Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite
Der hässlichste Mensch.

-- Und wieder liefen Zarathustra's Füsse durch
Berge und Wälder, und seine Augen suchten und
suchten, aber nirgends war Der zu sehen, welchen sie
sehn wollten, der grosse Nothleidende und Noth¬
schreiende. Auf dem ganzen Wege aber frohlockte er
in seinem Herzen und war dankbar. "Welche guten
Dinge, sprach er, schenkte mir doch dieser Tag, zum
Entgelt, dass er schlimm begann! Welche seltsamen
Unterredner fand ich!

An deren Worten will ich lange nun kauen gleich
als an guten Körnern; klein soll mein Zahn sie mahlen
und malmen, bis sie mir wie Milch in die Seele
fliessen!" --

Als aber der Weg wieder um einen Felsen bog,
veränderte sich mit Einem Male die Landschaft, und
Zarathustra trat in ein Reich des Todes. Hier starrten
schwarze und rothe Klippen empor: kein Gras, kein
Baum, keine Vogelstimme. Es war nämlich ein Thal,
welches alle Thiere mieden, auch die Raubthiere;
nur dass eine Art hässlicher, dicker, grüner Schlangen,
wenn sie alt wurden, hierher kamen, um zu sterben.
Darum nannten diess Thal die Hirten: Schlangen-Tod.

Zarathustra aber versank in eine schwarze Erin¬
nerung, denn ihm war, als habe er schon ein Mal in

Der hässlichste Mensch.

— Und wieder liefen Zarathustra's Füsse durch
Berge und Wälder, und seine Augen suchten und
suchten, aber nirgends war Der zu sehen, welchen sie
sehn wollten, der grosse Nothleidende und Noth¬
schreiende. Auf dem ganzen Wege aber frohlockte er
in seinem Herzen und war dankbar. „Welche guten
Dinge, sprach er, schenkte mir doch dieser Tag, zum
Entgelt, dass er schlimm begann! Welche seltsamen
Unterredner fand ich!

An deren Worten will ich lange nun kauen gleich
als an guten Körnern; klein soll mein Zahn sie mahlen
und malmen, bis sie mir wie Milch in die Seele
fliessen!“ —

Als aber der Weg wieder um einen Felsen bog,
veränderte sich mit Einem Male die Landschaft, und
Zarathustra trat in ein Reich des Todes. Hier starrten
schwarze und rothe Klippen empor: kein Gras, kein
Baum, keine Vogelstimme. Es war nämlich ein Thal,
welches alle Thiere mieden, auch die Raubthiere;
nur dass eine Art hässlicher, dicker, grüner Schlangen,
wenn sie alt wurden, hierher kamen, um zu sterben.
Darum nannten diess Thal die Hirten: Schlangen-Tod.

Zarathustra aber versank in eine schwarze Erin¬
nerung, denn ihm war, als habe er schon ein Mal in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0049" n="42"/>
      <div n="1">
        <head>Der hässlichste Mensch.<lb/></head>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>&#x2014; Und wieder liefen Zarathustra's Füsse durch<lb/>
Berge und Wälder, und seine Augen suchten und<lb/>
suchten, aber nirgends war Der zu sehen, welchen sie<lb/>
sehn wollten, der grosse Nothleidende und Noth¬<lb/>
schreiende. Auf dem ganzen Wege aber frohlockte er<lb/>
in seinem Herzen und war dankbar. &#x201E;Welche guten<lb/>
Dinge, sprach er, schenkte mir doch dieser Tag, zum<lb/>
Entgelt, dass er schlimm begann! Welche seltsamen<lb/>
Unterredner fand ich!</p><lb/>
        <p>An deren Worten will ich lange nun kauen gleich<lb/>
als an guten Körnern; klein soll mein Zahn sie mahlen<lb/>
und malmen, bis sie mir wie Milch in die Seele<lb/>
fliessen!&#x201C; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Als aber der Weg wieder um einen Felsen bog,<lb/>
veränderte sich mit Einem Male die Landschaft, und<lb/>
Zarathustra trat in ein Reich des Todes. Hier starrten<lb/>
schwarze und rothe Klippen empor: kein Gras, kein<lb/>
Baum, keine Vogelstimme. Es war nämlich ein Thal,<lb/>
welches alle Thiere mieden, auch die Raubthiere;<lb/>
nur dass eine Art hässlicher, dicker, grüner Schlangen,<lb/>
wenn sie alt wurden, hierher kamen, um zu sterben.<lb/>
Darum nannten diess Thal die Hirten: Schlangen-Tod.</p><lb/>
        <p>Zarathustra aber versank in eine schwarze Erin¬<lb/>
nerung, denn ihm war, als habe er schon ein Mal in<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0049] Der hässlichste Mensch. — Und wieder liefen Zarathustra's Füsse durch Berge und Wälder, und seine Augen suchten und suchten, aber nirgends war Der zu sehen, welchen sie sehn wollten, der grosse Nothleidende und Noth¬ schreiende. Auf dem ganzen Wege aber frohlockte er in seinem Herzen und war dankbar. „Welche guten Dinge, sprach er, schenkte mir doch dieser Tag, zum Entgelt, dass er schlimm begann! Welche seltsamen Unterredner fand ich! An deren Worten will ich lange nun kauen gleich als an guten Körnern; klein soll mein Zahn sie mahlen und malmen, bis sie mir wie Milch in die Seele fliessen!“ — Als aber der Weg wieder um einen Felsen bog, veränderte sich mit Einem Male die Landschaft, und Zarathustra trat in ein Reich des Todes. Hier starrten schwarze und rothe Klippen empor: kein Gras, kein Baum, keine Vogelstimme. Es war nämlich ein Thal, welches alle Thiere mieden, auch die Raubthiere; nur dass eine Art hässlicher, dicker, grüner Schlangen, wenn sie alt wurden, hierher kamen, um zu sterben. Darum nannten diess Thal die Hirten: Schlangen-Tod. Zarathustra aber versank in eine schwarze Erin¬ nerung, denn ihm war, als habe er schon ein Mal in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/49
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/49>, abgerufen am 21.12.2024.