Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite


Also kann man der Mode ohne Gewissens-
scrupel folgen.


Arabelle an Amalien.

Beruhigen Sie sich meine Liebe; Ihre Beängstigun-
gen kommen aus dem Geblüt, das sich vielleicht
auf dem letzten Ball zu sehr erhitzt hat, und nicht
aus dem Gewissen. Wenigstens sehe ich in aller Welt nicht,
warum eine Haube a la Louis seize, mit Plumets a la
Reine
und Alonge a la D'artois das Gewissen mehr als
eine andere beschweren sollte. Ihre Furcht, daß die plötz-
lichen und schnellen Veränderungen der Mode, welche un-
sere jetzige Zeiten so eigentlich charakterisiren, einen üblen
Einfluß auf ihren Kopf haben mögten, ist eben so unge-
gründet. Etwas mehr Leichtfertigkeit, als unsere Groß-
mütter blicken liessen, scheinet zwar darin zu liegen, und
es wollte neulich eine alte Dame aus unsern seit Jahresfrist
täglich veränderten Hüten schliessen, daß die Seele ihren
Sitz verlassen und sich in die Gegend der Milz zurückge-
zogen hätte. Ich gab ihr aber einen Blick, woraus sie
völlig schliessen konnte, daß die meinige noch aus ihren bey-
den obersten Fenstern sehe, und sagte dabey, daß die Phi-
losophen der Seele ihren Sitz längst im Magen angewiesen
hätten, daher es allenfalls kein Wunder wäre, wenn sie
zur Veränderung einmal die Milz besuchte. Dieses mogte sie
sich merken; denn so wie sie gut oder schlecht verdauet, denkt
und empfindet sie auch. Eine andere wollte die Plumets
a la Reine
mit den Windfedern vergleichen, und daraus

das
Mös. patr. Phant. III. Th. A


Alſo kann man der Mode ohne Gewiſſens-
ſcrupel folgen.


Arabelle an Amalien.

Beruhigen Sie ſich meine Liebe; Ihre Beaͤngſtigun-
gen kommen aus dem Gebluͤt, das ſich vielleicht
auf dem letzten Ball zu ſehr erhitzt hat, und nicht
aus dem Gewiſſen. Wenigſtens ſehe ich in aller Welt nicht,
warum eine Haube à la Louis ſeize, mit Plumets à la
Reine
und Alonge à la D’artois das Gewiſſen mehr als
eine andere beſchweren ſollte. Ihre Furcht, daß die ploͤtz-
lichen und ſchnellen Veraͤnderungen der Mode, welche un-
ſere jetzige Zeiten ſo eigentlich charakteriſiren, einen uͤblen
Einfluß auf ihren Kopf haben moͤgten, iſt eben ſo unge-
gruͤndet. Etwas mehr Leichtfertigkeit, als unſere Groß-
muͤtter blicken lieſſen, ſcheinet zwar darin zu liegen, und
es wollte neulich eine alte Dame aus unſern ſeit Jahresfriſt
taͤglich veraͤnderten Huͤten ſchlieſſen, daß die Seele ihren
Sitz verlaſſen und ſich in die Gegend der Milz zuruͤckge-
zogen haͤtte. Ich gab ihr aber einen Blick, woraus ſie
voͤllig ſchlieſſen konnte, daß die meinige noch aus ihren bey-
den oberſten Fenſtern ſehe, und ſagte dabey, daß die Phi-
loſophen der Seele ihren Sitz laͤngſt im Magen angewieſen
haͤtten, daher es allenfalls kein Wunder waͤre, wenn ſie
zur Veraͤnderung einmal die Milz beſuchte. Dieſes mogte ſie
ſich merken; denn ſo wie ſie gut oder ſchlecht verdauet, denkt
und empfindet ſie auch. Eine andere wollte die Plumets
à la Reine
mit den Windfedern vergleichen, und daraus

das
Moͤſ. patr. Phant. III. Th. A
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0015" n="[1]"/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Al&#x017F;o kann man der Mode ohne Gewi&#x017F;&#x017F;ens-<lb/>
&#x017F;crupel folgen.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Arabelle</hi> an <hi rendition="#g">Amalien.</hi></head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">B</hi>eruhigen Sie &#x017F;ich meine Liebe; Ihre Bea&#x0364;ng&#x017F;tigun-<lb/>
gen kommen aus dem Geblu&#x0364;t, das &#x017F;ich vielleicht<lb/>
auf dem letzten Ball zu &#x017F;ehr erhitzt hat, und nicht<lb/>
aus dem Gewi&#x017F;&#x017F;en. Wenig&#x017F;tens &#x017F;ehe ich in aller Welt nicht,<lb/>
warum eine Haube <hi rendition="#aq">à la Louis &#x017F;eize,</hi> mit <hi rendition="#aq">Plumets à la<lb/>
Reine</hi> und <hi rendition="#aq">Alonge à la D&#x2019;artois</hi> das Gewi&#x017F;&#x017F;en mehr als<lb/>
eine andere be&#x017F;chweren &#x017F;ollte. Ihre Furcht, daß die plo&#x0364;tz-<lb/>
lichen und &#x017F;chnellen Vera&#x0364;nderungen der Mode, welche un-<lb/>
&#x017F;ere jetzige Zeiten &#x017F;o eigentlich charakteri&#x017F;iren, einen u&#x0364;blen<lb/>
Einfluß auf ihren Kopf haben mo&#x0364;gten, i&#x017F;t eben &#x017F;o unge-<lb/>
gru&#x0364;ndet. Etwas mehr Leichtfertigkeit, als un&#x017F;ere Groß-<lb/>
mu&#x0364;tter blicken lie&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;cheinet zwar darin zu liegen, und<lb/>
es wollte neulich eine alte Dame aus un&#x017F;ern &#x017F;eit Jahresfri&#x017F;t<lb/>
ta&#x0364;glich vera&#x0364;nderten Hu&#x0364;ten &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en, daß die Seele ihren<lb/>
Sitz verla&#x017F;&#x017F;en und &#x017F;ich in die Gegend der Milz zuru&#x0364;ckge-<lb/>
zogen ha&#x0364;tte. Ich gab ihr aber einen Blick, woraus &#x017F;ie<lb/>
vo&#x0364;llig &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en konnte, daß die meinige noch aus ihren bey-<lb/>
den ober&#x017F;ten Fen&#x017F;tern &#x017F;ehe, und &#x017F;agte dabey, daß die Phi-<lb/>
lo&#x017F;ophen der Seele ihren Sitz la&#x0364;ng&#x017F;t im Magen angewie&#x017F;en<lb/>
ha&#x0364;tten, daher es allenfalls kein Wunder wa&#x0364;re, wenn &#x017F;ie<lb/>
zur Vera&#x0364;nderung einmal die Milz be&#x017F;uchte. Die&#x017F;es mogte &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich merken; denn &#x017F;o wie &#x017F;ie gut oder &#x017F;chlecht verdauet, denkt<lb/>
und empfindet &#x017F;ie auch. Eine andere wollte die <hi rendition="#aq">Plumets<lb/>
à la Reine</hi> mit den Windfedern vergleichen, und daraus<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Mo&#x0364;&#x017F;. patr. Phant.</hi><hi rendition="#aq">III.</hi><hi rendition="#fr">Th.</hi> A</fw><fw place="bottom" type="catch">das</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[1]/0015] Alſo kann man der Mode ohne Gewiſſens- ſcrupel folgen. Arabelle an Amalien. Beruhigen Sie ſich meine Liebe; Ihre Beaͤngſtigun- gen kommen aus dem Gebluͤt, das ſich vielleicht auf dem letzten Ball zu ſehr erhitzt hat, und nicht aus dem Gewiſſen. Wenigſtens ſehe ich in aller Welt nicht, warum eine Haube à la Louis ſeize, mit Plumets à la Reine und Alonge à la D’artois das Gewiſſen mehr als eine andere beſchweren ſollte. Ihre Furcht, daß die ploͤtz- lichen und ſchnellen Veraͤnderungen der Mode, welche un- ſere jetzige Zeiten ſo eigentlich charakteriſiren, einen uͤblen Einfluß auf ihren Kopf haben moͤgten, iſt eben ſo unge- gruͤndet. Etwas mehr Leichtfertigkeit, als unſere Groß- muͤtter blicken lieſſen, ſcheinet zwar darin zu liegen, und es wollte neulich eine alte Dame aus unſern ſeit Jahresfriſt taͤglich veraͤnderten Huͤten ſchlieſſen, daß die Seele ihren Sitz verlaſſen und ſich in die Gegend der Milz zuruͤckge- zogen haͤtte. Ich gab ihr aber einen Blick, woraus ſie voͤllig ſchlieſſen konnte, daß die meinige noch aus ihren bey- den oberſten Fenſtern ſehe, und ſagte dabey, daß die Phi- loſophen der Seele ihren Sitz laͤngſt im Magen angewieſen haͤtten, daher es allenfalls kein Wunder waͤre, wenn ſie zur Veraͤnderung einmal die Milz beſuchte. Dieſes mogte ſie ſich merken; denn ſo wie ſie gut oder ſchlecht verdauet, denkt und empfindet ſie auch. Eine andere wollte die Plumets à la Reine mit den Windfedern vergleichen, und daraus das Moͤſ. patr. Phant. III. Th. A

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/15
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/15>, abgerufen am 21.11.2024.