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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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XXIX.
Ueber das Sprüchwort:
wer es nicht nöthig hat, der diene nicht.

Ich sollte nicht dienen, weil ich es nicht nöthig hätte?
Nein, mein Freund! dieser Rath ist übereilt. Ein
Hof, dessen ganze Dienerschaft blos von Besoldungen lebte,
die ohne Dienst nicht das liebe Brod hätte, würde für den
Fürsten, wie für das Land, worüber er regierte, eine sehr
hungrige Gestalt haben. Der Fürst kann allemal eine sehr
schmeichelhafte Vermuthung für sich daraus ziehen, wenn
er viele Diener hat, die auch ohne ihn leben können, und
ich wollte wohl sagen, daß er sich auf dasjenige, was diese
ihm rathen und sagen, am meisten verlassen könne. Wer
wollte nun aber so grausam seyn ihm diese Sicherheit und
diese süsse Belohnung zu entziehen? Würde das aber nicht
geschehen, wenn Ihr Rath: Man sollte nicht dienen, wenn
man es nicht nöthig habe, gegründet wäre. Für ein Land
ist es auch immer eine grosse Beruhigung, wenn es sieht,
das Männer im Dienste sind, die nicht blos für Brod,
sondern aus Liebe für ihr Vaterland und für denjenigen,
der es groß und glücklich macht, dienen. Freylich kann
auch der ehrlichste Mann fürs Brod dienen. Allein seine
Lage ist immer mißlich, und die Versuchung, worin er
beständig leben muß, fast zu groß, um nicht wenigstens
einmal zu wanken. Auch der beste Fürst kann einen gräm-
lichen Augenblick haben, wo er gegen einen solchen Bedien-
ten ungerecht wird, und ihn auf dem Wege der Wahrheit
schüchtern macht. Dieses wird ihm aber nicht so leicht mit
einem unabhängigen freyen Mann wiederfahren. Auch
in dem dunkelsten Gefühl, und in der Hitze der Leidenschaft,

wird


XXIX.
Ueber das Spruͤchwort:
wer es nicht noͤthig hat, der diene nicht.

Ich ſollte nicht dienen, weil ich es nicht noͤthig haͤtte?
Nein, mein Freund! dieſer Rath iſt uͤbereilt. Ein
Hof, deſſen ganze Dienerſchaft blos von Beſoldungen lebte,
die ohne Dienſt nicht das liebe Brod haͤtte, wuͤrde fuͤr den
Fuͤrſten, wie fuͤr das Land, woruͤber er regierte, eine ſehr
hungrige Geſtalt haben. Der Fuͤrſt kann allemal eine ſehr
ſchmeichelhafte Vermuthung fuͤr ſich daraus ziehen, wenn
er viele Diener hat, die auch ohne ihn leben koͤnnen, und
ich wollte wohl ſagen, daß er ſich auf dasjenige, was dieſe
ihm rathen und ſagen, am meiſten verlaſſen koͤnne. Wer
wollte nun aber ſo grauſam ſeyn ihm dieſe Sicherheit und
dieſe ſuͤſſe Belohnung zu entziehen? Wuͤrde das aber nicht
geſchehen, wenn Ihr Rath: Man ſollte nicht dienen, wenn
man es nicht noͤthig habe, gegruͤndet waͤre. Fuͤr ein Land
iſt es auch immer eine groſſe Beruhigung, wenn es ſieht,
das Maͤnner im Dienſte ſind, die nicht blos fuͤr Brod,
ſondern aus Liebe fuͤr ihr Vaterland und fuͤr denjenigen,
der es groß und gluͤcklich macht, dienen. Freylich kann
auch der ehrlichſte Mann fuͤrs Brod dienen. Allein ſeine
Lage iſt immer mißlich, und die Verſuchung, worin er
beſtaͤndig leben muß, faſt zu groß, um nicht wenigſtens
einmal zu wanken. Auch der beſte Fuͤrſt kann einen graͤm-
lichen Augenblick haben, wo er gegen einen ſolchen Bedien-
ten ungerecht wird, und ihn auf dem Wege der Wahrheit
ſchuͤchtern macht. Dieſes wird ihm aber nicht ſo leicht mit
einem unabhaͤngigen freyen Mann wiederfahren. Auch
in dem dunkelſten Gefuͤhl, und in der Hitze der Leidenſchaft,

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[125/0139] XXIX. Ueber das Spruͤchwort: wer es nicht noͤthig hat, der diene nicht. Ich ſollte nicht dienen, weil ich es nicht noͤthig haͤtte? Nein, mein Freund! dieſer Rath iſt uͤbereilt. Ein Hof, deſſen ganze Dienerſchaft blos von Beſoldungen lebte, die ohne Dienſt nicht das liebe Brod haͤtte, wuͤrde fuͤr den Fuͤrſten, wie fuͤr das Land, woruͤber er regierte, eine ſehr hungrige Geſtalt haben. Der Fuͤrſt kann allemal eine ſehr ſchmeichelhafte Vermuthung fuͤr ſich daraus ziehen, wenn er viele Diener hat, die auch ohne ihn leben koͤnnen, und ich wollte wohl ſagen, daß er ſich auf dasjenige, was dieſe ihm rathen und ſagen, am meiſten verlaſſen koͤnne. Wer wollte nun aber ſo grauſam ſeyn ihm dieſe Sicherheit und dieſe ſuͤſſe Belohnung zu entziehen? Wuͤrde das aber nicht geſchehen, wenn Ihr Rath: Man ſollte nicht dienen, wenn man es nicht noͤthig habe, gegruͤndet waͤre. Fuͤr ein Land iſt es auch immer eine groſſe Beruhigung, wenn es ſieht, das Maͤnner im Dienſte ſind, die nicht blos fuͤr Brod, ſondern aus Liebe fuͤr ihr Vaterland und fuͤr denjenigen, der es groß und gluͤcklich macht, dienen. Freylich kann auch der ehrlichſte Mann fuͤrs Brod dienen. Allein ſeine Lage iſt immer mißlich, und die Verſuchung, worin er beſtaͤndig leben muß, faſt zu groß, um nicht wenigſtens einmal zu wanken. Auch der beſte Fuͤrſt kann einen graͤm- lichen Augenblick haben, wo er gegen einen ſolchen Bedien- ten ungerecht wird, und ihn auf dem Wege der Wahrheit ſchuͤchtern macht. Dieſes wird ihm aber nicht ſo leicht mit einem unabhaͤngigen freyen Mann wiederfahren. Auch in dem dunkelſten Gefuͤhl, und in der Hitze der Leidenſchaft, wird

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/139>, abgerufen am 21.11.2024.