aber erst von verschiedenen Seiten betrachtet; und hernächst eine Entscheidung erwählet werde, worinn sich das aequum et bonum vereiniget. Mancher der sonst einmahl seine Meinung entworfen und seine Mühe daran gewandt, mögte vielleicht zu keiner Abänderung zu bringen seyn, der vorher leicht seine Meinung geändert und einen andern Faden er- wählet hätte. Daher es mir sehr nöthig zu seyn scheinet, daß jeder abzuhandelnder Rechtsfall erst angesagt, dann er- wogen, und darauf endlich schriftlich entworfen werde.
Wenn eine solch Arbeit sich auch nur bloß auf die Mark- und Eigenthumsrechte erstreckte; denn in bürgerlichen und städtischen Sachen sehlt es so sehr nicht: so würde dieses was jene beyden Artikel betrift, in wenigen Jahren ein ziemlich vollständiges Landrecht geben, und dem philosophischen Geiste der mit der Zeit alle Falten ausglättet und alles zum Vor- theil erwählter Theorien einförmig macht, damit aber Frey- heit und Eigenthum untergräbt, das mächtigste Ziel setzen.
LIV. Der Friedensadvocat.
In einer gewissen deutschen Provinz finden sich Krieges- und Friedensadvocaten. Die erstern kennen wir auch, die letztern aber nicht; und ist das sonderbareste dabey, daß ein Friedensadvocat niemals eine Streitsache zu Rechte aus- führen darf. Die Partheyen wenden sich zuerst an ihn; er stellet ihre Sache dem Richter vor; dieser vernimmt darüber den Beklagten, und setzt sodann einen Termin zum mündli- chen Vorbescheide an, worinn beyde Theile mit ihren Frie-
dens-
Der Friedensadvocat.
aber erſt von verſchiedenen Seiten betrachtet; und hernaͤchſt eine Entſcheidung erwaͤhlet werde, worinn ſich das æquum et bonum vereiniget. Mancher der ſonſt einmahl ſeine Meinung entworfen und ſeine Muͤhe daran gewandt, moͤgte vielleicht zu keiner Abaͤnderung zu bringen ſeyn, der vorher leicht ſeine Meinung geaͤndert und einen andern Faden er- waͤhlet haͤtte. Daher es mir ſehr noͤthig zu ſeyn ſcheinet, daß jeder abzuhandelnder Rechtsfall erſt angeſagt, dann er- wogen, und darauf endlich ſchriftlich entworfen werde.
Wenn eine ſolch Arbeit ſich auch nur bloß auf die Mark- und Eigenthumsrechte erſtreckte; denn in buͤrgerlichen und ſtaͤdtiſchen Sachen ſehlt es ſo ſehr nicht: ſo wuͤrde dieſes was jene beyden Artikel betrift, in wenigen Jahren ein ziemlich vollſtaͤndiges Landrecht geben, und dem philoſophiſchen Geiſte der mit der Zeit alle Falten ausglaͤttet und alles zum Vor- theil erwaͤhlter Theorien einfoͤrmig macht, damit aber Frey- heit und Eigenthum untergraͤbt, das maͤchtigſte Ziel ſetzen.
LIV. Der Friedensadvocat.
In einer gewiſſen deutſchen Provinz finden ſich Krieges- und Friedensadvocaten. Die erſtern kennen wir auch, die letztern aber nicht; und iſt das ſonderbareſte dabey, daß ein Friedensadvocat niemals eine Streitſache zu Rechte aus- fuͤhren darf. Die Partheyen wenden ſich zuerſt an ihn; er ſtellet ihre Sache dem Richter vor; dieſer vernimmt daruͤber den Beklagten, und ſetzt ſodann einen Termin zum muͤndli- chen Vorbeſcheide an, worinn beyde Theile mit ihren Frie-
dens-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0364"n="346"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Der Friedensadvocat.</hi></fw><lb/>
aber erſt von verſchiedenen Seiten betrachtet; und hernaͤchſt<lb/>
eine Entſcheidung erwaͤhlet werde, worinn ſich das <hirendition="#aq">æquum<lb/>
et bonum</hi> vereiniget. Mancher der ſonſt einmahl ſeine<lb/>
Meinung entworfen und ſeine Muͤhe daran gewandt, moͤgte<lb/>
vielleicht zu keiner Abaͤnderung zu bringen ſeyn, der vorher<lb/>
leicht ſeine Meinung geaͤndert und einen andern Faden er-<lb/>
waͤhlet haͤtte. Daher es mir ſehr noͤthig zu ſeyn ſcheinet,<lb/>
daß jeder abzuhandelnder Rechtsfall erſt angeſagt, dann er-<lb/>
wogen, und darauf endlich ſchriftlich entworfen werde.</p><lb/><p>Wenn eine ſolch Arbeit ſich auch nur bloß auf die Mark-<lb/>
und Eigenthumsrechte erſtreckte; denn in buͤrgerlichen und<lb/>ſtaͤdtiſchen Sachen ſehlt es ſo ſehr nicht: ſo wuͤrde dieſes was<lb/>
jene beyden Artikel betrift, in wenigen Jahren ein ziemlich<lb/>
vollſtaͤndiges Landrecht geben, und dem philoſophiſchen Geiſte<lb/>
der mit der Zeit alle Falten ausglaͤttet und alles zum Vor-<lb/>
theil erwaͤhlter Theorien einfoͤrmig macht, damit aber Frey-<lb/>
heit und Eigenthum untergraͤbt, das maͤchtigſte Ziel ſetzen.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="1"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">LIV.</hi><lb/>
Der Friedensadvocat.</hi></head><lb/><p>In einer gewiſſen deutſchen Provinz finden ſich Krieges-<lb/>
und Friedensadvocaten. Die erſtern kennen wir auch,<lb/>
die letztern aber nicht; und iſt das ſonderbareſte dabey, daß<lb/>
ein Friedensadvocat niemals eine Streitſache zu Rechte aus-<lb/>
fuͤhren darf. Die Partheyen wenden ſich zuerſt an ihn; er<lb/>ſtellet ihre Sache dem Richter vor; dieſer vernimmt daruͤber<lb/>
den Beklagten, und ſetzt ſodann einen Termin zum muͤndli-<lb/>
chen Vorbeſcheide an, worinn beyde Theile mit ihren Frie-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">dens-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[346/0364]
Der Friedensadvocat.
aber erſt von verſchiedenen Seiten betrachtet; und hernaͤchſt
eine Entſcheidung erwaͤhlet werde, worinn ſich das æquum
et bonum vereiniget. Mancher der ſonſt einmahl ſeine
Meinung entworfen und ſeine Muͤhe daran gewandt, moͤgte
vielleicht zu keiner Abaͤnderung zu bringen ſeyn, der vorher
leicht ſeine Meinung geaͤndert und einen andern Faden er-
waͤhlet haͤtte. Daher es mir ſehr noͤthig zu ſeyn ſcheinet,
daß jeder abzuhandelnder Rechtsfall erſt angeſagt, dann er-
wogen, und darauf endlich ſchriftlich entworfen werde.
Wenn eine ſolch Arbeit ſich auch nur bloß auf die Mark-
und Eigenthumsrechte erſtreckte; denn in buͤrgerlichen und
ſtaͤdtiſchen Sachen ſehlt es ſo ſehr nicht: ſo wuͤrde dieſes was
jene beyden Artikel betrift, in wenigen Jahren ein ziemlich
vollſtaͤndiges Landrecht geben, und dem philoſophiſchen Geiſte
der mit der Zeit alle Falten ausglaͤttet und alles zum Vor-
theil erwaͤhlter Theorien einfoͤrmig macht, damit aber Frey-
heit und Eigenthum untergraͤbt, das maͤchtigſte Ziel ſetzen.
LIV.
Der Friedensadvocat.
In einer gewiſſen deutſchen Provinz finden ſich Krieges-
und Friedensadvocaten. Die erſtern kennen wir auch,
die letztern aber nicht; und iſt das ſonderbareſte dabey, daß
ein Friedensadvocat niemals eine Streitſache zu Rechte aus-
fuͤhren darf. Die Partheyen wenden ſich zuerſt an ihn; er
ſtellet ihre Sache dem Richter vor; dieſer vernimmt daruͤber
den Beklagten, und ſetzt ſodann einen Termin zum muͤndli-
chen Vorbeſcheide an, worinn beyde Theile mit ihren Frie-
dens-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/364>, abgerufen am 22.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.