Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



Lehrmeinungen oder Konfessionen, zu sehen; weil sie
sagen: daß man in die Stadt Gottes durch ver-
schiedene Thore
eingehen könne*). Jeden un-
bescholtenen Mann, und der keine Meinungen vor-
trägt, die ausdrücklich der Bibel zuwider sind, las-
sen sie nicht allein zum gemeinschaftlichen Genusse des
Abendmahls, sondern verstatten ihm auch, öffentlich
über gemeinnützige Wahrheiten zu reden, wozu sie
keine besonders bestellte Lehrer haben. Denn jeder,
der Kraft in sich fühlt, nützliche Lehren zu geben,
trägt sie, ohne Lehrton, wie ein Freund an Freunde
vor, und pflegt, am Ende seiner Rede die Versamm-
lung, bescheiden zu fragen: Ob jemand wider
diesen Vortrag etwas einzuwenden habe, oder
zur fernern Aufklärung der Wahrheit noch et-
was beytragen wolle.
Und hierauf fährt fort, wer
will, mit gleicher Bescheidenheit seine Gedanken zu
eröfnen.

Sebaldus war entzückt über diese Nachricht, und
wünschte nichts, als bald ein Glied einer Versamm-
lung zu seyn, die mit seinen Wünschen so vollkom-
men übereinstimmte. Da er in Rotterdam weder
bleiben wollte noch konnte, so bekam er von dem
Kaufmanne, nachdem er für seine Hofmeisterschaft

anstän-
*) S. Rues. S. 277.



Lehrmeinungen oder Konfeſſionen, zu ſehen; weil ſie
ſagen: daß man in die Stadt Gottes durch ver-
ſchiedene Thore
eingehen koͤnne*). Jeden un-
beſcholtenen Mann, und der keine Meinungen vor-
traͤgt, die ausdruͤcklich der Bibel zuwider ſind, laſ-
ſen ſie nicht allein zum gemeinſchaftlichen Genuſſe des
Abendmahls, ſondern verſtatten ihm auch, oͤffentlich
uͤber gemeinnuͤtzige Wahrheiten zu reden, wozu ſie
keine beſonders beſtellte Lehrer haben. Denn jeder,
der Kraft in ſich fuͤhlt, nuͤtzliche Lehren zu geben,
traͤgt ſie, ohne Lehrton, wie ein Freund an Freunde
vor, und pflegt, am Ende ſeiner Rede die Verſamm-
lung, beſcheiden zu fragen: Ob jemand wider
dieſen Vortrag etwas einzuwenden habe, oder
zur fernern Aufklaͤrung der Wahrheit noch et-
was beytragen wolle.
Und hierauf faͤhrt fort, wer
will, mit gleicher Beſcheidenheit ſeine Gedanken zu
eroͤfnen.

Sebaldus war entzuͤckt uͤber dieſe Nachricht, und
wuͤnſchte nichts, als bald ein Glied einer Verſamm-
lung zu ſeyn, die mit ſeinen Wuͤnſchen ſo vollkom-
men uͤbereinſtimmte. Da er in Rotterdam weder
bleiben wollte noch konnte, ſo bekam er von dem
Kaufmanne, nachdem er fuͤr ſeine Hofmeiſterſchaft

anſtaͤn-
*) S. Rues. S. 277.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0044" n="36[35]"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Lehrmeinungen oder Konfe&#x017F;&#x017F;ionen, zu &#x017F;ehen; weil &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;agen: <hi rendition="#fr">daß man in die Stadt Gottes durch ver-<lb/>
&#x017F;chiedene Thore</hi> eingehen <hi rendition="#fr">ko&#x0364;nne</hi><note place="foot" n="*)">S. <hi rendition="#fr">Rues.</hi> S. 277.</note>. Jeden un-<lb/>
be&#x017F;choltenen Mann, und der keine Meinungen vor-<lb/>
tra&#x0364;gt, die <hi rendition="#fr">ausdru&#x0364;cklich</hi> der Bibel zuwider &#x017F;ind, la&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;ie nicht allein zum gemein&#x017F;chaftlichen Genu&#x017F;&#x017F;e des<lb/>
Abendmahls, &#x017F;ondern ver&#x017F;tatten ihm auch, o&#x0364;ffentlich<lb/>
u&#x0364;ber gemeinnu&#x0364;tzige Wahrheiten zu reden, wozu &#x017F;ie<lb/>
keine be&#x017F;onders be&#x017F;tellte Lehrer haben. Denn jeder,<lb/>
der Kraft in &#x017F;ich fu&#x0364;hlt, nu&#x0364;tzliche Lehren zu geben,<lb/>
tra&#x0364;gt &#x017F;ie, ohne Lehrton, wie ein Freund an Freunde<lb/>
vor, und pflegt, am Ende &#x017F;einer Rede die Ver&#x017F;amm-<lb/>
lung, be&#x017F;cheiden zu fragen: <hi rendition="#fr">Ob jemand wider<lb/>
die&#x017F;en Vortrag etwas einzuwenden habe, oder<lb/>
zur fernern Aufkla&#x0364;rung der Wahrheit noch et-<lb/>
was beytragen wolle.</hi> Und hierauf fa&#x0364;hrt fort, wer<lb/>
will, mit gleicher Be&#x017F;cheidenheit &#x017F;eine Gedanken zu<lb/>
ero&#x0364;fnen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Sebaldus</hi> war entzu&#x0364;ckt u&#x0364;ber die&#x017F;e Nachricht, und<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;chte nichts, als bald ein Glied einer Ver&#x017F;amm-<lb/>
lung zu &#x017F;eyn, die mit &#x017F;einen Wu&#x0364;n&#x017F;chen &#x017F;o vollkom-<lb/>
men u&#x0364;berein&#x017F;timmte. Da er in Rotterdam weder<lb/>
bleiben wollte noch konnte, &#x017F;o bekam er von dem<lb/>
Kaufmanne, nachdem er fu&#x0364;r &#x017F;eine Hofmei&#x017F;ter&#x017F;chaft<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">an&#x017F;ta&#x0364;n-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36[35]/0044] Lehrmeinungen oder Konfeſſionen, zu ſehen; weil ſie ſagen: daß man in die Stadt Gottes durch ver- ſchiedene Thore eingehen koͤnne *). Jeden un- beſcholtenen Mann, und der keine Meinungen vor- traͤgt, die ausdruͤcklich der Bibel zuwider ſind, laſ- ſen ſie nicht allein zum gemeinſchaftlichen Genuſſe des Abendmahls, ſondern verſtatten ihm auch, oͤffentlich uͤber gemeinnuͤtzige Wahrheiten zu reden, wozu ſie keine beſonders beſtellte Lehrer haben. Denn jeder, der Kraft in ſich fuͤhlt, nuͤtzliche Lehren zu geben, traͤgt ſie, ohne Lehrton, wie ein Freund an Freunde vor, und pflegt, am Ende ſeiner Rede die Verſamm- lung, beſcheiden zu fragen: Ob jemand wider dieſen Vortrag etwas einzuwenden habe, oder zur fernern Aufklaͤrung der Wahrheit noch et- was beytragen wolle. Und hierauf faͤhrt fort, wer will, mit gleicher Beſcheidenheit ſeine Gedanken zu eroͤfnen. Sebaldus war entzuͤckt uͤber dieſe Nachricht, und wuͤnſchte nichts, als bald ein Glied einer Verſamm- lung zu ſeyn, die mit ſeinen Wuͤnſchen ſo vollkom- men uͤbereinſtimmte. Da er in Rotterdam weder bleiben wollte noch konnte, ſo bekam er von dem Kaufmanne, nachdem er fuͤr ſeine Hofmeiſterſchaft anſtaͤn- *) S. Rues. S. 277.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/44
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776, S. 36[35]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/44>, abgerufen am 26.04.2024.