht durch Päſſe eine günſtige Verbindung

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[Seite 165[165]/0007] 2. Mai 1920 Allgemeine Zeitung welche die Intereſſen der Allgemeinheit den Intereſſen einer be- vorzugten Minderheit opfern. Zum Schutze der Arbeiterklaſſe fordert die Sozialdemo- kratiſche Partei Deutſchlands zunächſt: 1. Eine wirkſame nationale und internationale Arbeiter- ſchutzgeſetzgebung auf folgender Grundlage: a) Feſtſetzung eines höchſtens acht Stunden betragenden Nor- malarbeitstages; b) Verbot der Erwerbsarbeit für Kinder unter 14 Jahren; c) Verbot der Nachtarbeit, außer für ſolche Induſtriezweige, die ihrer Natur nach, aus techniſchen Gründen oder aus Gründen der öffentlichen Wohlfahrt Nachtarbeit erheiſchen; d) eine ununterbrochene Ruhepauſe von mindeſtens 36 Stun- den in jeder Woche für jeden Arbeiter; e) Verbot des Truckſyſtems. 2. Ueberwachung aller gewerblichen Betriebe, Erforſchung und Regelung der Arbeitsverhältniſſe in Stadt und Land durch ein Reichsarbeitsamt, Bezirksarbeitsämter und Arbeitskam- mern. Durchgreifende gewerbliche Hygiene. 3. Rechtliche Gleichſtellung der landwirtſchaftlichen Arbeiter und der Dienſtboten mit den gewerblichen Arbeitern; Beſeitigung der Geſindeordnungen. 4. Sicherung des Koalitionsrechts. 5. Uebernahme der geſamten Arbeiterverſicherung durch das Reich mit maßgebender Mitwirkung der Abeiter an der Ver- waltung. Wiſſenſchaft, Kultur und Technik Alpen und Geſchichte. Von G. Hertzog. (Schluß.) Die Geſchichte der Gebirgsländer läßt in hervorragender Weiſe ihre enge und eigenartige Verbindung mit der Ge- ländebeſchaffenheit erkennen. Eigentümlich iſt für alpine Länder und Staaten eine für die dünne Bevölkerung ver- hältnismäßig große Ausdehnung. Tirol und die Schweiz ſind treffende Beiſpiele für die Wahrheit dieſer Behauptung. Gebirgsländer erfreuen ſich ferner in viel böherem Grade als Gebiete des Flachlandes einer natürlichen Abgrenzung. Für politiſches und wirtſchaftliches Zuſammenſchließen der Bewohner ſind aber Landſchaften mit Naturgrenzen viel er- ſprießlicher als die ſolcher Abſchließung entbehrenden. Das Streben nach dieſem Zuſammenſchluß erkennt man recht deutlich an der Ausbildung der ſchweizeriſchen Eidgenoſſen- ſchaft, die, von der gemeinſamen Aufgabe der Landesvertei- digung ausgehend, immer mehr auf Vergrößerung und Ab- rundung des Bundesgebietes durch Landerwerb bedacht war. Die große Bedeutung der Alpen für die Geſchichte ganz Europas beruht auf ihrer Lage zwiſchen dem Mittelmeer und Mitteleuropa. Der Weg, auf dem die Vorherrſchaft über unſeren Erdteil vom Süden zum Norden überging und auf dem ſich das Chriſtentum von den Mittelmeerländern aus über das nördliche und weſtliche Europa ausbreitete, iſt großenteils durch die Alpen bedingt. Die Römer hatten durch die Unterwerfung Galliens die Möglichkeit erlangt, das ihnen ſo unbequeme Hochgebirge zu umgehen. Im Oſten machten ſie ebenfalls von den bequemſten Wegen Gebrauch, wenn ſie nach Norden vordringen wollten. Das Umgehen der Alpen und, wenn es ſein mußte, auch der Durchzug durch das Gebirge ging übrigens im Weſten viel leichter von- ſtatten als im Oſten. Denn dort führt die den ganzen Weſt- abhang des Hochgebirges begleitende prächtige Naturſtraße des Rhonetales mühelos nach Norden und manche Alpen- fäler, beſonders die der Durance und des Drac, verfolgen die für einen Durchmarſch günſtigſte Richtung. Die breiten Oſtalpen dagegen ſtellen dem Verſuch des Durchdringens nach Norden viele Hinderniſſe entgegen und erleichtern auch das Umgehen des Gebirges durchaus nicht. Wenn auch die Römer ſich durch die Metallſchätze und die reichen Salzlager Noricums in dieſem Teil des Hochgebirges locken ließen, konnte doch das öſtliche Alpenland ihnen zur Verbindung der wichtigſten Reichsteile niemals dieſelben guten Dienſte leiſten wie das weſtliche. Die Lage der Schweiz, dieſes Zentralalpenſtaates, der in eigenartiger Weiſe das Gebirge in ſeiner ganzen Breite umfaßt, fällt mit der unpolitiſchen Scheidung der Alpen in Weſt- und Zentralalpen zuſammen. Dieſe günſtige Lage kam der ſtaatlichen Entwicklung der Eidgenoſſenſchaft zuſtatten wie manche andere wirkſame Kräfte, die zum Teil ſchon erwähnt wurden. Die Geſchichte der Oſtalpen bewegt ſich in größeren Räumen, zugleich mit geringerer Beſtimmtheit als die der Weſt- und Zentral- alpen. Die Täler der Oſtalpen ſind nach Oſten offen und gewähren den Stürmen Eingang, denen der Natur und denen der Geſchichte. Durch ſie nahmen u. a. die türkiſchen Raubſcharen ihren Weg und konnten ſo Krain, Steiermark und Kärnten verwüſten. Zwiſchen den Etſch- und den Drau- quellen verbindet Tirol die Mittel- und die Oſtalpen: daher war es für Oeſterreich immer das wichtigſte ſeiner Alpen- länder und das Land des Ueberganges aus der oſtalpinen Ländergruppe in das Rheingebiet. Von ausſchlaggebender Bedeutung für die Geſchichte der Alpenländer ſind ihre Täler und Tallandſchaften und zwar die Längstäler in viel höherem Grade als die Quertäler. Man denke z. B. an das Wallis. dieſes ſüdlich warme Tal zwiſchen den höchſten Bergſtöcken der Alpen. Schön und treffend ſagt Fr. Raßel (Ztſchr. d. D. u. Oe. Alpenver. 1896): „In den Tälern pulſiert das Leben, regt ſich der Verkehr, die Höhen ſchauen ſchön, aber ſtarr herunter; ſtarr und ſtill, und gerade darum großartig ſchön. Die Geſchichte der Gebirgsvölker wogt in den Tälern wie ihre Flüſſe oder liegt ſo ſtill darin wie der Spiegel eines Alpenſees.“ Die Geſchichte Tirols ſpielt ſich in den drei Tälern des Inns. der Etſch und der Drau ab. Große Talbecken, wie die von Klagenfurt und von Laibach, bilden das Kernſtück ganzer Länder, jenes das von Kärnten, dieſes das von Krain. Die Römer ſchufen dort in ihrer Stadt Virunum, hier in Emona den von der Natur gegebenen Mittelpunkt für ihre Sied- lungen. Aus ähnlichen Gründen kamen im Weſten Octo- durum (Martinach = Martigny) und Curia (Chur) zu ihrer großen Bedeutung im römiſchen Alpenſtraßennetz. Die großen Längstäler der Rhone und des Rheins wirkten be- ſtimmend auf die völkiſchen und ſtaatlichen Verhältniſſe der Schweiz ein. Jenes hatte zuerſt Kelten und Romanen Ein- laß gewährt, ſpäter eröffnete es auch dem franzöſiſchen Volkstum einen Weg; dieſes bot der räteromaniſchen Be- völkerung Wohnſitze und Rückhalt. Als von den äußeren Teilen der Mittelalpen deutſche Einwanderer über den St. Gotthard bis auf den Hauptkamm des Hochgebirges vor- ſtießen, war die Dreiteilung der Mittelalpen in ein franzö- ſiſches Weſtſtück, ein rätoromaniſches Oſtſtück und ein deut- ſches Mittelſtück fertig. Darauf nahm die Schweiz in ihrem gegenwärtigen Beſtand von der Mitte aus ihren Anfang. Dieſelbe Stellung wie in den Weſtalpen das Wallis nimmt in den Oſtalpen manches Längstal ein, wo in felsumgür- teten grünen Talweitungen die kreuz und quer das Ge- birge durchziehenden Paßwege ſich vereinigen. So iſt im Südoſten das früher ſüdſteieriſche. jetzt ſüdſlawiſche Städtchen Pettau als Poetovio für die Römer der Ausgangspunkt ihrer Straßen nach Noricum, nach der Adria und nach Pannonien, eine echte Alpenpforte. Pettau ſah ſich durch ſeine Lage gar oft harten Schickſalſchlägen ausgeſetzt. Un- gemein groß iſt die Bedeutung der Tälergruppen für die innere Verbindung der Alpen. In ihren großen Längs- tälern vollzieht ſich ein beträchtlicher Teil des der Längs- richtung des Gebirges folgenden Verkehrs. So haben gerade dieſe Täler von jeher das geſchichtliche Leben des Hoch- gebirges gefördert. Neben den Tälern kommt naturgemäß den hauptſäch- lich durch die Päſſe geſchaffenen Verbindungen der Hoch- gebirgsteile große Bedeutung für die Geſchichte der Alpen- länder zu. Beſeitigen ſie doch einigermaßen die Abſon- derung des Gebirgslandes. Durch die Päſſe gehen die trennenden und die verbindenden Kräfte des Gebirges eine innige und für die geſchichtliche Entwicklung erſprießliche Miſchung ein. Wiederum an der Geſchichte der Schweiz läßt ſich dieſe Erſcheinung deutlich nachweiſen. Die Waldſtätten. das Wallis und manche Teile Graubündens hätten an dem Aufblühen der Eidgenoſſenſchaft nicht wirkſam teilnehmen können, wenn ſie nicht durch Päſſe eine günſtige Verbindung

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2020-10-02T09:49:36Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 17, 2. Mai 1920, S. Seite 165[165]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine17_1920/7>, abgerufen am 21.11.2024.