Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884.

Bild:
<< vorherige Seite

träger" und "Büsser" heisst, überhört mir die Wollust
nicht, die in diesem Klagen und Anklagen ist!

Und ich selber -- will ich damit des Menschen
Ankläger sein? Ach, meine Thiere, Das allein lernte
ich bisher, dass dem Menschen sein Bösestes nöthig
ist zu seinem Besten, --

-- dass alles Böseste seine beste Kraft ist und
der härteste Stein dem höchsten Schaffenden; und
dass der Mensch besser und böser werden muss: --
Nicht an diess Marterholz war ich geheftet, dass
ich weiss: der Mensch ist böse, -- sondern ich schrie,
wie noch Niemand geschrien hat:

"Ach dass sein Bösestes so gar klein ist! Ach
dass sein Bestes so gar klein ist!"

Der grosse Überdruss am Menschen -- der würgte
mich und war mir in den Schlund gekrochen: und
was der Wahrsager wahrsagte: "Alles ist gleich, es
lohnt sich Nichts, Wissen würgt."

Eine lange Dämmerung hinkte vor mir her, eine
todesmüde, todestrunkene Traurigkeit, welche mit
gähnendem Munde redete.

"Ewig kehrt er wieder, der Mensch, dess du müde
bist, der kleine Mensch" -- so gähnte meine Traurig¬
keit und schleppte den Fuss und konnte nicht ein¬
schlafen.

Zur Höhle wandelte sich mir die Menschen-Erde,
ihre Brust sank hinein, alles Lebendige ward mir
Menschen-Moder und Knochen und morsche Ver¬
gangenheit.

Mein Seufzen sass auf allen Menschen-Gräbern
und konnte nicht mehr aufstehn; mein Seufzen und

7

träger“ und „Büsser“ heisst, überhört mir die Wollust
nicht, die in diesem Klagen und Anklagen ist!

Und ich selber — will ich damit des Menschen
Ankläger sein? Ach, meine Thiere, Das allein lernte
ich bisher, dass dem Menschen sein Bösestes nöthig
ist zu seinem Besten, —

— dass alles Böseste seine beste Kraft ist und
der härteste Stein dem höchsten Schaffenden; und
dass der Mensch besser und böser werden muss: —
Nicht an diess Marterholz war ich geheftet, dass
ich weiss: der Mensch ist böse, — sondern ich schrie,
wie noch Niemand geschrien hat:

„Ach dass sein Bösestes so gar klein ist! Ach
dass sein Bestes so gar klein ist!“

Der grosse Überdruss am Menschen — der würgte
mich und war mir in den Schlund gekrochen: und
was der Wahrsager wahrsagte: „Alles ist gleich, es
lohnt sich Nichts, Wissen würgt.“

Eine lange Dämmerung hinkte vor mir her, eine
todesmüde, todestrunkene Traurigkeit, welche mit
gähnendem Munde redete.

„Ewig kehrt er wieder, der Mensch, dess du müde
bist, der kleine Mensch“ — so gähnte meine Traurig¬
keit und schleppte den Fuss und konnte nicht ein¬
schlafen.

Zur Höhle wandelte sich mir die Menschen-Erde,
ihre Brust sank hinein, alles Lebendige ward mir
Menschen-Moder und Knochen und morsche Ver¬
gangenheit.

Mein Seufzen sass auf allen Menschen-Gräbern
und konnte nicht mehr aufstehn; mein Seufzen und

7
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0107" n="97"/>
träger&#x201C; und &#x201E;Büsser&#x201C; heisst, überhört mir die Wollust<lb/>
nicht, die in diesem Klagen und Anklagen ist!</p><lb/>
          <p>Und ich selber &#x2014; will ich damit des Menschen<lb/>
Ankläger sein? Ach, meine Thiere, Das allein lernte<lb/>
ich bisher, dass dem Menschen sein Bösestes nöthig<lb/>
ist zu seinem Besten, &#x2014;</p><lb/>
          <p>&#x2014; dass alles Böseste seine beste <hi rendition="#g">Kraft</hi> ist und<lb/>
der härteste Stein dem höchsten Schaffenden; und<lb/>
dass der Mensch besser <hi rendition="#g">und</hi> böser werden muss: &#x2014;<lb/>
Nicht an <hi rendition="#g">diess</hi> Marterholz war ich geheftet, dass<lb/>
ich weiss: der Mensch ist böse, &#x2014; sondern ich schrie,<lb/>
wie noch Niemand geschrien hat:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ach dass sein Bösestes so gar klein ist! Ach<lb/>
dass sein Bestes so gar klein ist!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Der grosse Überdruss am Menschen &#x2014; der würgte<lb/>
mich und war mir in den Schlund gekrochen: und<lb/>
was der Wahrsager wahrsagte: &#x201E;Alles ist gleich, es<lb/>
lohnt sich Nichts, Wissen würgt.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Eine lange Dämmerung hinkte vor mir her, eine<lb/>
todesmüde, todestrunkene Traurigkeit, welche mit<lb/>
gähnendem Munde redete.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ewig kehrt er wieder, der Mensch, dess du müde<lb/>
bist, der kleine Mensch&#x201C; &#x2014; so gähnte meine Traurig¬<lb/>
keit und schleppte den Fuss und konnte nicht ein¬<lb/>
schlafen.</p><lb/>
          <p>Zur Höhle wandelte sich mir die Menschen-Erde,<lb/>
ihre Brust sank hinein, alles Lebendige ward mir<lb/>
Menschen-Moder und Knochen und morsche Ver¬<lb/>
gangenheit.</p><lb/>
          <p>Mein Seufzen sass auf allen Menschen-Gräbern<lb/>
und konnte nicht mehr aufstehn; mein Seufzen und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">7<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[97/0107] träger“ und „Büsser“ heisst, überhört mir die Wollust nicht, die in diesem Klagen und Anklagen ist! Und ich selber — will ich damit des Menschen Ankläger sein? Ach, meine Thiere, Das allein lernte ich bisher, dass dem Menschen sein Bösestes nöthig ist zu seinem Besten, — — dass alles Böseste seine beste Kraft ist und der härteste Stein dem höchsten Schaffenden; und dass der Mensch besser und böser werden muss: — Nicht an diess Marterholz war ich geheftet, dass ich weiss: der Mensch ist böse, — sondern ich schrie, wie noch Niemand geschrien hat: „Ach dass sein Bösestes so gar klein ist! Ach dass sein Bestes so gar klein ist!“ Der grosse Überdruss am Menschen — der würgte mich und war mir in den Schlund gekrochen: und was der Wahrsager wahrsagte: „Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts, Wissen würgt.“ Eine lange Dämmerung hinkte vor mir her, eine todesmüde, todestrunkene Traurigkeit, welche mit gähnendem Munde redete. „Ewig kehrt er wieder, der Mensch, dess du müde bist, der kleine Mensch“ — so gähnte meine Traurig¬ keit und schleppte den Fuss und konnte nicht ein¬ schlafen. Zur Höhle wandelte sich mir die Menschen-Erde, ihre Brust sank hinein, alles Lebendige ward mir Menschen-Moder und Knochen und morsche Ver¬ gangenheit. Mein Seufzen sass auf allen Menschen-Gräbern und konnte nicht mehr aufstehn; mein Seufzen und 7

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884/107
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884/107>, abgerufen am 26.04.2024.