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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787.

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und bekam die heftigsten Convulsionen. Es wurden geschwind Aerzte herbeygerufen, und nach einigen Tagen war sie schon ziemlich wieder hergestellt, und lebt wahrscheinlich noch.

Sehr sonderbar ist die Beschreibung, welche sie von ihrer Ohnmacht selbst machte, und einen bemerkenswürdigen Beitrag zur Psychologie abgiebt. "Sie gestand nämlich, es sey ihr wie im Traume vorgekommen, als ob sie wirklich gestorben wäre; aber sie habe doch gleichwohl alles deutlich vernommen, was außer ihr während des schrecklichen Todtenschlafs vorgegangen. Sie habe ihre Freundinnen am Sarge reden und über ihren Verlust klagen gehört, habe es gefühlt, als man ihr das Todtenhemd und die Handschuh angezogen, und sie in den Sarg gelegt hätte. Dieses Gefühl sey aber mit einer unbeschreiblichen Seelenangst verbunden gewesen. Sie habe rufen wollen, aber ihre Seele habe durchaus keine Kraft gehabt, auf den Körper zu würken; es sey ihr vorgekommen, als ob sie in demselben, aber auch nicht in demselben mehr wohne. Eben so wäre es ihr nicht möglich gewesen, sich zu bewegen, die Arme auszustrecken, oder die Augen zu öffnen, wenn sie es gleich beständig gewollt habe. Jhre innere Seelenangst hätte aber den höchsten Grad von Marter erreicht, als das Chor Sterbelieder zu singen und man den Sarg zuzunageln angefangen hätte. Der Gedanke: daß sie lebendig begraben werden solle, habe ihrer Seele


und bekam die heftigsten Convulsionen. Es wurden geschwind Aerzte herbeygerufen, und nach einigen Tagen war sie schon ziemlich wieder hergestellt, und lebt wahrscheinlich noch.

Sehr sonderbar ist die Beschreibung, welche sie von ihrer Ohnmacht selbst machte, und einen bemerkenswuͤrdigen Beitrag zur Psychologie abgiebt. »Sie gestand naͤmlich, es sey ihr wie im Traume vorgekommen, als ob sie wirklich gestorben waͤre; aber sie habe doch gleichwohl alles deutlich vernommen, was außer ihr waͤhrend des schrecklichen Todtenschlafs vorgegangen. Sie habe ihre Freundinnen am Sarge reden und uͤber ihren Verlust klagen gehoͤrt, habe es gefuͤhlt, als man ihr das Todtenhemd und die Handschuh angezogen, und sie in den Sarg gelegt haͤtte. Dieses Gefuͤhl sey aber mit einer unbeschreiblichen Seelenangst verbunden gewesen. Sie habe rufen wollen, aber ihre Seele habe durchaus keine Kraft gehabt, auf den Koͤrper zu wuͤrken; es sey ihr vorgekommen, als ob sie in demselben, aber auch nicht in demselben mehr wohne. Eben so waͤre es ihr nicht moͤglich gewesen, sich zu bewegen, die Arme auszustrecken, oder die Augen zu oͤffnen, wenn sie es gleich bestaͤndig gewollt habe. Jhre innere Seelenangst haͤtte aber den hoͤchsten Grad von Marter erreicht, als das Chor Sterbelieder zu singen und man den Sarg zuzunageln angefangen haͤtte. Der Gedanke: daß sie lebendig begraben werden solle, habe ihrer Seele

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[16/0016] und bekam die heftigsten Convulsionen. Es wurden geschwind Aerzte herbeygerufen, und nach einigen Tagen war sie schon ziemlich wieder hergestellt, und lebt wahrscheinlich noch. Sehr sonderbar ist die Beschreibung, welche sie von ihrer Ohnmacht selbst machte, und einen bemerkenswuͤrdigen Beitrag zur Psychologie abgiebt. »Sie gestand naͤmlich, es sey ihr wie im Traume vorgekommen, als ob sie wirklich gestorben waͤre; aber sie habe doch gleichwohl alles deutlich vernommen, was außer ihr waͤhrend des schrecklichen Todtenschlafs vorgegangen. Sie habe ihre Freundinnen am Sarge reden und uͤber ihren Verlust klagen gehoͤrt, habe es gefuͤhlt, als man ihr das Todtenhemd und die Handschuh angezogen, und sie in den Sarg gelegt haͤtte. Dieses Gefuͤhl sey aber mit einer unbeschreiblichen Seelenangst verbunden gewesen. Sie habe rufen wollen, aber ihre Seele habe durchaus keine Kraft gehabt, auf den Koͤrper zu wuͤrken; es sey ihr vorgekommen, als ob sie in demselben, aber auch nicht in demselben mehr wohne. Eben so waͤre es ihr nicht moͤglich gewesen, sich zu bewegen, die Arme auszustrecken, oder die Augen zu oͤffnen, wenn sie es gleich bestaͤndig gewollt habe. Jhre innere Seelenangst haͤtte aber den hoͤchsten Grad von Marter erreicht, als das Chor Sterbelieder zu singen und man den Sarg zuzunageln angefangen haͤtte. Der Gedanke: daß sie lebendig begraben werden solle, habe ihrer Seele

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 5, St. 3. Berlin, 1787, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0503_1787/16>, abgerufen am 26.04.2024.