Müller, Wilhelm: Sieben und siebzig Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten. Dessau, 1821.Die Blutorange. Epistel aus Sorrent. In Sorrento's Felsengärten Hört' ich heut' ein Mährchen sagen Von der blutigen Orange Und der Blüthe der Granate. Also sprach der kluge Gärtner: Golden, wie noch heut' die Schale, Glühten einst die innern Säfte Dieser würzigen Orangen Von dem Baume hier am Ufer. Und ein Sprößling der Granate, Jung und schlank, wuchs auf daneben. Als der Winter zog von dannen, Trieb das Bäumchen erste Knospen, Und gleich heißen Blutes Flammen Brachen Blüthen aus den Keimen. Und die Nachbarin Orange, Staunend, wie in Liebesandacht, Bog die hohen Zweige schmachtend Nach der fremden Gluth hinüber, Die Blutorange. Epiſtel aus Sorrent. In Sorrento's Felſengaͤrten Hoͤrt' ich heut' ein Maͤhrchen ſagen Von der blutigen Orange Und der Bluͤthe der Granate. Alſo ſprach der kluge Gaͤrtner: Golden, wie noch heut' die Schale, Gluͤhten einſt die innern Saͤfte Dieſer wuͤrzigen Orangen Von dem Baume hier am Ufer. Und ein Sproͤßling der Granate, Jung und ſchlank, wuchs auf daneben. Als der Winter zog von dannen, Trieb das Baͤumchen erſte Knoſpen, Und gleich heißen Blutes Flammen Brachen Bluͤthen aus den Keimen. Und die Nachbarin Orange, Staunend, wie in Liebesandacht, Bog die hohen Zweige ſchmachtend Nach der fremden Gluth hinuͤber, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0164" n="152"/> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b #g">Die Blutorange.</hi><lb/> </head> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p rendition="#c">Epiſtel aus Sorrent.</p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">I</hi>n Sorrento's Felſengaͤrten</l><lb/> <l>Hoͤrt' ich heut' ein Maͤhrchen ſagen</l><lb/> <l>Von der blutigen Orange</l><lb/> <l>Und der Bluͤthe der Granate.</l><lb/> <l>Alſo ſprach der kluge Gaͤrtner:</l><lb/> <l>Golden, wie noch heut' die Schale,</l><lb/> <l>Gluͤhten einſt die innern Saͤfte</l><lb/> <l>Dieſer wuͤrzigen Orangen</l><lb/> <l>Von dem Baume hier am Ufer.</l><lb/> <l>Und ein Sproͤßling der Granate,</l><lb/> <l>Jung und ſchlank, wuchs auf daneben.</l><lb/> <l>Als der Winter zog von dannen,</l><lb/> <l>Trieb das Baͤumchen erſte Knoſpen,</l><lb/> <l>Und gleich heißen Blutes Flammen</l><lb/> <l>Brachen Bluͤthen aus den Keimen.</l><lb/> <l>Und die Nachbarin Orange,</l><lb/> <l>Staunend, wie in Liebesandacht,</l><lb/> <l>Bog die hohen Zweige ſchmachtend</l><lb/> <l>Nach der fremden Gluth hinuͤber,</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [152/0164]
Die Blutorange.
Epiſtel aus Sorrent.
In Sorrento's Felſengaͤrten
Hoͤrt' ich heut' ein Maͤhrchen ſagen
Von der blutigen Orange
Und der Bluͤthe der Granate.
Alſo ſprach der kluge Gaͤrtner:
Golden, wie noch heut' die Schale,
Gluͤhten einſt die innern Saͤfte
Dieſer wuͤrzigen Orangen
Von dem Baume hier am Ufer.
Und ein Sproͤßling der Granate,
Jung und ſchlank, wuchs auf daneben.
Als der Winter zog von dannen,
Trieb das Baͤumchen erſte Knoſpen,
Und gleich heißen Blutes Flammen
Brachen Bluͤthen aus den Keimen.
Und die Nachbarin Orange,
Staunend, wie in Liebesandacht,
Bog die hohen Zweige ſchmachtend
Nach der fremden Gluth hinuͤber,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_waldhornist_1821 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_waldhornist_1821/164 |
Zitationshilfe: | Müller, Wilhelm: Sieben und siebzig Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten. Dessau, 1821, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_waldhornist_1821/164>, abgerufen am 23.02.2025. |