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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

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Die einfachste, natürlichste und nächste Vor-
stellung, von der die National-Oekonomie aus-
geht und zu der sie wieder zurückkehrt, ist die
Vorstellung des Bedürfnisses. Lassen Sie
uns dieselbe in ihrer höchsten Allgemeinheit auf-
fassen, so ist es der Drang nach Vereini-
gung, welcher in allen Individuen der
bürgerlichen oder der menschlichen Ge-
sellschaft Statt findet
; meinethalben mögen
wir dies erst einseitig so ausdrücken: der Drang
des Menschen, sich die Dinge und Personen
dienstbar zu machen. Eine Unterscheidung der
besoins de premiere necessite von den soge-
nannten besoins factices ist vorläufig nicht nöthig,
und könnte auch unsern Standpunkt verrücken, da
wir in einer Zeit leben, wo die eigentlichen ewi-
gen besoins de premiere necessite des Men-
schen, nicht des Thieres, nehmlich das Recht
und die bürgerliche Gesellschaft, nicht dafür an-
erkannt werden.

Das Fortschleppen der äußeren Lebenszeichen
vermittelst der sogenannten besoins de pre-
miere necessite
ist ein viel zu unwürdiger Zweck
für eine Wissenschaft. Das Streben der Men-
schen, sich die Sachen und die Personen dienst-
bar zu machen, soll und darf keine Grenzen
haben; es soll im vollen Sinne des Wortes un-

Die einfachſte, natuͤrlichſte und naͤchſte Vor-
ſtellung, von der die National-Oekonomie aus-
geht und zu der ſie wieder zuruͤckkehrt, iſt die
Vorſtellung des Beduͤrfniſſes. Laſſen Sie
uns dieſelbe in ihrer hoͤchſten Allgemeinheit auf-
faſſen, ſo iſt es der Drang nach Vereini-
gung, welcher in allen Individuen der
buͤrgerlichen oder der menſchlichen Ge-
ſellſchaft Statt findet
; meinethalben moͤgen
wir dies erſt einſeitig ſo ausdruͤcken: der Drang
des Menſchen, ſich die Dinge und Perſonen
dienſtbar zu machen. Eine Unterſcheidung der
besoins de première necessité von den ſoge-
nannten besoins factices iſt vorlaͤufig nicht noͤthig,
und koͤnnte auch unſern Standpunkt verruͤcken, da
wir in einer Zeit leben, wo die eigentlichen ewi-
gen besoins de première necessité des Men-
ſchen, nicht des Thieres, nehmlich das Recht
und die buͤrgerliche Geſellſchaft, nicht dafuͤr an-
erkannt werden.

Das Fortſchleppen der aͤußeren Lebenszeichen
vermittelſt der ſogenannten besoins de pre-
mière necessité
iſt ein viel zu unwuͤrdiger Zweck
fuͤr eine Wiſſenſchaft. Das Streben der Men-
ſchen, ſich die Sachen und die Perſonen dienſt-
bar zu machen, ſoll und darf keine Grenzen
haben; es ſoll im vollen Sinne des Wortes un-

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[216/0224] Die einfachſte, natuͤrlichſte und naͤchſte Vor- ſtellung, von der die National-Oekonomie aus- geht und zu der ſie wieder zuruͤckkehrt, iſt die Vorſtellung des Beduͤrfniſſes. Laſſen Sie uns dieſelbe in ihrer hoͤchſten Allgemeinheit auf- faſſen, ſo iſt es der Drang nach Vereini- gung, welcher in allen Individuen der buͤrgerlichen oder der menſchlichen Ge- ſellſchaft Statt findet; meinethalben moͤgen wir dies erſt einſeitig ſo ausdruͤcken: der Drang des Menſchen, ſich die Dinge und Perſonen dienſtbar zu machen. Eine Unterſcheidung der besoins de première necessité von den ſoge- nannten besoins factices iſt vorlaͤufig nicht noͤthig, und koͤnnte auch unſern Standpunkt verruͤcken, da wir in einer Zeit leben, wo die eigentlichen ewi- gen besoins de première necessité des Men- ſchen, nicht des Thieres, nehmlich das Recht und die buͤrgerliche Geſellſchaft, nicht dafuͤr an- erkannt werden. Das Fortſchleppen der aͤußeren Lebenszeichen vermittelſt der ſogenannten besoins de pre- mière necessité iſt ein viel zu unwuͤrdiger Zweck fuͤr eine Wiſſenſchaft. Das Streben der Men- ſchen, ſich die Sachen und die Perſonen dienſt- bar zu machen, ſoll und darf keine Grenzen haben; es ſoll im vollen Sinne des Wortes un-

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/224>, abgerufen am 26.04.2024.