Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

Berechtigte die Befugniß, die Geißeln nach seinem Gutdünken
in engem Gewahrsam an dem ihm dazu tauglich scheinenden
Orte zu halten, und zwar bis zu vollständiger Leistung der
Verpflichtung; eine Mißhandlung oder gar Tödtung der Geißeln
steht ihm jedoch nicht zu, selbst bei offenbar böswilliger Nicht-
leistung des Versprochenen. Bei der Unsicherheit des Mittels
einerseits und der Härte desselben für Unschuldige andererseits
wird übrigens dies Mittel im friedlichen Völkerverkehre wenig
angewendet; eher noch nach ausgebrochenem Kriege zur Sicher-
stellung bestimmter Forderungen oder zur Bewahrung gegen
Hinterlist.

1) Die im Mittelalter häufig vorkommende Uebernahme der Garan-
tieen durch große Vasallen ist mit den jetzigen Auffassungen des Verhält-
nisses zwischen Staatsoberhaupt und Unterthan ganz unvereinbar. Eine
Garantie und den daraus möglicherweise folgenden Zwang gegen das Staats-
oberhaupt kann jetzt nur noch ein fremder Staat übernehmen, da es Va-
sallen, welche die Macht zu einer Nöthigung des Landesherren und im
Kriegsrecht gegen denselben hätten, im neuzeitlichen Staate nicht mehr gibt.
§ 64.
dd. Schiedsrichter und Vermittler.

Wenn Streitigkeiten zwischen zwei Staaten durch die unter
ihnen selbst gepflogenen Verhandlungen nicht geschlichtet werden
können, und doch von beiden Seiten der Wunsch zu einer
friedlichen Beilegung besteht: so ist immer noch das Mittel
einer für beide Theile freundlich gesinnten und auf Vermeidung
eines gewaltsamen Zustandes gerichteten Einmischung dritter
Staaten möglich. Die Benützung einer solchen Möglichkeit ist
aber nicht blos sittliche Pflicht der Streitenden, damit thunlichst
Uebel vermieden werde; sondern sie ist sogar eine Forderung
des Rechtes, da zur Selbsthülfe nur geschritten werden darf,
wenn jedes friedliche Rechtsmittel nutzlos erschöpft ist. -- Im
Uebrigen kann diese Einmischung Dritter doppelter Art sein.

Berechtigte die Befugniß, die Geißeln nach ſeinem Gutdünken
in engem Gewahrſam an dem ihm dazu tauglich ſcheinenden
Orte zu halten, und zwar bis zu vollſtändiger Leiſtung der
Verpflichtung; eine Mißhandlung oder gar Tödtung der Geißeln
ſteht ihm jedoch nicht zu, ſelbſt bei offenbar böswilliger Nicht-
leiſtung des Verſprochenen. Bei der Unſicherheit des Mittels
einerſeits und der Härte deſſelben für Unſchuldige andererſeits
wird übrigens dies Mittel im friedlichen Völkerverkehre wenig
angewendet; eher noch nach ausgebrochenem Kriege zur Sicher-
ſtellung beſtimmter Forderungen oder zur Bewahrung gegen
Hinterliſt.

1) Die im Mittelalter häufig vorkommende Uebernahme der Garan-
tieen durch große Vaſallen iſt mit den jetzigen Auffaſſungen des Verhält-
niſſes zwiſchen Staatsoberhaupt und Unterthan ganz unvereinbar. Eine
Garantie und den daraus möglicherweiſe folgenden Zwang gegen das Staats-
oberhaupt kann jetzt nur noch ein fremder Staat übernehmen, da es Va-
ſallen, welche die Macht zu einer Nöthigung des Landesherren und im
Kriegsrecht gegen denſelben hätten, im neuzeitlichen Staate nicht mehr gibt.
§ 64.
dd. Schiedsrichter und Vermittler.

Wenn Streitigkeiten zwiſchen zwei Staaten durch die unter
ihnen ſelbſt gepflogenen Verhandlungen nicht geſchlichtet werden
können, und doch von beiden Seiten der Wunſch zu einer
friedlichen Beilegung beſteht: ſo iſt immer noch das Mittel
einer für beide Theile freundlich geſinnten und auf Vermeidung
eines gewaltſamen Zuſtandes gerichteten Einmiſchung dritter
Staaten möglich. Die Benützung einer ſolchen Möglichkeit iſt
aber nicht blos ſittliche Pflicht der Streitenden, damit thunlichſt
Uebel vermieden werde; ſondern ſie iſt ſogar eine Forderung
des Rechtes, da zur Selbſthülfe nur geſchritten werden darf,
wenn jedes friedliche Rechtsmittel nutzlos erſchöpft iſt. — Im
Uebrigen kann dieſe Einmiſchung Dritter doppelter Art ſein.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0460" n="446"/>
Berechtigte die Befugniß, die Geißeln nach &#x017F;einem Gutdünken<lb/>
in engem Gewahr&#x017F;am an dem ihm dazu tauglich &#x017F;cheinenden<lb/>
Orte zu halten, und zwar bis zu voll&#x017F;tändiger Lei&#x017F;tung der<lb/>
Verpflichtung; eine Mißhandlung oder gar Tödtung der Geißeln<lb/>
&#x017F;teht ihm jedoch nicht zu, &#x017F;elb&#x017F;t bei offenbar böswilliger Nicht-<lb/>
lei&#x017F;tung des Ver&#x017F;prochenen. Bei der Un&#x017F;icherheit des Mittels<lb/>
einer&#x017F;eits und der Härte de&#x017F;&#x017F;elben für Un&#x017F;chuldige anderer&#x017F;eits<lb/>
wird übrigens dies Mittel im friedlichen Völkerverkehre wenig<lb/>
angewendet; eher noch nach ausgebrochenem Kriege zur Sicher-<lb/>
&#x017F;tellung be&#x017F;timmter Forderungen oder zur Bewahrung gegen<lb/>
Hinterli&#x017F;t.</p><lb/>
                      <note place="end" n="1)">Die im Mittelalter häufig vorkommende Uebernahme der Garan-<lb/>
tieen durch große Va&#x017F;allen i&#x017F;t mit den jetzigen Auffa&#x017F;&#x017F;ungen des Verhält-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;es zwi&#x017F;chen Staatsoberhaupt und Unterthan ganz unvereinbar. Eine<lb/>
Garantie und den daraus möglicherwei&#x017F;e folgenden Zwang gegen das Staats-<lb/>
oberhaupt kann jetzt nur noch ein fremder Staat übernehmen, da es Va-<lb/>
&#x017F;allen, welche die Macht zu einer Nöthigung des Landesherren und im<lb/>
Kriegsrecht gegen den&#x017F;elben hätten, im neuzeitlichen Staate nicht mehr gibt.</note>
                    </div><lb/>
                    <div n="8">
                      <head>§ 64.<lb/><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">dd.</hi> Schiedsrichter und Vermittler.</hi></head><lb/>
                      <p>Wenn Streitigkeiten zwi&#x017F;chen zwei Staaten durch die unter<lb/>
ihnen &#x017F;elb&#x017F;t gepflogenen Verhandlungen nicht ge&#x017F;chlichtet werden<lb/>
können, und doch von beiden Seiten der Wun&#x017F;ch zu einer<lb/>
friedlichen Beilegung be&#x017F;teht: &#x017F;o i&#x017F;t immer noch das Mittel<lb/>
einer für beide Theile freundlich ge&#x017F;innten und auf Vermeidung<lb/>
eines gewalt&#x017F;amen Zu&#x017F;tandes gerichteten Einmi&#x017F;chung dritter<lb/>
Staaten möglich. Die Benützung einer &#x017F;olchen Möglichkeit i&#x017F;t<lb/>
aber nicht blos &#x017F;ittliche Pflicht der Streitenden, damit thunlich&#x017F;t<lb/>
Uebel vermieden werde; &#x017F;ondern &#x017F;ie i&#x017F;t &#x017F;ogar eine Forderung<lb/>
des Rechtes, da zur Selb&#x017F;thülfe nur ge&#x017F;chritten werden darf,<lb/>
wenn jedes friedliche Rechtsmittel nutzlos er&#x017F;chöpft i&#x017F;t. &#x2014; Im<lb/>
Uebrigen kann die&#x017F;e Einmi&#x017F;chung Dritter doppelter Art &#x017F;ein.</p><lb/>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[446/0460] Berechtigte die Befugniß, die Geißeln nach ſeinem Gutdünken in engem Gewahrſam an dem ihm dazu tauglich ſcheinenden Orte zu halten, und zwar bis zu vollſtändiger Leiſtung der Verpflichtung; eine Mißhandlung oder gar Tödtung der Geißeln ſteht ihm jedoch nicht zu, ſelbſt bei offenbar böswilliger Nicht- leiſtung des Verſprochenen. Bei der Unſicherheit des Mittels einerſeits und der Härte deſſelben für Unſchuldige andererſeits wird übrigens dies Mittel im friedlichen Völkerverkehre wenig angewendet; eher noch nach ausgebrochenem Kriege zur Sicher- ſtellung beſtimmter Forderungen oder zur Bewahrung gegen Hinterliſt. ¹⁾ Die im Mittelalter häufig vorkommende Uebernahme der Garan- tieen durch große Vaſallen iſt mit den jetzigen Auffaſſungen des Verhält- niſſes zwiſchen Staatsoberhaupt und Unterthan ganz unvereinbar. Eine Garantie und den daraus möglicherweiſe folgenden Zwang gegen das Staats- oberhaupt kann jetzt nur noch ein fremder Staat übernehmen, da es Va- ſallen, welche die Macht zu einer Nöthigung des Landesherren und im Kriegsrecht gegen denſelben hätten, im neuzeitlichen Staate nicht mehr gibt. § 64. dd. Schiedsrichter und Vermittler. Wenn Streitigkeiten zwiſchen zwei Staaten durch die unter ihnen ſelbſt gepflogenen Verhandlungen nicht geſchlichtet werden können, und doch von beiden Seiten der Wunſch zu einer friedlichen Beilegung beſteht: ſo iſt immer noch das Mittel einer für beide Theile freundlich geſinnten und auf Vermeidung eines gewaltſamen Zuſtandes gerichteten Einmiſchung dritter Staaten möglich. Die Benützung einer ſolchen Möglichkeit iſt aber nicht blos ſittliche Pflicht der Streitenden, damit thunlichſt Uebel vermieden werde; ſondern ſie iſt ſogar eine Forderung des Rechtes, da zur Selbſthülfe nur geſchritten werden darf, wenn jedes friedliche Rechtsmittel nutzlos erſchöpft iſt. — Im Uebrigen kann dieſe Einmiſchung Dritter doppelter Art ſein.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/460
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/460>, abgerufen am 21.11.2024.