Sein gerichtet. Das Leben geht in ruhiger Darstel- lung dieses Seins auf, das zu erkennen, zu bewahren, rein zu gestalten die höchste Aufgabe ist. Alles unge- wußte Jenseits ist nur die dunkle Gränze, und alle[s] Dunkle dem Gotte verhaßt 1. Der Sinn des Volkes hängt mit Freude an dem klaren, leibhaften Dasein2. Das Fremde und Nichtanaloge steht außerhalb. Eben darum ist der Mensch dem Menschen hauptsächliches und fast einziges Augenmerk. Diejeni- gen Empfindungen, durch die der Mensch gleichsam mit der Natur verschmilzt, sind der Dorischen Religion ursprünglich fremd 3. Auch wird die äußere Beschäfti- gung mit der Natur für unwürdig gehalten 4, und dem eignen Dasein seine Vollendung und Reife zu ge- ben, als das allein angemessne Ziel menschlicher Be- strebung angesehn. Die Menschennatur selbst trägt wieder durch den ganzen Volkstamm das Gepräge des männlichen Geschlechts, wie schon daraus ab- zunehmen, daß das Empfangende und Bedürftige, das Anschließende und Sehnsüchtige, das Weiche und Unstete, wesentliche Züge des weiblichen Wesens, Gegensätze der Dorischen Natur sind, die den Charak- ter der Selbstständigkeit und gebändigten Kraft trägt.
4.
Ich glaube, daß diese Reihe von Zügen, ob- gleich bedeutender Erweiterung und Fortsetzung fähig, doch an dieser Stelle genügt, um zur Concentrirung des bisher peripherisch Dargestellten anzuleiten, u. zugleich die Stelle eines Beweises vertreten kann, daß wirklich der Apolloncult, die altkretische und Lykurgische Ver- fassung, die Dorischen Lebenssitten und Künste Erzeug-
1 Bd. 2. S. 302. 336.
2 Vgl. S. 356.
3 S. 290. 348. 409.
4 Bd. 3. S. 52.
Sein gerichtet. Das Leben geht in ruhiger Darſtel- lung dieſes Seins auf, das zu erkennen, zu bewahren, rein zu geſtalten die hoͤchſte Aufgabe iſt. Alles unge- wußte Jenſeits iſt nur die dunkle Graͤnze, und alle[s] Dunkle dem Gotte verhaßt 1. Der Sinn des Volkes haͤngt mit Freude an dem klaren, leibhaften Daſein2. Das Fremde und Nichtanaloge ſteht außerhalb. Eben darum iſt der Menſch dem Menſchen hauptſaͤchliches und faſt einziges Augenmerk. Diejeni- gen Empfindungen, durch die der Menſch gleichſam mit der Natur verſchmilzt, ſind der Doriſchen Religion urſpruͤnglich fremd 3. Auch wird die aͤußere Beſchaͤfti- gung mit der Natur fuͤr unwuͤrdig gehalten 4, und dem eignen Daſein ſeine Vollendung und Reife zu ge- ben, als das allein angemeſſne Ziel menſchlicher Be- ſtrebung angeſehn. Die Menſchennatur ſelbſt traͤgt wieder durch den ganzen Volkſtamm das Gepraͤge des maͤnnlichen Geſchlechts, wie ſchon daraus ab- zunehmen, daß das Empfangende und Beduͤrftige, das Anſchließende und Sehnſuͤchtige, das Weiche und Unſtete, weſentliche Zuͤge des weiblichen Weſens, Gegenſaͤtze der Doriſchen Natur ſind, die den Charak- ter der Selbſtſtaͤndigkeit und gebaͤndigten Kraft traͤgt.
4.
Ich glaube, daß dieſe Reihe von Zuͤgen, ob- gleich bedeutender Erweiterung und Fortſetzung faͤhig, doch an dieſer Stelle genuͤgt, um zur Concentrirung des bisher peripheriſch Dargeſtellten anzuleiten, u. zugleich die Stelle eines Beweiſes vertreten kann, daß wirklich der Apolloncult, die altkretiſche und Lykurgiſche Ver- faſſung, die Doriſchen Lebensſitten und Kuͤnſte Erzeug-
1 Bd. 2. S. 302. 336.
2 Vgl. S. 356.
3 S. 290. 348. 409.
4 Bd. 3. S. 52.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0412"n="406"/><hirendition="#g">Sein</hi> gerichtet. Das Leben geht in ruhiger Darſtel-<lb/>
lung dieſes Seins auf, das zu erkennen, zu bewahren,<lb/>
rein zu geſtalten die hoͤchſte Aufgabe iſt. Alles unge-<lb/>
wußte Jenſeits iſt nur die dunkle Graͤnze, und alle<supplied>s</supplied><lb/>
Dunkle dem Gotte verhaßt <noteplace="foot"n="1">Bd. 2. S. 302. 336.</note>. Der Sinn des Volkes<lb/>
haͤngt mit Freude an dem <hirendition="#g">klaren, leibhaften<lb/>
Daſein</hi><noteplace="foot"n="2">Vgl. S. 356.</note>. Das Fremde und Nichtanaloge ſteht<lb/>
außerhalb. Eben darum iſt der Menſch dem Menſchen<lb/>
hauptſaͤchliches und faſt einziges Augenmerk. Diejeni-<lb/>
gen Empfindungen, durch die der Menſch gleichſam<lb/>
mit der Natur verſchmilzt, ſind der Doriſchen Religion<lb/>
urſpruͤnglich fremd <noteplace="foot"n="3">S.<lb/>
290. 348. 409.</note>. Auch wird die aͤußere Beſchaͤfti-<lb/>
gung mit der Natur fuͤr unwuͤrdig gehalten <noteplace="foot"n="4">Bd. 3. S. 52.</note>, und<lb/>
dem eignen Daſein ſeine Vollendung und Reife zu ge-<lb/>
ben, als das allein angemeſſne Ziel menſchlicher Be-<lb/>ſtrebung angeſehn. Die Menſchennatur ſelbſt traͤgt<lb/>
wieder durch den ganzen Volkſtamm das Gepraͤge des<lb/><hirendition="#g">maͤnnlichen Geſchlechts,</hi> wie ſchon daraus ab-<lb/>
zunehmen, daß das Empfangende und Beduͤrftige,<lb/>
das Anſchließende und Sehnſuͤchtige, das Weiche und<lb/>
Unſtete, weſentliche Zuͤge des weiblichen Weſens,<lb/>
Gegenſaͤtze der Doriſchen Natur ſind, die den Charak-<lb/>
ter der Selbſtſtaͤndigkeit und gebaͤndigten Kraft traͤgt.</p></div><lb/><divn="3"><head>4.</head><lb/><p>Ich glaube, daß dieſe Reihe von Zuͤgen, ob-<lb/>
gleich bedeutender Erweiterung und Fortſetzung faͤhig,<lb/>
doch an dieſer Stelle genuͤgt, um zur Concentrirung des<lb/>
bisher peripheriſch Dargeſtellten anzuleiten, u. zugleich<lb/>
die Stelle eines Beweiſes vertreten kann, daß wirklich<lb/>
der Apolloncult, die altkretiſche und Lykurgiſche Ver-<lb/>
faſſung, die Doriſchen Lebensſitten und Kuͤnſte Erzeug-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[406/0412]
Sein gerichtet. Das Leben geht in ruhiger Darſtel-
lung dieſes Seins auf, das zu erkennen, zu bewahren,
rein zu geſtalten die hoͤchſte Aufgabe iſt. Alles unge-
wußte Jenſeits iſt nur die dunkle Graͤnze, und alles
Dunkle dem Gotte verhaßt 1. Der Sinn des Volkes
haͤngt mit Freude an dem klaren, leibhaften
Daſein 2. Das Fremde und Nichtanaloge ſteht
außerhalb. Eben darum iſt der Menſch dem Menſchen
hauptſaͤchliches und faſt einziges Augenmerk. Diejeni-
gen Empfindungen, durch die der Menſch gleichſam
mit der Natur verſchmilzt, ſind der Doriſchen Religion
urſpruͤnglich fremd 3. Auch wird die aͤußere Beſchaͤfti-
gung mit der Natur fuͤr unwuͤrdig gehalten 4, und
dem eignen Daſein ſeine Vollendung und Reife zu ge-
ben, als das allein angemeſſne Ziel menſchlicher Be-
ſtrebung angeſehn. Die Menſchennatur ſelbſt traͤgt
wieder durch den ganzen Volkſtamm das Gepraͤge des
maͤnnlichen Geſchlechts, wie ſchon daraus ab-
zunehmen, daß das Empfangende und Beduͤrftige,
das Anſchließende und Sehnſuͤchtige, das Weiche und
Unſtete, weſentliche Zuͤge des weiblichen Weſens,
Gegenſaͤtze der Doriſchen Natur ſind, die den Charak-
ter der Selbſtſtaͤndigkeit und gebaͤndigten Kraft traͤgt.
4.
Ich glaube, daß dieſe Reihe von Zuͤgen, ob-
gleich bedeutender Erweiterung und Fortſetzung faͤhig,
doch an dieſer Stelle genuͤgt, um zur Concentrirung des
bisher peripheriſch Dargeſtellten anzuleiten, u. zugleich
die Stelle eines Beweiſes vertreten kann, daß wirklich
der Apolloncult, die altkretiſche und Lykurgiſche Ver-
faſſung, die Doriſchen Lebensſitten und Kuͤnſte Erzeug-
1 Bd. 2. S. 302. 336.
2 Vgl. S. 356.
3 S.
290. 348. 409.
4 Bd. 3. S. 52.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/412>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.