1770, S. 1--343; und Reinhard's System der christlichen Moral, 4. Aufl., Bd. III, S. 541--604. Auch Hirscher, Christliche Moral, 5. Aufl., Bd. III, S. 693--743, neigt sich dieser Auffassung zu; abge- sehen davon, daß das Machtliche zu sehr vorwaltet. Lediglich ein System des philosophischen Staatsrechtes liefert: Wirth, J. U., System der spe- culativen Ethik. Heilbr., 1841, Bd. II, S. 167--390. Zu technisch phi- losophisch gehalten ist der Abschnitt in G. Hartenstein's Grundbegriffen der ethischen Wissenschaften. Lpz., 1844, S. 234--294, und 487--574. Zwar anerkennenswerthe, aber sehr kurze und zum Theil ganz fragmentari- sche Bemerkungen sind enthalten in J. G. Fichte's Systeme der Sitten- lehre (1798), S. 305--335; in Schleiermacher's Entwurf eines Sy- stems der Sittenlehre (herausg. von A. Schweizer,) S. 274--290; und in Marheinecke's System der theologischen Moral, S. 530--555. So bleibt denn eigentlich nur R. Rothe's Theologische Ethik, Bd. III, 2, S. 840 bis 1009, wo sich denn allerdings Fülle des Stoffes, Wissenschaftlichkeit der Behandlung und besonnener Freimuth zu einem trefflichen Ganzen ver- binden. Nur stimmt leider die grundsätzliche Vermischung von Moral und Politik mit der in gegenwärtiger Darstellung festgehaltener Trennung der verschiedenen Gesetze für das praktische Leben der Menschen nicht überein.
§ 77. 2. Die obersten Grundsätze der Staats-Sittenlehre.
Auch das sittliche Leben ist nach bewußten Grundsätzen, und nicht blos nach Gefühlen einzurichten. Doppelt so im Staate, wo es in Berührung kömmt mit dem Rechte und mit der Klugheit, welche beide bestimmten Regeln folgen und unklare Gefühlseinwirkungen entweder gar nicht beachten, oder durch dieselben in Verwirrung gebracht werden würden. Auch ist nur bei der Aufstellung bestimmter Grundsätze eine wissenschaftliche Bearbeitung möglich.
Es sind nun aber zwei wesentlich verschiedene Verhältnisse, für deren sittliches Gebaren Grundsätze aufgestellt werden müssen. -- Zuerst für den Staat selbst, als Gesammtheit und Einrichtung. Es ist zwar eine falsche Auffassung, den Staat lediglich als eine sittliche Anstalt zu betrachten, und so- mit allen und jeden in die Erscheinung tretenden Staaten eine
1770, S. 1—343; und Reinhard’s Syſtem der chriſtlichen Moral, 4. Aufl., Bd. III, S. 541—604. Auch Hirſcher, Chriſtliche Moral, 5. Aufl., Bd. III, S. 693—743, neigt ſich dieſer Auffaſſung zu; abge- ſehen davon, daß das Machtliche zu ſehr vorwaltet. Lediglich ein Syſtem des philoſophiſchen Staatsrechtes liefert: Wirth, J. U., Syſtem der ſpe- culativen Ethik. Heilbr., 1841, Bd. II, S. 167—390. Zu techniſch phi- loſophiſch gehalten iſt der Abſchnitt in G. Hartenſtein’s Grundbegriffen der ethiſchen Wiſſenſchaften. Lpz., 1844, S. 234—294, und 487—574. Zwar anerkennenswerthe, aber ſehr kurze und zum Theil ganz fragmentari- ſche Bemerkungen ſind enthalten in J. G. Fichte’s Syſteme der Sitten- lehre (1798), S. 305—335; in Schleiermacher’s Entwurf eines Sy- ſtems der Sittenlehre (herausg. von A. Schweizer,) S. 274—290; und in Marheinecke’s Syſtem der theologiſchen Moral, S. 530—555. So bleibt denn eigentlich nur R. Rothe’s Theologiſche Ethik, Bd. III, 2, S. 840 bis 1009, wo ſich denn allerdings Fülle des Stoffes, Wiſſenſchaftlichkeit der Behandlung und beſonnener Freimuth zu einem trefflichen Ganzen ver- binden. Nur ſtimmt leider die grundſätzliche Vermiſchung von Moral und Politik mit der in gegenwärtiger Darſtellung feſtgehaltener Trennung der verſchiedenen Geſetze für das praktiſche Leben der Menſchen nicht überein.
§ 77. 2. Die oberſten Grundſätze der Staats-Sittenlehre.
Auch das ſittliche Leben iſt nach bewußten Grundſätzen, und nicht blos nach Gefühlen einzurichten. Doppelt ſo im Staate, wo es in Berührung kömmt mit dem Rechte und mit der Klugheit, welche beide beſtimmten Regeln folgen und unklare Gefühlseinwirkungen entweder gar nicht beachten, oder durch dieſelben in Verwirrung gebracht werden würden. Auch iſt nur bei der Aufſtellung beſtimmter Grundſätze eine wiſſenſchaftliche Bearbeitung möglich.
Es ſind nun aber zwei weſentlich verſchiedene Verhältniſſe, für deren ſittliches Gebaren Grundſätze aufgeſtellt werden müſſen. — Zuerſt für den Staat ſelbſt, als Geſammtheit und Einrichtung. Es iſt zwar eine falſche Auffaſſung, den Staat lediglich als eine ſittliche Anſtalt zu betrachten, und ſo- mit allen und jeden in die Erſcheinung tretenden Staaten eine
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³⁾ 1770, S. 1—343; und Reinhard’s Syſtem der chriſtlichen Moral,
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5. Aufl., Bd. III, S. 693—743, neigt ſich dieſer Auffaſſung zu; abge-
ſehen davon, daß das Machtliche zu ſehr vorwaltet. Lediglich ein Syſtem
des philoſophiſchen Staatsrechtes liefert: Wirth, J. U., Syſtem der ſpe-
culativen Ethik. Heilbr., 1841, Bd. II, S. 167—390. Zu techniſch phi-
loſophiſch gehalten iſt der Abſchnitt in G. Hartenſtein’s Grundbegriffen
der ethiſchen Wiſſenſchaften. Lpz., 1844, S. 234—294, und 487—574.
Zwar anerkennenswerthe, aber ſehr kurze und zum Theil ganz fragmentari-
ſche Bemerkungen ſind enthalten in J. G. Fichte’s Syſteme der Sitten-
lehre (1798), S. 305—335; in Schleiermacher’s Entwurf eines Sy-
ſtems der Sittenlehre (herausg. von A. Schweizer,) S. 274—290; und in
Marheinecke’s Syſtem der theologiſchen Moral, S. 530—555. So bleibt
denn eigentlich nur R. Rothe’s Theologiſche Ethik, Bd. III, 2, S. 840
bis 1009, wo ſich denn allerdings Fülle des Stoffes, Wiſſenſchaftlichkeit
der Behandlung und beſonnener Freimuth zu einem trefflichen Ganzen ver-
binden. Nur ſtimmt leider die grundſätzliche Vermiſchung von Moral und
Politik mit der in gegenwärtiger Darſtellung feſtgehaltener Trennung der
verſchiedenen Geſetze für das praktiſche Leben der Menſchen nicht überein.
§ 77.
2. Die oberſten Grundſätze der Staats-Sittenlehre.
Auch das ſittliche Leben iſt nach bewußten Grundſätzen,
und nicht blos nach Gefühlen einzurichten. Doppelt ſo im
Staate, wo es in Berührung kömmt mit dem Rechte und mit
der Klugheit, welche beide beſtimmten Regeln folgen und unklare
Gefühlseinwirkungen entweder gar nicht beachten, oder durch
dieſelben in Verwirrung gebracht werden würden. Auch iſt nur
bei der Aufſtellung beſtimmter Grundſätze eine wiſſenſchaftliche
Bearbeitung möglich.
Es ſind nun aber zwei weſentlich verſchiedene Verhältniſſe,
für deren ſittliches Gebaren Grundſätze aufgeſtellt werden
müſſen. — Zuerſt für den Staat ſelbſt, als Geſammtheit
und Einrichtung. Es iſt zwar eine falſche Auffaſſung, den
Staat lediglich als eine ſittliche Anſtalt zu betrachten, und ſo-
mit allen und jeden in die Erſcheinung tretenden Staaten eine
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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/519>, abgerufen am 04.07.2024.
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