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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Schreiben einer Mutter


III.
Schreiben einer Mutter über den Putz der
Kinder.
Mein Herr!

Ich bin eine Mutter von acht Kindern, wovon das älteste
13 Jahr alt ist; und mein Stand erfordert, daß ich
solche miteinander auf eine gewisse Art kleiden lasse, welche
demselben gemäß ist. Ich kann versichern, daß ich Tag und
Nacht darauf denke, alles so mäßig einzurichten, wie es mir im-
mer möglich ist, und selbst seit meinem Hochzeitstage kein einziges
neues Kleid mir habe machen lassen, auch vieles bereits von
meinem jugendlichen Staat für meine Kinder zerschnitten
habe. Gleichwol bin ich nicht vermögend so vieles anzuschaf-
fen, als die heutige Welt bey Kindern aufs mindeste erfordert.
Ich mag ihnen die Rechnung von demjenigen, was mir meine
fünf Mädgen, seitdem sie die Windeln verlassen, kosten, nicht
vorlegen. Sie würden darüber erstaunen. Und das geht
alle Tage so fort. Wenn ich mit der einen fertig zu seyn ver-
meine, so muß ich mit der andern wieder anfangen, und eine
Mutter, die redlich durch die Welt will, hat vom Morgen
bis in den Abend nichts zu thun, als ihre Kinder nur so zu
putzen, daß sie sich sehen lassen dürfen. Vor einigen Tagen
mußte ich die Aelteste in eine feyerliche Gesellschaft schicken:
so gleich mußten 18 Ellen Blonden, 12 Ellen Band, 6 Ellen
grosse beaute zu Manschetten etc. geholet werden. Da solten
schottische Ohrringe, italiänische Blumen, englische Hänschen,
Fächtel a la pernvienne und Schönpflästerchen a la Condamine
seyn. Der Friseur rief um eau de Pourceaugnac, und um

Puder
Schreiben einer Mutter


III.
Schreiben einer Mutter uͤber den Putz der
Kinder.
Mein Herr!

Ich bin eine Mutter von acht Kindern, wovon das aͤlteſte
13 Jahr alt iſt; und mein Stand erfordert, daß ich
ſolche miteinander auf eine gewiſſe Art kleiden laſſe, welche
demſelben gemaͤß iſt. Ich kann verſichern, daß ich Tag und
Nacht darauf denke, alles ſo maͤßig einzurichten, wie es mir im-
mer moͤglich iſt, und ſelbſt ſeit meinem Hochzeitstage kein einziges
neues Kleid mir habe machen laſſen, auch vieles bereits von
meinem jugendlichen Staat fuͤr meine Kinder zerſchnitten
habe. Gleichwol bin ich nicht vermoͤgend ſo vieles anzuſchaf-
fen, als die heutige Welt bey Kindern aufs mindeſte erfordert.
Ich mag ihnen die Rechnung von demjenigen, was mir meine
fuͤnf Maͤdgen, ſeitdem ſie die Windeln verlaſſen, koſten, nicht
vorlegen. Sie wuͤrden daruͤber erſtaunen. Und das geht
alle Tage ſo fort. Wenn ich mit der einen fertig zu ſeyn ver-
meine, ſo muß ich mit der andern wieder anfangen, und eine
Mutter, die redlich durch die Welt will, hat vom Morgen
bis in den Abend nichts zu thun, als ihre Kinder nur ſo zu
putzen, daß ſie ſich ſehen laſſen duͤrfen. Vor einigen Tagen
mußte ich die Aelteſte in eine feyerliche Geſellſchaft ſchicken:
ſo gleich mußten 18 Ellen Blonden, 12 Ellen Band, 6 Ellen
groſſe beaute zu Manſchetten ꝛc. geholet werden. Da ſolten
ſchottiſche Ohrringe, italiaͤniſche Blumen, engliſche Haͤnſchen,
Faͤchtel a la pernvienne und Schoͤnpflaͤſterchen a la Condamine
ſeyn. Der Friſeur rief um eau de Pourceaugnac, und um

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[24/0042] Schreiben einer Mutter III. Schreiben einer Mutter uͤber den Putz der Kinder. Mein Herr! Ich bin eine Mutter von acht Kindern, wovon das aͤlteſte 13 Jahr alt iſt; und mein Stand erfordert, daß ich ſolche miteinander auf eine gewiſſe Art kleiden laſſe, welche demſelben gemaͤß iſt. Ich kann verſichern, daß ich Tag und Nacht darauf denke, alles ſo maͤßig einzurichten, wie es mir im- mer moͤglich iſt, und ſelbſt ſeit meinem Hochzeitstage kein einziges neues Kleid mir habe machen laſſen, auch vieles bereits von meinem jugendlichen Staat fuͤr meine Kinder zerſchnitten habe. Gleichwol bin ich nicht vermoͤgend ſo vieles anzuſchaf- fen, als die heutige Welt bey Kindern aufs mindeſte erfordert. Ich mag ihnen die Rechnung von demjenigen, was mir meine fuͤnf Maͤdgen, ſeitdem ſie die Windeln verlaſſen, koſten, nicht vorlegen. Sie wuͤrden daruͤber erſtaunen. Und das geht alle Tage ſo fort. Wenn ich mit der einen fertig zu ſeyn ver- meine, ſo muß ich mit der andern wieder anfangen, und eine Mutter, die redlich durch die Welt will, hat vom Morgen bis in den Abend nichts zu thun, als ihre Kinder nur ſo zu putzen, daß ſie ſich ſehen laſſen duͤrfen. Vor einigen Tagen mußte ich die Aelteſte in eine feyerliche Geſellſchaft ſchicken: ſo gleich mußten 18 Ellen Blonden, 12 Ellen Band, 6 Ellen groſſe beaute zu Manſchetten ꝛc. geholet werden. Da ſolten ſchottiſche Ohrringe, italiaͤniſche Blumen, engliſche Haͤnſchen, Faͤchtel a la pernvienne und Schoͤnpflaͤſterchen a la Condamine ſeyn. Der Friſeur rief um eau de Pourceaugnac, und um Puder

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/42>, abgerufen am 03.12.2024.