Einsmals, nach dem Mittagsessen, hatte Herr F. vom Sebaldus die ausführliche Erzählung sei- ner Schicksale verlangt. Als sie geendigt war, schlug Hr. F. weil es einer von den schönen Herbsttagen war, die, unter diesem Himmelsstriche, oft den Som- mertagen weit vorzuziehen sind, einen Spaziergang auf den Weidendamm vor. Sebaldus war über die Schönheit dieses Spaziergangs entzückt. Mit- ten in einer bewohnten weitläuftigen Stadt erblickte er eine große grünende Wiese, mit Weiden bekränzt, hoch und belaubt, wie sonst nur Ulmen und Linden zu seyn pflegen;*) dieser ländlichen Scene gegen- über, Gärten und Gartenhäuser, Werke der Kunst, ohne Pracht aber anmuthig, zwischen beiderley Aus- sichten den silberreinen Spreestrom, von Schwä- uen bewohnt. Er genoß ganz das Vergnügen dieses reizenden Anblicks, er wollte es seinem Gesellschafter mittheilen, aber nun ward er erst gewahr, daß der-
selbe
*) Jm Jahre 1772 ist ein Theil dieser Wiese bebauet worden, aber die schonen Weidenbäume sind glücklicherweise stehen geblieben, von denen der Naturkundiger Schreber sagt: daß er sie, von solcher Höhe und Schönheit, auf seinen Reisen noch nirgend gesehen habe.
Sechſter Abſchnitt.
Einsmals, nach dem Mittagseſſen, hatte Herr F. vom Sebaldus die ausfuͤhrliche Erzaͤhlung ſei- ner Schickſale verlangt. Als ſie geendigt war, ſchlug Hr. F. weil es einer von den ſchoͤnen Herbſttagen war, die, unter dieſem Himmelsſtriche, oft den Som- mertagen weit vorzuziehen ſind, einen Spaziergang auf den Weidendamm vor. Sebaldus war uͤber die Schoͤnheit dieſes Spaziergangs entzuͤckt. Mit- ten in einer bewohnten weitlaͤuftigen Stadt erblickte er eine große gruͤnende Wieſe, mit Weiden bekraͤnzt, hoch und belaubt, wie ſonſt nur Ulmen und Linden zu ſeyn pflegen;*) dieſer laͤndlichen Scene gegen- uͤber, Gaͤrten und Gartenhaͤuſer, Werke der Kunſt, ohne Pracht aber anmuthig, zwiſchen beiderley Aus- ſichten den ſilberreinen Spreeſtrom, von Schwaͤ- uen bewohnt. Er genoß ganz das Vergnuͤgen dieſes reizenden Anblicks, er wollte es ſeinem Geſellſchafter mittheilen, aber nun ward er erſt gewahr, daß der-
ſelbe
*) Jm Jahre 1772 iſt ein Theil dieſer Wieſe bebauet worden, aber die ſchonen Weidenbäume ſind glücklicherweiſe ſtehen geblieben, von denen der Naturkundiger Schreber ſagt: daß er ſie, von ſolcher Höhe und Schönheit, auf ſeinen Reiſen noch nirgend geſehen habe.
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Sechſter Abſchnitt.
Einsmals, nach dem Mittagseſſen, hatte Herr F.
vom Sebaldus die ausfuͤhrliche Erzaͤhlung ſei-
ner Schickſale verlangt. Als ſie geendigt war, ſchlug
Hr. F. weil es einer von den ſchoͤnen Herbſttagen
war, die, unter dieſem Himmelsſtriche, oft den Som-
mertagen weit vorzuziehen ſind, einen Spaziergang
auf den Weidendamm vor. Sebaldus war uͤber
die Schoͤnheit dieſes Spaziergangs entzuͤckt. Mit-
ten in einer bewohnten weitlaͤuftigen Stadt erblickte
er eine große gruͤnende Wieſe, mit Weiden bekraͤnzt,
hoch und belaubt, wie ſonſt nur Ulmen und Linden
zu ſeyn pflegen; *) dieſer laͤndlichen Scene gegen-
uͤber, Gaͤrten und Gartenhaͤuſer, Werke der Kunſt,
ohne Pracht aber anmuthig, zwiſchen beiderley Aus-
ſichten den ſilberreinen Spreeſtrom, von Schwaͤ-
uen bewohnt. Er genoß ganz das Vergnuͤgen dieſes
reizenden Anblicks, er wollte es ſeinem Geſellſchafter
mittheilen, aber nun ward er erſt gewahr, daß der-
ſelbe
*) Jm Jahre 1772 iſt ein Theil dieſer Wieſe bebauet worden,
aber die ſchonen Weidenbäume ſind glücklicherweiſe ſtehen
geblieben, von denen der Naturkundiger Schreber ſagt: daß
er ſie, von ſolcher Höhe und Schönheit, auf ſeinen Reiſen
noch nirgend geſehen habe.
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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/56>, abgerufen am 05.07.2024.
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