zu fordern in der häuslichen Erziehung, aber es ist sehr schwer in der Schulerziehung, und allgemein gewiss nicht zu ver- langen. "Wen Gott lieb hat, den züchtigt er", das hat man unzählige Male angeführt zur Rechtfertigung der körperlichen Züchtigung. Aber man nehme das Wort nur ganz beim Wort; so sagt es, dass, wer sich nicht eine göttliche Reinheit der Liebe und des sittlichen Eifers zutraut, besser thäte, auf dieses, unter jeder andern Voraussetzung bedenkliche Zuchtmittel ganz zu verzichten; wir sind eben keine Götter. Es giebt auch genug andre Mittel der Zucht; es ist nicht zuzugeben, dass in irgend einem denkbaren Fall die körperliche Strafe das einzige Mittel erzieherischer Einwirkung sei; dass es für irgendwelche Fälle dem Schullehrer wohl gar zur Pflicht gemacht werden dürfte, zu diesem letzten und gewagtesten Mittel zu greifen. Viel- mehr wird man stets den als den bessern Pädagogen anerkennen, der die körperlichen Strafen ganz entbehren kann.
Und so ist allgemein der Beitrag, den die Strafjustiz zur Erziehung leistet, sehr mittelbar und im ganzen unsicher genug. Sie kann zwar, zumal in dem regelmässigen Betrieb einer Schule und unter so manchen erschwerenden Umständen, deren die Organisation der Volksbildung bisher nicht Herr geworden ist, nicht völlig entbehrt werden. Aber wenigstens wäre zu wünschen, dass sie so wenig als möglich thatsächlich zur An- wendung käme. Das Strafgesetz sollte mehr nur theoretisch, als freilich notwendiger Begriff, dastehen, während man beider- seitig bemüht ist, seine faktische Anwendung so viel als nur möglich entbehrlich zu machen. Sie ist entbehrlich, wo von frühester Stufe an der Sinn der Gesetzlichkeit geweckt ist. Ein normales Kind ist dafür von früh auf empfänglich. Es fühlt die Ueberlegenheit und Notwendigkeit des Gesetzes, lange bevor es den Begriff davon hat; wie sollte es nicht auch den Begriff fassen, sobald es die Reife dazu hat?
§ 25. Sittliche Lehre.
Das bisher Gesagte galt von der Uebung und Lehre ge- meinsam, als Mitteln der Willenserziehung; mehr aber von
zu fordern in der häuslichen Erziehung, aber es ist sehr schwer in der Schulerziehung, und allgemein gewiss nicht zu ver- langen. „Wen Gott lieb hat, den züchtigt er“, das hat man unzählige Male angeführt zur Rechtfertigung der körperlichen Züchtigung. Aber man nehme das Wort nur ganz beim Wort; so sagt es, dass, wer sich nicht eine göttliche Reinheit der Liebe und des sittlichen Eifers zutraut, besser thäte, auf dieses, unter jeder andern Voraussetzung bedenkliche Zuchtmittel ganz zu verzichten; wir sind eben keine Götter. Es giebt auch genug andre Mittel der Zucht; es ist nicht zuzugeben, dass in irgend einem denkbaren Fall die körperliche Strafe das einzige Mittel erzieherischer Einwirkung sei; dass es für irgendwelche Fälle dem Schullehrer wohl gar zur Pflicht gemacht werden dürfte, zu diesem letzten und gewagtesten Mittel zu greifen. Viel- mehr wird man stets den als den bessern Pädagogen anerkennen, der die körperlichen Strafen ganz entbehren kann.
Und so ist allgemein der Beitrag, den die Strafjustiz zur Erziehung leistet, sehr mittelbar und im ganzen unsicher genug. Sie kann zwar, zumal in dem regelmässigen Betrieb einer Schule und unter so manchen erschwerenden Umständen, deren die Organisation der Volksbildung bisher nicht Herr geworden ist, nicht völlig entbehrt werden. Aber wenigstens wäre zu wünschen, dass sie so wenig als möglich thatsächlich zur An- wendung käme. Das Strafgesetz sollte mehr nur theoretisch, als freilich notwendiger Begriff, dastehen, während man beider- seitig bemüht ist, seine faktische Anwendung so viel als nur möglich entbehrlich zu machen. Sie ist entbehrlich, wo von frühester Stufe an der Sinn der Gesetzlichkeit geweckt ist. Ein normales Kind ist dafür von früh auf empfänglich. Es fühlt die Ueberlegenheit und Notwendigkeit des Gesetzes, lange bevor es den Begriff davon hat; wie sollte es nicht auch den Begriff fassen, sobald es die Reife dazu hat?
§ 25. Sittliche Lehre.
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zu fordern in der häuslichen Erziehung, aber es ist sehr schwer
in der Schulerziehung, und allgemein gewiss nicht zu ver-
langen. „Wen Gott lieb hat, den züchtigt er“, das hat man
unzählige Male angeführt zur Rechtfertigung der körperlichen
Züchtigung. Aber man nehme das Wort nur ganz beim Wort;
so sagt es, dass, wer sich nicht eine göttliche Reinheit der
Liebe und des sittlichen Eifers zutraut, besser thäte, auf dieses,
unter jeder andern Voraussetzung bedenkliche Zuchtmittel ganz
zu verzichten; wir sind eben keine Götter. Es giebt auch genug
andre Mittel der Zucht; es ist nicht zuzugeben, dass in irgend
einem denkbaren Fall die körperliche Strafe das einzige Mittel
erzieherischer Einwirkung sei; dass es für irgendwelche Fälle
dem Schullehrer wohl gar zur Pflicht gemacht werden dürfte,
zu diesem letzten und gewagtesten Mittel zu greifen. Viel-
mehr wird man stets den als den bessern Pädagogen anerkennen,
der die körperlichen Strafen ganz entbehren kann.
Und so ist allgemein der Beitrag, den die Strafjustiz zur
Erziehung leistet, sehr mittelbar und im ganzen unsicher genug.
Sie kann zwar, zumal in dem regelmässigen Betrieb einer
Schule und unter so manchen erschwerenden Umständen, deren
die Organisation der Volksbildung bisher nicht Herr geworden
ist, nicht völlig entbehrt werden. Aber wenigstens wäre zu
wünschen, dass sie so wenig als möglich thatsächlich zur An-
wendung käme. Das Strafgesetz sollte mehr nur theoretisch,
als freilich notwendiger Begriff, dastehen, während man beider-
seitig bemüht ist, seine faktische Anwendung so viel als nur
möglich entbehrlich zu machen. Sie ist entbehrlich, wo von
frühester Stufe an der Sinn der Gesetzlichkeit geweckt ist. Ein
normales Kind ist dafür von früh auf empfänglich. Es fühlt
die Ueberlegenheit und Notwendigkeit des Gesetzes, lange bevor
es den Begriff davon hat; wie sollte es nicht auch den Begriff
fassen, sobald es die Reife dazu hat?
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/253>, abgerufen am 21.11.2024.
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