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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776.

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von der ganzen Natur verlassen, trostlos, das Le-
ben, dessen er schon vorher satt war, nicht weiter
wünschend, fiel endlich, aus gänzlicher Ermattung, in
ein taubes Hinbrüten zwischen Schlummer und
Ohnmacht, sein letztes Bewustseyn, der Wahn, daß
sein Hinsinken des Todes Anfang sey.

Er erwachte wieder, mit Tagesanbruch, bloß nur
vermögend, zu empfinden, den erwärmenden Strahl
der Sonne, und die Ruhe des besänftigten Meeres,
aber ohne Kraft sich zu bewegen, ohne Anschein von
Hülfe, in der todten Stille der Gegend, die Hof-
nung des nahen Todes, sein einziger Wunsch.

So fand ihn nach einigen Stunden, ein guther-
ziger nordholländischer Fischer, der weil er einige Zei-
chen des Lebens an ihm spürte, und aus seiner schwar-
zen Kleidung schloß, daß er ein Geistlicher sey, ihn
weiter den Strand hinauf schleppte, so gut er konnte
erquickte, und endlich Mittel fand, ihn bis in seine
Hütte zu bringen. Der gutherzige Nordholländer
pflegte ihn daselbst, wie es seine eigene Armuth er-
laubte, so daß der Kranke bald wieder an Kräften
zunahm.

Beide konnten nur mit vieler Mühe einander
verstehen, durch Hülfe des Plattdeutschen, das Se-
baldus
in Holstein gelernet hatte. Sebaldus ver-

heelte
A 3



von der ganzen Natur verlaſſen, troſtlos, das Le-
ben, deſſen er ſchon vorher ſatt war, nicht weiter
wuͤnſchend, fiel endlich, aus gaͤnzlicher Ermattung, in
ein taubes Hinbruͤten zwiſchen Schlummer und
Ohnmacht, ſein letztes Bewuſtſeyn, der Wahn, daß
ſein Hinſinken des Todes Anfang ſey.

Er erwachte wieder, mit Tagesanbruch, bloß nur
vermoͤgend, zu empfinden, den erwaͤrmenden Strahl
der Sonne, und die Ruhe des beſaͤnftigten Meeres,
aber ohne Kraft ſich zu bewegen, ohne Anſchein von
Huͤlfe, in der todten Stille der Gegend, die Hof-
nung des nahen Todes, ſein einziger Wunſch.

So fand ihn nach einigen Stunden, ein guther-
ziger nordhollaͤndiſcher Fiſcher, der weil er einige Zei-
chen des Lebens an ihm ſpuͤrte, und aus ſeiner ſchwar-
zen Kleidung ſchloß, daß er ein Geiſtlicher ſey, ihn
weiter den Strand hinauf ſchleppte, ſo gut er konnte
erquickte, und endlich Mittel fand, ihn bis in ſeine
Huͤtte zu bringen. Der gutherzige Nordhollaͤnder
pflegte ihn daſelbſt, wie es ſeine eigene Armuth er-
laubte, ſo daß der Kranke bald wieder an Kraͤften
zunahm.

Beide konnten nur mit vieler Muͤhe einander
verſtehen, durch Huͤlfe des Plattdeutſchen, das Se-
baldus
in Holſtein gelernet hatte. Sebaldus ver-

heelte
A 3
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[5[4]/0011] von der ganzen Natur verlaſſen, troſtlos, das Le- ben, deſſen er ſchon vorher ſatt war, nicht weiter wuͤnſchend, fiel endlich, aus gaͤnzlicher Ermattung, in ein taubes Hinbruͤten zwiſchen Schlummer und Ohnmacht, ſein letztes Bewuſtſeyn, der Wahn, daß ſein Hinſinken des Todes Anfang ſey. Er erwachte wieder, mit Tagesanbruch, bloß nur vermoͤgend, zu empfinden, den erwaͤrmenden Strahl der Sonne, und die Ruhe des beſaͤnftigten Meeres, aber ohne Kraft ſich zu bewegen, ohne Anſchein von Huͤlfe, in der todten Stille der Gegend, die Hof- nung des nahen Todes, ſein einziger Wunſch. So fand ihn nach einigen Stunden, ein guther- ziger nordhollaͤndiſcher Fiſcher, der weil er einige Zei- chen des Lebens an ihm ſpuͤrte, und aus ſeiner ſchwar- zen Kleidung ſchloß, daß er ein Geiſtlicher ſey, ihn weiter den Strand hinauf ſchleppte, ſo gut er konnte erquickte, und endlich Mittel fand, ihn bis in ſeine Huͤtte zu bringen. Der gutherzige Nordhollaͤnder pflegte ihn daſelbſt, wie es ſeine eigene Armuth er- laubte, ſo daß der Kranke bald wieder an Kraͤften zunahm. Beide konnten nur mit vieler Muͤhe einander verſtehen, durch Huͤlfe des Plattdeutſchen, das Se- baldus in Holſtein gelernet hatte. Sebaldus ver- heelte A 3

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776, S. 5[4]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/11>, abgerufen am 26.04.2024.