Nietzsche, Friedrich: Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. Leipzig, 1872.schön zu sein", ist, wie ich sagte, der Parallelsatz zu dem 13. Dass Sokrates eine enge Beziehung der Tendenz zu schön zu sein«, ist, wie ich sagte, der Parallelsatz zu dem 13. Dass Sokrates eine enge Beziehung der Tendenz zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0082" n="69"/> schön zu sein«, ist, wie ich sagte, der Parallelsatz zu dem<lb/> sokratischen »alles muss bewusst sein, um gut zu sein«.<lb/> Demgemäss darf uns Euripides als der Dichter des ästheti¬<lb/> schen Sokratismus gelten. Sokrates aber war jener <hi rendition="#i">zweite<lb/> Zuschauer</hi>, der die ältere Tragödie nicht begriff und deshalb<lb/> nicht achtete; mit ihm im Bunde wagte Euripides, der He¬<lb/> rold eines neuen Kunstschaffens zu sein. Wenn an diesem<lb/> die ältere Tragödie zu Grunde ging, so ist also der ästhe¬<lb/> tische Sokratismus das mörderische Princip: insofern aber<lb/> der Kampf gegen das Dionysische der älteren Kunst gerich¬<lb/> tet war, erkennen wir in Sokrates den Gegner des Dionysus,<lb/> den neuen Orpheus, der sich gegen Dionysus erhebt und,<lb/> obschon bestimmt, von den Mänaden des athenischen Ge¬<lb/> richtshofs zerrissen zu werden, doch den übermächtigen Gott<lb/> selbst zur Flucht nöthigt: als welcher, wie damals, als er vor<lb/> dem Edonerkönig Lykurgos floh, sich in die Tiefen des<lb/> Meeres rettete, nämlich in die mystischen Fluthen eines die<lb/> ganze Welt allmählich überziehenden Geheimcultus.</p><lb/> </div> <div n="1"> <head>13.<lb/></head> <p>Dass Sokrates eine enge Beziehung der Tendenz zu<lb/> Euripides habe, entging dem gleichzeitigen Alterthume nicht;<lb/> und der beredteste Ausdruck für diesen glücklichen Spür¬<lb/> sinn ist jene in Athen umlaufende Sage, Sokrates pflege<lb/> dem Euripides im Dichten zu helfen. Beide Namen wurden<lb/> von den Anhängern der »guten alten Zeit« in einem Athem<lb/> genannt, wenn es galt, die Volksverführer der Gegenwait<lb/> aufzuzählen: von deren Einflusse es abhänge, dass die alte<lb/> marathonische vierschrötige Tüchtigkeit an Leib und Seele<lb/> immer mehr einer zweifelhaften Aufklärung, bei fortschreiten¬<lb/> der Verkümmerung der leiblichen und seelischen Kräfte, zum<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [69/0082]
schön zu sein«, ist, wie ich sagte, der Parallelsatz zu dem
sokratischen »alles muss bewusst sein, um gut zu sein«.
Demgemäss darf uns Euripides als der Dichter des ästheti¬
schen Sokratismus gelten. Sokrates aber war jener zweite
Zuschauer, der die ältere Tragödie nicht begriff und deshalb
nicht achtete; mit ihm im Bunde wagte Euripides, der He¬
rold eines neuen Kunstschaffens zu sein. Wenn an diesem
die ältere Tragödie zu Grunde ging, so ist also der ästhe¬
tische Sokratismus das mörderische Princip: insofern aber
der Kampf gegen das Dionysische der älteren Kunst gerich¬
tet war, erkennen wir in Sokrates den Gegner des Dionysus,
den neuen Orpheus, der sich gegen Dionysus erhebt und,
obschon bestimmt, von den Mänaden des athenischen Ge¬
richtshofs zerrissen zu werden, doch den übermächtigen Gott
selbst zur Flucht nöthigt: als welcher, wie damals, als er vor
dem Edonerkönig Lykurgos floh, sich in die Tiefen des
Meeres rettete, nämlich in die mystischen Fluthen eines die
ganze Welt allmählich überziehenden Geheimcultus.
13.
Dass Sokrates eine enge Beziehung der Tendenz zu
Euripides habe, entging dem gleichzeitigen Alterthume nicht;
und der beredteste Ausdruck für diesen glücklichen Spür¬
sinn ist jene in Athen umlaufende Sage, Sokrates pflege
dem Euripides im Dichten zu helfen. Beide Namen wurden
von den Anhängern der »guten alten Zeit« in einem Athem
genannt, wenn es galt, die Volksverführer der Gegenwait
aufzuzählen: von deren Einflusse es abhänge, dass die alte
marathonische vierschrötige Tüchtigkeit an Leib und Seele
immer mehr einer zweifelhaften Aufklärung, bei fortschreiten¬
der Verkümmerung der leiblichen und seelischen Kräfte, zum
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