Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

Tugend gieng! Wie wolltet ihr hoch steigen, wenn
nicht eurer Väter Wille mit euch steigt?

Wer aber Erstling sein will, sehe zu, dass er nicht
auch Letztling werde! Und wo die Laster eurer Väter
sind, darin sollt ihr nicht Heilige bedeuten wollen!

Wessen Väter es mit Weibern hielten und mit
starken Weinen und Wildschweinen: was wäre es, wenn
Der von sich Keuschheit wollte?

Eine Narrheit wäre es! Viel, wahrlich, dünkt es
mich für einen Solchen, wenn er Eines oder zweier oder
dreier Weiber Mann ist.

Und stiftete er Klöster und schriebe über die Thür:
"der Weg zum Heiligen", -- ich spräche doch: wozu!
es ist eine neue Narrheit!

Er stiftete sich selber ein Zucht- und Fluchthaus:
wohl bekomm's! Aber ich glaube nicht daran.

In der Einsamkeit wächst, was Einer in sie bringt,
auch das innere Vieh. Solchergestalt widerräth sich
Vielen die Einsamkeit.

Gab es Schmutzigeres bisher auf Erden als Wüsten-
Heilige? Um die herum war nicht nur der Teufel los,
-- sondern auch das Schwein.


14.

Scheu, beschämt, ungeschickt, einem Tiger gleich,
dem der Sprung missrieth: also, ihr höheren Menschen,
sah ich oft euch bei Seite schleichen. Ein Wurf
missrieth euch.

Aber, ihr Würfelspieler, was liegt daran! Ihr
lerntet nicht spielen und spotten, wie man spielen und

Tugend gieng! Wie wolltet ihr hoch steigen, wenn
nicht eurer Väter Wille mit euch steigt?

Wer aber Erstling sein will, sehe zu, dass er nicht
auch Letztling werde! Und wo die Laster eurer Väter
sind, darin sollt ihr nicht Heilige bedeuten wollen!

Wessen Väter es mit Weibern hielten und mit
starken Weinen und Wildschweinen: was wäre es, wenn
Der von sich Keuschheit wollte?

Eine Narrheit wäre es! Viel, wahrlich, dünkt es
mich für einen Solchen, wenn er Eines oder zweier oder
dreier Weiber Mann ist.

Und stiftete er Klöster und schriebe über die Thür:
„der Weg zum Heiligen“, — ich spräche doch: wozu!
es ist eine neue Narrheit!

Er stiftete sich selber ein Zucht- und Fluchthaus:
wohl bekomm's! Aber ich glaube nicht daran.

In der Einsamkeit wächst, was Einer in sie bringt,
auch das innere Vieh. Solchergestalt widerräth sich
Vielen die Einsamkeit.

Gab es Schmutzigeres bisher auf Erden als Wüsten-
Heilige? Um die herum war nicht nur der Teufel los,
— sondern auch das Schwein.


14.

Scheu, beschämt, ungeschickt, einem Tiger gleich,
dem der Sprung missrieth: also, ihr höheren Menschen,
sah ich oft euch bei Seite schleichen. Ein Wurf
missrieth euch.

Aber, ihr Würfelspieler, was liegt daran! Ihr
lerntet nicht spielen und spotten, wie man spielen und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0091" n="84"/>
Tugend gieng! Wie wolltet ihr hoch steigen, wenn<lb/>
nicht eurer Väter Wille mit euch steigt?</p><lb/>
          <p>Wer aber Erstling sein will, sehe zu, dass er nicht<lb/>
auch Letztling werde! Und wo die Laster eurer Väter<lb/>
sind, darin sollt ihr nicht Heilige bedeuten wollen!</p><lb/>
          <p>Wessen Väter es mit Weibern hielten und mit<lb/>
starken Weinen und Wildschweinen: was wäre es, wenn<lb/>
Der von sich Keuschheit wollte?</p><lb/>
          <p>Eine Narrheit wäre es! Viel, wahrlich, dünkt es<lb/>
mich für einen Solchen, wenn er Eines oder zweier oder<lb/>
dreier Weiber Mann ist.</p><lb/>
          <p>Und stiftete er Klöster und schriebe über die Thür:<lb/>
&#x201E;der Weg zum Heiligen&#x201C;, &#x2014; ich spräche doch: wozu!<lb/>
es ist eine neue Narrheit!</p><lb/>
          <p>Er stiftete sich selber ein Zucht- und Fluchthaus:<lb/>
wohl bekomm's! Aber ich glaube nicht daran.</p><lb/>
          <p>In der Einsamkeit wächst, was Einer in sie bringt,<lb/>
auch das innere Vieh. Solchergestalt widerräth sich<lb/>
Vielen die Einsamkeit.</p><lb/>
          <p>Gab es Schmutzigeres bisher auf Erden als Wüsten-<lb/>
Heilige? Um <hi rendition="#g">die</hi> herum war nicht nur der Teufel los,<lb/>
&#x2014; sondern auch das Schwein.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head>14.<lb/></head>
          <p>Scheu, beschämt, ungeschickt, einem Tiger gleich,<lb/>
dem der Sprung missrieth: also, ihr höheren Menschen,<lb/>
sah ich oft euch bei Seite schleichen. Ein <hi rendition="#g">Wurf</hi><lb/>
missrieth euch.</p><lb/>
          <p>Aber, ihr Würfelspieler, was liegt daran! Ihr<lb/>
lerntet nicht spielen und spotten, wie man spielen und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[84/0091] Tugend gieng! Wie wolltet ihr hoch steigen, wenn nicht eurer Väter Wille mit euch steigt? Wer aber Erstling sein will, sehe zu, dass er nicht auch Letztling werde! Und wo die Laster eurer Väter sind, darin sollt ihr nicht Heilige bedeuten wollen! Wessen Väter es mit Weibern hielten und mit starken Weinen und Wildschweinen: was wäre es, wenn Der von sich Keuschheit wollte? Eine Narrheit wäre es! Viel, wahrlich, dünkt es mich für einen Solchen, wenn er Eines oder zweier oder dreier Weiber Mann ist. Und stiftete er Klöster und schriebe über die Thür: „der Weg zum Heiligen“, — ich spräche doch: wozu! es ist eine neue Narrheit! Er stiftete sich selber ein Zucht- und Fluchthaus: wohl bekomm's! Aber ich glaube nicht daran. In der Einsamkeit wächst, was Einer in sie bringt, auch das innere Vieh. Solchergestalt widerräth sich Vielen die Einsamkeit. Gab es Schmutzigeres bisher auf Erden als Wüsten- Heilige? Um die herum war nicht nur der Teufel los, — sondern auch das Schwein. 14. Scheu, beschämt, ungeschickt, einem Tiger gleich, dem der Sprung missrieth: also, ihr höheren Menschen, sah ich oft euch bei Seite schleichen. Ein Wurf missrieth euch. Aber, ihr Würfelspieler, was liegt daran! Ihr lerntet nicht spielen und spotten, wie man spielen und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/91
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/91>, abgerufen am 30.12.2024.