Die Erziehung der Jugend (neolaia) 1 in den altdorischen Staaten Sparta und Kreta war, wie man auch sonst darüber urtheilen möge, ein sehr kunst- reicher Organismus, worauf schon die große Anzahl verschiedner Classen von Knaben und Jünglingen führt, deren Erwähnung uns zugekommen ist. Denn da die Sonderung derselben gewiß nicht zwecklos war, so ist vorauszusetzen, daß jede von ihnen irgendworin auf eine andre Weise behandelt wurde, und eine andre Stufe der geistigen oder körperlichen Ausbildung war.
Ob ein neugebornes Kind leben bleiben sollte, oder all zu schwächlich sei, entschied bekanntlich in Lakedä- mon der Staat, das heißt ein Rath der Aeltesten des Geschlechts in einer Lesche versammelt 2, nach einer um nichts barbarischeren Sitte, als die der übrigen alten Welt war, welche dem Vater die freie Entschei- dung darüber anheimstellte. So zeigt sich schon hierin der große Einfluß des Gemeinwesens auf die Erzie-
2 Plut. Lyk. 16. Ich habe Geschlecht für Stamm gesetzt, nach oben S. 194.
5.
1.
Die Erziehung der Jugend (νεολαία) 1 in den altdoriſchen Staaten Sparta und Kreta war, wie man auch ſonſt daruͤber urtheilen moͤge, ein ſehr kunſt- reicher Organismus, worauf ſchon die große Anzahl verſchiedner Claſſen von Knaben und Juͤnglingen fuͤhrt, deren Erwaͤhnung uns zugekommen iſt. Denn da die Sonderung derſelben gewiß nicht zwecklos war, ſo iſt vorauszuſetzen, daß jede von ihnen irgendworin auf eine andre Weiſe behandelt wurde, und eine andre Stufe der geiſtigen oder koͤrperlichen Ausbildung war.
Ob ein neugebornes Kind leben bleiben ſollte, oder all zu ſchwaͤchlich ſei, entſchied bekanntlich in Lakedaͤ- mon der Staat, das heißt ein Rath der Aelteſten des Geſchlechts in einer Leſche verſammelt 2, nach einer um nichts barbariſcheren Sitte, als die der uͤbrigen alten Welt war, welche dem Vater die freie Entſchei- dung daruͤber anheimſtellte. So zeigt ſich ſchon hierin der große Einfluß des Gemeinweſens auf die Erzie-
1 Lukian Anach. 38. ϑῆλνς νεολαία Theokr. 18, 24.
2 Plut. Lyk. 16. Ich habe Geſchlecht fuͤr Stamm geſetzt, nach oben S. 194.
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1.
Die Erziehung der Jugend (νεολαία) 1 in
den altdoriſchen Staaten Sparta und Kreta war, wie
man auch ſonſt daruͤber urtheilen moͤge, ein ſehr kunſt-
reicher Organismus, worauf ſchon die große Anzahl
verſchiedner Claſſen von Knaben und Juͤnglingen fuͤhrt,
deren Erwaͤhnung uns zugekommen iſt. Denn da die
Sonderung derſelben gewiß nicht zwecklos war, ſo iſt
vorauszuſetzen, daß jede von ihnen irgendworin auf
eine andre Weiſe behandelt wurde, und eine andre
Stufe der geiſtigen oder koͤrperlichen Ausbildung war.
Ob ein neugebornes Kind leben bleiben ſollte, oder
all zu ſchwaͤchlich ſei, entſchied bekanntlich in Lakedaͤ-
mon der Staat, das heißt ein Rath der Aelteſten des
Geſchlechts in einer Leſche verſammelt 2, nach einer
um nichts barbariſcheren Sitte, als die der uͤbrigen
alten Welt war, welche dem Vater die freie Entſchei-
dung daruͤber anheimſtellte. So zeigt ſich ſchon hierin
der große Einfluß des Gemeinweſens auf die Erzie-
1 Lukian Anach. 38. ϑῆλνς νεολαία Theokr. 18, 24.
2 Plut. Lyk. 16. Ich habe Geſchlecht fuͤr Stamm geſetzt, nach oben
S. 194.
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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/305>, abgerufen am 21.11.2024.
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