VII. Von Amaliens Kammerjungfer an den Ge- mahl derselben.
Hab ichs doch wohl gedacht, daß es so kommen würde; die gnädige Frau hat den ganzen Morgen nichts ge- than als Grillen fangen, und sich auch nicht einmal anzie- hen lassen wollen. Wenn eins die Treppe herauf kam: so fuhr sie in einander, als wenn sie befürchtete, es käme schon jemand ihre Juwelen abzuholen. Einige Thrängen fielen dann und wann mit unter, aber wie es mir vor- kam, aus herzlich bösem Sinn. Den letzten Brief von Eutalien konnte sie gar nicht aufkriegen. Ließ doch ein- mal Louise, sagte sie zu mir, und sieh wie impertinent bos- haft die Welt ist. Euer Gnaden können leicht denken, daß ich den Brief recht herunter predigte, wo es sich schickte pausirte, und manches Da Capo machte. Wie wir an die Worte kamen: in meinem Leben habe ich so ein eit- les Mensch nicht gesehen, wiederholten wir solche einmal ums andre, und allemal mit einer neuen Anmerkung. Kei- ne Person war so gütig, so bescheiden, so gefällig, so poli, so artig, so freundschaftlich und so wenig eitel gewesen, als die ... Wohlselige hätte ich bald gesagt, aber nun daß sie gefallen wäre, wollte jeder an ihr zum Ritter werden -- dies sangen wir Duetto -- ich laß weiter: wie frech sie daher strotzte. Himmel, sagte die gnädige Frau, sie ist allezeit wegen ihres schönen Ganges bewundert worden, und die Augen der ganzen Gesellschaft schienen sich zu erheitern, wenn sie hereintrat! jetzt aber heißt das frech einher stro- tzen; c'est affreux, c'est horrible, c'est criant Wie ich endlich darauf kam, daß der und der, wie die Medi- sance sagte, ihr nicht vergeblich die Cour gemacht hätte,
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ohne Gewiſſensſcrupel folgen.
VII. Von Amaliens Kammerjungfer an den Ge- mahl derſelben.
Hab ichs doch wohl gedacht, daß es ſo kommen wuͤrde; die gnaͤdige Frau hat den ganzen Morgen nichts ge- than als Grillen fangen, und ſich auch nicht einmal anzie- hen laſſen wollen. Wenn eins die Treppe herauf kam: ſo fuhr ſie in einander, als wenn ſie befuͤrchtete, es kaͤme ſchon jemand ihre Juwelen abzuholen. Einige Thraͤngen fielen dann und wann mit unter, aber wie es mir vor- kam, aus herzlich boͤſem Sinn. Den letzten Brief von Eutalien konnte ſie gar nicht aufkriegen. Ließ doch ein- mal Louiſe, ſagte ſie zu mir, und ſieh wie impertinent bos- haft die Welt iſt. Euer Gnaden koͤnnen leicht denken, daß ich den Brief recht herunter predigte, wo es ſich ſchickte pauſirte, und manches Da Capo machte. Wie wir an die Worte kamen: in meinem Leben habe ich ſo ein eit- les Menſch nicht geſehen, wiederholten wir ſolche einmal ums andre, und allemal mit einer neuen Anmerkung. Kei- ne Perſon war ſo guͤtig, ſo beſcheiden, ſo gefaͤllig, ſo poli, ſo artig, ſo freundſchaftlich und ſo wenig eitel geweſen, als die … Wohlſelige haͤtte ich bald geſagt, aber nun daß ſie gefallen waͤre, wollte jeder an ihr zum Ritter werden — dies ſangen wir Duetto — ich laß weiter: wie frech ſie daher ſtrotzte. Himmel, ſagte die gnaͤdige Frau, ſie iſt allezeit wegen ihres ſchoͤnen Ganges bewundert worden, und die Augen der ganzen Geſellſchaft ſchienen ſich zu erheitern, wenn ſie hereintrat! jetzt aber heißt das frech einher ſtro- tzen; c’eſt affreux, c’eſt horrible, c’eſt criant Wie ich endlich darauf kam, daß der und der, wie die Medi- ſance ſagte, ihr nicht vergeblich die Cour gemacht haͤtte,
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ohne Gewiſſensſcrupel folgen.
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Von Amaliens Kammerjungfer an den Ge-
mahl derſelben.
Hab ichs doch wohl gedacht, daß es ſo kommen wuͤrde;
die gnaͤdige Frau hat den ganzen Morgen nichts ge-
than als Grillen fangen, und ſich auch nicht einmal anzie-
hen laſſen wollen. Wenn eins die Treppe herauf kam:
ſo fuhr ſie in einander, als wenn ſie befuͤrchtete, es kaͤme
ſchon jemand ihre Juwelen abzuholen. Einige Thraͤngen
fielen dann und wann mit unter, aber wie es mir vor-
kam, aus herzlich boͤſem Sinn. Den letzten Brief von
Eutalien konnte ſie gar nicht aufkriegen. Ließ doch ein-
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ich den Brief recht herunter predigte, wo es ſich ſchickte
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ums andre, und allemal mit einer neuen Anmerkung. Kei-
ne Perſon war ſo guͤtig, ſo beſcheiden, ſo gefaͤllig, ſo poli,
ſo artig, ſo freundſchaftlich und ſo wenig eitel geweſen, als
die … Wohlſelige haͤtte ich bald geſagt, aber nun daß ſie
gefallen waͤre, wollte jeder an ihr zum Ritter werden —
dies ſangen wir Duetto — ich laß weiter: wie frech ſie
daher ſtrotzte. Himmel, ſagte die gnaͤdige Frau, ſie iſt
allezeit wegen ihres ſchoͤnen Ganges bewundert worden, und
die Augen der ganzen Geſellſchaft ſchienen ſich zu erheitern,
wenn ſie hereintrat! jetzt aber heißt das frech einher ſtro-
tzen; c’eſt affreux, c’eſt horrible, c’eſt criant Wie
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und vermehrte Auflage“ des 3. Teils von Justus Mösers „Patriotischen Phantasien“ zur Digitalisierung ausgewählt. Sie erschien 1778, also im selben Jahr wie die Erstauflage dieses Bandes, und ist bis S. 260 seitenidentisch mit dieser. Die Abschnitte LX („Gedanken über den westphälischen Leibeigenthum“) bis LXVIII („Gedanken über den Stillestand der Leibeignen“) sind Ergänzungen gegenüber der ersten Auflage.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/33>, abgerufen am 22.12.2024.
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