Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884.

Bild:
<< vorherige Seite
2.

"Wir sind wieder fromm geworden" -- so bekennen
diese Abtrünnigen; und Manche von ihnen sind noch
zu feige, also zu bekennen.

Denen sehe ich in's Auge, -- denen sage ich es
in's Gesicht und in die Röthe ihrer Wangen: ihr seid
Solche, welche wieder beten!

Es ist aber eine Schmach, zu beten! Nicht für
Alle, aber für dich und mich und wer auch im Kopfe
sein Gewissen hat. Für dich ist es eine Schmach,
zu beten!

Du weisst es wohl: dein feiger Teufel in dir, der
gerne Hände-falten und Hände-in-den-Schooss-legen
und es bequemer haben möchte: -- dieser feige Teufel
redet dir zu "es giebt einen Gott!"

Damit aber gehörst du zur lichtscheuen Art,
denen Licht nimmer Ruhe lässt; nun musst du täglich
deinen Kopf tiefer in Nacht und Dunst stecken!

Und wahrlich, du wähltest die Stunde gut: denn
eben wieder fliegen die Nachtvögel aus. Die Stunde
kam allem lichtscheuen Volke, die Abend- und Feier¬
stunde, wo es nicht -- "feiert."

Ich höre und rieche es: es kam ihre Stunde für
Jagd und Umzug, nicht zwar für eine wilde Jagd,
sondern für eine zahme lahme schnüffelnde Leisetreter-
und Leisebeter-Jagd, --

-- für eine Jagd auf seelenvolle Duckmäuser: alle
Herzens-Mausefallen sind jetzt wieder aufgestellt! Und
wo ich einen Vorhang aufhebe, da kommt ein Nacht¬
falterchen herausgestürzt.

2.

„Wir sind wieder fromm geworden“ — so bekennen
diese Abtrünnigen; und Manche von ihnen sind noch
zu feige, also zu bekennen.

Denen sehe ich in's Auge, — denen sage ich es
in's Gesicht und in die Röthe ihrer Wangen: ihr seid
Solche, welche wieder beten!

Es ist aber eine Schmach, zu beten! Nicht für
Alle, aber für dich und mich und wer auch im Kopfe
sein Gewissen hat. Für dich ist es eine Schmach,
zu beten!

Du weisst es wohl: dein feiger Teufel in dir, der
gerne Hände-falten und Hände-in-den-Schooss-legen
und es bequemer haben möchte: — dieser feige Teufel
redet dir zu „es giebt einen Gott!“

Damit aber gehörst du zur lichtscheuen Art,
denen Licht nimmer Ruhe lässt; nun musst du täglich
deinen Kopf tiefer in Nacht und Dunst stecken!

Und wahrlich, du wähltest die Stunde gut: denn
eben wieder fliegen die Nachtvögel aus. Die Stunde
kam allem lichtscheuen Volke, die Abend- und Feier¬
stunde, wo es nicht — „feiert.“

Ich höre und rieche es: es kam ihre Stunde für
Jagd und Umzug, nicht zwar für eine wilde Jagd,
sondern für eine zahme lahme schnüffelnde Leisetreter-
und Leisebeter-Jagd, —

— für eine Jagd auf seelenvolle Duckmäuser: alle
Herzens-Mausefallen sind jetzt wieder aufgestellt! Und
wo ich einen Vorhang aufhebe, da kommt ein Nacht¬
falterchen herausgestürzt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0053" n="43"/>
        <div n="2">
          <head>2.<lb/></head>
          <p>&#x201E;Wir sind wieder fromm geworden&#x201C; &#x2014; so bekennen<lb/>
diese Abtrünnigen; und Manche von ihnen sind noch<lb/>
zu feige, also zu bekennen.</p><lb/>
          <p>Denen sehe ich in's Auge, &#x2014; denen sage ich es<lb/>
in's Gesicht und in die Röthe ihrer Wangen: ihr seid<lb/>
Solche, welche wieder <hi rendition="#g">beten</hi>!</p><lb/>
          <p>Es ist aber eine Schmach, zu beten! Nicht für<lb/>
Alle, aber für dich und mich und wer auch im Kopfe<lb/>
sein Gewissen hat. Für <hi rendition="#g">dich</hi> ist es eine Schmach,<lb/>
zu beten!</p><lb/>
          <p>Du weisst es wohl: dein feiger Teufel in dir, der<lb/>
gerne Hände-falten und Hände-in-den-Schooss-legen<lb/>
und es bequemer haben möchte: &#x2014; dieser feige Teufel<lb/>
redet dir zu &#x201E;es <hi rendition="#g">giebt</hi> einen Gott!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Damit aber gehörst du zur lichtscheuen Art,<lb/>
denen Licht nimmer Ruhe lässt; nun musst du täglich<lb/>
deinen Kopf tiefer in Nacht und Dunst stecken!</p><lb/>
          <p>Und wahrlich, du wähltest die Stunde gut: denn<lb/>
eben wieder fliegen die Nachtvögel aus. Die Stunde<lb/>
kam allem lichtscheuen Volke, die Abend- und Feier¬<lb/>
stunde, wo es nicht &#x2014; &#x201E;feiert.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Ich höre und rieche es: es kam ihre Stunde für<lb/>
Jagd und Umzug, nicht zwar für eine wilde Jagd,<lb/>
sondern für eine zahme lahme schnüffelnde Leisetreter-<lb/>
und Leisebeter-Jagd, &#x2014;</p><lb/>
          <p>&#x2014; für eine Jagd auf seelenvolle Duckmäuser: alle<lb/>
Herzens-Mausefallen sind jetzt wieder aufgestellt! Und<lb/>
wo ich einen Vorhang aufhebe, da kommt ein Nacht¬<lb/>
falterchen herausgestürzt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[43/0053] 2. „Wir sind wieder fromm geworden“ — so bekennen diese Abtrünnigen; und Manche von ihnen sind noch zu feige, also zu bekennen. Denen sehe ich in's Auge, — denen sage ich es in's Gesicht und in die Röthe ihrer Wangen: ihr seid Solche, welche wieder beten! Es ist aber eine Schmach, zu beten! Nicht für Alle, aber für dich und mich und wer auch im Kopfe sein Gewissen hat. Für dich ist es eine Schmach, zu beten! Du weisst es wohl: dein feiger Teufel in dir, der gerne Hände-falten und Hände-in-den-Schooss-legen und es bequemer haben möchte: — dieser feige Teufel redet dir zu „es giebt einen Gott!“ Damit aber gehörst du zur lichtscheuen Art, denen Licht nimmer Ruhe lässt; nun musst du täglich deinen Kopf tiefer in Nacht und Dunst stecken! Und wahrlich, du wähltest die Stunde gut: denn eben wieder fliegen die Nachtvögel aus. Die Stunde kam allem lichtscheuen Volke, die Abend- und Feier¬ stunde, wo es nicht — „feiert.“ Ich höre und rieche es: es kam ihre Stunde für Jagd und Umzug, nicht zwar für eine wilde Jagd, sondern für eine zahme lahme schnüffelnde Leisetreter- und Leisebeter-Jagd, — — für eine Jagd auf seelenvolle Duckmäuser: alle Herzens-Mausefallen sind jetzt wieder aufgestellt! Und wo ich einen Vorhang aufhebe, da kommt ein Nacht¬ falterchen herausgestürzt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884/53
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884/53>, abgerufen am 18.12.2024.