Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Schreiben einer Cammerjungfer.
anfangs Schuld gaben, daß sie die Wassersucht beförderten.
Wo wollten auch unsre vielen Krämer bleiben, wenn kein
Coffee und Zucker mehr gebraucht, und die lieblichen jungen
Pfirschenblätter anstatt des schaalen Thees getrunken würden?

Unlängst hatte unser junger Herr eine Rechnung ge-
macht, worinn er zeigte, daß, wenn jede Familie in hiesigem
Stifte jährlich 5 Thaler für Coffee, Thee und Zucker ausgäbe,
150000 Rthlr. alle Jahr aus dem Lande giengen, für welche
Summe 150 Mädgen ausgesteuret werden könnten. Der
allerliebste junge Herr! helfen Sie doch ja den Coffee verban-
nen, damit sein Projekt zu Stande komme. Denn gewiß ich
bin ein recht hübsches fleißiges gutes Kind. Mir fehlt nichts
als eine gute Aussteuer. Ich bin ....



XIX.
Die Schenkung unter den Lebendigen mit Vor-
behalt des Niesbrauchs solten verboten
werden.
Klage einer Wittwe.

Ach mein guter Herr, es ist mir wunderlich in dieser Welt
gegangen. Allein es hilft Ihnen und mir nichts, daß
ich Ihnen solches weitläuftig klage. Nur eins will ich Ihnen
doch erzählen, weil sich vielleicht andre daran spiegeln können.

Ich bin eine betagte Wittwe aber ohne Kinder. Um
Trost in meinem Alter zu haben, nahm ich meines Brudern
Kinder zu mir; und um sie zu einiger Dankbarkeit zu ver-
pflichten, gieng ich zu einem Notarius in der Absicht, ihnen
alles auf meinen Todesfall zu schenken. Dieser Mann hat

mich
H 3

Schreiben einer Cammerjungfer.
anfangs Schuld gaben, daß ſie die Waſſerſucht befoͤrderten.
Wo wollten auch unſre vielen Kraͤmer bleiben, wenn kein
Coffee und Zucker mehr gebraucht, und die lieblichen jungen
Pfirſchenblaͤtter anſtatt des ſchaalen Thees getrunken wuͤrden?

Unlaͤngſt hatte unſer junger Herr eine Rechnung ge-
macht, worinn er zeigte, daß, wenn jede Familie in hieſigem
Stifte jaͤhrlich 5 Thaler fuͤr Coffee, Thee und Zucker ausgaͤbe,
150000 Rthlr. alle Jahr aus dem Lande giengen, fuͤr welche
Summe 150 Maͤdgen ausgeſteuret werden koͤnnten. Der
allerliebſte junge Herr! helfen Sie doch ja den Coffee verban-
nen, damit ſein Projekt zu Stande komme. Denn gewiß ich
bin ein recht huͤbſches fleißiges gutes Kind. Mir fehlt nichts
als eine gute Ausſteuer. Ich bin ....



XIX.
Die Schenkung unter den Lebendigen mit Vor-
behalt des Niesbrauchs ſolten verboten
werden.
Klage einer Wittwe.

Ach mein guter Herr, es iſt mir wunderlich in dieſer Welt
gegangen. Allein es hilft Ihnen und mir nichts, daß
ich Ihnen ſolches weitlaͤuftig klage. Nur eins will ich Ihnen
doch erzaͤhlen, weil ſich vielleicht andre daran ſpiegeln koͤnnen.

Ich bin eine betagte Wittwe aber ohne Kinder. Um
Troſt in meinem Alter zu haben, nahm ich meines Brudern
Kinder zu mir; und um ſie zu einiger Dankbarkeit zu ver-
pflichten, gieng ich zu einem Notarius in der Abſicht, ihnen
alles auf meinen Todesfall zu ſchenken. Dieſer Mann hat

mich
H 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0135" n="117"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Schreiben einer Cammerjungfer.</hi></fw><lb/>
anfangs Schuld gaben, daß &#x017F;ie die Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;ucht befo&#x0364;rderten.<lb/>
Wo wollten auch un&#x017F;re vielen Kra&#x0364;mer bleiben, wenn kein<lb/>
Coffee und Zucker mehr gebraucht, und die lieblichen jungen<lb/>
Pfir&#x017F;chenbla&#x0364;tter an&#x017F;tatt des &#x017F;chaalen Thees getrunken wu&#x0364;rden?</p><lb/>
        <p>Unla&#x0364;ng&#x017F;t hatte un&#x017F;er junger Herr eine Rechnung ge-<lb/>
macht, worinn er zeigte, daß, wenn jede Familie in hie&#x017F;igem<lb/>
Stifte ja&#x0364;hrlich 5 Thaler fu&#x0364;r Coffee, Thee und Zucker ausga&#x0364;be,<lb/>
150000 Rthlr. alle Jahr aus dem Lande giengen, fu&#x0364;r welche<lb/>
Summe 150 Ma&#x0364;dgen ausge&#x017F;teuret werden ko&#x0364;nnten. Der<lb/>
allerlieb&#x017F;te junge Herr! helfen Sie doch ja den Coffee verban-<lb/>
nen, damit &#x017F;ein Projekt zu Stande komme. Denn gewiß ich<lb/>
bin ein recht hu&#x0364;b&#x017F;ches fleißiges gutes Kind. Mir fehlt nichts<lb/>
als eine gute Aus&#x017F;teuer. Ich bin ....</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XIX.</hi><lb/>
Die Schenkung unter den Lebendigen mit Vor-<lb/>
behalt des Niesbrauchs &#x017F;olten verboten<lb/>
werden.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#c">Klage einer Wittwe.</hi> </head><lb/>
          <p>Ach mein guter Herr, es i&#x017F;t mir wunderlich in die&#x017F;er Welt<lb/>
gegangen. Allein es hilft Ihnen und mir nichts, daß<lb/>
ich Ihnen &#x017F;olches weitla&#x0364;uftig klage. Nur eins will ich Ihnen<lb/>
doch erza&#x0364;hlen, weil &#x017F;ich vielleicht andre daran &#x017F;piegeln ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
          <p>Ich bin eine betagte Wittwe aber ohne Kinder. Um<lb/>
Tro&#x017F;t in meinem Alter zu haben, nahm ich meines Brudern<lb/>
Kinder zu mir; und um &#x017F;ie zu einiger Dankbarkeit zu ver-<lb/>
pflichten, gieng ich zu einem Notarius in der Ab&#x017F;icht, ihnen<lb/>
alles auf meinen Todesfall zu &#x017F;chenken. Die&#x017F;er Mann hat<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H 3</fw><fw place="bottom" type="catch">mich</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0135] Schreiben einer Cammerjungfer. anfangs Schuld gaben, daß ſie die Waſſerſucht befoͤrderten. Wo wollten auch unſre vielen Kraͤmer bleiben, wenn kein Coffee und Zucker mehr gebraucht, und die lieblichen jungen Pfirſchenblaͤtter anſtatt des ſchaalen Thees getrunken wuͤrden? Unlaͤngſt hatte unſer junger Herr eine Rechnung ge- macht, worinn er zeigte, daß, wenn jede Familie in hieſigem Stifte jaͤhrlich 5 Thaler fuͤr Coffee, Thee und Zucker ausgaͤbe, 150000 Rthlr. alle Jahr aus dem Lande giengen, fuͤr welche Summe 150 Maͤdgen ausgeſteuret werden koͤnnten. Der allerliebſte junge Herr! helfen Sie doch ja den Coffee verban- nen, damit ſein Projekt zu Stande komme. Denn gewiß ich bin ein recht huͤbſches fleißiges gutes Kind. Mir fehlt nichts als eine gute Ausſteuer. Ich bin .... XIX. Die Schenkung unter den Lebendigen mit Vor- behalt des Niesbrauchs ſolten verboten werden. Klage einer Wittwe. Ach mein guter Herr, es iſt mir wunderlich in dieſer Welt gegangen. Allein es hilft Ihnen und mir nichts, daß ich Ihnen ſolches weitlaͤuftig klage. Nur eins will ich Ihnen doch erzaͤhlen, weil ſich vielleicht andre daran ſpiegeln koͤnnen. Ich bin eine betagte Wittwe aber ohne Kinder. Um Troſt in meinem Alter zu haben, nahm ich meines Brudern Kinder zu mir; und um ſie zu einiger Dankbarkeit zu ver- pflichten, gieng ich zu einem Notarius in der Abſicht, ihnen alles auf meinen Todesfall zu ſchenken. Dieſer Mann hat mich H 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/135
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/135>, abgerufen am 21.11.2024.