Ey so lassen Sie sich doch nicht irre machen, Edler Mann! der General fragte den Hauptmann ganz freundlich, was soll ich thun? dieser erwiederte ohne langes Bedenken: ich würde das thun; und hierauf er- folgte von jenem die unerwartete Antwort: ich frage nicht was sie thun würden, sondern was ich thun soll? So liegt die Sache, und das Unrecht ist auf der Seite des Generals so klar, daß Sie darum nicht nöthig haben, ihre Ausdrücke künftig noch mehr auf die Wage zu legen. Es giebt hundert Menschen gegen einen, denen es ge- wöhnlich ist mit einem: ich würde das thun oder das ge- than haben, zu antworten, ohne daß von diesen hunder- ten auch nur fünf daran denken sollten, sich andern zum Muster zu setzen.
Zwar giebt es auch Menschen die mit ihrem Jch bis zum Eckel hervortreten, aber mehr aus einer üblen Ge- wohnheit als einer zu großen Eigenliebe. Denn oft heißt es: ich hatte auch einmal Krehenaugen, ich hatte auch einmal einen hohlen Zahn, und neulich hörte ich so gar ein junges Mädgen von zehn Jahren sagen: wir hatten auch einmal Gänse. Hier müßte aber die Eigenliebe sehr entfernt würken, wenn sie und nicht die Gewohnheit, oder die Kürze des Ausdrucks ihr Jch zum Helden in der Geschichte vom hohlen Zahn machte.
Und doch ist mir dieses Jch, wenn es aus Unschuld oder Unachtsamkeit gebraucht wird, weit erträglicher, als die Kunst, womit man es zu verbergen pflegt. Aber leider übertreiben wir alles und unsre heutige Zärtlichkeit
geht
G 3
XXV. Jch an meinen Freund.
Ey ſo laſſen Sie ſich doch nicht irre machen, Edler Mann! der General fragte den Hauptmann ganz freundlich, was ſoll ich thun? dieſer erwiederte ohne langes Bedenken: ich wuͤrde das thun; und hierauf er- folgte von jenem die unerwartete Antwort: ich frage nicht was ſie thun wuͤrden, ſondern was ich thun ſoll? So liegt die Sache, und das Unrecht iſt auf der Seite des Generals ſo klar, daß Sie darum nicht noͤthig haben, ihre Ausdruͤcke kuͤnftig noch mehr auf die Wage zu legen. Es giebt hundert Menſchen gegen einen, denen es ge- woͤhnlich iſt mit einem: ich wuͤrde das thun oder das ge- than haben, zu antworten, ohne daß von dieſen hunder- ten auch nur fuͤnf daran denken ſollten, ſich andern zum Muſter zu ſetzen.
Zwar giebt es auch Menſchen die mit ihrem Jch bis zum Eckel hervortreten, aber mehr aus einer uͤblen Ge- wohnheit als einer zu großen Eigenliebe. Denn oft heißt es: ich hatte auch einmal Krehenaugen, ich hatte auch einmal einen hohlen Zahn, und neulich hoͤrte ich ſo gar ein junges Maͤdgen von zehn Jahren ſagen: wir hatten auch einmal Gaͤnſe. Hier muͤßte aber die Eigenliebe ſehr entfernt wuͤrken, wenn ſie und nicht die Gewohnheit, oder die Kuͤrze des Ausdrucks ihr Jch zum Helden in der Geſchichte vom hohlen Zahn machte.
Und doch iſt mir dieſes Jch, wenn es aus Unſchuld oder Unachtſamkeit gebraucht wird, weit ertraͤglicher, als die Kunſt, womit man es zu verbergen pflegt. Aber leider uͤbertreiben wir alles und unſre heutige Zaͤrtlichkeit
geht
G 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0113"n="101"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">XXV.</hi><lb/>
Jch an meinen Freund.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">E</hi>y ſo laſſen Sie ſich doch nicht irre machen, Edler<lb/>
Mann! der General fragte den Hauptmann ganz<lb/>
freundlich, <hirendition="#fr">was ſoll ich thun?</hi> dieſer erwiederte ohne<lb/>
langes Bedenken: <hirendition="#fr">ich wuͤrde das thun;</hi> und hierauf er-<lb/>
folgte von jenem die unerwartete Antwort: <hirendition="#fr">ich frage nicht<lb/>
was ſie thun wuͤrden, ſondern was ich thun ſoll?</hi> So<lb/>
liegt die Sache, und das Unrecht iſt auf der Seite des<lb/>
Generals ſo klar, daß Sie darum nicht noͤthig haben,<lb/>
ihre Ausdruͤcke kuͤnftig noch mehr auf die Wage zu legen.<lb/>
Es giebt hundert Menſchen gegen einen, denen es ge-<lb/>
woͤhnlich iſt mit einem: <hirendition="#fr">ich wuͤrde das thun oder das ge-<lb/>
than haben,</hi> zu antworten, ohne daß von dieſen hunder-<lb/>
ten auch nur fuͤnf daran denken ſollten, ſich andern zum<lb/>
Muſter zu ſetzen.</p><lb/><p>Zwar giebt es auch Menſchen die mit ihrem <hirendition="#fr">Jch</hi> bis<lb/>
zum Eckel hervortreten, aber mehr aus einer uͤblen Ge-<lb/>
wohnheit als einer zu großen Eigenliebe. Denn oft heißt<lb/>
es: ich hatte auch einmal Krehenaugen, ich hatte auch<lb/>
einmal einen hohlen Zahn, und neulich hoͤrte ich ſo gar<lb/>
ein junges Maͤdgen von zehn Jahren ſagen: wir hatten<lb/>
auch einmal Gaͤnſe. Hier muͤßte aber die Eigenliebe ſehr<lb/>
entfernt wuͤrken, wenn ſie und nicht die Gewohnheit,<lb/>
oder die Kuͤrze des Ausdrucks ihr <hirendition="#fr">Jch</hi> zum Helden in der<lb/>
Geſchichte vom hohlen Zahn machte.</p><lb/><p>Und doch iſt mir dieſes <hirendition="#fr">Jch,</hi> wenn es aus Unſchuld<lb/>
oder Unachtſamkeit gebraucht wird, weit ertraͤglicher,<lb/>
als die Kunſt, womit man es zu verbergen pflegt. Aber<lb/>
leider uͤbertreiben wir alles und unſre heutige Zaͤrtlichkeit<lb/><fwplace="bottom"type="sig">G 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">geht</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[101/0113]
XXV.
Jch an meinen Freund.
Ey ſo laſſen Sie ſich doch nicht irre machen, Edler
Mann! der General fragte den Hauptmann ganz
freundlich, was ſoll ich thun? dieſer erwiederte ohne
langes Bedenken: ich wuͤrde das thun; und hierauf er-
folgte von jenem die unerwartete Antwort: ich frage nicht
was ſie thun wuͤrden, ſondern was ich thun ſoll? So
liegt die Sache, und das Unrecht iſt auf der Seite des
Generals ſo klar, daß Sie darum nicht noͤthig haben,
ihre Ausdruͤcke kuͤnftig noch mehr auf die Wage zu legen.
Es giebt hundert Menſchen gegen einen, denen es ge-
woͤhnlich iſt mit einem: ich wuͤrde das thun oder das ge-
than haben, zu antworten, ohne daß von dieſen hunder-
ten auch nur fuͤnf daran denken ſollten, ſich andern zum
Muſter zu ſetzen.
Zwar giebt es auch Menſchen die mit ihrem Jch bis
zum Eckel hervortreten, aber mehr aus einer uͤblen Ge-
wohnheit als einer zu großen Eigenliebe. Denn oft heißt
es: ich hatte auch einmal Krehenaugen, ich hatte auch
einmal einen hohlen Zahn, und neulich hoͤrte ich ſo gar
ein junges Maͤdgen von zehn Jahren ſagen: wir hatten
auch einmal Gaͤnſe. Hier muͤßte aber die Eigenliebe ſehr
entfernt wuͤrken, wenn ſie und nicht die Gewohnheit,
oder die Kuͤrze des Ausdrucks ihr Jch zum Helden in der
Geſchichte vom hohlen Zahn machte.
Und doch iſt mir dieſes Jch, wenn es aus Unſchuld
oder Unachtſamkeit gebraucht wird, weit ertraͤglicher,
als die Kunſt, womit man es zu verbergen pflegt. Aber
leider uͤbertreiben wir alles und unſre heutige Zaͤrtlichkeit
geht
G 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/113>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.