Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

Bild:
<< vorherige Seite



und da er heraus war, nicht wußte, ob er frendig
oder betrübt seyn sollte.

Jndessen da er eine kleine Strecke gegangen war,
fing die Betrübniß an, die Oberhand zu gewinnen.
Er sahe nur allzuwohl ein, daß er nunmehr alle Hof-
nung verlohren hätte, von seinen Gönnern einige
Hülfe zu erlangen. Er kam mit traurigem Gemü-
the nach Hause. Aber wie groß war sein Entsetzen,
da er sein Haus von einem andern eingenommen,
seine Familie in einer fremden Hütte, seine Frau und
seine jüngste Tochter auf dem Krankenbette, und seine
älteste Tochter ganz in Thränen zerfließend antraf!
Er sank trostloß auf eine Bank nieder, stand nach
einigen Minuten auf, umarmte seine Frau und seine
Kinder. "Jch bin nicht so glücklich gewesen, sagte
"er, bey Menschen einige Hülfe für uns zu finden,
"wir müßen alle Hülfe von dem allmächtigen Gott
"erwarten, und der wird die unglückliche Unschuld
"nicht verlassen."

Sechster Abschnitt.

Wilhelminens Krankheit nahm sehr schnell zu,
und bey der kleinen Charlotte, die einige
Tage in der äussersten Hitze lag, fingen sich an die

Pocken



und da er heraus war, nicht wußte, ob er frendig
oder betruͤbt ſeyn ſollte.

Jndeſſen da er eine kleine Strecke gegangen war,
fing die Betruͤbniß an, die Oberhand zu gewinnen.
Er ſahe nur allzuwohl ein, daß er nunmehr alle Hof-
nung verlohren haͤtte, von ſeinen Goͤnnern einige
Huͤlfe zu erlangen. Er kam mit traurigem Gemuͤ-
the nach Hauſe. Aber wie groß war ſein Entſetzen,
da er ſein Haus von einem andern eingenommen,
ſeine Familie in einer fremden Huͤtte, ſeine Frau und
ſeine juͤngſte Tochter auf dem Krankenbette, und ſeine
aͤlteſte Tochter ganz in Thraͤnen zerfließend antraf!
Er ſank troſtloß auf eine Bank nieder, ſtand nach
einigen Minuten auf, umarmte ſeine Frau und ſeine
Kinder. „Jch bin nicht ſo gluͤcklich geweſen, ſagte
„er, bey Menſchen einige Huͤlfe fuͤr uns zu finden,
„wir muͤßen alle Huͤlfe von dem allmaͤchtigen Gott
„erwarten, und der wird die ungluͤckliche Unſchuld
„nicht verlaſſen.‟

Sechster Abſchnitt.

Wilhelminens Krankheit nahm ſehr ſchnell zu,
und bey der kleinen Charlotte, die einige
Tage in der aͤuſſerſten Hitze lag, fingen ſich an die

Pocken
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0083" n="61"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
und da er heraus war, nicht wußte, ob er frendig<lb/>
oder betru&#x0364;bt &#x017F;eyn &#x017F;ollte.</p><lb/>
          <p>Jnde&#x017F;&#x017F;en da er eine kleine Strecke gegangen war,<lb/>
fing die Betru&#x0364;bniß an, die Oberhand zu gewinnen.<lb/>
Er &#x017F;ahe nur allzuwohl ein, daß er nunmehr alle Hof-<lb/>
nung verlohren ha&#x0364;tte, von &#x017F;einen Go&#x0364;nnern einige<lb/>
Hu&#x0364;lfe zu erlangen. Er kam mit traurigem Gemu&#x0364;-<lb/>
the nach Hau&#x017F;e. Aber wie groß war &#x017F;ein Ent&#x017F;etzen,<lb/>
da er &#x017F;ein Haus von einem andern eingenommen,<lb/>
&#x017F;eine Familie in einer fremden Hu&#x0364;tte, &#x017F;eine Frau und<lb/>
&#x017F;eine ju&#x0364;ng&#x017F;te Tochter auf dem Krankenbette, und &#x017F;eine<lb/>
a&#x0364;lte&#x017F;te Tochter ganz in Thra&#x0364;nen zerfließend antraf!<lb/>
Er &#x017F;ank tro&#x017F;tloß auf eine Bank nieder, &#x017F;tand nach<lb/>
einigen Minuten auf, umarmte &#x017F;eine Frau und &#x017F;eine<lb/>
Kinder. &#x201E;Jch bin nicht &#x017F;o glu&#x0364;cklich gewe&#x017F;en, &#x017F;agte<lb/>
&#x201E;er, bey Men&#x017F;chen einige Hu&#x0364;lfe fu&#x0364;r uns zu finden,<lb/>
&#x201E;wir mu&#x0364;ßen alle Hu&#x0364;lfe von dem allma&#x0364;chtigen Gott<lb/>
&#x201E;erwarten, und der wird die unglu&#x0364;ckliche Un&#x017F;chuld<lb/>
&#x201E;nicht verla&#x017F;&#x017F;en.&#x201F;</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Sechster Ab&#x017F;chnitt.</hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">W</hi><hi rendition="#fr">ilhelminens</hi> Krankheit nahm &#x017F;ehr &#x017F;chnell zu,<lb/>
und bey der kleinen <hi rendition="#fr">Charlotte,</hi> die einige<lb/>
Tage in der a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;ten Hitze lag, fingen &#x017F;ich an die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Pocken</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0083] und da er heraus war, nicht wußte, ob er frendig oder betruͤbt ſeyn ſollte. Jndeſſen da er eine kleine Strecke gegangen war, fing die Betruͤbniß an, die Oberhand zu gewinnen. Er ſahe nur allzuwohl ein, daß er nunmehr alle Hof- nung verlohren haͤtte, von ſeinen Goͤnnern einige Huͤlfe zu erlangen. Er kam mit traurigem Gemuͤ- the nach Hauſe. Aber wie groß war ſein Entſetzen, da er ſein Haus von einem andern eingenommen, ſeine Familie in einer fremden Huͤtte, ſeine Frau und ſeine juͤngſte Tochter auf dem Krankenbette, und ſeine aͤlteſte Tochter ganz in Thraͤnen zerfließend antraf! Er ſank troſtloß auf eine Bank nieder, ſtand nach einigen Minuten auf, umarmte ſeine Frau und ſeine Kinder. „Jch bin nicht ſo gluͤcklich geweſen, ſagte „er, bey Menſchen einige Huͤlfe fuͤr uns zu finden, „wir muͤßen alle Huͤlfe von dem allmaͤchtigen Gott „erwarten, und der wird die ungluͤckliche Unſchuld „nicht verlaſſen.‟ Sechster Abſchnitt. Wilhelminens Krankheit nahm ſehr ſchnell zu, und bey der kleinen Charlotte, die einige Tage in der aͤuſſerſten Hitze lag, fingen ſich an die Pocken

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/83
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/83>, abgerufen am 21.12.2024.