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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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Sekundanern, und eine ungewöhnliche Heiter¬
keit verbreitete sich über die Gemüther.

An diesem Neujahr überfiel auch Reisern eine
erstaunliche Wuth Verse zu machen. -- Er
schrieb Neujahrwünsche in Versen an seine El¬
tern, seinen Bruder, die Frau F. . ., und wer
weiß an wen, und sprach darin von Silberbä¬
chen, die sich durch Blumen schlängelu, und von
sanften Zephirs, und goldnen Tagen, daß es
zum bewundern war -- sein Vater hatte vor¬
zügliches Vergnügen an dem Silberbach gefun¬
den; seine Mutter aber verwunderte sich, daß
er seinen Vater bester Vater nenne, da er doch
nur einen Vater habe.

Seine poetische Lektion bestand damals fast
in nichts, als Lessings kleinen Schriften, die
ihm Philipp Reiser geliehen hatte und die er fast
auswendig wußte, so oft hatte er sie durchgele¬
sen. Uebrigens sieht man leicht, daß er, seit dem
er ins Chor ging, zu eignen Arbeiten, die von
ihm abhingen, eben nicht viel Zeit übrig behielt.
Demohngeachtet hatte er allerlei große Projekte!
der Stil im Kornelius Nepos war ihm z. E.
nicht erhaben gnug, und er nahm sich vor, die

Sekundanern, und eine ungewoͤhnliche Heiter¬
keit verbreitete ſich uͤber die Gemuͤther.

An dieſem Neujahr uͤberfiel auch Reiſern eine
erſtaunliche Wuth Verſe zu machen. — Er
ſchrieb Neujahrwuͤnſche in Verſen an ſeine El¬
tern, ſeinen Bruder, die Frau F. . ., und wer
weiß an wen, und ſprach darin von Silberbaͤ¬
chen, die ſich durch Blumen ſchlaͤngelu, und von
ſanften Zephirs, und goldnen Tagen, daß es
zum bewundern war — ſein Vater hatte vor¬
zuͤgliches Vergnuͤgen an dem Silberbach gefun¬
den; ſeine Mutter aber verwunderte ſich, daß
er ſeinen Vater beſter Vater nenne, da er doch
nur einen Vater habe.

Seine poetiſche Lektion beſtand damals faſt
in nichts, als Leſſings kleinen Schriften, die
ihm Philipp Reiſer geliehen hatte und die er faſt
auswendig wußte, ſo oft hatte er ſie durchgele¬
ſen. Uebrigens ſieht man leicht, daß er, ſeit dem
er ins Chor ging, zu eignen Arbeiten, die von
ihm abhingen, eben nicht viel Zeit uͤbrig behielt.
Demohngeachtet hatte er allerlei große Projekte!
der Stil im Kornelius Nepos war ihm z. E.
nicht erhaben gnug, und er nahm ſich vor, die

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[91/0101] Sekundanern, und eine ungewoͤhnliche Heiter¬ keit verbreitete ſich uͤber die Gemuͤther. An dieſem Neujahr uͤberfiel auch Reiſern eine erſtaunliche Wuth Verſe zu machen. — Er ſchrieb Neujahrwuͤnſche in Verſen an ſeine El¬ tern, ſeinen Bruder, die Frau F. . ., und wer weiß an wen, und ſprach darin von Silberbaͤ¬ chen, die ſich durch Blumen ſchlaͤngelu, und von ſanften Zephirs, und goldnen Tagen, daß es zum bewundern war — ſein Vater hatte vor¬ zuͤgliches Vergnuͤgen an dem Silberbach gefun¬ den; ſeine Mutter aber verwunderte ſich, daß er ſeinen Vater beſter Vater nenne, da er doch nur einen Vater habe. Seine poetiſche Lektion beſtand damals faſt in nichts, als Leſſings kleinen Schriften, die ihm Philipp Reiſer geliehen hatte und die er faſt auswendig wußte, ſo oft hatte er ſie durchgele¬ ſen. Uebrigens ſieht man leicht, daß er, ſeit dem er ins Chor ging, zu eignen Arbeiten, die von ihm abhingen, eben nicht viel Zeit uͤbrig behielt. Demohngeachtet hatte er allerlei große Projekte! der Stil im Kornelius Nepos war ihm z. E. nicht erhaben gnug, und er nahm ſich vor, die

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/101>, abgerufen am 26.04.2024.