Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.Fussreise. Am frischgeschnitt'nen Wanderstab, Wenn ich in der Frühe So durch Wälder ziehe, Hügel auf und ab: Dann wie's Vögelein im Laube Singet und sich rührt, Oder wie die goldne Traube Wonnegeister spürt In der ersten Morgensonne: So fühlt auch mein alter, lieber Adam Herbst- und Frühlingsfieber, Gottbeherzte, Nie verscherzte Erstlings-Paradieseswonne. Also bist du nicht so schlimm, o alter Adam, wie die strengen Lehrer sagen: Liebst und lobst du immer doch, Singst und preisest immer noch, Wie an ewig neuen Schöpfungstagen Deinen lieben Schöpfer und Erhalter. Möcht' es Dieser geben, Und mein ganzes Leben Wär' im leichten Wanderschweiße Eine solche Morgenreise! Fuſsreiſe. Am friſchgeſchnitt'nen Wanderſtab, Wenn ich in der Fruͤhe So durch Waͤlder ziehe, Huͤgel auf und ab: Dann wie's Voͤgelein im Laube Singet und ſich ruͤhrt, Oder wie die goldne Traube Wonnegeiſter ſpuͤrt In der erſten Morgenſonne: So fuͤhlt auch mein alter, lieber Adam Herbſt- und Fruͤhlingsfieber, Gottbeherzte, Nie verſcherzte Erſtlings-Paradieſeswonne. Alſo biſt du nicht ſo ſchlimm, o alter Adam, wie die ſtrengen Lehrer ſagen: Liebſt und lobſt du immer doch, Singſt und preiſeſt immer noch, Wie an ewig neuen Schoͤpfungstagen Deinen lieben Schoͤpfer und Erhalter. Moͤcht' es Dieſer geben, Und mein ganzes Leben Waͤr' im leichten Wanderſchweiße Eine ſolche Morgenreiſe! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb n="47" facs="#f0063"/> </div> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b #g">Fuſsreiſe.</hi><lb/> </head> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Am friſchgeſchnitt'nen Wanderſtab,</l><lb/> <l>Wenn ich in der Fruͤhe</l><lb/> <l>So durch Waͤlder ziehe,</l><lb/> <l>Huͤgel auf und ab:</l><lb/> <l>Dann wie's Voͤgelein im Laube</l><lb/> <l>Singet und ſich ruͤhrt,</l><lb/> <l>Oder wie die goldne Traube</l><lb/> <l>Wonnegeiſter ſpuͤrt</l><lb/> <l>In der erſten Morgenſonne:</l><lb/> <l>So fuͤhlt auch mein alter, lieber</l><lb/> <l>Adam Herbſt- und Fruͤhlingsfieber,</l><lb/> <l>Gottbeherzte,</l><lb/> <l>Nie verſcherzte</l><lb/> <l>Erſtlings-Paradieſeswonne.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Alſo biſt du nicht ſo ſchlimm, o alter</l><lb/> <l>Adam, wie die ſtrengen Lehrer ſagen:</l><lb/> <l>Liebſt und lobſt du immer doch,</l><lb/> <l>Singſt und preiſeſt immer noch,</l><lb/> <l>Wie an ewig neuen Schoͤpfungstagen</l><lb/> <l>Deinen lieben Schoͤpfer und Erhalter.</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Moͤcht' es Dieſer geben,</l><lb/> <l>Und mein ganzes Leben</l><lb/> <l>Waͤr' im leichten Wanderſchweiße</l><lb/> <l>Eine ſolche Morgenreiſe!</l><lb/> </lg> </lg> <milestone unit="section" rendition="#hr"/> </div> </body> </text> </TEI> [47/0063]
Fuſsreiſe.
Am friſchgeſchnitt'nen Wanderſtab,
Wenn ich in der Fruͤhe
So durch Waͤlder ziehe,
Huͤgel auf und ab:
Dann wie's Voͤgelein im Laube
Singet und ſich ruͤhrt,
Oder wie die goldne Traube
Wonnegeiſter ſpuͤrt
In der erſten Morgenſonne:
So fuͤhlt auch mein alter, lieber
Adam Herbſt- und Fruͤhlingsfieber,
Gottbeherzte,
Nie verſcherzte
Erſtlings-Paradieſeswonne.
Alſo biſt du nicht ſo ſchlimm, o alter
Adam, wie die ſtrengen Lehrer ſagen:
Liebſt und lobſt du immer doch,
Singſt und preiſeſt immer noch,
Wie an ewig neuen Schoͤpfungstagen
Deinen lieben Schoͤpfer und Erhalter.
Moͤcht' es Dieſer geben,
Und mein ganzes Leben
Waͤr' im leichten Wanderſchweiße
Eine ſolche Morgenreiſe!
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Zitationshilfe: | Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/63>, abgerufen am 04.03.2025. |