LXIII. Die Abmeyerungen können dem Hofes- herrn nicht überlassen werden.
Nichts scheint dem ersten Ansehen nach unangenehmer und unschicklicher zu seyn, als daß ein Gutsherr sei- nen Leibeignen nicht selbst vom Hofe stossen kann, sondern erst den Richter darum angehen, demselben die Ursachen der Entsetzung anzeigen, und dessen Urtheil darüber erwarten muß. Man ist geneigt zu glauben, daß der Gutsherr, der seinem Leibeignen den Hof ohne alle Umstände unter- giebt, denselben auch billig auf gleiche Art müsse zurück nehmen können; und daß alles was die Gewohnheit oder das Gesetz dieser natürlichen Freyheit zuwider eingeführet hat, ein wahrer Eingrif in die Gutsherrlichen Rechte sey. Allein bey einer nähern Ueberlegung zeigt sich bald, daß die gerichtliche Form, welcher ein Gutsherr sich unterworfen hat, ihren sichern und vortreflichen Grund habe, und daß man wohl Ursache habe, solchen als ein Meisterstück der menschlichen Ueberlegung zu bewundern.
Denn gesetzt, es könnte der Gutsherr seinen Leibeignen nach eignem Gefallen des Hofes entsetzen: so würde es kein Freyer wagen, einen Hof unterzunehmen und anzubauen. Zu welchem Ende, würde er sagen, soll ich Gebäude errich- ten, Pflanzungen anlegen und mein gutes Geld in fremde Gründe stecken, wenn ich dieses meines Vermögens durch eine blosse Willkühr beraubet werden kann? Wofür soll ich einen grossen Weinkauf bezahlen und meine bewegliche Haa- be dem Sterbfalle unterwerfen, wenn ich weiter keine Si- cherheit als die leicht zu verscherzende Gnade meines Herrn
habe?
LXIII. Die Abmeyerungen koͤnnen dem Hofes- herrn nicht uͤberlaſſen werden.
Nichts ſcheint dem erſten Anſehen nach unangenehmer und unſchicklicher zu ſeyn, als daß ein Gutsherr ſei- nen Leibeignen nicht ſelbſt vom Hofe ſtoſſen kann, ſondern erſt den Richter darum angehen, demſelben die Urſachen der Entſetzung anzeigen, und deſſen Urtheil daruͤber erwarten muß. Man iſt geneigt zu glauben, daß der Gutsherr, der ſeinem Leibeignen den Hof ohne alle Umſtaͤnde unter- giebt, denſelben auch billig auf gleiche Art muͤſſe zuruͤck nehmen koͤnnen; und daß alles was die Gewohnheit oder das Geſetz dieſer natuͤrlichen Freyheit zuwider eingefuͤhret hat, ein wahrer Eingrif in die Gutsherrlichen Rechte ſey. Allein bey einer naͤhern Ueberlegung zeigt ſich bald, daß die gerichtliche Form, welcher ein Gutsherr ſich unterworfen hat, ihren ſichern und vortreflichen Grund habe, und daß man wohl Urſache habe, ſolchen als ein Meiſterſtuͤck der menſchlichen Ueberlegung zu bewundern.
Denn geſetzt, es koͤnnte der Gutsherr ſeinen Leibeignen nach eignem Gefallen des Hofes entſetzen: ſo wuͤrde es kein Freyer wagen, einen Hof unterzunehmen und anzubauen. Zu welchem Ende, wuͤrde er ſagen, ſoll ich Gebaͤude errich- ten, Pflanzungen anlegen und mein gutes Geld in fremde Gruͤnde ſtecken, wenn ich dieſes meines Vermoͤgens durch eine bloſſe Willkuͤhr beraubet werden kann? Wofuͤr ſoll ich einen groſſen Weinkauf bezahlen und meine bewegliche Haa- be dem Sterbfalle unterwerfen, wenn ich weiter keine Si- cherheit als die leicht zu verſcherzende Gnade meines Herrn
habe?
<TEI><text><body><pbfacs="#f0331"n="317"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="1"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">LXIII.</hi><lb/>
Die Abmeyerungen koͤnnen dem Hofes-<lb/>
herrn nicht uͤberlaſſen werden.</hi></head><lb/><p>Nichts ſcheint dem erſten Anſehen nach unangenehmer<lb/>
und unſchicklicher zu ſeyn, als daß ein Gutsherr ſei-<lb/>
nen Leibeignen nicht ſelbſt vom Hofe ſtoſſen kann, ſondern<lb/>
erſt den Richter darum angehen, demſelben die Urſachen der<lb/>
Entſetzung anzeigen, und deſſen Urtheil daruͤber erwarten<lb/>
muß. Man iſt geneigt zu glauben, daß der Gutsherr,<lb/>
der ſeinem Leibeignen den Hof ohne alle Umſtaͤnde unter-<lb/>
giebt, denſelben auch billig auf gleiche Art muͤſſe zuruͤck<lb/>
nehmen koͤnnen; und daß alles was die Gewohnheit oder<lb/>
das Geſetz dieſer natuͤrlichen Freyheit zuwider eingefuͤhret<lb/>
hat, ein wahrer Eingrif in die Gutsherrlichen Rechte ſey.<lb/>
Allein bey einer naͤhern Ueberlegung zeigt ſich bald, daß die<lb/>
gerichtliche Form, welcher ein Gutsherr ſich unterworfen<lb/>
hat, ihren ſichern und vortreflichen Grund habe, und daß<lb/>
man wohl Urſache habe, ſolchen als ein Meiſterſtuͤck der<lb/>
menſchlichen Ueberlegung zu bewundern.</p><lb/><p>Denn geſetzt, es koͤnnte der Gutsherr ſeinen Leibeignen<lb/>
nach eignem Gefallen des Hofes entſetzen: ſo wuͤrde es kein<lb/>
Freyer wagen, einen Hof unterzunehmen und anzubauen.<lb/>
Zu welchem Ende, wuͤrde er ſagen, ſoll ich Gebaͤude errich-<lb/>
ten, Pflanzungen anlegen und mein gutes Geld in fremde<lb/>
Gruͤnde ſtecken, wenn ich dieſes meines Vermoͤgens durch<lb/>
eine bloſſe Willkuͤhr beraubet werden kann? Wofuͤr ſoll ich<lb/>
einen groſſen Weinkauf bezahlen und meine bewegliche Haa-<lb/>
be dem Sterbfalle unterwerfen, wenn ich weiter keine Si-<lb/>
cherheit als die leicht zu verſcherzende Gnade meines Herrn<lb/><fwplace="bottom"type="catch">habe?</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[317/0331]
LXIII.
Die Abmeyerungen koͤnnen dem Hofes-
herrn nicht uͤberlaſſen werden.
Nichts ſcheint dem erſten Anſehen nach unangenehmer
und unſchicklicher zu ſeyn, als daß ein Gutsherr ſei-
nen Leibeignen nicht ſelbſt vom Hofe ſtoſſen kann, ſondern
erſt den Richter darum angehen, demſelben die Urſachen der
Entſetzung anzeigen, und deſſen Urtheil daruͤber erwarten
muß. Man iſt geneigt zu glauben, daß der Gutsherr,
der ſeinem Leibeignen den Hof ohne alle Umſtaͤnde unter-
giebt, denſelben auch billig auf gleiche Art muͤſſe zuruͤck
nehmen koͤnnen; und daß alles was die Gewohnheit oder
das Geſetz dieſer natuͤrlichen Freyheit zuwider eingefuͤhret
hat, ein wahrer Eingrif in die Gutsherrlichen Rechte ſey.
Allein bey einer naͤhern Ueberlegung zeigt ſich bald, daß die
gerichtliche Form, welcher ein Gutsherr ſich unterworfen
hat, ihren ſichern und vortreflichen Grund habe, und daß
man wohl Urſache habe, ſolchen als ein Meiſterſtuͤck der
menſchlichen Ueberlegung zu bewundern.
Denn geſetzt, es koͤnnte der Gutsherr ſeinen Leibeignen
nach eignem Gefallen des Hofes entſetzen: ſo wuͤrde es kein
Freyer wagen, einen Hof unterzunehmen und anzubauen.
Zu welchem Ende, wuͤrde er ſagen, ſoll ich Gebaͤude errich-
ten, Pflanzungen anlegen und mein gutes Geld in fremde
Gruͤnde ſtecken, wenn ich dieſes meines Vermoͤgens durch
eine bloſſe Willkuͤhr beraubet werden kann? Wofuͤr ſoll ich
einen groſſen Weinkauf bezahlen und meine bewegliche Haa-
be dem Sterbfalle unterwerfen, wenn ich weiter keine Si-
cherheit als die leicht zu verſcherzende Gnade meines Herrn
habe?
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und vermehrte Auflage“ des 3. Teils von Justus Mösers „Patriotischen Phantasien“ zur Digitalisierung ausgewählt. Sie erschien 1778, also im selben Jahr wie die Erstauflage dieses Bandes, und ist bis S. 260 seitenidentisch mit dieser. Die Abschnitte LX („Gedanken über den westphälischen Leibeigenthum“) bis LXVIII („Gedanken über den Stillestand der Leibeignen“) sind Ergänzungen gegenüber der ersten Auflage.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/331>, abgerufen am 30.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.