Wenn von der Entwicklung der Verfassungen, von den Völkerkämpfen um Herrschaft oder Freiheit, wie sie Italien und insbesondere Rom von der Verbannung des tarquinischen Geschlechts bis zur Ueberwältigung der Samniten und der italischen Griechen bewegten, sich der Blick wendet zu den stilleren Kreisen des menschlichen Daseins, die die Geschichte doch auch beherrscht und durchdringt, so begegnet ihm auch hier überall die Nachwirkung der grossartigen Ereignisse, durch welche die Fesseln des Geschlechterregiments gesprengt wur- den und eine reiche Fülle nationaler Bildungen untergehen musste um ein Volk zu bereichern. Darf auch der Geschicht- schreiber es nicht einmal versuchen den grossen Gang der Ereignisse in die grenzenlose Mannichfaltigkeit der individuel- len Gestaltung hinein zu verfolgen, so überschreitet er doch seine Aufgabe nicht, wenn er aus der zertrümmerten Ueber- lieferung einzelne Bruchstücke ergreifend hindeutet auf die wichtigsten Aenderungen, die in dieser Epoche im italischen Volksleben stattgefunden haben. Wenn dabei noch mehr als früher das römische in den Vordergrund tritt, so ist dies nicht bloss in den zufälligen Lücken unsrer Ueberlieferung begründet; vielmehr ist es eine wesentliche Folge der verän- derten politischen Stellung Roms, dass die latinische Nationali- tät die übrigen italischen zu verdunkeln beginnt. Unter Latiums Einfluss beginnen die Nachbarländer, das südliche Etrurien, die Sabina, das Volskerland, ja selbst Campanien sich in dieser
KAPITEL VIII.
Innere Verhältnisse.
Wenn von der Entwicklung der Verfassungen, von den Völkerkämpfen um Herrschaft oder Freiheit, wie sie Italien und insbesondere Rom von der Verbannung des tarquinischen Geschlechts bis zur Ueberwältigung der Samniten und der italischen Griechen bewegten, sich der Blick wendet zu den stilleren Kreisen des menschlichen Daseins, die die Geschichte doch auch beherrscht und durchdringt, so begegnet ihm auch hier überall die Nachwirkung der groſsartigen Ereignisse, durch welche die Fesseln des Geschlechterregiments gesprengt wur- den und eine reiche Fülle nationaler Bildungen untergehen muſste um ein Volk zu bereichern. Darf auch der Geschicht- schreiber es nicht einmal versuchen den groſsen Gang der Ereignisse in die grenzenlose Mannichfaltigkeit der individuel- len Gestaltung hinein zu verfolgen, so überschreitet er doch seine Aufgabe nicht, wenn er aus der zertrümmerten Ueber- lieferung einzelne Bruchstücke ergreifend hindeutet auf die wichtigsten Aenderungen, die in dieser Epoche im italischen Volksleben stattgefunden haben. Wenn dabei noch mehr als früher das römische in den Vordergrund tritt, so ist dies nicht bloſs in den zufälligen Lücken unsrer Ueberlieferung begründet; vielmehr ist es eine wesentliche Folge der verän- derten politischen Stellung Roms, daſs die latinische Nationali- tät die übrigen italischen zu verdunkeln beginnt. Unter Latiums Einfluſs beginnen die Nachbarländer, das südliche Etrurien, die Sabina, das Volskerland, ja selbst Campanien sich in dieser
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0299"n="[285]"/><divn="2"><head><hirendition="#g">KAPITEL</hi> VIII.</head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><argument><p><hirendition="#g">Innere Verhältnisse</hi>.</p></argument><lb/><p>Wenn von der Entwicklung der Verfassungen, von den<lb/>
Völkerkämpfen um Herrschaft oder Freiheit, wie sie Italien<lb/>
und insbesondere Rom von der Verbannung des tarquinischen<lb/>
Geschlechts bis zur Ueberwältigung der Samniten und der<lb/>
italischen Griechen bewegten, sich der Blick wendet zu den<lb/>
stilleren Kreisen des menschlichen Daseins, die die Geschichte<lb/>
doch auch beherrscht und durchdringt, so begegnet ihm auch<lb/>
hier überall die Nachwirkung der groſsartigen Ereignisse, durch<lb/>
welche die Fesseln des Geschlechterregiments gesprengt wur-<lb/>
den und eine reiche Fülle nationaler Bildungen untergehen<lb/>
muſste um ein Volk zu bereichern. Darf auch der Geschicht-<lb/>
schreiber es nicht einmal versuchen den groſsen Gang der<lb/>
Ereignisse in die grenzenlose Mannichfaltigkeit der individuel-<lb/>
len Gestaltung hinein zu verfolgen, so überschreitet er doch<lb/>
seine Aufgabe nicht, wenn er aus der zertrümmerten Ueber-<lb/>
lieferung einzelne Bruchstücke ergreifend hindeutet auf die<lb/>
wichtigsten Aenderungen, die in dieser Epoche im italischen<lb/>
Volksleben stattgefunden haben. Wenn dabei noch mehr als<lb/>
früher das römische in den Vordergrund tritt, so ist dies<lb/>
nicht bloſs in den zufälligen Lücken unsrer Ueberlieferung<lb/>
begründet; vielmehr ist es eine wesentliche Folge der verän-<lb/>
derten politischen Stellung Roms, daſs die latinische Nationali-<lb/>
tät die übrigen italischen zu verdunkeln beginnt. Unter Latiums<lb/>
Einfluſs beginnen die Nachbarländer, das südliche Etrurien, die<lb/>
Sabina, das Volskerland, ja selbst Campanien sich in dieser<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[285]/0299]
KAPITEL VIII.
Innere Verhältnisse.
Wenn von der Entwicklung der Verfassungen, von den
Völkerkämpfen um Herrschaft oder Freiheit, wie sie Italien
und insbesondere Rom von der Verbannung des tarquinischen
Geschlechts bis zur Ueberwältigung der Samniten und der
italischen Griechen bewegten, sich der Blick wendet zu den
stilleren Kreisen des menschlichen Daseins, die die Geschichte
doch auch beherrscht und durchdringt, so begegnet ihm auch
hier überall die Nachwirkung der groſsartigen Ereignisse, durch
welche die Fesseln des Geschlechterregiments gesprengt wur-
den und eine reiche Fülle nationaler Bildungen untergehen
muſste um ein Volk zu bereichern. Darf auch der Geschicht-
schreiber es nicht einmal versuchen den groſsen Gang der
Ereignisse in die grenzenlose Mannichfaltigkeit der individuel-
len Gestaltung hinein zu verfolgen, so überschreitet er doch
seine Aufgabe nicht, wenn er aus der zertrümmerten Ueber-
lieferung einzelne Bruchstücke ergreifend hindeutet auf die
wichtigsten Aenderungen, die in dieser Epoche im italischen
Volksleben stattgefunden haben. Wenn dabei noch mehr als
früher das römische in den Vordergrund tritt, so ist dies
nicht bloſs in den zufälligen Lücken unsrer Ueberlieferung
begründet; vielmehr ist es eine wesentliche Folge der verän-
derten politischen Stellung Roms, daſs die latinische Nationali-
tät die übrigen italischen zu verdunkeln beginnt. Unter Latiums
Einfluſs beginnen die Nachbarländer, das südliche Etrurien, die
Sabina, das Volskerland, ja selbst Campanien sich in dieser
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. [285]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/299>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.