Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

vortritt. Je größer die nationale Ehre, um so größer
auch die Schmach, welche denjenigen trifft, welcher
sie verletzt; und mit desto festeren Banden ist alsdann
das Thun des Einzelnen an die allgemeine Gesinnung
gebunden. -- Eine geringe Art der Atimie traf die
Kriegsgefangenen, welche nicht die Schuld der Feigheit
trugen, z. B. die von Sphakteria: sie durften kein
öffentliches Amt bekleiden, und weder kaufen noch ver-
kaufen. Jene Beschimpfungen aber fanden nicht statt,
und die Zeit der Strafe war begränzt 1. Auch kann
man zur Classe der Atimieen noch die Strafe des Ehe-
losen rechnen, dem die Ehre des Greisenalters versagt
war. Auf sich selbst Spottlieder absingen zu müssen,
traf außer ihnen auch noch Jünglinge bei allerlei Ver-
gehen: ein Gebrauch, der der Neigung des Dorischen
Stammes zu Spott und Spaß entspricht, in welchem
oft ein sehr ernsthaftes Bestreben verborgen lag. Auch
in Charondas Gesetzgebung war öffentlicher Spott die
Strafe des Ehebrechers und des Polupragmon 2, und
die der Sykophanten und Feigen trug einen ähnlichen
Charakter 3.

4.

Exil war in Sparta wahrscheinlich niemals
ordentliche Strafe, da der Staat schwerlich Jemanden
dazu gesetzlich nöthigte, was er, wenn es freiwillig
geschah, mit Todesstrafe belegte 4. Die Flucht, wel-
cher sich der Mörder, namentlich der unvorsätzliche, un-
terziehen mußte 5, kann man nicht dazu rechnen; sie
ist nur eine Ausweichung vor der Rache der Verwand-
ten. Dagegen rettet das Exil vor allen, auch den

1 Thuk. 5, 34.
2 Plut. de curios. 8. p. 139. Heyne
Opusc. 2. p. 94.
3 Diod. 12, 12.
4 Plut. Agis 11.
5 Auch der Knabe Xenoph. Anab. 4, 8, 25.

vortritt. Je groͤßer die nationale Ehre, um ſo groͤßer
auch die Schmach, welche denjenigen trifft, welcher
ſie verletzt; und mit deſto feſteren Banden iſt alsdann
das Thun des Einzelnen an die allgemeine Geſinnung
gebunden. — Eine geringe Art der Atimie traf die
Kriegsgefangenen, welche nicht die Schuld der Feigheit
trugen, z. B. die von Sphakteria: ſie durften kein
oͤffentliches Amt bekleiden, und weder kaufen noch ver-
kaufen. Jene Beſchimpfungen aber fanden nicht ſtatt,
und die Zeit der Strafe war begraͤnzt 1. Auch kann
man zur Claſſe der Atimieen noch die Strafe des Ehe-
loſen rechnen, dem die Ehre des Greiſenalters verſagt
war. Auf ſich ſelbſt Spottlieder abſingen zu muͤſſen,
traf außer ihnen auch noch Juͤnglinge bei allerlei Ver-
gehen: ein Gebrauch, der der Neigung des Doriſchen
Stammes zu Spott und Spaß entſpricht, in welchem
oft ein ſehr ernſthaftes Beſtreben verborgen lag. Auch
in Charondas Geſetzgebung war oͤffentlicher Spott die
Strafe des Ehebrechers und des Πολυπράγμων 2, und
die der Sykophanten und Feigen trug einen aͤhnlichen
Charakter 3.

4.

Exil war in Sparta wahrſcheinlich niemals
ordentliche Strafe, da der Staat ſchwerlich Jemanden
dazu geſetzlich noͤthigte, was er, wenn es freiwillig
geſchah, mit Todesſtrafe belegte 4. Die Flucht, wel-
cher ſich der Moͤrder, namentlich der unvorſaͤtzliche, un-
terziehen mußte 5, kann man nicht dazu rechnen; ſie
iſt nur eine Ausweichung vor der Rache der Verwand-
ten. Dagegen rettet das Exil vor allen, auch den

1 Thuk. 5, 34.
2 Plut. de curios. 8. p. 139. Heyne
Opusc. 2. p. 94.
3 Diod. 12, 12.
4 Plut. Agis 11.
5 Auch der Knabe Xenoph. Anab. 4, 8, 25.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0230" n="224"/>
vortritt. Je gro&#x0364;ßer die nationale Ehre, um &#x017F;o gro&#x0364;ßer<lb/>
auch die Schmach, welche denjenigen trifft, welcher<lb/>
&#x017F;ie verletzt; und mit de&#x017F;to fe&#x017F;teren Banden i&#x017F;t alsdann<lb/>
das Thun des Einzelnen an die allgemeine Ge&#x017F;innung<lb/>
gebunden. &#x2014; Eine geringe Art der Atimie traf die<lb/>
Kriegsgefangenen, welche nicht die Schuld der Feigheit<lb/>
trugen, z. B. die von Sphakteria: &#x017F;ie durften kein<lb/>
o&#x0364;ffentliches Amt bekleiden, und weder kaufen noch ver-<lb/>
kaufen. Jene Be&#x017F;chimpfungen aber fanden nicht &#x017F;tatt,<lb/>
und die Zeit der Strafe war begra&#x0364;nzt <note place="foot" n="1">Thuk. 5, 34.</note>. Auch kann<lb/>
man zur Cla&#x017F;&#x017F;e der Atimieen noch die Strafe des Ehe-<lb/>
lo&#x017F;en rechnen, dem die Ehre des Grei&#x017F;enalters ver&#x017F;agt<lb/>
war. Auf &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t Spottlieder ab&#x017F;ingen zu mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
traf außer ihnen auch noch Ju&#x0364;nglinge bei allerlei Ver-<lb/>
gehen: ein Gebrauch, der der Neigung des Dori&#x017F;chen<lb/>
Stammes zu Spott und Spaß ent&#x017F;pricht, in welchem<lb/>
oft ein &#x017F;ehr ern&#x017F;thaftes Be&#x017F;treben verborgen lag. Auch<lb/>
in Charondas Ge&#x017F;etzgebung war o&#x0364;ffentlicher Spott die<lb/>
Strafe des Ehebrechers und des &#x03A0;&#x03BF;&#x03BB;&#x03C5;&#x03C0;&#x03C1;&#x03AC;&#x03B3;&#x03BC;&#x03C9;&#x03BD; <note place="foot" n="2">Plut. <hi rendition="#aq">de curios. 8. p.</hi> 139. Heyne<lb/><hi rendition="#aq">Opusc. 2. p. 94.</hi></note>, und<lb/>
die der Sykophanten und Feigen trug einen a&#x0364;hnlichen<lb/>
Charakter <note place="foot" n="3">Diod. 12, 12.</note>.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>4.</head><lb/>
            <p>Exil war in Sparta wahr&#x017F;cheinlich niemals<lb/>
ordentliche Strafe, da der Staat &#x017F;chwerlich Jemanden<lb/>
dazu ge&#x017F;etzlich no&#x0364;thigte, was er, wenn es freiwillig<lb/>
ge&#x017F;chah, mit Todes&#x017F;trafe belegte <note place="foot" n="4">Plut. Agis 11.</note>. Die Flucht, wel-<lb/>
cher &#x017F;ich der Mo&#x0364;rder, namentlich der unvor&#x017F;a&#x0364;tzliche, un-<lb/>
terziehen mußte <note place="foot" n="5">Auch der Knabe Xenoph. Anab. 4, 8, 25.</note>, kann man nicht dazu rechnen; &#x017F;ie<lb/>
i&#x017F;t nur eine Ausweichung vor der Rache der Verwand-<lb/>
ten. Dagegen rettet das Exil vor allen, auch den<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[224/0230] vortritt. Je groͤßer die nationale Ehre, um ſo groͤßer auch die Schmach, welche denjenigen trifft, welcher ſie verletzt; und mit deſto feſteren Banden iſt alsdann das Thun des Einzelnen an die allgemeine Geſinnung gebunden. — Eine geringe Art der Atimie traf die Kriegsgefangenen, welche nicht die Schuld der Feigheit trugen, z. B. die von Sphakteria: ſie durften kein oͤffentliches Amt bekleiden, und weder kaufen noch ver- kaufen. Jene Beſchimpfungen aber fanden nicht ſtatt, und die Zeit der Strafe war begraͤnzt 1. Auch kann man zur Claſſe der Atimieen noch die Strafe des Ehe- loſen rechnen, dem die Ehre des Greiſenalters verſagt war. Auf ſich ſelbſt Spottlieder abſingen zu muͤſſen, traf außer ihnen auch noch Juͤnglinge bei allerlei Ver- gehen: ein Gebrauch, der der Neigung des Doriſchen Stammes zu Spott und Spaß entſpricht, in welchem oft ein ſehr ernſthaftes Beſtreben verborgen lag. Auch in Charondas Geſetzgebung war oͤffentlicher Spott die Strafe des Ehebrechers und des Πολυπράγμων 2, und die der Sykophanten und Feigen trug einen aͤhnlichen Charakter 3. 4. Exil war in Sparta wahrſcheinlich niemals ordentliche Strafe, da der Staat ſchwerlich Jemanden dazu geſetzlich noͤthigte, was er, wenn es freiwillig geſchah, mit Todesſtrafe belegte 4. Die Flucht, wel- cher ſich der Moͤrder, namentlich der unvorſaͤtzliche, un- terziehen mußte 5, kann man nicht dazu rechnen; ſie iſt nur eine Ausweichung vor der Rache der Verwand- ten. Dagegen rettet das Exil vor allen, auch den 1 Thuk. 5, 34. 2 Plut. de curios. 8. p. 139. Heyne Opusc. 2. p. 94. 3 Diod. 12, 12. 4 Plut. Agis 11. 5 Auch der Knabe Xenoph. Anab. 4, 8, 25.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/230
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/230>, abgerufen am 22.12.2024.