XXI. Was ist nicht alles wofür Dauk gefor- dert wud?
Eine Anecdote von Abdera.
Zu Abdera, einer jetzt nicht unbekannten Stadt, be- fand sich ein Glockenspiel, und zugleich ein Musi- cus, der nicht vertragen konnte, daß es im geringsten falschschlug. Er hatte es sich daher seit langer Zeit zu einem Geschäft gemacht, so oft das Glockenspiel verstimmt war, auf den Thurm zu steigen und die Harmonie wieder her- zustellen. Und jeder Einwohner machte sich ein Vergnü- gen daraus ihm sofort Nachricht zu bringen, wenn ein Ton anfieng nachzugeben, da er denn niemals ermangelte, dem Ueberbringer für diese Nachricht seinen wärmsten Dank zu erstatten. Jndessen genoß er doch von dem Klange des Glockenspiels nichts mehr als jeder andrer Bürger, und er hatte auch weiter keinen Beruf sich der Harmonie anzunehmen, als seine eigne Liebe zu derselben.
Nun begab es sich daß das Gewitter in den Kirch- thurm schlug, und der Schwefeldampf unter den Schin- deln hervor brach. Sogleich lief jedermann zu dem Mu- sicus, und sagte ihm, sein liebes Glockenspiel stünde in der größten Gefahr zu verbrennen. Er ohne sich lange zu besinnen, lief stracks die Stiegen hinauf, und fand zum Glück, daß der Blitz nicht gezündet und sein Glocken- spiel gar nicht beschädiget habe. So bald aber vernah- men die unten versammleten Abderiten dieses nicht: so re-
deten
Was iſt nicht alles
XXI. Was iſt nicht alles wofuͤr Dauk gefor- dert wud?
Eine Anecdote von Abdera.
Zu Abdera, einer jetzt nicht unbekannten Stadt, be- fand ſich ein Glockenſpiel, und zugleich ein Muſi- cus, der nicht vertragen konnte, daß es im geringſten falſchſchlug. Er hatte es ſich daher ſeit langer Zeit zu einem Geſchaͤft gemacht, ſo oft das Glockenſpiel verſtimmt war, auf den Thurm zu ſteigen und die Harmonie wieder her- zuſtellen. Und jeder Einwohner machte ſich ein Vergnuͤ- gen daraus ihm ſofort Nachricht zu bringen, wenn ein Ton anfieng nachzugeben, da er denn niemals ermangelte, dem Ueberbringer fuͤr dieſe Nachricht ſeinen waͤrmſten Dank zu erſtatten. Jndeſſen genoß er doch von dem Klange des Glockenſpiels nichts mehr als jeder andrer Buͤrger, und er hatte auch weiter keinen Beruf ſich der Harmonie anzunehmen, als ſeine eigne Liebe zu derſelben.
Nun begab es ſich daß das Gewitter in den Kirch- thurm ſchlug, und der Schwefeldampf unter den Schin- deln hervor brach. Sogleich lief jedermann zu dem Mu- ſicus, und ſagte ihm, ſein liebes Glockenſpiel ſtuͤnde in der groͤßten Gefahr zu verbrennen. Er ohne ſich lange zu beſinnen, lief ſtracks die Stiegen hinauf, und fand zum Gluͤck, daß der Blitz nicht gezuͤndet und ſein Glocken- ſpiel gar nicht beſchaͤdiget habe. So bald aber vernah- men die unten verſammleten Abderiten dieſes nicht: ſo re-
deten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0100"n="88"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Was iſt nicht alles</hi></fw><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></div><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">XXI.</hi><lb/>
Was iſt nicht alles wofuͤr Dauk gefor-<lb/>
dert wud?</hi></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Eine Anecdote von Abdera</hi>.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">Z</hi>u Abdera, einer jetzt nicht unbekannten Stadt, be-<lb/>
fand ſich ein Glockenſpiel, und zugleich ein Muſi-<lb/>
cus, der nicht vertragen konnte, daß es im geringſten<lb/>
falſchſchlug. Er hatte es ſich daher ſeit langer Zeit zu einem<lb/>
Geſchaͤft gemacht, ſo oft das Glockenſpiel verſtimmt war,<lb/>
auf den Thurm zu ſteigen und die Harmonie wieder her-<lb/>
zuſtellen. Und jeder Einwohner machte ſich ein Vergnuͤ-<lb/>
gen daraus ihm ſofort Nachricht zu bringen, wenn ein<lb/>
Ton anfieng nachzugeben, da er denn niemals ermangelte,<lb/>
dem Ueberbringer fuͤr dieſe Nachricht ſeinen waͤrmſten<lb/>
Dank zu erſtatten. Jndeſſen genoß er doch von dem<lb/>
Klange des Glockenſpiels nichts mehr als jeder andrer<lb/>
Buͤrger, und er hatte auch weiter keinen Beruf ſich<lb/>
der Harmonie anzunehmen, als ſeine eigne Liebe zu<lb/>
derſelben.</p><lb/><p>Nun begab es ſich daß das Gewitter in den Kirch-<lb/>
thurm ſchlug, und der Schwefeldampf unter den Schin-<lb/>
deln hervor brach. Sogleich lief jedermann zu dem Mu-<lb/>ſicus, und ſagte ihm, ſein liebes Glockenſpiel ſtuͤnde in<lb/>
der groͤßten Gefahr zu verbrennen. Er ohne ſich lange<lb/>
zu beſinnen, lief ſtracks die Stiegen hinauf, und fand<lb/>
zum Gluͤck, daß der Blitz nicht gezuͤndet und ſein Glocken-<lb/>ſpiel gar nicht beſchaͤdiget habe. So bald aber vernah-<lb/>
men die unten verſammleten Abderiten dieſes nicht: ſo re-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">deten</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[88/0100]
Was iſt nicht alles
XXI.
Was iſt nicht alles wofuͤr Dauk gefor-
dert wud?
Eine Anecdote von Abdera.
Zu Abdera, einer jetzt nicht unbekannten Stadt, be-
fand ſich ein Glockenſpiel, und zugleich ein Muſi-
cus, der nicht vertragen konnte, daß es im geringſten
falſchſchlug. Er hatte es ſich daher ſeit langer Zeit zu einem
Geſchaͤft gemacht, ſo oft das Glockenſpiel verſtimmt war,
auf den Thurm zu ſteigen und die Harmonie wieder her-
zuſtellen. Und jeder Einwohner machte ſich ein Vergnuͤ-
gen daraus ihm ſofort Nachricht zu bringen, wenn ein
Ton anfieng nachzugeben, da er denn niemals ermangelte,
dem Ueberbringer fuͤr dieſe Nachricht ſeinen waͤrmſten
Dank zu erſtatten. Jndeſſen genoß er doch von dem
Klange des Glockenſpiels nichts mehr als jeder andrer
Buͤrger, und er hatte auch weiter keinen Beruf ſich
der Harmonie anzunehmen, als ſeine eigne Liebe zu
derſelben.
Nun begab es ſich daß das Gewitter in den Kirch-
thurm ſchlug, und der Schwefeldampf unter den Schin-
deln hervor brach. Sogleich lief jedermann zu dem Mu-
ſicus, und ſagte ihm, ſein liebes Glockenſpiel ſtuͤnde in
der groͤßten Gefahr zu verbrennen. Er ohne ſich lange
zu beſinnen, lief ſtracks die Stiegen hinauf, und fand
zum Gluͤck, daß der Blitz nicht gezuͤndet und ſein Glocken-
ſpiel gar nicht beſchaͤdiget habe. So bald aber vernah-
men die unten verſammleten Abderiten dieſes nicht: ſo re-
deten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/100>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.