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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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der Hand winkte, daß er ihm etwas aufschrei¬
ben solle.

Mit welchem Entzücken schrieb ihm nun Rei¬
ser auf, daß er jetzt studiere, und schon den Te¬
renz, und das grichische neue Testament übersetze.

Der Greis ließ sich herab, an Reisers kin¬
discher Freude Theil zu nehmen, und wunderte
sich darüber, daß er bereits den Terenz verstün¬
de, wozu doch schon eine Menge von Wörtern
gehöre. Am Ende schrieb ihm Reiser um seine
Gelehrsamkeit ganz auszukramen, mit griechischen
Buchstaben etwas auf -- und der alte Mann er¬
munterte ihn zum fernern Fleiß, und ermahnte ihn,
des Gebets nicht zu vergessen, worauf er sich mit
ihm auf die Knie nieder warf, und gerade so, wie
vor fünf Jahren, da Reiser ihn zum erstenmale
sahe, wieder mit ihm betete.

Mit gerührtem Herzen gieng Reiser zu Hau¬
se, und nahm sich vor, sich ganz wieder zu Gott
zu wenden, das hieß bei ihm, unaufhörlich an
Gott zu denken -- er erinnerte sich mit Weh¬
muth des Zustandes, worin er sich als ein Knab[e]
befunden hatte, da er mit Gott Unterredung

der Hand winkte, daß er ihm etwas aufſchrei¬
ben ſolle.

Mit welchem Entzuͤcken ſchrieb ihm nun Rei¬
ſer auf, daß er jetzt ſtudiere, und ſchon den Te¬
renz, und das grichiſche neue Teſtament uͤberſetze.

Der Greis ließ ſich herab, an Reiſers kin¬
diſcher Freude Theil zu nehmen, und wunderte
ſich daruͤber, daß er bereits den Terenz verſtuͤn¬
de, wozu doch ſchon eine Menge von Woͤrtern
gehoͤre. Am Ende ſchrieb ihm Reiſer um ſeine
Gelehrſamkeit ganz auszukramen, mit griechiſchen
Buchſtaben etwas auf — und der alte Mann er¬
munterte ihn zum fernern Fleiß, und ermahnte ihn,
des Gebets nicht zu vergeſſen, worauf er ſich mit
ihm auf die Knie nieder warf, und gerade ſo, wie
vor fuͤnf Jahren, da Reiſer ihn zum erſtenmale
ſahe, wieder mit ihm betete.

Mit geruͤhrtem Herzen gieng Reiſer zu Hau¬
ſe, und nahm ſich vor, ſich ganz wieder zu Gott
zu wenden, das hieß bei ihm, unaufhoͤrlich an
Gott zu denken — er erinnerte ſich mit Weh¬
muth des Zuſtandes, worin er ſich als ein Knab[e]
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[93/0103] der Hand winkte, daß er ihm etwas aufſchrei¬ ben ſolle. Mit welchem Entzuͤcken ſchrieb ihm nun Rei¬ ſer auf, daß er jetzt ſtudiere, und ſchon den Te¬ renz, und das grichiſche neue Teſtament uͤberſetze. Der Greis ließ ſich herab, an Reiſers kin¬ diſcher Freude Theil zu nehmen, und wunderte ſich daruͤber, daß er bereits den Terenz verſtuͤn¬ de, wozu doch ſchon eine Menge von Woͤrtern gehoͤre. Am Ende ſchrieb ihm Reiſer um ſeine Gelehrſamkeit ganz auszukramen, mit griechiſchen Buchſtaben etwas auf — und der alte Mann er¬ munterte ihn zum fernern Fleiß, und ermahnte ihn, des Gebets nicht zu vergeſſen, worauf er ſich mit ihm auf die Knie nieder warf, und gerade ſo, wie vor fuͤnf Jahren, da Reiſer ihn zum erſtenmale ſahe, wieder mit ihm betete. Mit geruͤhrtem Herzen gieng Reiſer zu Hau¬ ſe, und nahm ſich vor, ſich ganz wieder zu Gott zu wenden, das hieß bei ihm, unaufhoͤrlich an Gott zu denken — er erinnerte ſich mit Weh¬ muth des Zuſtandes, worin er ſich als ein Knabe befunden hatte, da er mit Gott Unterredung

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/103>, abgerufen am 26.04.2024.