Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

Bild:
<< vorherige Seite



ihre naßen Augen nicht verbergen. Die kleine Char-
lotte
winselte unaufhörlich, weil sie ihre Mutter
leiden sahe. Sebaldus aber, über sein Unglück
kaum so sehr niedergeschlagen, als über die Härte rach-
gieriger Menschen bestürzt, saß staunend, in der
stillen Schwermuth die äusserlich kalt scheint, aber
innerlich mit desto größerer Heftigkeit auf die Lebens-
geister wütet.

Vierter Abschnitt.

Des andern Morgens frühe, erschien vor Sebal-
dus
Thüre ein Wagen, in welchem Mag.
Tuffelius,
der Jnformator des Superintendenten
saß. Diese Person war fünf Fuß vier Zoll lang, und
näherte sich mehr der Magerkeit eines Candidaten, als
der Feistigkeit eines Pfründenbesitzers. Sein hageres
bleiches Gesicht war beständig wasserrecht gerichtet,
ohne sich herauf oder herunter zu neigen. Seine Hän-
de die etwas länger waren, als sie hätten seyn sollen,
hielt er mehrentheils gerade vor sich weg, und bewegte
sie wellenförmig, wie ein Schwimmender im Wasser
Sein Gang war abgemessen und bedächtlich, als wenn
er sich fürchtete auf etwas zu treten, und wenn er
sprach, welches nie ohne Noth geschah, war seine

Stimme



ihre naßen Augen nicht verbergen. Die kleine Char-
lotte
winſelte unaufhoͤrlich, weil ſie ihre Mutter
leiden ſahe. Sebaldus aber, uͤber ſein Ungluͤck
kaum ſo ſehr niedergeſchlagen, als uͤber die Haͤrte rach-
gieriger Menſchen beſtuͤrzt, ſaß ſtaunend, in der
ſtillen Schwermuth die aͤuſſerlich kalt ſcheint, aber
innerlich mit deſto groͤßerer Heftigkeit auf die Lebens-
geiſter wuͤtet.

Vierter Abſchnitt.

Des andern Morgens fruͤhe, erſchien vor Sebal-
dus
Thuͤre ein Wagen, in welchem Mag.
Tuffelius,
der Jnformator des Superintendenten
ſaß. Dieſe Perſon war fuͤnf Fuß vier Zoll lang, und
naͤherte ſich mehr der Magerkeit eines Candidaten, als
der Feiſtigkeit eines Pfruͤndenbeſitzers. Sein hageres
bleiches Geſicht war beſtaͤndig waſſerrecht gerichtet,
ohne ſich herauf oder herunter zu neigen. Seine Haͤn-
de die etwas laͤnger waren, als ſie haͤtten ſeyn ſollen,
hielt er mehrentheils gerade vor ſich weg, und bewegte
ſie wellenfoͤrmig, wie ein Schwimmender im Waſſer
Sein Gang war abgemeſſen und bedaͤchtlich, als wenn
er ſich fuͤrchtete auf etwas zu treten, und wenn er
ſprach, welches nie ohne Noth geſchah, war ſeine

Stimme
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0064" n="44"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
ihre naßen Augen nicht verbergen. Die kleine <hi rendition="#fr">Char-<lb/>
lotte</hi> win&#x017F;elte unaufho&#x0364;rlich, weil &#x017F;ie ihre Mutter<lb/>
leiden &#x017F;ahe. <hi rendition="#fr">Sebaldus</hi> aber, u&#x0364;ber &#x017F;ein Unglu&#x0364;ck<lb/>
kaum &#x017F;o &#x017F;ehr niederge&#x017F;chlagen, als u&#x0364;ber die Ha&#x0364;rte rach-<lb/>
gieriger Men&#x017F;chen be&#x017F;tu&#x0364;rzt, &#x017F;&#x017F;taunend, in der<lb/>
&#x017F;tillen Schwermuth die a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erlich kalt &#x017F;cheint, aber<lb/>
innerlich mit de&#x017F;to gro&#x0364;ßerer Heftigkeit auf die Lebens-<lb/>
gei&#x017F;ter wu&#x0364;tet.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Vierter Ab&#x017F;chnitt.</hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>es andern Morgens fru&#x0364;he, er&#x017F;chien vor <hi rendition="#fr">Sebal-<lb/>
dus</hi> Thu&#x0364;re ein Wagen, in welchem <hi rendition="#fr">Mag.<lb/>
Tuffelius,</hi> der Jnformator des Superintendenten<lb/>
&#x017F;aß. Die&#x017F;e Per&#x017F;on war fu&#x0364;nf Fuß vier Zoll lang, und<lb/>
na&#x0364;herte &#x017F;ich mehr der Magerkeit eines Candidaten, als<lb/>
der Fei&#x017F;tigkeit eines Pfru&#x0364;ndenbe&#x017F;itzers. Sein hageres<lb/>
bleiches Ge&#x017F;icht war be&#x017F;ta&#x0364;ndig wa&#x017F;&#x017F;errecht gerichtet,<lb/>
ohne &#x017F;ich herauf oder herunter zu neigen. Seine Ha&#x0364;n-<lb/>
de die etwas la&#x0364;nger waren, als &#x017F;ie ha&#x0364;tten &#x017F;eyn &#x017F;ollen,<lb/>
hielt er mehrentheils gerade vor &#x017F;ich weg, und bewegte<lb/>
&#x017F;ie wellenfo&#x0364;rmig, wie ein Schwimmender im Wa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
Sein Gang war abgeme&#x017F;&#x017F;en und beda&#x0364;chtlich, als wenn<lb/>
er &#x017F;ich fu&#x0364;rchtete auf etwas zu treten, und wenn er<lb/>
&#x017F;prach, welches nie ohne Noth ge&#x017F;chah, war &#x017F;eine<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Stimme</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0064] ihre naßen Augen nicht verbergen. Die kleine Char- lotte winſelte unaufhoͤrlich, weil ſie ihre Mutter leiden ſahe. Sebaldus aber, uͤber ſein Ungluͤck kaum ſo ſehr niedergeſchlagen, als uͤber die Haͤrte rach- gieriger Menſchen beſtuͤrzt, ſaß ſtaunend, in der ſtillen Schwermuth die aͤuſſerlich kalt ſcheint, aber innerlich mit deſto groͤßerer Heftigkeit auf die Lebens- geiſter wuͤtet. Vierter Abſchnitt. Des andern Morgens fruͤhe, erſchien vor Sebal- dus Thuͤre ein Wagen, in welchem Mag. Tuffelius, der Jnformator des Superintendenten ſaß. Dieſe Perſon war fuͤnf Fuß vier Zoll lang, und naͤherte ſich mehr der Magerkeit eines Candidaten, als der Feiſtigkeit eines Pfruͤndenbeſitzers. Sein hageres bleiches Geſicht war beſtaͤndig waſſerrecht gerichtet, ohne ſich herauf oder herunter zu neigen. Seine Haͤn- de die etwas laͤnger waren, als ſie haͤtten ſeyn ſollen, hielt er mehrentheils gerade vor ſich weg, und bewegte ſie wellenfoͤrmig, wie ein Schwimmender im Waſſer Sein Gang war abgemeſſen und bedaͤchtlich, als wenn er ſich fuͤrchtete auf etwas zu treten, und wenn er ſprach, welches nie ohne Noth geſchah, war ſeine Stimme

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/64
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/64>, abgerufen am 21.12.2024.