Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

Lassen Sie uns nur unter allen Dissonanzen
der Monumente des Mittelalters mit dem Stre-
ben unsrer Zeit das Eine fest halten: daß in
allen den Instituten, welche unter dem unmittel-
baren Einflusse der christlichen Religion in Euro-
pa entstanden und ausgebildet worden sind, das
Streben nach wirklicher, äußerer, persönlicher
Gruppirung und Entgegenstellung der nothwen-
digen Staatspartheien, das Streben, jeden ge-
meinschaftlichen und nothwendigen Zweck sogleich
in äußeren, gesellschaftlichen Formen, in Capiteln,
Orden, Zünften, Innungen u. s. f., oder in
Ständen darzustellen, die Seele aller Anordnun-
gen ist. Die Gegenseitigkeit aller großen Staats-
interesses wurde sinnlich an den Tag gelegt, und so
jeder einzelne Bürger in seinem täglichen Umgang
und Verkehr die großen Bedingungen des Ge-
meinwesens fest zu halten genöthigt. Alles Ei-
genthum und alle Eigenheit des Einzelnen bekam
durch diese unaufhörliche Beziehung und Wech-
selseitigkeit mit dem Oeffentlichen erst Werth;
und so mag die Allgegenwart des Krieges, die
Unsicherheit jener Zeiten, oder, wie wir es mit
hochmüthiger und unverständiger Indignation
nennen, das Faustrecht, wohl am meisten bei-
getragen haben, die allgemeine Gegenseitigkeit zu

Müllers Elemente. II. [10]

Laſſen Sie uns nur unter allen Diſſonanzen
der Monumente des Mittelalters mit dem Stre-
ben unſrer Zeit das Eine feſt halten: daß in
allen den Inſtituten, welche unter dem unmittel-
baren Einfluſſe der chriſtlichen Religion in Euro-
pa entſtanden und ausgebildet worden ſind, das
Streben nach wirklicher, aͤußerer, perſoͤnlicher
Gruppirung und Entgegenſtellung der nothwen-
digen Staatspartheien, das Streben, jeden ge-
meinſchaftlichen und nothwendigen Zweck ſogleich
in aͤußeren, geſellſchaftlichen Formen, in Capiteln,
Orden, Zuͤnften, Innungen u. ſ. f., oder in
Staͤnden darzuſtellen, die Seele aller Anordnun-
gen iſt. Die Gegenſeitigkeit aller großen Staats-
intereſſes wurde ſinnlich an den Tag gelegt, und ſo
jeder einzelne Buͤrger in ſeinem taͤglichen Umgang
und Verkehr die großen Bedingungen des Ge-
meinweſens feſt zu halten genoͤthigt. Alles Ei-
genthum und alle Eigenheit des Einzelnen bekam
durch dieſe unaufhoͤrliche Beziehung und Wech-
ſelſeitigkeit mit dem Oeffentlichen erſt Werth;
und ſo mag die Allgegenwart des Krieges, die
Unſicherheit jener Zeiten, oder, wie wir es mit
hochmuͤthiger und unverſtaͤndiger Indignation
nennen, das Fauſtrecht, wohl am meiſten bei-
getragen haben, die allgemeine Gegenſeitigkeit zu

Müllers Elemente. II. [10]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0153" n="145"/>
            <p>La&#x017F;&#x017F;en Sie uns nur unter allen Di&#x017F;&#x017F;onanzen<lb/>
der Monumente des Mittelalters mit dem Stre-<lb/>
ben un&#x017F;rer Zeit das Eine fe&#x017F;t halten: daß in<lb/>
allen den In&#x017F;tituten, welche unter dem unmittel-<lb/>
baren Einflu&#x017F;&#x017F;e der chri&#x017F;tlichen Religion in Euro-<lb/>
pa ent&#x017F;tanden und ausgebildet worden &#x017F;ind, das<lb/>
Streben nach wirklicher, a&#x0364;ußerer, per&#x017F;o&#x0364;nlicher<lb/>
Gruppirung und Entgegen&#x017F;tellung der nothwen-<lb/>
digen Staatspartheien, das Streben, jeden ge-<lb/>
mein&#x017F;chaftlichen und nothwendigen Zweck &#x017F;ogleich<lb/>
in a&#x0364;ußeren, ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen Formen, in Capiteln,<lb/>
Orden, Zu&#x0364;nften, Innungen u. &#x017F;. f., oder in<lb/>
Sta&#x0364;nden darzu&#x017F;tellen, die Seele aller Anordnun-<lb/>
gen i&#x017F;t. Die Gegen&#x017F;eitigkeit aller großen Staats-<lb/>
intere&#x017F;&#x017F;es wurde &#x017F;innlich an den Tag gelegt, und &#x017F;o<lb/>
jeder einzelne Bu&#x0364;rger in &#x017F;einem ta&#x0364;glichen Umgang<lb/>
und Verkehr die großen Bedingungen des Ge-<lb/>
meinwe&#x017F;ens fe&#x017F;t zu halten geno&#x0364;thigt. Alles Ei-<lb/>
genthum und alle Eigenheit des Einzelnen bekam<lb/>
durch die&#x017F;e unaufho&#x0364;rliche Beziehung und Wech-<lb/>
&#x017F;el&#x017F;eitigkeit mit dem Oeffentlichen er&#x017F;t Werth;<lb/>
und &#x017F;o mag die Allgegenwart des Krieges, die<lb/>
Un&#x017F;icherheit jener Zeiten, oder, wie wir es mit<lb/>
hochmu&#x0364;thiger und unver&#x017F;ta&#x0364;ndiger Indignation<lb/>
nennen, das <hi rendition="#g">Fau&#x017F;trecht</hi>, wohl am mei&#x017F;ten bei-<lb/>
getragen haben, die allgemeine Gegen&#x017F;eitigkeit zu<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Müllers Elemente. <hi rendition="#aq">II.</hi> [10]</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0153] Laſſen Sie uns nur unter allen Diſſonanzen der Monumente des Mittelalters mit dem Stre- ben unſrer Zeit das Eine feſt halten: daß in allen den Inſtituten, welche unter dem unmittel- baren Einfluſſe der chriſtlichen Religion in Euro- pa entſtanden und ausgebildet worden ſind, das Streben nach wirklicher, aͤußerer, perſoͤnlicher Gruppirung und Entgegenſtellung der nothwen- digen Staatspartheien, das Streben, jeden ge- meinſchaftlichen und nothwendigen Zweck ſogleich in aͤußeren, geſellſchaftlichen Formen, in Capiteln, Orden, Zuͤnften, Innungen u. ſ. f., oder in Staͤnden darzuſtellen, die Seele aller Anordnun- gen iſt. Die Gegenſeitigkeit aller großen Staats- intereſſes wurde ſinnlich an den Tag gelegt, und ſo jeder einzelne Buͤrger in ſeinem taͤglichen Umgang und Verkehr die großen Bedingungen des Ge- meinweſens feſt zu halten genoͤthigt. Alles Ei- genthum und alle Eigenheit des Einzelnen bekam durch dieſe unaufhoͤrliche Beziehung und Wech- ſelſeitigkeit mit dem Oeffentlichen erſt Werth; und ſo mag die Allgegenwart des Krieges, die Unſicherheit jener Zeiten, oder, wie wir es mit hochmuͤthiger und unverſtaͤndiger Indignation nennen, das Fauſtrecht, wohl am meiſten bei- getragen haben, die allgemeine Gegenſeitigkeit zu Müllers Elemente. II. [10]

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/153
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/153>, abgerufen am 26.04.2024.