Nietzsche, Friedrich: Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. Leipzig, 1872.in vier grosse Kunstperioden zerfällt: so sind wir jetzt gedrängt, 5. Wir nahen uns jetzt dem eigentlichen Ziele unsrer Unter¬ 2*
in vier grosse Kunstperioden zerfällt: so sind wir jetzt gedrängt, 5. Wir nahen uns jetzt dem eigentlichen Ziele unsrer Unter¬ 2*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0032" n="19"/> in vier grosse Kunstperioden zerfällt: so sind wir jetzt gedrängt,<lb/> weiter nach dem letzten Plane dieses Werdens und Treibens<lb/> zu fragen, falls uns nicht etwa die letzterreichte Periode, die<lb/> der dorischen Kunst, als die Spitze und Absicht jener Kunst¬<lb/> triebe gelten sollte: und hier bietet sich unseren Blicken das<lb/> erhabene und hochgepriesene Kunstwerk der <hi rendition="#i">attischen Tragödie</hi><lb/> und des dramatischen Dithyrambus, als das gemeinsame Ziel<lb/> beider Triebe, deren geheimnissvolles Ehebündniss, nach lan¬<lb/> gem vorhergehenden Kampfe, sich in einem solchen Kinde —<lb/> das zugleich Antigone und Kassandra ist — verherrlicht hat.</p><lb/> </div> <div n="1"> <head>5.<lb/></head> <p>Wir nahen uns jetzt dem eigentlichen Ziele unsrer Unter¬<lb/> suchung, die auf die Erkenntniss des dionysisch-apollinischen<lb/> Genius und seines Kunstwerkes, wenigstens auf das ahnungs¬<lb/> volle Verständniss jenes Einheitsmysteriums gerichtet ist. Hier<lb/> fragen wir nun zuerst, wo jener springende Lebenspunkt sich<lb/> zuerst in der hellenischen Welt bemerkbar macht, der sich<lb/> nachher bis zur Tragödie und zum dramatischen Dithyrambus<lb/> steigert. Hierüber giebt uns das Alterthum selbst bildlich<lb/> Aufschluss, wenn es als die Urväter und Fackelträger der<lb/> griechischen Dichtung <hi rendition="#i">Homer und Archilochus</hi> auf Bildwerken,<lb/> Gemmen u. s. w. neben einander stellt, in der sicheren Em¬<lb/> pfindung, dass nur diese Beiden gleich völlig originalen Na¬<lb/> turen, von denen aus ein Feuerstrom auf die gesammte<lb/> griechische Nachwelt fortfliesse, zu erachten seien. Homer,<lb/> der in sich versunkene greise Träumer, der Typus des apol¬<lb/> linischen, naiven Künstlers, sieht nun staunend den leiden¬<lb/> schaftlichen Kopf des wild durch's Dasein getriebenen krie¬<lb/> gerischen Musendieners Archilochus: und die neuere Aesthetik<lb/> wusste nur deutend hinzuzufügen, dass hier dem »objectiven«<lb/> <fw place="bottom" type="sig">2*<lb/></fw> </p> </div> </body> </text> </TEI> [19/0032]
in vier grosse Kunstperioden zerfällt: so sind wir jetzt gedrängt,
weiter nach dem letzten Plane dieses Werdens und Treibens
zu fragen, falls uns nicht etwa die letzterreichte Periode, die
der dorischen Kunst, als die Spitze und Absicht jener Kunst¬
triebe gelten sollte: und hier bietet sich unseren Blicken das
erhabene und hochgepriesene Kunstwerk der attischen Tragödie
und des dramatischen Dithyrambus, als das gemeinsame Ziel
beider Triebe, deren geheimnissvolles Ehebündniss, nach lan¬
gem vorhergehenden Kampfe, sich in einem solchen Kinde —
das zugleich Antigone und Kassandra ist — verherrlicht hat.
5.
Wir nahen uns jetzt dem eigentlichen Ziele unsrer Unter¬
suchung, die auf die Erkenntniss des dionysisch-apollinischen
Genius und seines Kunstwerkes, wenigstens auf das ahnungs¬
volle Verständniss jenes Einheitsmysteriums gerichtet ist. Hier
fragen wir nun zuerst, wo jener springende Lebenspunkt sich
zuerst in der hellenischen Welt bemerkbar macht, der sich
nachher bis zur Tragödie und zum dramatischen Dithyrambus
steigert. Hierüber giebt uns das Alterthum selbst bildlich
Aufschluss, wenn es als die Urväter und Fackelträger der
griechischen Dichtung Homer und Archilochus auf Bildwerken,
Gemmen u. s. w. neben einander stellt, in der sicheren Em¬
pfindung, dass nur diese Beiden gleich völlig originalen Na¬
turen, von denen aus ein Feuerstrom auf die gesammte
griechische Nachwelt fortfliesse, zu erachten seien. Homer,
der in sich versunkene greise Träumer, der Typus des apol¬
linischen, naiven Künstlers, sieht nun staunend den leiden¬
schaftlichen Kopf des wild durch's Dasein getriebenen krie¬
gerischen Musendieners Archilochus: und die neuere Aesthetik
wusste nur deutend hinzuzufügen, dass hier dem »objectiven«
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