Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884.

Bild:
<< vorherige Seite

Augen: meine Stimme ist ein Heilmittel noch für
Blindgeborne.

Und bist du erst wach, sollst du mir ewig wach
bleiben. Nicht ist das meine Art, Urgrossmütter aus
dem Schlafe wecken, dass ich sie heisse -- weiterschlafen!

Du regst dich, dehnst dich, röchelst? Auf! Auf!
Nicht röcheln -- reden sollst du mir! Zarathustra ruft
dich, der Gottlose!

Ich, Zarathustra, der Fürsprecher des Lebens, der
Fürsprecher des Leidens, der Fürsprecher des Kreises
-- dich rufe ich, meinen abgründlichsten Gedanken!

Heil mir! Du kommst -- ich höre dich! Mein
Abgrund redet, meine letzte Tiefe habe ich an's
Licht gestülpt!

Heil mir! Heran! Gieb die Hand -- -- ha! lass!

Haha! -- -- Ekel, Ekel, Ekel -- -- -- wehe mir!


2.

Kaum aber hatte Zarathustra diese Worte ge¬
sprochen, da stürzte er nieder gleich einem Todten
und blieb lange wie ein Todter. Als er aber wieder
zu sich kam, da war er bleich und zitterte und blieb
liegen und wollte lange nicht essen noch trinken.
Solches Wesen dauerte an ihm sieben Tage; seine
Thiere verliessen ihn aber nicht bei Tag und Nacht,
es sei denn, dass der Adler ausflog, Speise zu holen.
Und was er holte und zusammenraubte, das legte er
auf Zarathustra's Lager: also dass Zarathustra endlich
unter gelben und rothen Beeren, Trauben, Rosen¬

Augen: meine Stimme ist ein Heilmittel noch für
Blindgeborne.

Und bist du erst wach, sollst du mir ewig wach
bleiben. Nicht ist das meine Art, Urgrossmütter aus
dem Schlafe wecken, dass ich sie heisse — weiterschlafen!

Du regst dich, dehnst dich, röchelst? Auf! Auf!
Nicht röcheln — reden sollst du mir! Zarathustra ruft
dich, der Gottlose!

Ich, Zarathustra, der Fürsprecher des Lebens, der
Fürsprecher des Leidens, der Fürsprecher des Kreises
— dich rufe ich, meinen abgründlichsten Gedanken!

Heil mir! Du kommst — ich höre dich! Mein
Abgrund redet, meine letzte Tiefe habe ich an's
Licht gestülpt!

Heil mir! Heran! Gieb die Hand — — ha! lass!

Haha! — — Ekel, Ekel, Ekel — — — wehe mir!


2.

Kaum aber hatte Zarathustra diese Worte ge¬
sprochen, da stürzte er nieder gleich einem Todten
und blieb lange wie ein Todter. Als er aber wieder
zu sich kam, da war er bleich und zitterte und blieb
liegen und wollte lange nicht essen noch trinken.
Solches Wesen dauerte an ihm sieben Tage; seine
Thiere verliessen ihn aber nicht bei Tag und Nacht,
es sei denn, dass der Adler ausflog, Speise zu holen.
Und was er holte und zusammenraubte, das legte er
auf Zarathustra's Lager: also dass Zarathustra endlich
unter gelben und rothen Beeren, Trauben, Rosen¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0103" n="93"/>
Augen: meine Stimme ist ein Heilmittel noch für<lb/>
Blindgeborne.</p><lb/>
          <p>Und bist du erst wach, sollst du mir ewig wach<lb/>
bleiben. Nicht ist das <hi rendition="#g">meine</hi> Art, Urgrossmütter aus<lb/>
dem Schlafe wecken, dass ich sie heisse &#x2014; weiterschlafen!</p><lb/>
          <p>Du regst dich, dehnst dich, röchelst? Auf! Auf!<lb/>
Nicht röcheln &#x2014; reden sollst du mir! Zarathustra ruft<lb/>
dich, der Gottlose!</p><lb/>
          <p>Ich, Zarathustra, der Fürsprecher des Lebens, der<lb/>
Fürsprecher des Leidens, der Fürsprecher des Kreises<lb/>
&#x2014; dich rufe ich, meinen abgründlichsten Gedanken!</p><lb/>
          <p>Heil mir! Du kommst &#x2014; ich höre dich! Mein<lb/>
Abgrund <hi rendition="#g">redet</hi>, meine letzte Tiefe habe ich an's<lb/>
Licht gestülpt!</p><lb/>
          <p>Heil mir! Heran! Gieb die Hand &#x2014; &#x2014; ha! lass!</p><lb/>
          <p>Haha! &#x2014; &#x2014; Ekel, Ekel, Ekel &#x2014; &#x2014; &#x2014; wehe mir!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head>2.<lb/></head>
          <p>Kaum aber hatte Zarathustra diese Worte ge¬<lb/>
sprochen, da stürzte er nieder gleich einem Todten<lb/>
und blieb lange wie ein Todter. Als er aber wieder<lb/>
zu sich kam, da war er bleich und zitterte und blieb<lb/>
liegen und wollte lange nicht essen noch trinken.<lb/>
Solches Wesen dauerte an ihm sieben Tage; seine<lb/>
Thiere verliessen ihn aber nicht bei Tag und Nacht,<lb/>
es sei denn, dass der Adler ausflog, Speise zu holen.<lb/>
Und was er holte und zusammenraubte, das legte er<lb/>
auf Zarathustra's Lager: also dass Zarathustra endlich<lb/>
unter gelben und rothen Beeren, Trauben, Rosen¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0103] Augen: meine Stimme ist ein Heilmittel noch für Blindgeborne. Und bist du erst wach, sollst du mir ewig wach bleiben. Nicht ist das meine Art, Urgrossmütter aus dem Schlafe wecken, dass ich sie heisse — weiterschlafen! Du regst dich, dehnst dich, röchelst? Auf! Auf! Nicht röcheln — reden sollst du mir! Zarathustra ruft dich, der Gottlose! Ich, Zarathustra, der Fürsprecher des Lebens, der Fürsprecher des Leidens, der Fürsprecher des Kreises — dich rufe ich, meinen abgründlichsten Gedanken! Heil mir! Du kommst — ich höre dich! Mein Abgrund redet, meine letzte Tiefe habe ich an's Licht gestülpt! Heil mir! Heran! Gieb die Hand — — ha! lass! Haha! — — Ekel, Ekel, Ekel — — — wehe mir! 2. Kaum aber hatte Zarathustra diese Worte ge¬ sprochen, da stürzte er nieder gleich einem Todten und blieb lange wie ein Todter. Als er aber wieder zu sich kam, da war er bleich und zitterte und blieb liegen und wollte lange nicht essen noch trinken. Solches Wesen dauerte an ihm sieben Tage; seine Thiere verliessen ihn aber nicht bei Tag und Nacht, es sei denn, dass der Adler ausflog, Speise zu holen. Und was er holte und zusammenraubte, das legte er auf Zarathustra's Lager: also dass Zarathustra endlich unter gelben und rothen Beeren, Trauben, Rosen¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884/103
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884/103>, abgerufen am 18.12.2024.