Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.
Verblutet hast du, vielgeliebter Baum, Vom gold'nen Pfeil, zerronnen ist dein Traum. Wie grausam du es auch mit mir geschickt, Seyst du zu guter Lezte doch geschmückt! Ach, mit dem Schönsten, was Thereile hat, Bekränzet sie der Liebe Leichenstatt: Ihr süßen Haargeflechte, glänzend reich, Mit dieser Schärfe langsam lös' ich euch; Umwickelt sanft die Wunde dort am Stamm! Noch quillt die Sehnsucht nach dem Bräutigam. Mit euch verwese Liebeslust und Leiden, Auf solche will ich keine neuen Freuden! Und du, verwünschtes, mördrisches Geschoß, Um das die Thräne schon zu häufig floß, Mein Liebling hat dich noch zulezt berührt, So nimm den Kuß, ach, der dir nicht gebührt! Und nun, ihr kleinen Schwestern, macht ein Grab, Und berget Stamm und Zweige tief hinab. Seyd ohne Furcht, und wenn ich sonsten gar Zu hart und ungestüm und mürrisch war, -- Von heute an, geliebte Kinder mein, Wird euch Thereile hold und freundlich seyn. (Ab.) Vierzehnte Scene. Morgen. Mummelsee. König steht auf einem Felsen über'm See. König. "Ein Mensch lebt seiner Jahre Zahl, Ulmon allein wird sehen Den Sommer kommen und gehen Zehn hundert Mal.
Verblutet haſt du, vielgeliebter Baum, Vom gold’nen Pfeil, zerronnen iſt dein Traum. Wie grauſam du es auch mit mir geſchickt, Seyſt du zu guter Lezte doch geſchmückt! Ach, mit dem Schönſten, was Thereile hat, Bekränzet ſie der Liebe Leichenſtatt: Ihr ſüßen Haargeflechte, glänzend reich, Mit dieſer Schärfe langſam löſ’ ich euch; Umwickelt ſanft die Wunde dort am Stamm! Noch quillt die Sehnſucht nach dem Bräutigam. Mit euch verweſe Liebesluſt und Leiden, Auf ſolche will ich keine neuen Freuden! Und du, verwünſchtes, mördriſches Geſchoß, Um das die Thräne ſchon zu häufig floß, Mein Liebling hat dich noch zulezt berührt, So nimm den Kuß, ach, der dir nicht gebührt! Und nun, ihr kleinen Schweſtern, macht ein Grab, Und berget Stamm und Zweige tief hinab. Seyd ohne Furcht, und wenn ich ſonſten gar Zu hart und ungeſtüm und mürriſch war, — Von heute an, geliebte Kinder mein, Wird euch Thereile hold und freundlich ſeyn. (Ab.) Vierzehnte Scene. Morgen. Mummelſee. König ſteht auf einem Felſen über’m See. König. „Ein Menſch lebt ſeiner Jahre Zahl, Ulmon allein wird ſehen Den Sommer kommen und gehen Zehn hundert Mal. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp who="#the"> <p><pb facs="#f0214" n="206"/> Verblutet haſt du, vielgeliebter Baum,<lb/> Vom gold’nen Pfeil, zerronnen iſt dein Traum.<lb/> Wie grauſam du es auch mit mir geſchickt,<lb/> Seyſt du zu guter Lezte doch geſchmückt!<lb/> Ach, mit dem Schönſten, was Thereile hat,<lb/> Bekränzet ſie der Liebe Leichenſtatt:<lb/> Ihr ſüßen Haargeflechte, glänzend reich,<lb/> Mit dieſer Schärfe langſam löſ’ ich euch;<lb/> Umwickelt ſanft die Wunde dort am Stamm!<lb/> Noch quillt die Sehnſucht nach dem Bräutigam.<lb/> Mit euch verweſe Liebesluſt und Leiden,<lb/> Auf ſolche will ich keine neuen Freuden!<lb/> Und du, verwünſchtes, mördriſches Geſchoß,<lb/> Um das die Thräne ſchon zu häufig floß,<lb/> Mein Liebling hat dich noch zulezt berührt,<lb/> So nimm den Kuß, ach, der dir nicht gebührt!</p><lb/> <p>Und nun, ihr kleinen Schweſtern, macht ein Grab,<lb/> Und berget Stamm und Zweige tief hinab.<lb/> Seyd ohne Furcht, und wenn ich ſonſten gar<lb/> Zu hart und ungeſtüm und mürriſch war, —<lb/> Von heute an, geliebte Kinder mein,<lb/> Wird euch Thereile hold und freundlich ſeyn.</p> <stage>(Ab.)</stage> </sp> </div><lb/> <div n="3"> <head><hi rendition="#g">Vierzehnte Scene</hi>.</head><lb/> <stage><hi rendition="#g">Morgen.<lb/> Mummelſee. König</hi> ſteht auf einem Felſen über’m See.</stage><lb/> <sp who="#koe"> <speaker><hi rendition="#g">König</hi>.</speaker><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>„Ein Menſch lebt ſeiner Jahre Zahl,</l><lb/> <l>Ulmon allein wird ſehen</l><lb/> <l>Den Sommer kommen und gehen</l><lb/> <l>Zehn hundert Mal.</l> </lg><lb/> </lg> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [206/0214]
Verblutet haſt du, vielgeliebter Baum,
Vom gold’nen Pfeil, zerronnen iſt dein Traum.
Wie grauſam du es auch mit mir geſchickt,
Seyſt du zu guter Lezte doch geſchmückt!
Ach, mit dem Schönſten, was Thereile hat,
Bekränzet ſie der Liebe Leichenſtatt:
Ihr ſüßen Haargeflechte, glänzend reich,
Mit dieſer Schärfe langſam löſ’ ich euch;
Umwickelt ſanft die Wunde dort am Stamm!
Noch quillt die Sehnſucht nach dem Bräutigam.
Mit euch verweſe Liebesluſt und Leiden,
Auf ſolche will ich keine neuen Freuden!
Und du, verwünſchtes, mördriſches Geſchoß,
Um das die Thräne ſchon zu häufig floß,
Mein Liebling hat dich noch zulezt berührt,
So nimm den Kuß, ach, der dir nicht gebührt!
Und nun, ihr kleinen Schweſtern, macht ein Grab,
Und berget Stamm und Zweige tief hinab.
Seyd ohne Furcht, und wenn ich ſonſten gar
Zu hart und ungeſtüm und mürriſch war, —
Von heute an, geliebte Kinder mein,
Wird euch Thereile hold und freundlich ſeyn.(Ab.)
Vierzehnte Scene.
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