Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Er trat an das Fenster und schrieb mit nachdenklicher Miene Buchstaben auf die angelaufenen Scheiben. Wagen auf Wagen rollten unten vorüber und machten das Glas unter seinen Fingerspitzen dröhnen. Was mag es denn heut' Abend in dem großen Opernhause für kleine Spectakelkünste geben? Gewiß irgend eine recht gemeine Curiosität, weil die vornehmen Leute so hitzig darnach fahren. Ich begreife die Geheimeräthin nicht, wie eine so geistreiche Frau sich von dem neugierigen Strome kann fortreißen lassen und ein Paar Abende in der Woche daran setzen, um in dem großen Guckkasten zu gaffen und begafft zu werden. Nun, heute habe ich das nicht zu besorgen. Den Montag hält sie gewissenhaft, und ich nicht minder. Ich verspreche mir heute einen himmlischen Abend. Diese Nacht habe ich von Schlangen geträumt, und die sollen ja Ringe bedeuten. Du loses, liebes Mädchen, daß ich dich doch endlich einmal fassen kann! Du hast mir in diesem Thema ein Bändchen in die Hand gegeben, woran ich dich, wie du dich auch drehen und winden magst, so lange festhalte, bis ich dir das Losungswort meines Lebens, das Geständniß meiner Liebe, Stirn gegen Stirn, Aug' in Auge, zugerufen. Meine Glosse auf dieses Thema entzückt mich selbst; so wahr, so warm, so innig hab' ich nie gedichtet. Ich dichtete sie ja aus deinem Herzen heraus.

Inbegriff von meinen Freuden! Hab' ich das verdient um dich?

Er trat an das Fenster und schrieb mit nachdenklicher Miene Buchstaben auf die angelaufenen Scheiben. Wagen auf Wagen rollten unten vorüber und machten das Glas unter seinen Fingerspitzen dröhnen. Was mag es denn heut' Abend in dem großen Opernhause für kleine Spectakelkünste geben? Gewiß irgend eine recht gemeine Curiosität, weil die vornehmen Leute so hitzig darnach fahren. Ich begreife die Geheimeräthin nicht, wie eine so geistreiche Frau sich von dem neugierigen Strome kann fortreißen lassen und ein Paar Abende in der Woche daran setzen, um in dem großen Guckkasten zu gaffen und begafft zu werden. Nun, heute habe ich das nicht zu besorgen. Den Montag hält sie gewissenhaft, und ich nicht minder. Ich verspreche mir heute einen himmlischen Abend. Diese Nacht habe ich von Schlangen geträumt, und die sollen ja Ringe bedeuten. Du loses, liebes Mädchen, daß ich dich doch endlich einmal fassen kann! Du hast mir in diesem Thema ein Bändchen in die Hand gegeben, woran ich dich, wie du dich auch drehen und winden magst, so lange festhalte, bis ich dir das Losungswort meines Lebens, das Geständniß meiner Liebe, Stirn gegen Stirn, Aug' in Auge, zugerufen. Meine Glosse auf dieses Thema entzückt mich selbst; so wahr, so warm, so innig hab' ich nie gedichtet. Ich dichtete sie ja aus deinem Herzen heraus.

Inbegriff von meinen Freuden! Hab' ich das verdient um dich?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="1">
        <pb facs="#f0008"/>
        <p>Er trat an das Fenster und schrieb mit nachdenklicher Miene Buchstaben auf die                angelaufenen Scheiben. Wagen auf Wagen rollten unten vorüber und machten das Glas                unter seinen Fingerspitzen dröhnen. Was mag es denn heut' Abend in dem großen                Opernhause für kleine Spectakelkünste geben? Gewiß irgend eine recht gemeine                Curiosität, weil die vornehmen Leute so hitzig darnach fahren. Ich begreife die                Geheimeräthin nicht, wie eine so geistreiche Frau sich von dem neugierigen Strome                kann fortreißen lassen und ein Paar Abende in der Woche daran setzen, um in dem                großen Guckkasten zu gaffen und begafft zu werden. Nun, heute habe ich das nicht zu                besorgen. Den Montag hält sie gewissenhaft, und ich nicht minder. Ich verspreche mir                heute einen himmlischen Abend. Diese Nacht habe ich von Schlangen geträumt, und die                sollen ja Ringe bedeuten. Du loses, liebes Mädchen, daß ich dich doch endlich einmal                fassen kann! Du hast mir in diesem Thema ein Bändchen in die Hand gegeben, woran ich                dich, wie du dich auch drehen und winden magst, so lange festhalte, bis ich dir das                Losungswort meines Lebens, das Geständniß meiner Liebe, Stirn gegen Stirn, Aug' in                Auge, zugerufen. Meine Glosse auf dieses Thema entzückt mich selbst; so wahr, so                warm, so innig hab' ich nie gedichtet. Ich dichtete sie ja aus deinem Herzen                heraus.</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>Inbegriff von meinen Freuden!</l>
          <l>Hab' ich das verdient um dich?</l><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0008] Er trat an das Fenster und schrieb mit nachdenklicher Miene Buchstaben auf die angelaufenen Scheiben. Wagen auf Wagen rollten unten vorüber und machten das Glas unter seinen Fingerspitzen dröhnen. Was mag es denn heut' Abend in dem großen Opernhause für kleine Spectakelkünste geben? Gewiß irgend eine recht gemeine Curiosität, weil die vornehmen Leute so hitzig darnach fahren. Ich begreife die Geheimeräthin nicht, wie eine so geistreiche Frau sich von dem neugierigen Strome kann fortreißen lassen und ein Paar Abende in der Woche daran setzen, um in dem großen Guckkasten zu gaffen und begafft zu werden. Nun, heute habe ich das nicht zu besorgen. Den Montag hält sie gewissenhaft, und ich nicht minder. Ich verspreche mir heute einen himmlischen Abend. Diese Nacht habe ich von Schlangen geträumt, und die sollen ja Ringe bedeuten. Du loses, liebes Mädchen, daß ich dich doch endlich einmal fassen kann! Du hast mir in diesem Thema ein Bändchen in die Hand gegeben, woran ich dich, wie du dich auch drehen und winden magst, so lange festhalte, bis ich dir das Losungswort meines Lebens, das Geständniß meiner Liebe, Stirn gegen Stirn, Aug' in Auge, zugerufen. Meine Glosse auf dieses Thema entzückt mich selbst; so wahr, so warm, so innig hab' ich nie gedichtet. Ich dichtete sie ja aus deinem Herzen heraus. Inbegriff von meinen Freuden! Hab' ich das verdient um dich?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/8
Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/8>, abgerufen am 26.04.2024.