Ganz offenbar ist aus meiner Darstellung von dem Geiste der Gesetze hervorgegangen, daß es, wenn einmal bloß das gegenwärtige, weltliche In- teresse der zufällig auf der Erde oder im Staate neben einander lebenden Menschen gelten soll, kein wahres Recht, weder auf der Erde, noch im Staate, giebt. Man glaubt, alles gewonnen zu haben, wenn man einen Codex bestimmter und unbedingter Gesetze bei einander hat; wenn man diesen Gesetzen, den Resultaten tausendjäh- riger Erfahrung, treue, gewissenhafte, unbestech- liche Verwalter und vermeintliche Ausspender des Rechtes beigesellt; man glaubt gegen das Ganze des Staates seine Pflicht hinlänglich er- füllt und seinen Tribut reichlich bezahlt zu ha- ben, wenn man sich diesen Gesetzen und der bür- gerlichen Form, die mit ihnen verknüpft ist, Einer-
Elfte Vorleſung.
Geiſt der Moſaiſchen Geſetzgebung.
Ganz offenbar iſt aus meiner Darſtellung von dem Geiſte der Geſetze hervorgegangen, daß es, wenn einmal bloß das gegenwaͤrtige, weltliche In- tereſſe der zufaͤllig auf der Erde oder im Staate neben einander lebenden Menſchen gelten ſoll, kein wahres Recht, weder auf der Erde, noch im Staate, giebt. Man glaubt, alles gewonnen zu haben, wenn man einen Codex beſtimmter und unbedingter Geſetze bei einander hat; wenn man dieſen Geſetzen, den Reſultaten tauſendjaͤh- riger Erfahrung, treue, gewiſſenhafte, unbeſtech- liche Verwalter und vermeintliche Ausſpender des Rechtes beigeſellt; man glaubt gegen das Ganze des Staates ſeine Pflicht hinlaͤnglich er- fuͤllt und ſeinen Tribut reichlich bezahlt zu ha- ben, wenn man ſich dieſen Geſetzen und der buͤr- gerlichen Form, die mit ihnen verknuͤpft iſt, Einer-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0011"n="[3]"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><head><hirendition="#b">Elfte Vorleſung.</hi></head><lb/><argument><p><hirendition="#c"><hirendition="#g">Geiſt der Moſaiſchen Geſetzgebung</hi>.</hi></p></argument><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p><hirendition="#in">G</hi>anz offenbar iſt aus meiner Darſtellung von<lb/>
dem Geiſte der Geſetze hervorgegangen, daß es,<lb/>
wenn einmal bloß das gegenwaͤrtige, weltliche In-<lb/>
tereſſe der zufaͤllig auf der Erde oder im Staate<lb/>
neben einander lebenden Menſchen gelten ſoll,<lb/>
kein wahres Recht, weder auf der Erde, noch im<lb/>
Staate, giebt. Man glaubt, alles gewonnen<lb/>
zu haben, wenn man einen Codex beſtimmter<lb/>
und unbedingter Geſetze bei einander hat; wenn<lb/>
man dieſen Geſetzen, den Reſultaten tauſendjaͤh-<lb/>
riger Erfahrung, treue, gewiſſenhafte, unbeſtech-<lb/>
liche Verwalter und vermeintliche Ausſpender<lb/>
des Rechtes beigeſellt; man glaubt gegen das<lb/>
Ganze des Staates ſeine Pflicht hinlaͤnglich er-<lb/>
fuͤllt und ſeinen Tribut reichlich bezahlt zu ha-<lb/>
ben, wenn man ſich dieſen Geſetzen und der buͤr-<lb/>
gerlichen Form, die mit ihnen verknuͤpft iſt, Einer-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[[3]/0011]
Elfte Vorleſung.
Geiſt der Moſaiſchen Geſetzgebung.
Ganz offenbar iſt aus meiner Darſtellung von
dem Geiſte der Geſetze hervorgegangen, daß es,
wenn einmal bloß das gegenwaͤrtige, weltliche In-
tereſſe der zufaͤllig auf der Erde oder im Staate
neben einander lebenden Menſchen gelten ſoll,
kein wahres Recht, weder auf der Erde, noch im
Staate, giebt. Man glaubt, alles gewonnen
zu haben, wenn man einen Codex beſtimmter
und unbedingter Geſetze bei einander hat; wenn
man dieſen Geſetzen, den Reſultaten tauſendjaͤh-
riger Erfahrung, treue, gewiſſenhafte, unbeſtech-
liche Verwalter und vermeintliche Ausſpender
des Rechtes beigeſellt; man glaubt gegen das
Ganze des Staates ſeine Pflicht hinlaͤnglich er-
fuͤllt und ſeinen Tribut reichlich bezahlt zu ha-
ben, wenn man ſich dieſen Geſetzen und der buͤr-
gerlichen Form, die mit ihnen verknuͤpft iſt, Einer-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/11>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.