"Staat" zu liefern imstande war. Als letzte Probe auf das erhaltene Ergebnis sei denn noch dies ausgeführt.
§ 19. Die Tugenden der Gemeinschaft.
Das System der individuellen Tugenden ergab sich aus dem normalen Verhältnis der Grundfaktoren menschlicher Aktivität überhaupt. Nachdem nachgewiesen ist, was diese selben Grundfaktoren im sozialen Leben bedeuten, ergiebt sich nunmehr leicht die Uebertragung jenes ganzen Systems auf die Tugend der Gemeinschaft.
Erstlich die Tugend der Wahrhaftigkeit, d. i. der Herr- schaft des Bewusstseins ist in der gedachten Ordnung des Gemeinschaftslebens dargestellt, so wie sie es in einem mensch- lichen Dasein auf Erden nur sein kann. Das war ja der Leit- faden dieser ganzen Deduktion: dass das soziale Leben in allen seinen Funktionen dem Gesetze des Bewusstseins unterstellt werden und sich mehr und mehr nach ihm gestalten müsse. In Hinsicht der untersten Funktion hat man es richtig dahin ausgedrückt: dass der Mensch die Produktion beherrschen müsse, nicht die Produktion den Menschen. Ganz das Gleiche trifft auf die Rechtsordnung zu. Und aus eben diesem Gesichts- punkt haben wir die beherrschende Stellung der bildenden Thätigkeiten im sozialen Leben bereits oben gefordert. Die Philosophen müssten Könige sein oder die Könige philosophieren, meinte Plato. Wir geben ihm recht, bis auf das Eine, dass an Stelle der Philosophen (zu denen ich ein so gutes Zutrauen leider nicht zu fassen vermöchte) die Philosophie zu setzen ist, die Philosophie ganz im platonischen Sinne des unbedingten Bestrebens auf vernunftgemässe Gestaltung aller menschlichen Dinge. Eben diese kann nicht Sache einer abgesonderten Klasse Philosophierender sein, sie fordert Durchdringung des ganzen sozialen Organismus mit dem Sinn und den Kräften der Wahrheitserkenntnis in praktischer wie theoretischer Be- deutung. Wahrheit ist nun einmal erste Bedingung mensch- licher Gemeinschaft, die mit Unwahrheit dauernd nicht be-
„Staat“ zu liefern imstande war. Als letzte Probe auf das erhaltene Ergebnis sei denn noch dies ausgeführt.
§ 19. Die Tugenden der Gemeinschaft.
Das System der individuellen Tugenden ergab sich aus dem normalen Verhältnis der Grundfaktoren menschlicher Aktivität überhaupt. Nachdem nachgewiesen ist, was diese selben Grundfaktoren im sozialen Leben bedeuten, ergiebt sich nunmehr leicht die Uebertragung jenes ganzen Systems auf die Tugend der Gemeinschaft.
Erstlich die Tugend der Wahrhaftigkeit, d. i. der Herr- schaft des Bewusstseins ist in der gedachten Ordnung des Gemeinschaftslebens dargestellt, so wie sie es in einem mensch- lichen Dasein auf Erden nur sein kann. Das war ja der Leit- faden dieser ganzen Deduktion: dass das soziale Leben in allen seinen Funktionen dem Gesetze des Bewusstseins unterstellt werden und sich mehr und mehr nach ihm gestalten müsse. In Hinsicht der untersten Funktion hat man es richtig dahin ausgedrückt: dass der Mensch die Produktion beherrschen müsse, nicht die Produktion den Menschen. Ganz das Gleiche trifft auf die Rechtsordnung zu. Und aus eben diesem Gesichts- punkt haben wir die beherrschende Stellung der bildenden Thätigkeiten im sozialen Leben bereits oben gefordert. Die Philosophen müssten Könige sein oder die Könige philosophieren, meinte Plato. Wir geben ihm recht, bis auf das Eine, dass an Stelle der Philosophen (zu denen ich ein so gutes Zutrauen leider nicht zu fassen vermöchte) die Philosophie zu setzen ist, die Philosophie ganz im platonischen Sinne des unbedingten Bestrebens auf vernunftgemässe Gestaltung aller menschlichen Dinge. Eben diese kann nicht Sache einer abgesonderten Klasse Philosophierender sein, sie fordert Durchdringung des ganzen sozialen Organismus mit dem Sinn und den Kräften der Wahrheitserkenntnis in praktischer wie theoretischer Be- deutung. Wahrheit ist nun einmal erste Bedingung mensch- licher Gemeinschaft, die mit Unwahrheit dauernd nicht be-
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„Staat“ zu liefern imstande war. Als letzte Probe auf das
erhaltene Ergebnis sei denn noch dies ausgeführt.
§ 19.
Die Tugenden der Gemeinschaft.
Das System der individuellen Tugenden ergab sich aus
dem normalen Verhältnis der Grundfaktoren menschlicher
Aktivität überhaupt. Nachdem nachgewiesen ist, was diese
selben Grundfaktoren im sozialen Leben bedeuten, ergiebt sich
nunmehr leicht die Uebertragung jenes ganzen Systems auf
die Tugend der Gemeinschaft.
Erstlich die Tugend der Wahrhaftigkeit, d. i. der Herr-
schaft des Bewusstseins ist in der gedachten Ordnung des
Gemeinschaftslebens dargestellt, so wie sie es in einem mensch-
lichen Dasein auf Erden nur sein kann. Das war ja der Leit-
faden dieser ganzen Deduktion: dass das soziale Leben in allen
seinen Funktionen dem Gesetze des Bewusstseins unterstellt
werden und sich mehr und mehr nach ihm gestalten müsse.
In Hinsicht der untersten Funktion hat man es richtig dahin
ausgedrückt: dass der Mensch die Produktion beherrschen
müsse, nicht die Produktion den Menschen. Ganz das Gleiche
trifft auf die Rechtsordnung zu. Und aus eben diesem Gesichts-
punkt haben wir die beherrschende Stellung der bildenden
Thätigkeiten im sozialen Leben bereits oben gefordert. Die
Philosophen müssten Könige sein oder die Könige philosophieren,
meinte Plato. Wir geben ihm recht, bis auf das Eine, dass
an Stelle der Philosophen (zu denen ich ein so gutes Zutrauen
leider nicht zu fassen vermöchte) die Philosophie zu setzen ist,
die Philosophie ganz im platonischen Sinne des unbedingten
Bestrebens auf vernunftgemässe Gestaltung aller menschlichen
Dinge. Eben diese kann nicht Sache einer abgesonderten
Klasse Philosophierender sein, sie fordert Durchdringung des
ganzen sozialen Organismus mit dem Sinn und den Kräften
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/194>, abgerufen am 21.11.2024.
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