Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

Sehr oft giebt es dergleichen Streitigkeiten mit ihm, und ich habe noch nicht gefunden, daß er Unrecht gehabt hätte. Auch kömmt er dann zu mir, und frägt: ob er nicht den und den Platz habe, und voll Zutrauen, daß ich ihm beistehn werde, setzt er hinzu: daß man ihn da nicht wolle sitzen lassen, und er sey doch bei der und der Gelegenheit heraufgekommen.

Einmal bat er einen andern Lehrer, wenn er wieder etwas fragen würde, ihm doch die rechte Antwort darauf vorher zu sagen, damit er heraufkommen möchte. Und das dünkte ihn sehr etwas Wichtiges und Ernsthaftes zu seyn.

Als ich einmal eine kleine Geschichte erzählt hatte, wie ein Reicher von seinem Gelde dem Armen geben und ihm dadurch seine Noth erleichtern könnte, und ich ihn nun fragte: was ein Reicher mit seinem Gelde thun könnte: so bekam ich zweimal hintereinander die Antwort: er kann sich Frühstück, Brod und Kleider, und endlich Rosinen kaufen; und gleichwohl verrieth er bei einer andern Gelegenheit wirklich mehr Mitleid und Gutmüthigkeit.

Jch las eine andre kleine Geschichte: wie eine Schwester, die von ihrem Bruder war geschlagen worden, ihn doch nicht wieder schlagen wollte, als der reuige Bruder es ihr erlaubte und verdient zu haben vorgab. Jch fragte: wer es wohl wie dieses kleine Mädchen machen würde. "Jch!" fing er an, und außer ihm noch ein Kleiner von seinem


Sehr oft giebt es dergleichen Streitigkeiten mit ihm, und ich habe noch nicht gefunden, daß er Unrecht gehabt haͤtte. Auch koͤmmt er dann zu mir, und fraͤgt: ob er nicht den und den Platz habe, und voll Zutrauen, daß ich ihm beistehn werde, setzt er hinzu: daß man ihn da nicht wolle sitzen lassen, und er sey doch bei der und der Gelegenheit heraufgekommen.

Einmal bat er einen andern Lehrer, wenn er wieder etwas fragen wuͤrde, ihm doch die rechte Antwort darauf vorher zu sagen, damit er heraufkommen moͤchte. Und das duͤnkte ihn sehr etwas Wichtiges und Ernsthaftes zu seyn.

Als ich einmal eine kleine Geschichte erzaͤhlt hatte, wie ein Reicher von seinem Gelde dem Armen geben und ihm dadurch seine Noth erleichtern koͤnnte, und ich ihn nun fragte: was ein Reicher mit seinem Gelde thun koͤnnte: so bekam ich zweimal hintereinander die Antwort: er kann sich Fruͤhstuͤck, Brod und Kleider, und endlich Rosinen kaufen; und gleichwohl verrieth er bei einer andern Gelegenheit wirklich mehr Mitleid und Gutmuͤthigkeit.

Jch las eine andre kleine Geschichte: wie eine Schwester, die von ihrem Bruder war geschlagen worden, ihn doch nicht wieder schlagen wollte, als der reuige Bruder es ihr erlaubte und verdient zu haben vorgab. Jch fragte: wer es wohl wie dieses kleine Maͤdchen machen wuͤrde. »Jch!« fing er an, und außer ihm noch ein Kleiner von seinem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0125" n="125"/><lb/>
          <p>Sehr oft giebt es dergleichen Streitigkeiten mit ihm, und ich habe noch nicht                         gefunden, daß er Unrecht gehabt ha&#x0364;tte. Auch ko&#x0364;mmt er dann zu mir, und fra&#x0364;gt:                         ob er nicht den und den Platz habe, und voll Zutrauen, daß ich ihm beistehn                         werde, setzt er hinzu: daß man ihn da nicht wolle sitzen lassen, und er sey                         doch bei der und der Gelegenheit heraufgekommen.</p>
          <p>Einmal bat er einen andern Lehrer, wenn er wieder etwas fragen wu&#x0364;rde, ihm                         doch die rechte Antwort darauf vorher zu sagen, damit er heraufkommen                         mo&#x0364;chte. Und das du&#x0364;nkte ihn sehr etwas Wichtiges und Ernsthaftes zu seyn.</p>
          <p>Als ich einmal eine kleine Geschichte erza&#x0364;hlt hatte, wie ein Reicher von                         seinem Gelde dem Armen geben und ihm dadurch seine Noth erleichtern ko&#x0364;nnte,                         und ich ihn nun fragte: was ein Reicher mit seinem Gelde thun ko&#x0364;nnte: so                         bekam ich zweimal hintereinander die Antwort: er kann sich Fru&#x0364;hstu&#x0364;ck, Brod                         und Kleider, und endlich Rosinen kaufen; und gleichwohl verrieth er bei                         einer andern Gelegenheit wirklich mehr Mitleid und Gutmu&#x0364;thigkeit.</p>
          <p>Jch las eine andre kleine Geschichte: wie eine Schwester, die von ihrem                         Bruder war geschlagen worden, ihn doch nicht wieder schlagen wollte, als der                         reuige Bruder es ihr erlaubte und verdient zu haben vorgab. Jch fragte: wer                         es wohl wie dieses kleine Ma&#x0364;dchen machen wu&#x0364;rde. »Jch!« fing er an, und außer                         ihm noch ein Kleiner von seinem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[125/0125] Sehr oft giebt es dergleichen Streitigkeiten mit ihm, und ich habe noch nicht gefunden, daß er Unrecht gehabt haͤtte. Auch koͤmmt er dann zu mir, und fraͤgt: ob er nicht den und den Platz habe, und voll Zutrauen, daß ich ihm beistehn werde, setzt er hinzu: daß man ihn da nicht wolle sitzen lassen, und er sey doch bei der und der Gelegenheit heraufgekommen. Einmal bat er einen andern Lehrer, wenn er wieder etwas fragen wuͤrde, ihm doch die rechte Antwort darauf vorher zu sagen, damit er heraufkommen moͤchte. Und das duͤnkte ihn sehr etwas Wichtiges und Ernsthaftes zu seyn. Als ich einmal eine kleine Geschichte erzaͤhlt hatte, wie ein Reicher von seinem Gelde dem Armen geben und ihm dadurch seine Noth erleichtern koͤnnte, und ich ihn nun fragte: was ein Reicher mit seinem Gelde thun koͤnnte: so bekam ich zweimal hintereinander die Antwort: er kann sich Fruͤhstuͤck, Brod und Kleider, und endlich Rosinen kaufen; und gleichwohl verrieth er bei einer andern Gelegenheit wirklich mehr Mitleid und Gutmuͤthigkeit. Jch las eine andre kleine Geschichte: wie eine Schwester, die von ihrem Bruder war geschlagen worden, ihn doch nicht wieder schlagen wollte, als der reuige Bruder es ihr erlaubte und verdient zu haben vorgab. Jch fragte: wer es wohl wie dieses kleine Maͤdchen machen wuͤrde. »Jch!« fing er an, und außer ihm noch ein Kleiner von seinem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/125
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/125>, abgerufen am 26.04.2024.