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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

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telalters muß die religiöse Vision unendlich häufig gewe-
sen seyn. Und selbst die lebenskräftigsten, sinnlich gesundesten
Menschen, die wir noch als kolossale Formen bewundern,
waren diesen Selbsterscheinungen in ihren Sinnesorganen
oft ausgesetzt. Benvenuto Cellini, in den Kerkern der
Engelsburg schmachtend, geräth unter religiösen Andachts-
übungen in Verzückung und hat religiöse Visionen. Ihn
trösten heilige Gestalten, wie auch im Traume uns das
eigene Phantasiebild hilft und räth und zu rathen auf-
giebt.

108.

Diese Erscheinungen waren so häufig, daß die Merk-
male objectiver göttlicher Erscheinungen von den trügeri-
schen und gar dämonischen von den Theologen angegeben
werden mußten, die man denn darin setzte, daß die bei
den dämonischen Erscheinungen stattfindenden Bewegungen
denen gleichen sollen, welche im Wahnsinn, in der Raserei,
in der Epilepsie als Convulsionen, Verzerrungen statt fin-
den. Die näheren Bestimmungen hat der Cardinal Lam-
bertini
, nachmaliger Pabst Benedict XIV. im 49.
Cap. des 3. B. de servorum Dei beatificatione angegeben.

109.

Aehnlicher Art waren die religiösen Phantasmen unter
den neuplatonischen Heiden. Das letzte Ziel alles philo-
sophischen Strebens war ihnen das unmittelbare Anschauen
der Gottheit, die sich dem innern Seelenauge als durchaus rei-
nes Licht offenbaret. Reinigung der Seele von allem Irr-
dischem war die Bedingung zur Anschauung dieses überschweng-
lichen Lichtes. Plotinos hatte solche ekstatische Visionen, und
Jamblichos heißt wegen seiner häufigen Ekstasen der Wun-
derthätige und Göttliche. Eben dieser Jamblichos hat in
seinem Werke de Mysteriis die göttlichen von den dämonischen
Visionen zu unterscheiden sich viele Mühe gegeben. Sein Lehrer

telalters muß die religioͤſe Viſion unendlich haͤufig gewe-
ſen ſeyn. Und ſelbſt die lebenskraͤftigſten, ſinnlich geſundeſten
Menſchen, die wir noch als koloſſale Formen bewundern,
waren dieſen Selbſterſcheinungen in ihren Sinnesorganen
oft ausgeſetzt. Benvenuto Cellini, in den Kerkern der
Engelsburg ſchmachtend, geraͤth unter religioͤſen Andachts-
uͤbungen in Verzuͤckung und hat religioͤſe Viſionen. Ihn
troͤſten heilige Geſtalten, wie auch im Traume uns das
eigene Phantaſiebild hilft und raͤth und zu rathen auf-
giebt.

108.

Dieſe Erſcheinungen waren ſo haͤufig, daß die Merk-
male objectiver goͤttlicher Erſcheinungen von den truͤgeri-
ſchen und gar daͤmoniſchen von den Theologen angegeben
werden mußten, die man denn darin ſetzte, daß die bei
den daͤmoniſchen Erſcheinungen ſtattfindenden Bewegungen
denen gleichen ſollen, welche im Wahnſinn, in der Raſerei,
in der Epilepſie als Convulſionen, Verzerrungen ſtatt fin-
den. Die naͤheren Beſtimmungen hat der Cardinal Lam-
bertini
, nachmaliger Pabſt Benedict XIV. im 49.
Cap. des 3. B. de servorum Dei beatificatione angegeben.

109.

Aehnlicher Art waren die religioͤſen Phantasmen unter
den neuplatoniſchen Heiden. Das letzte Ziel alles philo-
ſophiſchen Strebens war ihnen das unmittelbare Anſchauen
der Gottheit, die ſich dem innern Seelenauge als durchaus rei-
nes Licht offenbaret. Reinigung der Seele von allem Irr-
diſchem war die Bedingung zur Anſchauung dieſes uͤberſchweng-
lichen Lichtes. Plotinos hatte ſolche ekſtatiſche Viſionen, und
Jamblichos heißt wegen ſeiner haͤufigen Ekſtaſen der Wun-
derthaͤtige und Goͤttliche. Eben dieſer Jamblichos hat in
ſeinem Werke de Mysteriis die goͤttlichen von den daͤmoniſchen
Viſionen zu unterſcheiden ſich viele Muͤhe gegeben. Sein Lehrer

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[61/0077] telalters muß die religioͤſe Viſion unendlich haͤufig gewe- ſen ſeyn. Und ſelbſt die lebenskraͤftigſten, ſinnlich geſundeſten Menſchen, die wir noch als koloſſale Formen bewundern, waren dieſen Selbſterſcheinungen in ihren Sinnesorganen oft ausgeſetzt. Benvenuto Cellini, in den Kerkern der Engelsburg ſchmachtend, geraͤth unter religioͤſen Andachts- uͤbungen in Verzuͤckung und hat religioͤſe Viſionen. Ihn troͤſten heilige Geſtalten, wie auch im Traume uns das eigene Phantaſiebild hilft und raͤth und zu rathen auf- giebt. 108. Dieſe Erſcheinungen waren ſo haͤufig, daß die Merk- male objectiver goͤttlicher Erſcheinungen von den truͤgeri- ſchen und gar daͤmoniſchen von den Theologen angegeben werden mußten, die man denn darin ſetzte, daß die bei den daͤmoniſchen Erſcheinungen ſtattfindenden Bewegungen denen gleichen ſollen, welche im Wahnſinn, in der Raſerei, in der Epilepſie als Convulſionen, Verzerrungen ſtatt fin- den. Die naͤheren Beſtimmungen hat der Cardinal Lam- bertini, nachmaliger Pabſt Benedict XIV. im 49. Cap. des 3. B. de servorum Dei beatificatione angegeben. 109. Aehnlicher Art waren die religioͤſen Phantasmen unter den neuplatoniſchen Heiden. Das letzte Ziel alles philo- ſophiſchen Strebens war ihnen das unmittelbare Anſchauen der Gottheit, die ſich dem innern Seelenauge als durchaus rei- nes Licht offenbaret. Reinigung der Seele von allem Irr- diſchem war die Bedingung zur Anſchauung dieſes uͤberſchweng- lichen Lichtes. Plotinos hatte ſolche ekſtatiſche Viſionen, und Jamblichos heißt wegen ſeiner haͤufigen Ekſtaſen der Wun- derthaͤtige und Goͤttliche. Eben dieſer Jamblichos hat in ſeinem Werke de Mysteriis die goͤttlichen von den daͤmoniſchen Viſionen zu unterſcheiden ſich viele Muͤhe gegeben. Sein Lehrer

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Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/77>, abgerufen am 21.11.2024.