Hiemit stand er auf, das süße Lächeln der Selbst- zufriedenheit auf seinen Lippen. Die andern stan- den gleichfalls auf, und jeder gieng seinen Weg.
Achter Abschnitt.
Nach einer kurzen Pause, sagte Sebaldus: ,Hätte "ich doch nimmermehr gedacht, daß man auf "diese Art in Berlin von den symbolischen Büchern "reden würde. Ein unbetrüglicher Wegweiser! "Jch dächte, kein vernünftiger Mensch würde blind- "lings einem Wegweiser folgen, der vor mehr als "zweyhundert Jahren gesetzt worden, er würde be- "denken, durch wie viele Vorsälle der Wegweiser seit "zweyhundert Jahren könne verrückt, oder der Weg "seyn geändert worden. Wenn man diese Trüglich- "keit überlegt, so muß man sich sehr wundern, daß "die Menschen so großes Verlangen bezeigen, sich "nach Lehrformeln, Synodalschlüssen und symbo- "lischen Büchern zu richten.
,Die Menschen ein Verlangen? rief Herr F. "aus. -- Dieß glaube ich eben so wenig, als daß die "Menschen ein Verlangen haben, sich bey der Nase "herumführen zu lassen. Aber diejenigen, welche die "Menschen beherrschen wollen, brauchen Nasen, dar-
"an
Hiemit ſtand er auf, das ſuͤße Laͤcheln der Selbſt- zufriedenheit auf ſeinen Lippen. Die andern ſtan- den gleichfalls auf, und jeder gieng ſeinen Weg.
Achter Abſchnitt.
Nach einer kurzen Pauſe, ſagte Sebaldus: ‚Haͤtte ”ich doch nimmermehr gedacht, daß man auf ”dieſe Art in Berlin von den ſymboliſchen Buͤchern ”reden wuͤrde. Ein unbetruͤglicher Wegweiſer! ”Jch daͤchte, kein vernuͤnftiger Menſch wuͤrde blind- ”lings einem Wegweiſer folgen, der vor mehr als ”zweyhundert Jahren geſetzt worden, er wuͤrde be- ”denken, durch wie viele Vorſaͤlle der Wegweiſer ſeit ”zweyhundert Jahren koͤnne verruͤckt, oder der Weg ”ſeyn geaͤndert worden. Wenn man dieſe Truͤglich- ”keit uͤberlegt, ſo muß man ſich ſehr wundern, daß ”die Menſchen ſo großes Verlangen bezeigen, ſich ”nach Lehrformeln, Synodalſchluͤſſen und ſymbo- ”liſchen Buͤchern zu richten.
‚Die Menſchen ein Verlangen? rief Herr F. ”aus. — Dieß glaube ich eben ſo wenig, als daß die ”Menſchen ein Verlangen haben, ſich bey der Naſe ”herumfuͤhren zu laſſen. Aber diejenigen, welche die ”Menſchen beherrſchen wollen, brauchen Naſen, dar-
”an
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Hiemit ſtand er auf, das ſuͤße Laͤcheln der Selbſt-
zufriedenheit auf ſeinen Lippen. Die andern ſtan-
den gleichfalls auf, und jeder gieng ſeinen Weg.
Achter Abſchnitt.
Nach einer kurzen Pauſe, ſagte Sebaldus: ‚Haͤtte
”ich doch nimmermehr gedacht, daß man auf
”dieſe Art in Berlin von den ſymboliſchen Buͤchern
”reden wuͤrde. Ein unbetruͤglicher Wegweiſer!
”Jch daͤchte, kein vernuͤnftiger Menſch wuͤrde blind-
”lings einem Wegweiſer folgen, der vor mehr als
”zweyhundert Jahren geſetzt worden, er wuͤrde be-
”denken, durch wie viele Vorſaͤlle der Wegweiſer ſeit
”zweyhundert Jahren koͤnne verruͤckt, oder der Weg
”ſeyn geaͤndert worden. Wenn man dieſe Truͤglich-
”keit uͤberlegt, ſo muß man ſich ſehr wundern, daß
”die Menſchen ſo großes Verlangen bezeigen, ſich
”nach Lehrformeln, Synodalſchluͤſſen und ſymbo-
”liſchen Buͤchern zu richten.
‚Die Menſchen ein Verlangen? rief Herr F.
”aus. — Dieß glaube ich eben ſo wenig, als daß die
”Menſchen ein Verlangen haben, ſich bey der Naſe
”herumfuͤhren zu laſſen. Aber diejenigen, welche die
”Menſchen beherrſchen wollen, brauchen Naſen, dar-
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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/93>, abgerufen am 05.07.2024.
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