Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

Reisern im Ernst darum zu thun war, Strafe
zu vermeiden, und nun schlug er doch nicht blind¬
lings zu. Bei ihm lernte auch Reiser weit mehr,
als bei den Konrektor, weil er aus Pflicht auf¬
merksam war, wenn ihn gleich die Sache nicht
interessirte. -- Und da es ihm gelang, sich
durch die lateinischen Ausarbeitungen bis zum
ersten Platze hinauf zu arbeiten! wie aufmun¬
ternd war ihm nun das Lob des Kantors, und
wie eindringend der Zuspruch desselben, daß er
sich nun auf diesem Plaze solle zu behaupten su¬
chen. -- Nun ertheilte der Kantor immer dem er¬
sten in der Klasse das Amt eines Censors oder
Aufsehers über das Betragen der übrigen, und
da nun Reiser sich immer auf seinem ersten Pla¬
ze behauptete, so gab ihm der Kantor den ehren¬
vollen Titel eines censor perpetuus oder im¬
merwährenden Aufsehers. Er verwaltete diß Amt
mit der größten Gewissenhaftigkeit und Unpar¬
theilichkeit, und sahe es oft mit Wehmuth an,
wie die Buben den guten Kantor, der freilich
auch nicht immer den rechten Weg der Disci¬
plin einschlug, ärgerten und ihm das Leben sauer
machten, so daß derselbe oft in der Betrübniß sei¬

Reiſern im Ernſt darum zu thun war, Strafe
zu vermeiden, und nun ſchlug er doch nicht blind¬
lings zu. Bei ihm lernte auch Reiſer weit mehr,
als bei den Konrektor, weil er aus Pflicht auf¬
merkſam war, wenn ihn gleich die Sache nicht
intereſſirte. — Und da es ihm gelang, ſich
durch die lateiniſchen Ausarbeitungen bis zum
erſten Platze hinauf zu arbeiten! wie aufmun¬
ternd war ihm nun das Lob des Kantors, und
wie eindringend der Zuſpruch deſſelben, daß er
ſich nun auf dieſem Plaze ſolle zu behaupten ſu¬
chen. — Nun ertheilte der Kantor immer dem er¬
ſten in der Klaſſe das Amt eines Cenſors oder
Aufſehers uͤber das Betragen der uͤbrigen, und
da nun Reiſer ſich immer auf ſeinem erſten Pla¬
ze behauptete, ſo gab ihm der Kantor den ehren¬
vollen Titel eines cenſor perpetuus oder im¬
merwaͤhrenden Aufſehers. Er verwaltete diß Amt
mit der groͤßten Gewiſſenhaftigkeit und Unpar¬
theilichkeit, und ſahe es oft mit Wehmuth an,
wie die Buben den guten Kantor, der freilich
auch nicht immer den rechten Weg der Diſci¬
plin einſchlug, aͤrgerten und ihm das Leben ſauer
machten, ſo daß derſelbe oft in der Betruͤbniß ſei¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0073" n="63"/>
Rei&#x017F;ern im Ern&#x017F;t darum zu thun war, Strafe<lb/>
zu vermeiden, und nun &#x017F;chlug er doch nicht blind¬<lb/>
lings zu. Bei ihm lernte auch Rei&#x017F;er weit mehr,<lb/>
als bei den Konrektor, weil er aus Pflicht auf¬<lb/>
merk&#x017F;am war, wenn ihn gleich die Sache nicht<lb/>
intere&#x017F;&#x017F;irte. &#x2014; Und da es ihm gelang, &#x017F;ich<lb/>
durch die lateini&#x017F;chen Ausarbeitungen bis zum<lb/>
er&#x017F;ten Platze hinauf zu arbeiten! wie aufmun¬<lb/>
ternd war ihm nun das Lob des Kantors, und<lb/>
wie eindringend der Zu&#x017F;pruch de&#x017F;&#x017F;elben, daß er<lb/>
&#x017F;ich nun auf die&#x017F;em Plaze &#x017F;olle zu behaupten &#x017F;<lb/>
chen. &#x2014; Nun ertheilte der Kantor immer dem er¬<lb/>
&#x017F;ten in der Kla&#x017F;&#x017F;e das Amt eines Cen&#x017F;ors oder<lb/>
Auf&#x017F;ehers u&#x0364;ber das Betragen der u&#x0364;brigen, und<lb/>
da nun Rei&#x017F;er &#x017F;ich immer auf &#x017F;einem er&#x017F;ten Pla¬<lb/>
ze behauptete, &#x017F;o gab ihm der Kantor den ehren¬<lb/>
vollen Titel eines <hi rendition="#aq">cen&#x017F;or perpetuus</hi> oder im¬<lb/>
merwa&#x0364;hrenden Auf&#x017F;ehers. Er verwaltete diß Amt<lb/>
mit der gro&#x0364;ßten Gewi&#x017F;&#x017F;enhaftigkeit und Unpar¬<lb/>
theilichkeit, und &#x017F;ahe es oft mit Wehmuth an,<lb/>
wie die Buben den guten Kantor, der freilich<lb/>
auch nicht immer den rechten Weg der Di&#x017F;ci¬<lb/>
plin ein&#x017F;chlug, a&#x0364;rgerten und ihm das Leben &#x017F;auer<lb/>
machten, &#x017F;o daß der&#x017F;elbe oft in der Betru&#x0364;bniß &#x017F;ei¬<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0073] Reiſern im Ernſt darum zu thun war, Strafe zu vermeiden, und nun ſchlug er doch nicht blind¬ lings zu. Bei ihm lernte auch Reiſer weit mehr, als bei den Konrektor, weil er aus Pflicht auf¬ merkſam war, wenn ihn gleich die Sache nicht intereſſirte. — Und da es ihm gelang, ſich durch die lateiniſchen Ausarbeitungen bis zum erſten Platze hinauf zu arbeiten! wie aufmun¬ ternd war ihm nun das Lob des Kantors, und wie eindringend der Zuſpruch deſſelben, daß er ſich nun auf dieſem Plaze ſolle zu behaupten ſu¬ chen. — Nun ertheilte der Kantor immer dem er¬ ſten in der Klaſſe das Amt eines Cenſors oder Aufſehers uͤber das Betragen der uͤbrigen, und da nun Reiſer ſich immer auf ſeinem erſten Pla¬ ze behauptete, ſo gab ihm der Kantor den ehren¬ vollen Titel eines cenſor perpetuus oder im¬ merwaͤhrenden Aufſehers. Er verwaltete diß Amt mit der groͤßten Gewiſſenhaftigkeit und Unpar¬ theilichkeit, und ſahe es oft mit Wehmuth an, wie die Buben den guten Kantor, der freilich auch nicht immer den rechten Weg der Diſci¬ plin einſchlug, aͤrgerten und ihm das Leben ſauer machten, ſo daß derſelbe oft in der Betruͤbniß ſei¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/73
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/73>, abgerufen am 26.04.2024.